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Schweizer Legionäre mit Bankplatzgarantie

Mämä Sykora am Montag den 5. November 2012
Admir Mehmedi im Training mit Dynamo Kiew, 23. Oktober 2012. (Foto: Keystone)

Die meisten Schweizer Fussballer kommen im Ausland zurzeit nicht zum Einsatz: Admir Mehmedi im Training mit Dynamo Kiew, 23. Oktober 2012. (Foto: Keystone)

Die Schweiz ist im Ausland bekannt für ihre Banken. Und die Bänke im Ausland sind bekannt für ihre Schweizer. Zumindest hierzulande. Dieses Wochenende in der Bundesliga: 13 Schweizer stehen dort unter Vertrag, zum Einsatz kamen deren vier. Von den 4 Schweizern in der Premier League spielte gar keiner, es durfte gar nur einer (Senderos) wenigstens auf der Bank Platz nehmen. In der Serie A blieb für 4 der 11 Eidgenossen auch nur die Zuschauerrolle. In der Ukraine kam Admir Mehmedi gegen Tavriya Simferopol zu seinem ersten Einsatz über 90 Minuten in dieser Saison, Emeghara bei Lorient reichte es bislang für 19 Einsatzminuten und eine rote Karte, Reto Ziegler von Lok Moskau durfte erst vier Mal ran. Fleissige Statistiker sind gesucht, um herauszufinden, ob sonst noch eine Nation ein derart schlechtes Verhältnis zwischen Legionären und deren Einsatzminuten aufweisen kann.

Ist das nur Zufall? Oder nur eine Ausnahmesituation? Letzteres mit Sicherheit nicht, denn seit vermehrt Schweizer Fussballer den Sprung ins Ausland wagen, ist der Anteil der Bankdrücker konstant hoch. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Unsere Liga ist klein, die Verdienstmöglichkeiten im Ausland ungemein besser, da ist es nicht verwunderlich, dass viele beim erstbesten Angebot gehen, selbst wenn die Einsatzzeit beim neuen Verein keineswegs garantiert ist. Nur: Auch aus Österreich etwa, wo die gleichen Bedingungen gelten, spielen 13 Profis in der Bundesliga. Davon sassen am Wochenende nur gerade 4 auf der Bank, der Rest gehört wie auch der für einmal übergangene Pogatetz (Wolfsburg) zur Stammformation. Eine ähnliche Quote erreichen auch Tschechen, Kroaten, Polen, Dänen oder Belgier.

Einen einleuchtenden Grund nannte mir GC-Flügel Steven Zuber im Sommer im Interview: «Ein Fehler ist sicher, wenn man sich schnell den anderen Profis anpasst, das gleiche Programm absolviert und nach dem Training gleich mit den Älteren in die Stadt zum Essen geht. Wenn man neu ist, sollte man viel mehr machen als der Rest.» Denn «geschafft» hat man es nicht schon mit dem Auslandtransfer, sondern erst, wenn man im neuen Verein auch spielt. Ein Engagement in einer grösseren Liga ist nicht nur der Lohn für die bisherige Arbeit, sondern vor allem tatsächlich jene «neue Herausforderung», von der kürzlich transferierte Spieler zwar stets reden, die sie aber kaum annehmen. Was man bis dahin geleistet hat, zählt gar nichts mehr am neuen Ort. Man gibt seine Stellung in der alten Mannschaft auf und beginnt bei null. Alles muss man sich neu erarbeiten. Und dessen sind sich anscheinend gerade die Schweizer Fussballer zu wenig bewusst.

Diejenigen, die aus der Schweiz in eine grössere Liga wechseln, gehören selbstverständlich zu den Besten des Landes. Sie haben meist einen schnellen Aufstieg hinter sich, sind unangefochtene Stammspieler, nehmen eine wichtige Rolle in der Mannschaft ein. Verfolgt man die Karrieren dieser Transferierten, beschleicht einen das Gefühl, dass sie fast davon ausgehen, dass es beim neuen Verein im gleichen Stil weitergehen wird. Es deutet vieles darauf hin, dass sich einige dafür zu bequem sind, um den geforderten zusätzlichen Effort zu leisten, der ihnen zum Durchbruch verhelfen könnte. Zudem fehlt nicht nur der Wille dafür, es fehlt auch der Zwang: Denn auch wer es nicht ganz schafft, streicht dennoch einen ansehnlichen Lohn ein und kann dann immer noch in die Schweiz zurückkehren, wo man gleich wieder den Star-Status innehat, ohne sich dafür ein Bein ausreissen zu müssen.

Angesichts der derzeitigen Situation vieler Schweizer Legionäre könnte uns in der Winterpause – spätestens dann im Sommer – ein regelrechter Zustrom aus «Gescheiterten» erwarten. Gelson hat seine Rückkehr schon angedeutet, Emeghara bemüht sich drum, gefrustet sind mit Sicherheit auch Affolter, Ferati, Nikci, Derdiyok, Seferovic, Senderos und Kasami. Es wäre für sie eine Heimkehr ins warme Nest. Hier ist es halt doch auch sehr schön, warum soll man da im Ausland so lange hartes Brot knabbern?

Dauerfeuern in der Super League

Mämä Sykora am Donnerstag den 1. November 2012

Bis vor einigen Tagen versprach diese Super-League-Saison eine angenehm ruhige zu werden. Gerade im Vergleich mit der desaströsen letzten, in der das Sportliche lediglich das Rahmenprogramm zu Konkursen, Fast-Konkursen, juristischem Hickhack, Punktabzügen und Fan-Fehlverhalten und Boykotten war. In der Saison 2012/13 sorgten hingegen tatsächlich wieder einmal die Leistungen auf dem Feld für Gesprächsstoff. Die Überraschungsmannschaften GC und St.Gallen waren das Thema, die durchzogenen Leistungen des FCB, die Baisse von Luzern. Es ging doch tatsächlich wieder um Fussball.

Doch dann ging’s doch noch los. Dass es in Sion begann, mochte noch niemanden überraschen. Der Rücktritt von Sébastien Fournier sorgte dafür, dass auch weiterhin die Konstanz (und damit auch allenfalls mal der Erfolg) nicht im Wallis Einzug halten kann. Kurz darauf wurde João Alves bei Servette gespickt. Alles noch im Rahmen. Dann schockte der FCB mit der Trennung von Heiko Vogel, vor wenigen Tagen wurde der zweite Sion-Trainer dieser Saison über die Planke geschickt und YB-CEO Ilja Kaenzig musste seinen Platz räumen. Und damit war’s aus mit der Ruhe. Seither wild über wilde Rochaden spekuliert. FCZ-Sportchef Fredy Bickel soll zu YB, in Luzern feuern Ex-Präsident Stierli und Investor Alpstaeg gegen Sportchef Hermann und Trainer Komornicki. «Der Verwaltungsrat tagt demnächst», heisst es allerorts.

In jeder dieser Sitzungen kann ein Entscheid mit weitreichenden Konsequenzen gefällt werden, denn die Verwaltungsräte der Schweizer Fussballvereine sind die neuen Machtzentren. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein allmächtiger Patron in sämtlichen Fragen alleine entschied. Heute kommen einem Präsident mehrheitlich repräsentative Aufgaben zuteil, wo es lang geht, entscheidet der Verwaltungsrat. «Der Verwaltungsrat entscheidet nicht immer so, wie ich das gerne hätte», sagte etwa Ancillo Canepa nach der Entlassung von Trainer Urs Fischer.

Grundsätzlich ist es nicht schlecht, wenn ein Entscheid von mehreren Leuten getragen wird. Dass aber im emotional aufgeladenen Feld Fussball Strukturen aus der Privatwirtschaft eins zu eins übernommen wurden, birgt auch einige Gefahren. In den Verwaltungsräten der Schweizer Fussballvereine sitzen mehrheitlich Leute aus der Wirtschaft, die diesen Job wohl auch darum antraten, weil sie Fan des Vereins sind. Nur die wenigsten haben in irgendeiner Form Erfahrungen im Profifussball gesammelt, und doch führen sie gleich die Geschicke des Klubs. Sie haben ihre Vorstellungen, wo der Verein stehen sollte, und diese sind – genau wie bei den Fans – vermutlich nicht selten etwas übersteigert, wenn nicht realitätsfremd. Während sich der Fan aber lediglich aufregen kann, hat ein Verwaltungsrat ungleich mehr Einflussmöglichkeiten. Es braucht nur einige Gleichgesinnte in diesem Gremium, und ein Trainer ist seinen Job los. Verwaltungsräte feuern zudem auch noch aus der Anonymität heraus. Kaum jemand kennt die Namen der Mitglieder, sie treten kaum in Erscheinung, wechseln oft – und ihre Entscheide muss ohnehin der Präsident den Medien und den Fans verkünden. Die Schelte kriegt ebenfalls er ab. So ist es noch einfacher, einen Trainer zu feuern.

Ein Jahr und sieben Monate ist Jeff Saibene beim FCSG im Amt, damit ist er tatsächlich der dienstälteste Trainer der Super League. In der Premier League sind die Trainer im Schnitt seit vier Jahren im Amt, in der Schweiz seit fünf Monaten. Das sind erschreckende Zahlen, die der ebenfalls umstrittene FCZ-Trainer Rolf Fringer im «Sonntag» auf «die unrealistischen Zielsetzungen der Klubführungen» zurückführt. Weiter merkt er an, dass «im Gegensatz etwa zu England der Respekt fehlt. Wir sind auf dem Weg, eine ‹Piratenliga› à la Griechenland und Zypern zu werden.»

Es ist tatsächlich sehr schwer, die Möglichkeiten einer Mannschaft, mit der man emotional verbunden ist, richtig einschätzen zu können. Dafür fehlt es gerade in den Verwaltungsräten, die zudem auch noch die Investoren nicht verärgern sollten, an Fachkompetenz. So wird gerne mal «übersehen», dass die letzte Saison vielleicht nicht repräsentativ war (Luzern), eine Handvoll Stammspieler abgegeben wurde (Basel) oder die Ansprüche allenfalls ein Stück zu hoch sind (YB). Der Effekt davon sind die vielen geschassten Trainer, noch immer das Allerheilmittel bei kriselnden Klubs.

Vielleicht ist dies nur eine Übergangserscheinung, bis sich die Vereine an die neuen Strukturen gewöhnt haben und erkennen, dass Verwaltungsräte nicht wie Fans handeln sollten und dass mit einer solchen Fluktuation sowohl auf den Trainerbänken wie in den Vereinsführungen keine Erfolge erzielt werden können. Ein Blick auf die Tabelle sollte schon mal einen Denkanstoss bieten: Mit Uli Forte und Jeff Saibene stehen zwei der drei dienstältesten Trainer der Super League ganz oben. In der Ruhe liegt eben doch die Kraft. Ich als Vereinspräsident würde umgehend Zuckersäckchen mit dieser Redensart drucken lassen und an Verwaltungsratsitzungen zum Kaffee reichen.

Das wiedergewonnene Lächeln des Alex F.

Mämä Sykora am Montag den 29. Oktober 2012
Alex Frei bejubelt seinen Treffer gegen den FCZ, 28. Oktober 2012. (Keystone/Walter Bieri)

Jetzt kann die Aufholjagd beginnen: Alex Frei bejubelt seinen Treffer gegen den FCZ, 28. Oktober 2012. (Keystone/Walter Bieri)

Am 28. Juli war es zuletzt der Fall gewesen, dass Alex Frei jubeln konnte. Seither lief der letztjährige Torschützenkönig über 10 Stunden über die Super-League-Rasen, fiel dabei in der Torjägerliste hinter Spieler wie Thuns Verteidiger Schirinzi oder FCZ-Joker Schönbächler zurück und musste sich auf einmal ungewohnt harscher Kritik stellen, selbst vonseiten der FCB-Fans. Es ging sogar so weit, dass Gerüchte die Runde machten, wonach Alex Frei am Ende der Saison zu Luzern wechseln soll. Dem Toptorjäger war die Verkrampfung angesehen, es war kein Vergleich zum Alex Frei der letzten zwei Spielzeiten, in denen er mit Lockerheit und gnadenloser Effizienz zu seinen Torerfolgen kam.

Nun hat es also endlich wieder geklappt. Gegen den FCZ fiel ihm ein Degen-Kopfball genau vor die Füsse, er schob aus kurzer Distanz ein. Wahrlich kein Traumtor, eher eines aus der Kategorie «Den hätte selbst meine Mutter gemacht». Ein «Alex-Frei-Tor» eben, obwohl ihm diese Bezeichnung Unrecht tut. Wie das Tor fällt, ist ohnehin nicht von Bedeutung, und auch wenn jeder andere auf dem Feld diese Chance ebenfalls verwertet hätte – geschenkt. Die Idee, an die richtige Stelle zu laufen, hatte nur Alex Frei. Ich hätte wohl auch jedes Bild von Piet Mondrian malen können (und das will was heissen, schliesslich kriege ich nicht einmal erkennbare Strichmännchen hin), aber ich hatte schlicht die Idee dazu nicht.

Für Alex Frei, der in seiner Karriere schon Hunderte von Toren erzielt hat, war dasjenige gestern im Letzigrund bestimmt eines der wichtigeren. Die Bedeutung dieses Abstaubers zeigte sich in seinem Jubel, in dem man für kurze Zeit noch einmal den jungen, hungrigen, ehrgeizigen Frei erkennen konnte, der für Luzern und Servette auf Torjagd ging. Er schrie und hüpfte, umarmte – und er lächelte gar! So hat man Frei nur selten gesehen. Der aufgestaute Frust, der enorme Druck, alles fiel von ihm mit einem Schlag ab. Für den FCB und die ganze Super League kann dieses kleine Ereignis von gestern weit reichende Konsequenzen haben.

Der FCB ist in der aktuellen Verfassung auf einen treffsicheren Stürmer vom Format Alex Freis angewiesen. Auch in der letzten und vorletzten Saison vermochte Basel nicht immer spielerisch zu überzeugen, nicht selten wurden aber Spiele trotz ungenügender Leistung gewonnen, eben weil da vorne diese Nummer 13 stand, die aus wenigen Chancen das Maximum machte. Damit ein Stürmer derart produktiv sein kann, braucht er das Selbstvertrauen, muss über diese Lockerheit verfügen und den Glauben daran haben, dass ihm seine Teamkollegen schon noch eine Chance auflegen werden. Bei Alex Frei ist die Veränderung besonders auffällig, wenn es mal nicht so läuft. Man braucht sich nur an seine späte Phase in der Nati zu erinnern, in der sich oft weit nach hinten fallen liess, den Spielaufbau übernehmen wollte und die Mitspieler zurechtgewiesen hat. So kann Frei für eine Mannschaft zur Belastung werden, als aufs Toreschiessen fokussierter Stürmer hingegen zum Meistermacher.

Das Tor gestern wird mithelfen, die Ordnung innerhalb der Mannschaft wieder zurechtzurücken. Mit einem nach wie torgefährlichen Marco Streller und nun auch wieder mit einem Alex Frei mit dem wiedergewonnenen Selbstvertrauen des Goalgetters ist Basel bereit für die grosse Aufholjagd, selbst wenn spielerisch nach wie vor einige Defizite auszumachen sind im Vergleich mit den Vorjahren. Der erste Schritt wurde gestern gelegt: GC ist in Genf gestolpert – in einem Spiel, das Trainer Forte als «Reifeprüfung» deklariert hatte –, nun sind es noch 8 Punkte Rückstand. Mit einem «wiedergenesenen» Alex Frei ein Klacks.

Zwiespältiges Revierderby

Mämä Sykora am Montag den 22. Oktober 2012

Die Super-League-Runde dieses Wochenendes habe ich leider komplett verpasst. Ich konnte weder GCs neunten Sieg in Folge noch Murat Yakins ernüchternden Einstand mitverfolgen. Stattdessen habe ich endlich das nachgeholt, was für jeden Fussballfan zum Pflichtprogramm gehört: ein Matchbesuch in Dortmund. Und dann war es auch gleich noch das Revierderby.

Es gibt vieles, was einen Super-League-gewohnten Zuschauer im Signal-Iduna-Park beeindruckt. Die endlos steigende Kurve und die Lautstärke gehören natürlich dazu. Oder der an Scheusslichkeit nur schwer zu übertreffende Kaffee im Halbliterbecher. Aber fast erstaunlicher ist die Zusammensetzung des Publikums. Hierzulande macht die U-30-Generation einen beachtlichen Teil der Zuschauer aus, von denjenigen in Fantrikots gar nahezu 100 Prozent. In Dortmund pilgern hingegen ganze Grossfamilien in kompletter Montur zum Stadion, Grossmütter in den neusten Shirts ebenso wie Kinder in Meistertrikots. Im Fanshop wird vom BVB-Strandkorb bis zum BVB-Fön (mit drei Stufen) schlicht alles angeboten – und gekauft. Borussia ist mehr als ein Freizeitvergnügen für die Menschen hier.

Die Partie – insbesondere die Leistung der Schwarz-Gelben – konnte leider den Erwartungen der 80’000 nicht gerecht werden. Umso erstaunlicher deshalb die Szenen nach Spielschluss. Als die Schalker Fans im Siegestaumel ihre Heimreise durch die Tausenden Spalier stehenden Dortmunder antreten, standen wir noch bei Bier und Westfälischem Grillschinken mit Sauerkraut im Brötchen. Nicht wenige Gäste trugen provokative Shirts mit Anti-BVB-Aufdrucken («Zeckenbusters», «Scheiss BVB» oder noch expliziter). Und dennoch wurde der Zug kaum behelligt. Bei übertriebenen verbalen Anfeindungen stellte sich einer der diskret mitmarschierenden Polizisten vor den «Agent provocateur» und bat ihn in ruhigem Ton, dies zu unterlassen. Der Marsch endete bei der U-Bahn-Station, von wo aus überfüllte Waggons, in die sich sogar noch einige Schwarz-Gelbe quetschten, in Richtung Innenstadt losfuhren. Wir mochten uns fast nicht ausmalen, wie eine solche Aktion in der Schweiz enden würde. Und das, obwohl kein Spiel von der Bedeutung an diejenige des Revierderbys herankommt und ähnlich starke Emotionen bei so vielen Leuten auslöst.

Wir waren begeistert. Trotz dieser Affiche, trotz der Menschenmassen, trotz der extremen Rivalität und trotz der Provokationen im Stadion – Schalke-Fans hatten ein geklautes Dortmund-Banner präsentiert – kann also ein Spiel mit lediglich einigen Nickligkeiten über die Bühne gehen. Die Ernüchterung folgte mit der «Sportschau»: Schwere Ausschreitungen habe es gegeben, fast 200 Personen seien inhaftiert und acht Polizisten verletzt worden. Dass die Stadt «im Belagerungszustand» gewesen sei, wie gewisse Boulevard-Medien verkündeten, ist zwar kompletter Blödsinn, aber die Vorkommnisse waren nichtsdestotrotz mehr als unschön.

«Es ist unglaublich schade», liess sich die Dortmunder Polizeisprecherin zitieren. Und das meinte sie wohl im doppelten Sinn. Schade ist es, das überhaupt so etwas passieren muss, und schade ist auch der Zeitpunkt. Selten war es so ruhig im Vorfeld eines Revierderbys, und just am vergangenen Wochenende, kurz bevor die Liga über ein neues, von der Konferenz der Innenminister mitgetragenes Sicherheitskonzept berät, fällt so etwas vor, das den Verlauf der Diskussion nachhaltig beeinflussen könnte.

Wirklich mehr als schade, dass einige Dutzend Gewaltbereite das Fussballfest von Zehntausenden zerstören können. Gut möglich, dass es solche erstaunlich harmonischen Szenen nach dem Schlusspfiff für längere Zeit so nicht mehr geben wird. Nach dieser «Kriegserklärung der Ultras an die Polizei» (Adi Plickert, Vize der Polizei-Gewerkschaft) scheint es fraglich, ob dieses friedliche Nebeneinander aufgrund der Gefahr der Eskalation weiterhin so geduldet wird. Es wäre ein herber Verlust für die «Mutter aller Derbys».

Ein unverständlicher Entscheid

Mämä Sykora am Dienstag den 16. Oktober 2012
Der alte und der neue FCB-Trainer: Heiko Vogel (l.) und Murat Yakin im Basler St.-Jakob-Park. (3. Dezember 2011)

Der alte und der neue FCB-Trainer: Heiko Vogel (l.) und Murat Yakin im Basler St.-Jakob-Park. (Bild: Keystone, 3. Dezember 2011)

Wenn ich ehrlich bin, habe ich die Meldung auf den Online-Portalen erst für einen 1.-April-Scherz mit rekordverdächtiger Verspätung gehalten. «Vogel beim FCB entlassen!», titelten sie. Ich dachte mir, da ginge es wohl um einen Platzwart oder Marketing-Verantwortlichen gleichen Namens, der vom Verein freigestellt wurde. Aber nein, es war tatsächlich der Heiko Vogel. Der Vogel, der mit Basel das Double geholt, Manchester United und Bayern München besiegt hat, in den Champions-League-Achtelfinals stand und in einem ganzen Jahr als Cheftrainer gerade mal 3 (drei!) Niederlagen im nationalen Championnat einstecken musste. Der Heiko Vogel, dem mit seiner natürlichen, freundschaftlichen und verschmitzten Art die Sympathien zuflogen, die seiner Spieler, die der Fans – und selbst die der gegnerischen Fans.

So wie mir erging es wohl vielen, selbst den FCB-Profis. Marco Streller war «schockiert», Alex Frei «enttäuscht und traurig». Aus ihrer guten Beziehung zu Vogel machten sie nie einen Hehl, und ebenso wie der jetzige Ex-Trainer glaubten sie daran, «die Kurve zu kriegen». War denn der FCB wirklich derart neben der Spur, dass Handeln nötig war? Okay, die Champions League wurde verpasst. Der Vorstand hat aber auch stets mit erfreulichem Realitätssinn betont, dass man nie damit rechnen könne, in jedem Jahr im Konzert der Grossen mitspielen zu können und freute sich öffentlich auf die Europa League. Okay, der Rückstand auf Leader GC beträgt 8 Punkte. Aber auch letzte Saison lag der FCB zwischenzeitlich so weit zurück, zum Schluss waren es dann doch 20 Punkte Vorsprung. Längst nicht nur Basler Fans waren noch immer überzeugt, dass dennoch auch in dieser Saison Rotblau triumphieren würde.

Auf diese Saison hat der FCB Shaqiri, Xhaka, Abraham, Huggel und Chipperfield verloren und musste einige Neuzugänge einbauen. So etwas braucht Ruhe und Geduld. Das sind genau jene Attribute, für welche die Vereinsleitung des FCB derart geachtet und geschätzt wird. Kurzschluss- oder Überreaktionen passen nicht zum Basler Stil, ebenso wenig wie übersteigerte Erwartungen an die eigene Mannschaft oder mediale Schlammschlachten. Die Führung gilt in jeder Hinsicht als vorbildlich. Bei keinem anderen Super-League-Verein mit gleichen Ambitionen hätte der jetzt getätigte Schritt überrascht, beim FCB dafür umso mehr.

Über die Gründe für die Freistellung von Heiko Vogel machten die Verantwortlichen nur Andeutungen. Präsident hat «die Tendenz nicht gefallen», Sportdirektor Georg Heitz sprach von «elementar unterschiedliche Auffassungen». Diese kryptischen Aussagen lassen natürlich viel Raum für Spekulationen und tragen wenig dazu bei, dem Unverständnis über den Entscheid entgegen zu wirken. Wenn ein derart beliebter Trainer nach einem allerhöchstens durchzogenen Saisonstart, den sogar die Führungsriege so erwartet hat, gefeuert wird, denken sich bestimmt nicht wenige, dass da irgendetwas Fatales vorgefallen sein muss. Ungewissheit fördert Gerüchte, das ist schade für den hervorragenden Ruf, den sich die FCB-Chefetage in den letzten Jahren erarbeitet hat.

Es liegt nun an Murat Yakin, mit einwandfreien Resultaten und einer Spielweise, die auch das anspruchsvolle FCB-Publikum zufriedenstellt, diesen abrupten Schnitt im Nachhinein zu rechtfertigen. Keine leichte Aufgabe. Dass Yakin es versteht, einer Mannschaft mit überschaubarem Potenzial defensive Stabilität und offensive Effizienz zu verleihen und, hat er bereits beweisen. Beim FCB sind die Vorzeichen indes anders: Von ihm wird nun erwartet, mit dem besten Kader der Liga möglichst bald eine Siegesserie zu starten. Gelingt ihm dies nicht, werden die vielen von der Entlassung Vogels Enttäuschten sehr bald zu seinen heftigsten Kritiker. Unruhe ist vorprogrammiert.

Das ist für mich so gar nicht FCB-like. Diese Meldung von gestern hat mit einem Schlag alles auf den Kopf gestellt. Der FCB, das war Kontinuität, Souveränität, Bodenhaftung, Weitsicht und eine Anhängerschaft, die sich gegenseitig zur kompetenten Führung ihres Vereins beglückwünschten. Gestern geriet dieses Bild erstmals ins Wanken. Genauso wie meine Überzeugung, dass der FCB trotz der Startschwierigkeiten doch noch souveräner Meister wird.

Die Kleinen sind noch immer klein

Mämä Sykora am Dienstag den 16. Oktober 2012


Es gibt keine Kleinen mehr im Fussball? Zumindest behaupten das Vertreter grösserer Fussballnationen jeweils vor (Trainer), während (Kommentatoren) und nach (Experten) Spielen gegen Mannschaften aus den Tiefen der Fifa-Weltrangliste. Und weil es von so vielen und so oft gesagt und geschrieben wird, wird es auch irgendwann zur Wahrheit. Es gibt keine Kleinen mehr im Fussball. Ein Unsinn bleibt es dennoch.

Selbst nach fürchterlich peinlichen Ausrutschern wie jener der Hitzfeld-Schweiz gegen Luxemburg wird diese Phrase bemüht. Luxemburg, ein Land mit 500’000 Einwohnern, wovon fast die Hälfte Ausländer sind. Ein Land mit gerade mal zwei Profifussballern, das noch nie auch nur in die Nähe einer WM- oder EM-Qualifikation gekommen ist. Luxemburg, das seit der Jahrtausendwende in 105 Spielen ganze fünf Siege, dafür 88 Niederlagen eingefahren hat. Es gibt keine Kleinen mehr?

Freundschaftsspiel: Der Schweizer Shaqiri beim Zweikampf mit Luxemburgs Payal im November 2011. (Bild: Keystone)

Freundschaftsspiel: Der Schweizer Shaqiri beim Zweikampf mit Luxemburgs Payal im November 2011. (Bild: Keystone)

Der nächste Gegner der Schweiz heisst Island. Im ganzen Land leben weniger Menschen als in Zürich, davon spielen gut 20’000 Fussball – Männer und Frauen. Starke Konkurrenz um die Gunst der überschaubaren Anzahl an talentierten Sportlern erlebt der Fussball derweil vom Handball, denn darin gehört Island zu den Top-Nationen. Die Schweiz kann bei der Selektion für ihre Fussball-Nationalmannschaften auf 240’000 Lizenzspieler aus 13’000 Mannschaften zurückgreifen. Ihre Titulare spielen bei Bayern München, Napoli, Schalke, Juventus oder Gladbach, ihre Kontrahenten heute Dienstag bei Hønefoss, Rotherham, Kayserispor oder Fimleikafélag Hafnarfjarðar. Zwar gesellten sich in jüngster Zeit auch einige Vereine mit grösserer Reputation dazu, dort sind die Isländer aber nie mehr als Ergänzungsspieler. Die Schweiz kann nicht nur aus einem ungleich grösseren Fundus an Spielern auswählen, diese wurden allesamt auch schon bereits in Teenager-Jahren zu Profis und profitierten stets von idealen Trainingsbedingungen und hervorragend ausgebildeten Übungsleitern.

Klar, wer selber einmal Fussball gespielt hat, der weiss, das man durchaus mal gegen eine deutlich schwächere Mannschaft Punkte liegen lassen oder gar verlieren kann. Das beweist auch der Cup Jahr für Jahr. Zudem haben selbst die kleinsten Fussballnationen in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, verbesserten die Nachwuchsförderung und entwickelten Konzepte, wie man die Grossen ärgern kann. Das täuscht aber alles nicht über die Tatsache hinweg, dass sie immer noch Kleine sind. Und deshalb ganz einfach sicher besiegt werden müssen. Wenn wie in dieser Qualifikationskampagne Portugal beinahe über Luxemburg stolpert und Schweden um ein Haar Punkte auf den Färöern verliert, ist das schon peinlich genug. Die ganz grossen Blamagen werden bestimmt auch noch folgen.

Eigentlich dürfte es diese gar nicht geben. Selbst wenn die «Kleinen» noch so tief stehen, selbst wenn sie nur auf die Spielzerstörung aus sind, selbst wenn sie hart einsteigen, müsste der Qualitätsunterschied noch gross genug sein, dass der Favorit einen bequemen Sieg einfahren sollte. Entschuldigungen für ein Versagen gibt es schlicht und einfach keine. Vorgestern erst schied Kamerun in der Qualifikation für die Afrikameisterschaft gegen die Kapverden aus. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Mannschaften sind in etwa vergleichbar wie jene zwischen der Schweiz und Island. Die Erklärungsversuche aufseiten der Favoriten wären ebenfalls identisch. «Es gibt keine Kleinen mehr», klar.

Es gibt sie sehr wohl noch, die Kleinen. Sie sind vielleicht nicht mehr ganz so klein wie früher, aber das darf kein Grund dafür sein, in einer solchen Partie mit einer Mischung aus mässiger Motivation und Angst vor einer Blamage kaum etwas auf die Reihe zu kriegen. Die Einstellung ist der Schlüssel zum Erfolg, darum wäre eine Rückkehr zu Arroganz vergangener Tage durchaus wünschenswert. Also genau der gegenteilige Weg, den Hitzfeld geht, indem er den Gegner stark redet, um eine mögliche Schlappe schon im Vornherein zu relativieren. An der gestrigen Medienkonferenz bezeichnete er die Partie gegen Island als «noch schwieriger als jene gegen Norwegen» und den Gegner als eine Mannschaft, «die ein hohes Tempo spielt, die schnell nach vorne spielt». Das kann nicht das Island sein, das ich kenne. Und mit solchen Aussagen nimmt man die Spieler nur aus der Pflicht. Sagen wir doch besser: Ja, Island ist noch immer ein Fussballzwerg. Und ja, die putzen wir problemlos weg. Das kann man erwarten und sollte ganz einfach auch der Normalfall sein.

Lachen mit Norwegen

Mämä Sykora am Donnerstag den 11. Oktober 2012
Die Norweger haben einen speziellen Sinn für Humor: Kugelfussball. (Screenshot, siehe Video unten)

Die Norweger haben einen speziellen Sinn für Humor: Kugelfussball. (Screenshot, siehe Video unten)

Der Norweger ist gross, introvertiert, ebenso humor- wie emotionslos und von stoischer Ruhe. So zumindest das Klischee. Oder die Vergangenheit, wenn man den Erfahrungsberichten meiner Eltern Glauben schenken mag, die Anfang der 70er-Jahre von schweigsamen norwegischen Pächtern und Verkäufern zum Wahnsinn getrieben wurden. Vor allem jener Inhaber eines Anglergeschäfts, der auf die in Frage nach Würmern in Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch und Tschechisch ebenso regungslos blieb wie auf den Versuch meines Vaters, auf dem Boden kriechend einen Regenwurm zu imitieren. Norwegen war damals nicht nur kommunikativ ein Entwicklungsland, sondern auch fussballerisch. 1972 hatten die Skandinavier gerade den wenig ruhmreichen Hattrick geschafft, drei Qualifikationen in Folge als Gruppenletzte abzuschliessen.

Seither muss einiges passiert sein, da oben im Norden. Heute glänzen nicht nur deren Sportler mit beeindruckenden Sprachkenntnissen – man erinnere sich nur an die unzähligen multilingualen Siegerinterviews mit den Skifahrern Kjetil André Aamodt und Lasse Kjus –, und die neue Lockerheit war dem Erfolg definitiv zuträglich. 1994 qualifizierte sich Norwegen zum ersten Mal seit der Vorkriegszeit für die Fussball-WM, einer der Stützpfeiler jener Mannschaft war Stürmer Jan Åge Fjørtoft. Der langjährige England-Legionär und spätere Frankfurt-Spieler wurde jeweils nach Spielschluss von Mikrofonen umzingelt, weil er über jene bei Fussballern so seltene Prise Selbstironie («Der Trainer hatte nach den ganzen Ausfällen im Angriff nur noch die Wahl zwischen mir und dem Busfahrer. Da der Busfahrer seine Schuhe nicht dabei hatte, habe ich gespielt.») und einen herzhaften Humor («Ich weiss nicht, ob Magath die Titanic gerettet hätte. Die Überlebenden wären auf jeden Fall topfit gewesen.») verfügte.

Noch heute ist der allseits beliebte Fjørtoft für jeden Blødsinn zu haben. Für die TV-Show «Golden Goal» liess er sich u. a. zusammen mit den Ex-YB-Profis Lars Bohinen und «Mini» Jakobsen mit Pads an den Beinen ausstatten, die den Spielern auf Knopfdruck der «Trainer» einen Elektroschock verpassten, was einige interessante Spielzüge zur Folge hatte:

In der gleichen Sendung verpackten die lustigen Norweger die Spieler in aufblasbare Plastikhüllen, so dass sie bei Kollisionen wie Gummibälle wegspickten:

Dafür liessen sie nicht etwa alternde Stars antraben, sondern die Erstliga-Mannschaften von Fredrikstad und Sarpsborg. Diese beiden Folgen wurden vergangenen Winter gedreht, da war Morten Gamst Pedersen noch unangefochtener Stammspieler in der Nationalmannschaft. Seit 2004 spielt er bei den Blackburn Rovers, gleichzeitig war er auch Frontmann der Boygroup «The Players». Mit «This Is For Real» landete Pedersen zusammen mit seinen Profikollegen Freddy dos Santos, Kristofer Hæstad, Øyvind Svenning und Raymond Kvisvik einen Hit in Skandinavien. Achja, Kvisvik ist übrigens nicht nur elffacher Fussballnationalspieler, sondern lief auch viermal für die Unihockey-Nationalmannschaft auf und wurde mit seinem Verein ebenso oft Landesmeister in der Hallensportart.

Ich komme nicht umhin, mir diese Szenen in der Schweiz vorzustellen. Ein Alt-Internationalen-Spiel, bei dem sich Alain Geiger, Ciriaco Sforza und Alain Sutter mit unkontrollierten Zuckungen vor Kameras zum Affen machen? Ein freundschaftliches Trainingsmätschli zwischen dem FC Zürich und dem FC Luzern, bei dem die Akteure in Ganzkörper-Gummibällen stecken und sich mit kindlicher Freude über den Haufen rennen? Oder gar ein Live-Gig vor kreischenden Teenies mit Tranquillo Barnetta, Beni Huggel, Florian Stahel, Philippe Montandon und Alain Nef, der auch mit dem SV Wiler-Ersigen die Unihockey-Meisterschaft dominiert? Irgendwie stösst da meine Fantasie an gewisse Grenzen. Schweizer Fussballer und locker-lustig – das passt irgendwie nicht so ganz zusammen. Zumindest bei jenem Teilbereich, den wir mitbekommen.

Es ist alles sehr ernst hierzulande. Wohl etwa wie damals in Norwegen. Das mag sportlich zwar gewisse Vorteile haben, wenn Hitzfelds überseriöse Truppe morgen Freitag die lustigen Norweger ohne Punkte nach Hause schickt, wenn ich aber wählen könnte, mit wem ich nach dem Spiel lieber den restlichen Abend verbringen würde, würde ich auf jeden Fall die Skandinavier wählen. Ich würde sogar ohne mit der Wimper zu zucken auf die einkalkulierten drei Punkte verzichten, wenn es dafür einen Auftritt der Schweizer Ausgabe von «The Players» geben würde. Wirklich schade, dass sich anscheinend nur die Norweger jenen Spruch von Jan Åge Fjørtoft zu Herzen genommen haben: «Vielleicht ist es gar nicht so, dass ich so lustig bin. Sondern dass viele meiner Kollegen Fussball ein bisschen zu ernst nehmen.»

Servette, der Absteiger

Mämä Sykora am Montag den 8. Oktober 2012
Servette Spieler Genseric Kusunga und Christopher Routis nach einer Niederlage gegen Lausanne, 26. September 2012. (Foto: Keystone)

Servette-Spieler Genseric Kusunga (l.) und Christopher Routis nach einer Niederlage gegen Lausanne, 26. September 2012. (Foto: Keystone)

Am Wochenende stellte Servette einen neuen Rekord auf: So gut wie die Genfer ist noch nie ein Verein in der obersten Schweizer Liga gestartet. Die Plätze im Stadion waren zudem zu 96,3 Prozent belegt. Das ist phänomenal.

Am Wochenende stellte Servette einen neuen Rekord auf: So schlecht wie die Genfer ist noch nie ein Verein in die Super League gestartet. Die Plätze im Stadion waren im Schnitt zu 20,5 Prozent belegt. Das ist erschreckend.

Sie werden es erraten haben: Den ersten Rekord stellten die Hockeyaner von Servette auf, die vor 7000 Zuschauern gegen Biel den neunten Sieg im neunten Spiel feiern durften. Der zweite Rekord gehört den Servette-Fussballern, die gegen Basel die zehnte Niederlage im zwölften Spiel kassiert haben, dabei 27 Gegentreffer zuliessen und die noch immer ohne Sieg sind. Das sind die Werte eines designierten Absteigers.

Präsident beider Klubs ist der Kanadier Hugh Quennec. Der Vorzeigeoptimist, der mit seiner Investorengruppe den Servette FC vor dem Konkurs rettete, hat sich das nach der angesichts der chaotischen Zustände und der ungewissen Zukunft famosen letzten Saison wohl anders vorgestellt. Auf dem vierten Rang liefen die Genfer damals ein, weshalb man bis Anfang August noch von der Europa League träumen durfte. Davon ist man derzeit meilenweit entfernt. Eine Überraschung ist das nur bedingt: Die Leihspieler Miranda, Saleiro und allen voran Ishmael Yartey zogen ebenso weiter wie Stéphane Nater (zum FCSG), mit dem nun deutlich bescheideneren Budget konnte sich Servette als Ersatz für die vormaligen Leistungsträger nur noch Pasche, Lang und Kusunga ausleihen. Die Qualitätseinbusse ist offensichtlich.

Auch der Trainerwechsel von João Alves zu Sébastien Fournier brachte bislang keine Besserung, auch wenn die Partie gegen den FCB gestern so etwas wie ein Lebenszeichen war. Fakt ist: Servette hat gerade mal zwei Pünktchen auf dem Konto, sieben Zähler Rückstand auf den rettenden Platz 9 und bereits 19 auf Platz 4, auf dem sie zum Ende der letzten Saison standen. Selbst gegen den Léman-Rivalen Lausanne – selbst ein heisser Abstiegskandidat – gab es heuer schon zwei Niederlagen und sechs Gegentore. Es ist zwar erst ein Drittel der Meisterschaft gespielt, doch für mich steht Servette schon fast sicher als künftiger Challenge-League-Verein fest.

Wie sagte Hugh Quennec, als er den Job beim Servette FC annahm? «Es ist wichtig, dass die Gesellschaft den Klub unterstützt. Ich stelle Zeit, Energie, Erfahrungen und Zuversicht zur Verfügung – Geld kommt von anderen Leuten. Von jenen Leuten, die gerne bereit sind, für das, was wir hier bieten, ein Ticket kaufen.» Nun musste er feststellen, dass dies nur sehr wenige sind. Den viertbesten Zuschauerschnitt hatten die Genfer noch letzte Saison, aktuell zieht nur gerade das kleine Thun noch weniger Publikum an als der 17-fache Schweizer Meister aus der zweitgrössten Stadt des Landes. Es ist eines der grossen Probleme des Klubs: Servette interessiert nur, wenn es an der Spitze mitspielt. Das genaue Gegenteil ist derzeit und in absehbarer Zeit der Fall.

«Servette soll stabil werden, für viele, viele Jahre», wünschte sich Quennec weiter im März dieses Jahres. Es blieb beim Wunsch. Auf dem Platz ist Servette nicht Super-League-tauglich, das Interesse der Bevölkerung schwindet mit jeder Niederlage. Der weitere Weg des Traditionsvereins scheint sich schon abzuzeichnen: Relegation, weiterer Zuschauerschwund, erliegendes Interesse von Investoren und Sponsoren – denn auch für die ist Servette nur dann verlockend, wenn man an der Spitze mitspielt.

Es ist eine wegweisende Spielzeit für Servette. Der Klub müsste sportlich die Leistungen der Vorsaison bestätigen, um wieder als Spitzenverein wahrgenommen zu werden, gleichzeitig muss die Führung das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen. So wird das nix. Der zum Erfolg gezwungene Verein wird aller Voraussicht nach in die Challenge League fallen, und ob dann der «Winnertyp» (Selbstbezeichnung) Quennec noch Lust hat, «Zeit, Energie, Erfahrungen und Zuversicht» dafür zu opfern, steht noch offen. Falls nicht, findet sich Servette bald wieder dort, wo es nach Pishyars Flucht kürzlich schon einmal war. Nur eine Liga tiefer.

Die Krux mit der «internationalen Erfahrung»

Mämä Sykora am Freitag den 5. Oktober 2012
Die Spieler von Borussia Dortmund verlassen nach dem 1:1 gegen Manchester United das Feld. (Foto: Keystone)

In der heimischen Liga kennt man seinen Gegner in- und auswendig: Die Spieler von Borussia Dortmund nach dem 1:1 gegen Manchester City, 3. Oktober 2012. (Foto: Keystone)

Kaum haben die europäischen Wettbewerbe begonnen und werden nach Niederlagen die ersten Erklärungsversuche fällig, hat sie in Matchanalysen, Pressekonferenzen und Nachberichterstattung ihren Stammplatz, die «fehlende internationale Erfahrung». Bei jedem Verein, der noch gar nie oder zumindest schon lange nicht mehr im Europacup vertreten war, gilt sie als einer der Hauptgründe für das Versagen. Doch ist dies überhaupt je angebracht?

In unserer Zeit, in der kaum ein Spieler oder Trainer über viele Jahre beim gleichen Verein unter Vertrag steht, scheint es absurd, überhaupt bei einem Verein von internationaler Erfahrung zu sprechen. Vergleicht man den Kader einer Mannschaft, die bis vor drei Jahren noch regelmässig europäisch spielte, mit demjenigen aus der aktuellen Saison, finden sich kaum mehr als eine Handvoll Spieler, die schon damals aufliefen. Internationale Erfahrung hat also eher ein Spieler als eine Mannschaft. Zudem: In fast jedem Verein in der Champions League oder der Europa League finden sich mehrere Nationalspieler, selbst viele der Nicht-Titulare haben schon bei anderen Vereinen Europacup-Luft schnuppern dürfen.

Und dennoch: Als Borussia Dortmund als souveräner deutscher Meister mit 10 A-Nationalspielern in der letztjährigen Champions League sang- und klanglos in einer machbaren Gruppe mit Arsenal, Olympique Marseille und Olympiakos Piräus als Gruppenletzter ausschied, hiess es allerorts, die Westfalen hätten «Lehrgeld bezahlen müssen» aufgrund der fehlenden internationalen Erfahrung. So schnell dieser Satz auch jeweils fällt in solchen Situationen, irgendwas muss schon dran sein. Denn der BVB etwa landete heuer in der Todesgruppe, besiegte mit beinahe unveränderter Mannschaft erst Ajax und trotzte am Mittwoch dem englischen Champion Manchester City ein Remis ab – ein unglückliches noch dazu. Ähnliche Leistungssteigerungen lassen sich auch bei anderen Teams beobachten. Beim FC Basel zum Beispiel: 2008 noch Kanonenfutter, 2010 immerhin Überwintern in der Europa League, 2011 die Qualifikation für die Achtelfinals.

Yevhen Khacheridi

An den internationalen Turnieren darf kein Team unterschätzt werden: Mönchengladbach-Spieler Igor De Camargo und Yevhen Khacheridi (Dynamo Kiew) kämpfen um den Ball, 29. August 2012. (Foto: Keystone)

Dieses Jahr folgte der nächste Bundesligist, dem die Rückkehr auf die europäische Bühne gründlich missriet. Lucien Favres Mönchengladbach scheiterte in der Champions-League-Qualifikation an Dynamo Kiew – das notabene jedes Jahr Europacup spielt –, und selbst in der Europa League kommt seine Equipe nicht vom Fleck. Einem 0:0 auf Zypern bei AEL Limassol folgte gestern eine Heimklatsche gegen Fenerbahçe Istanbul. Selbst wenn man den enttäuschenden Start der Fohlen in der heimischen Liga berücksichtig, kann dies den Ansprüchen nicht genügen.

Ja was ist es denn nun, das dafür sorgt, dass es Neulinge oder Wiedereinsteiger derart oft einen schweren Stand haben auf der europäischen Bühne? Ein Grund ist so simpel, dass er (zu) oft vergessen geht, auch wenn ihn Heiko Vogel mit schöner Regelmässigkeit wiederholt : Die Teams, die es bis in die Hauptrunde geschafft haben – egal in welchem Wettbewerb –, sind alle so richtig gut. Zwar sind es nicht immer nur die klingenden Namen, doch auch Topteams aus Weissrussland, Zypern und Belgien können Fussball spielen. Damit entsprechen die europäischen Wettbewerbe für die Vertreter der grossen Nationen in etwa der Stärkeklasse der Spitzengruppe ihrer Meisterschaften. Und da gibt es keine leichten Spiele.

Weiter sind selbst taktisch hervorragend geschulte Mannschaften wie die erwähnten Borussias sehr auf den Fussball in ihren Ligen eingestellt. Sie kennen die nationale Konkurrenz in- und auswendig und wissen, in welchen Partien sie eher das Spiel machen müssen, in welchen sie eher auf Konter lauern müssen. Dadurch ist in fast jeder Partie die Rollenverteilung klar, darauf stellen sich die Spieler ein. Im Europacup hingegen trifft man oft auf Gegner, die man nur vom Videostudium kennt, die zudem einen ungewohnten Stil pflegen, und von denen man noch keine Idee von der Stärke im Vergleich zur eigenen hat. Wer wie Dortmund letztes oder Gladbach dieses Jahr gewohnt ist, eine Partie zu dominieren, und auch im Europacup als Favorit ins Rennen geht, der läuft Gefahr, gegen einen effizienten Gegner mit dem gleichen Selbstverständnis ins Verderben zu rennen. Das Umschalten auf eine vorsichtigere, abwartendere Spielweise gelingt den meisten Mannschaften erst, nachdem sie mindestens eine Saison lang richtig untendurch mussten. Solche Debakel bleiben bei einem Verein im Gedächtnis, selbst wenn drei Jahre später die halbe Mannschaft ausgetauscht ist. Insofern heisst «internationale Erfahrung» nichts anderes, als dass eine Mannschaft noch vor nicht allzu langer Zeit so richtig auf den Deckel bekommen hat.

Adieu Stadionbier!

Mämä Sykora am Montag den 1. Oktober 2012
Der FC Luzern Praesident Walter Stierli, rechts, bekommt von den Fans einen Schluck Bier waehrend seiner Bewachungsarbeit vor der FC Luzern Tribuene waehrend dem Spiel zwischen dem FC Luzern und dem FC Lugano, in der Auf-/Abstiegsbarrage der Super und Challenge League, am Samstag, 13. Juni 2009 im Allmend Stadion in Luzern. (KEYSTONE/Urs Flueeler)

In Zukunft wird es das nicht mehr geben: FC Luzern Präsident Walter Stierli (r.) bekommt von den Fans einen Schluck Bier, 13. Juni 2009 im Allmend Stadion in Luzern. (Foto: Keystone)

Nun geht es also richtig los. Es hat sich lange abgezeichnet, nun wurde die Konferenz der schweizerischen Polizei- und Sicherheitsdirektoren (KKJPD) von der Leine gelassen. Die Öffentlichkeit lechzt nach Massnahmen gegen Fussballfans, die in den Augen vieler ausschliesslich aus randalierenden Trunkenbolden bestehen. Zwar bestechen die von Politikern vorgelegten Lösungspläne zumeist durch eine erschreckende Unverhältnismässigkeit (lebenslange Stadionverbote für kleinere Vergehen) oder gar Verstösse gegen die Grundrechte (Unschuldsvermutung aufgehoben, Rayonverbote mit Meldepflicht für nicht einmal gewalttätige Handlungen), das erweist sich aber keineswegs als Hindernis. Wenn die Wählerschaft nach Repression schreit, macht es sich für Politiker gut, sich den Kampf gegen Fussballfans auf die Fahnen zu schreiben. Wirkliche Lösungen braucht es nicht, blinder Aktionismus reicht vollauf.

2 Millionen Zuschauer hatte die Super League letztes Jahr. Wenn man annimmt, dass die Mehrheit davon mehr als nur einmal ins Stadion pilgerte, ist es nur eine verschwindend kleine Minderheit der Schweizer Einwohner, die überhaupt Fussballspiele besucht. Und zumindest diese hat nicht das Gefühl, in den Fussballtempeln um Leib und Leben fürchten zu müssen. In einer gross angelegten Umfrage fühlen sich 95 Prozent der Zuschauer im St. Jakob Park etwa sicher oder gar sehr sicher. Würde man hingegen aufgrund von Medienberichten und Wichtigkeit auf der politischen Agenda schiessen, käme man wohl zum Schluss, dass die Umfrageergebnisse genau umgekehrt ausfallen müssten. Derzeit ratschlagen also Politiker, die nie in einem Stadion anzutreffen sind, auf Druck eines Grossteils der Bevölkerung, der ebenfalls nie in einem Stadion ist, über Massnahmen, deren Wirkung mehr als umstritten ist.

Derzeitiger Schuldiger ist der Alkohol. Muss also verboten werden. Denn Roger Schneeberger, Generalsekretär der KKJPD, weiss: «Bei Ausschreitungen im Umfeld von Fussball- und Eishockeyspielen ist häufig auch Alkohol im Spiel.» Sprich: Der verschwindend kleine Teil der Zuschauer in den Stadien, der bei einem verschwindend kleinen Teil der Spiele für Randale sorgt, hat zuvor etwas getrunken. Dagegen kann man nichts einwenden, das mag durchaus so sein. Das bedeutet in der stark vereinfachten Denkweise der KKJPD, dass die Randale ausbleiben, wenn man nur den Zapfhahn zudreht. Dass sich die Fans dann eben auf dem Weg zum Stadion (oder nach dem Spiel) betrinken, dass beim FCB diese Regelung schon länger gilt (ohne merkliche Unterschiede) – geschenkt! Hauptsache, man präsentiert irgendwelche Massnahmen gegen die bösen, bösen Fussballfans, damit sich Herr und Frau Schweizer zufrieden zurücklehnen können, im Wissen, dass endlich «etwas gemacht» wird. Denn die derzeitige Situation ist ja wirklich untragbar, so gefährlich wie es derzeit im Stadion ist! Zumindest anhand dessen zu urteilen, was man so hört und liest. Und wenn das nicht klappt mit dem Alkohol, dann probiert man eben das nächste. Das Rauchen verbieten vielleicht. Oder die Doppelhalter. Aber irgendwas muss man einfach machen.

Wer mehr wissen will zum Thema Fankultur, der erfährt im 120-seitigen ZWÖLF-Sonderheft jede Menge zur historischen Entwicklungen und zur aktuellen Diskussion, vernimmt Stimmen aus den Kurven sowie den verschiedenen Interessensgruppen und bekommt die Verhältnisse im umliegenden Ausland geschildert. Das Heft erscheint am 9. Oktober und kann vorbestellt werden auf www.zwoelf.ch/fankultur.

Denn früher, ja früher, da war alles friedlich. «Gewalt gab es damals nicht», sagt etwa Daniel Jositsch, SP-Nationalrat und einer der Hardliner im Kampf gegen die Fussballfans, in vollem Ernst. Wirklich? Während der Arbeit am ZWÖLF-Sonderheft «Fankultur» (erhältlich ab 9. Oktober) haben wir die Vorfälle der letzten Jahrzehnte untersucht. In den 70er-Jahren flogen regelmässig Steine, Raketen und Flaschen in Richtung Schiedsrichtern und gegnerischen Fans, es gab Schlägereien zwischen Anhängern und Securitas, und in den Achtzigern hatten die Hooligans die Stadien derart in ihrem Würgegriff, dass wirklich die Familien deswegen zuhause blieben. Vorfälle, aufgrund derer der Spielbetrieb heute wohl für Monate unterbrochen würde. Nur: Damals war das lediglich eine Randnotiz im Spieltelegramm wert. Diese üblen Probleme hat man ganz gut in den Griff bekommen. In den letzten Jahren ist es wahrlich nicht schlimmer geworden, im Gegenteil. Aber heute man schaut genauer hin. Viel genauer. So genau, dass man die eklatant verbesserte Situation gar nicht mehr erkennt, sämtliche eingeleiteten und funktionierenden Massnahmen übersieht, sondern nur noch das Stadion als Schlachtfeld wahrnimmt. Etwa so, wie wenn man hundertfach vergrösserte Aufnahmen von winzigen Tiefseefischen anschaut, und diese für die gefährlichsten Viecher der Welt halten muss.

Nun gibt’s also erst mal kein Bier mehr. In einen ersten Schritt immerhin noch Leichtbier. Auch für mich, obwohl ich nicht die Kurven besuche und mich lediglich – wie Tausende andere – jede Woche auf Wurst und Bier und Schwatz und Fussball freue. Auch für mich, der die letzte tätliche Auseinandersetzung etwa 1983 hatte (mit meinem kleinen Bruder, weil er nach einer Niederlage im Commodore-64-Spiel «International Soccer» den Joystick kaputt gemacht hatte). Denn jetzt ist fertig mit Differenzieren. Ab jetzt trifft es alle Stadionbesucher. Das Bier ist wohl nur der Anfang, bald kann ich als Zürcher wohl kein Ticket mehr kaufen für ein St.-Gallen-Spiel, und mein ebenfalls hier lebender St. Galler Freund muss erst in seine Heimatstadt reisen, um von da mit dem Extrazug wieder nach Zürich reisen, um überhaupt ins Stadion zu dürfen. Wenn ihn die SBB überhaupt mitnehmen, denn die Transportpflicht soll ja auch noch aufgehoben werden. Irgendwie fühl ich mich schon fast wie ein Krimineller, obwohl ich nichts anderes machen will, als Fussball zu schauen.