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Die Stärken der Tschechen

Mämä Sykora am Dienstag den 21. Juni 2011


Wenn die tschechische U-21 spielt, schaut das ganze Land gebannt hin. Das Interesse ist riesig, man dürstet nach fussballerischen Erfolgen, die seit dem Rücktritt der Generation um Pavel Nedved rar geworden sind. Das A-Team verpasste gar die Qualifikation für die WM 2010, da sind die guten Leistungen der Nachwuchsmannschaften natürlich Balsam für die stolze Seele. Die U-21 wurde 2002 Europameister, 2007 stand die U-20 im WM-Finale sowie 2006 die U-17 und 2009 die U-19 im EM-Finale.

Auch vom aktuellen Jahrgang wird viel erwartet. In der Qualifikation brillierte die Mannschaft von Jakub Dovalil und gab lediglich zwei Punkte ab. Kein Wunder ist die Zuversicht in der Heimat gross: Laut einer Umfrage der tschechischen Zeitung «Sport» glauben 85 Prozent an einen Sieg über die Schweiz im Halbfinale von morgen Mittwoch. Miroslav Soukoup, Trainer der Vizeweltmeister von 2006, prophezeit gar den Titel: «Die Mannschaft verfügt über grosse Qualitäten. Ihre grösste Stärke ist die Eingespieltheit, sie spielt schon lange in dieser Zusammenstellung und hat Erfahrung an Endrunden. Es ist eine richtige Turniermannschaft.»

Grosse Stars sucht man in den Reihen der Tschechen vergebens, sieht man einmal vom noch angeschlagenen Supertalent Václav Kadlec ab, für den Arsenal 10 Millionen Pfund geboten haben soll. Sie pflegen – sehr zum Ärger der vielen Anhänger des spektakulären Fussballs der Nedved-Ära – einen eher defensiven Stil, tun dies jedoch überaus konzentriert und mit grosser taktischer Reife, was es für jeden Gegner schwierig macht. Ivan Hašek, Trainer der A-Nati, der den Nachwuchs in Dänemark beobachtete, sieht aber auch gewisse Schwächen: «Technisch gehört das Team bestimmt nicht zu den besten des Turniers, doch die Mängel am Ball werden vom Kollektiv mit aufopferndem Verteidigen wettgemacht.» Dazu passt seine Antwort auf die Frage nach dem auffälligsten Spieler: Für Hašek war dies Marcel Gecov, ein wenig aufregender, aber grundsolider defensiver Mittelfeldspieler.

Nach dem glücklichen Last-Minute-Einzug in die Halbfinals würdigte U-21-Captain Dočkal die souveränen Leistungen der Schweizer, schätzte die Aufgabe aber als «machbar» ein. Dass seine Mannschaft gegen Spanien chancenlos war, will er nicht überbewerten. Respekt hat man – wen wundert’s? – vor allem vor Xherdan Shaqiri. Der «Sport» vergleicht den FCB-Spieler bereits mit der rumänischen Legende Gheorghe Hagi, ihm wird am Mittwoch gewiss eine besondere Behandlung zuteil. Sollte es den Tschechen gelingen, den überragenden Spieler der Schweizer abzumelden, der an 4 der 6 Tore direkt beteiligt war, sind seine Kollegen gefordert. Der andere Ideengeber im Mittelfeld, Granit Xhaka, ist gesperrt, man darf gespannt sein, wer diesen so wichtigen Part gegen die äusserst kompakt stehenden Osteuropäer ausfüllen wird. Mit Mut zur Offensive wäre Coach Tami gut beraten, und mit Moreno Costanzo steht ein technisch versierter Ersatz mit ähnlicher Spielintelligenz bereit. Er dürfte den etwas behäbigen Tschechen mehr Probleme bereiten als seine Konkurrenten Abrashi und Hochstrasser, die aber bessere Karten zu haben scheinen.

Vor dem grossen Sprung

Mämä Sykora am Sonntag den 19. Juni 2011

2002 im eigenen Land stand die Schweiz zum bisher einzigen Male in einem Halbfinale einer U-21-EM. Viele der damaligen «Titanen» unter Trainer Challandes wurden zu Stammkräften in der A-Nati. Alex Frei, Magnin, Cabanas, Gygax und Grichting prägten jahrelang das Spiel der Rotweissen, mit dem kürzlich verkündeten Rücktritt des Letztgenannten ist das definitive Ende einer Ära gekommen.

Für die Titanen war 2002 im Halbfinale Endstation, die aktuelle Generation will mehr. Sie will nicht nur das Endspiel erreichen, sondern auch erfolgreichere Spieler herausbringen. Shaqiri und Xhaka standen kürzlich bereits mit den «Grossen» auf dem Platz, sie waren auch in Dänemark die erhofften Leistungsträger. Dass die beiden Basler erst am Anfang einer erfolgreichen Karriere stehen, ist offensichtlich. Wie weit die Wege ihrer Mitspieler führen werden, kann schwer vorausgesagt werden.

Erinnern Sie sich an Melunovic, Oppliger, Previtali, Friedli oder Berisha? Auch sie standen 2002 im Halbfinale, keiner davon brachte es weiter als zum durchschnittlichen Profi, obwohl bestimmt einige davon damals in den Notizbüchern der Scouts aufgetaucht sind. Diesmal sind die Beobachter bei Spielen der Schweizer deutlich zahlreicher. Einerseits, weil der aktuelle Jahrgang zu den talentiertesten aller Zeiten gehört, andererseits aber auch, weil die meisten noch nicht bei grossen Vereinen spielen und somit noch erschwinglich sind. Bei Engländern oder Spaniern gibt es keine Schnäppchen zu finden, sie alle stehen bereits in Diensten von Topklubs, Ukrainer und Weissrussen wurden ebenfalls schon von finanzstarken russischen Vereinen sondiert. Wer an dieser Endrunde einen vielversprechenden und bezahlbaren Jungprofi entdecken will, der muss sich vor allem die Dänen, die Tschechen und eben die Schweizer anschauen.

Besonders interessant sind natürlich die Spieler, die noch in der Super League kicken. Shaqiri und Xhaka sind ohnehin schon längst auf dem Schirm der grossen Vereine, ihr Klubkamerad Sommer hat mit seiner starken Partie gegen Dänemark ebenfalls das Interesse auf sich gezogen. Ärgern wird man sich wohl beim FC Thun: Für Timm Klose hätte man nach dessen sehr überzeugenden Leistungen bestimmt mehr verlangen könnte als die halbe Million Franken, die Nürnberg noch vor der Endrunde für den Verteidiger bezahlte. Philipp Koch, der FCZ-Aussenverteidiger, spielte defensiv sehr solid, sein Angriffsspiel und seine Flanken haben indes noch Verbesserungspotenzial. Fabian Frei hatte teilweise etwas Mühe, seine Rolle neben dem omnipräsenten Shaqiri zu finden, erledigte seine Aufgaben aber stets zuverlässig. Emegharas Tempo wird keinem Beobachter entgangen sein, ebenso wenig allerdings seine teilweise eklatanten Schwächen bei der Ballkontrolle und dem Passspiel. Mehmedi wird nach seiner gestrigen Doublette auch im Halbfinale stürmen dürfen, in Tamis 4-1-4-1 ist es für ihn jedoch schwierig aufzufallen, weil er nur wenige Bälle bekommt.

Die überragenden Schweizer der Vorrunde – Shaqiri, Lustenberger, Klose, Xhaka – sind für interessierte Vereine schon jetzt keine Schnäppchen mehr. Doch welcher ihrer Teamkollegen hat das Potenzial für eine grosse Karriere? Was denken Sie, wer nach dieser EM von einem grossen Klub gejagt werden wird?

Warum an der U-21-EM fast alles besser ist

Mämä Sykora am Dienstag den 14. Juni 2011

Unser neuer «Steilpass»-Blogger Mämä Sykora beobachtet in Dänemark die Schweizer U-21-Nati. Und schreibt, was besser ist als bei den Turnieren der Grossen. Und was schlechter.

Gelöste Stimmung vor dem offiziellen Mannschaftsbild der Schweizer U-21-Mannschaft.

Es gibt in Aalborg einige ungeschliffene Diamanten zu sehen: Gelöste Stimmung vor dem offiziellen Mannschaftsbild der Schweizer U-21-Mannschaft.

Die Schweiz tritt an der U-21-EM in Aalborg, Dänemark gegen den Gastgeber an. «Stars of today, superstars of tomorrow» lautet der Slogan des Turniers, und er ist nicht mal zu hoch gegriffen. Es gibt die besten Spieler des Kontinents ihrer Altersklasse zu sehen und dazu noch einige ungeschliffenen Diamanten zu entdecken. Hier will man als Fussballfan sein.

Es ist zwar eine Europameisterschaft hier in Europas Norden, und doch unterscheidet sie sich äusserst angenehm vom Wahnsinn, den wir Schweizer 2008 erleben mussten. Um die schmucken kleinen Stadien gibt es hier keine Sperrzonen, in denen nur Sponsorengebräu erlaubt ist. Tickets kauft man sich vor dem Spiel am Schalter und muss nicht auf Glück in der Verlosung hoffen. Und wer seine Medienakkreditierung kriegen will, der wird von ebenso hilflosen wie charmanten Stewards dreimal um das Stadium gelotst. Wenig erfreut darüber zeigte sich die vielköpfige Delegation der Tottenham Hotspur, von denen einige aussahen wie Schlägertypen aus einem Tarantino-Film, kahlrasiert und in feinstem Zwirn. Doch auch sie mussten bald einsehen, dass es hier nun mal nicht so läuft wie in der straff durchorganisierten und millionenschweren Premier League, wohin sie einige Talente locken wollen.

Das Publikum ist bunt gemischt. Viele Aalborger haben sich für diese Partie ein Dänemark-Shirt übergestreift, in einer Ecke steht ein Grüppchen aus der Schweiz zusammen. Der Rest sind Groundhopper, dazu einige Nerds, die das Geschehen aufrichtig interessiert, und vor allem Scouts und Spielervermittler. In jeder Reihe sitzen mehrere graumelierte Herren, die schweigend die taktischen Aufstellungen in ihre Notizblöcke zeichnen. Und im Minutentakt Bemerkungen dazuschreiben. Zum Schweizer Sturm wohl etwa: «Mehmedi schätzt die Situationen schlecht ein und startet darum immer zu spät. Emeghara läuft zwar stets rechtzeitig los, weiss aber nicht recht wohin.»

Nachdem die Nationalhymne ohne Begleitmusik sehr beeindruckend gesungen worden ist, flacht die Stimmung sehr schnell ab. Fans von U-21-Nationalteams gibt es nicht, und so wird es nur etwas lauter bei Torchancen. Es ist ein wenig wie bei einem Erstliga-Spiel, nur dass mehr Leute zuschauen und dass es um deutlich mehr geht. Und dennoch stellen sich die Akteure nicht an wie ihre Vorbilder: fast keine Schwalben, keine Mätzchen, keine Provokationen, keine Spielverzögerungen. Wunderbar.

So war die EM auch bei den «Grossen» noch bis vor 25 Jahren, bevor sie sich ebenso wie die WM zu dem entwickelt hat, was sie heute ist: ein überdimensionierter Einheitsbrei, bei dem jeglicher Lokalkolorit unerwünscht ist und bei dem die Zuschauer lediglich Dekoration sind, wirklich wichtig sind nur die Sponsoren. Und zu sehen gibt es die «Superstars», die ständig fallen, bescheissen und betrügen. Wollen Sie sich das noch antun oder doch lieber mal den «Kleinen» zuschauen?