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Zurück im Mittelmass

Mämä Sykora am Montag den 10. Oktober 2011
Ottmar Hitzfeld

Setzt auf die jungen Spieler – weil er nicht anders kann: Der Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld beim Training in Rapperswil-Jona SG, 9. Oktober 2011. (Bilder: Keystone)

Nach acht äusserst erfolgreichen Jahren hat Ottmar Hitzfeld die Schweizer Nationalmannschaft wieder dahin geführt, wo sie vor dem Amtsantritt von Köbi Kuhn – mit Ausnahme von kurzen Hochs – immer gestanden ist: im Mittelmass. Es ist nicht einmal die Enttäuschung über das frühzeitige Aus in der EM-Qualifikation, das so schwer wiegt, sondern mehr die Art und Weise, wie es zustande kam.

Ganz ehrlich: In der aktuellen Verfassung hat die Schweiz nichts an einer Endrunde verloren. Schon in der Qualifikation für die WM in Südafrika vermochte die Nati in keinem Spiel zu überzeugen, liess in einer sehr leichten Gruppe gar Punkte gegen Luxemburg und Lettland liegen und enttäuschte danach namentlich gegen Honduras auf der ganzen Linie. Auch dieses Mal war die Gruppe eine einfache, doch wer als Team aus dem Topf 2 nur eine einzige gute Partie liefert und schon vor der letzten Runde ohne Chancen ist, bei dem läuft etwas falsch. Niederlagen gegen Wales und Montenegro – zu Beginn der Qualifikation auf Platz 51 bzw. 143 der Weltrangliste und zusammen nicht mal die Hälfte der Einwohner unseres Landes zählend – besiegelten das Ausscheiden, das hochgradig verdient war.

Die schwachen Leistungen begründet Ottmar Hitzfeld gerne mit der Jugendlichkeit und der Unerfahrenheit des Teams. Selbst nach dem Spiel gegen Wales sprach er positiv über den vollzogenen Umbruch und den Einbau von jungen Spielern, als hätte das zu seinem Konzept gehört. Seit seinem Amtsantritt trat eine ganze Reihe von Routiniers wie Frei, Streller, Grichting, Huggel oder Magnin aus der Nati zurück, dem Lörracher blieb überhaupt nichts anderes übrig, als neue Spieler einzubauen. Das Kader besteht nicht deswegen aus diesen Spielern, weil Hitzfeld ein grosser Förderer der Jugend ist, sondern schlicht weil sie das Beste sind, was unser Land derzeit zu bieten hat.

Und das ist momentan schlicht nicht gut genug, um eine Qualifikation zu überstehen. Schaut man sich ein Nati-Spiel an, wundert man sich doch, warum einige ausländische Vereine so tief in die Tasche greifen, um sich die Dienste dieser Profis zu sichern. Verständlicher wird es, wenn man sich die Rolle dieser Kicker genauer anschaut. Solide, zuverlässige Arbeiter werden in jeder Mannschaft hoch geschätzt, und genau von dieser Sorte Spieler produziert die Schweiz sehr viele. Ein Inler etwa ist für Napoli als Balleroberer Gold wert, für die überraschenden Aktionen sorgen hingegen seine Kollegen Hamšík, Cavani, Lavezzi oder Pandev. Lichtsteiner wird auch bei Juve hoch geschätzt, die Ideen kommen aber eher von Leuten wie Vidal, Pepe, Krasić oder Pirlo.

Die Ideenlosigkeit der Schweizer liess sich in der Ära Hitzfeld zu keiner Zeit kaschieren, sie wurde durch die vorsichtige, gar ängstliche Taktik sogar noch akzentuiert. Auch unter Köbi Kuhn bestand die Mannschaft mehrheitlich aus Spielern, die in ihren Vereinen eher die Rolle des stillen Arbeiters ausfüllten, doch der wenig wortgewandte Zürcher verstand es, daraus eine Truppe zu formen, die beherzt auftrat und ebenso mutig wie attraktiv nach vorne spielte. Diese Spielfreude und der Glauben an die eigene Stärke waren mit dem Tag wie weggeblasen, an dem Hitzfeld das Zepter übernahm.

Die Auslosung zur WM-Qualifikation 2014 bescherte den Eidgenossen einmal mehr eine sehr bescheidene Gruppe. Norwegen, Slowenien, Albanien, Zypern und Island sind allerhöchstens dem europäischen Mittelmass zuzurechnen. Genau so wie Wales und Montenegro eben. Weil sich der Fussballverband unsinnigerweise genötigt sah, den Vertrag mit Hitzfeld trotz teils unterirdischen Leistungen vor (!) einem wegweisenden Qualispiel frühzeitig zu verlängern, erwarten uns nach einem ganzen Jahr ohne Pflichtspiel erneut furchtbar anzuschauende Partien.

Das Spielermaterial wird sich bis dahin ebenso wenig verändern wie die Rolle der Auslandprofis in ihren Vereinen. Doch auch mit diesen Voraussetzungen müssen attraktivere und erfolgreichere Auftritte möglich sein. Köbi Kuhn hat es bewiesen, unter Ottmar Hitzeld wird dies nicht möglich sein. Ein Auswärtssieg in Griechenland nach einem Yakin-Geniestreich, ein glückllicher WM-Sieg gegen Spanien sowie das Remis im Wembley als einziger wirklich guter Auftritt ist eine sehr dürftige Ausbeute. Eine viel zu dürftige. Es ist höchste Zeit, die Reissleine zu ziehen.

Ein letztes Missverständnis

Mämä Sykora am Mittwoch den 5. Oktober 2011

So endet also die Karriere von Hakan Yakin. Der vielleicht talentierteste Schweizer Fussballer aller Zeiten wechselt vom Spitzenreiter der Super League in die Niederungen der Challenge League zur AC Bellinzona, wo er einen 6-Jahres-Vertrag erhält und nach Saisonende eine Rolle als Botschafter übernehmen soll. Es ist das passende Ende einer Karriere, die von mehreren Transfer-Entscheiden geprägt war, die nur schwer oder gar nicht nachvollziehbar waren.

Vier Auslandabenteuer hat der geniale Linksfuss nach den Sternstunden mit dem FCB in der Champions League erlebt, allesamt wurden sie zum Debakel. Bei PSG spielte er keine Minute, bei Stuttgart lediglich 377, bei Galatasaray durfte er zwei Teileinsätze machen und als er mit YB Vizemeister und Torschützenkönig wurde, verabschiedete er sich in die Wüste zu Al-Gharafa, wo er erst seinen Stammplatz verlor und später sein Vertrag aufgelöst wurde. Namentlich seine letzten beiden Auslandengagements quittierten viele mit einem Kopfschütteln. Hakan Yakin zu verstehen war nahezu unmöglich.

Nun schlägt ihm einmal mehr Unverständnis entgegen. Was für einen Grund gibt es, mit der Chance auf Meisterehren in die Fussballprovinz zu wechseln? Die Statements von Yakin geben wenig Aufschluss: Von einem «grossen Schritt in meiner Karriere» spricht er, von «neuen Perspektiven» und «einer einmaligen Chance». Es sind exakt jene Floskeln, die er schon vor seiner Reise nach Katar bemüht hat. Solche Worte passen, wenn einer wie Shaqiri dereinst seinen Wechsel zu einem Grossklub verkündet, nicht aber bei einem Abgang zu Bellinzona eine Liga tiefer.

Nichts gegen Bellinzona, aber der Verein war in den letzten 20 Jahren nur einmal kurz Gast im Oberhaus, spielt derzeit im Schnitt vor 2300 Zuschauern (letztes Jahr in der Super League waren es auch nur 3300) und wird es auch in den nächsten Jahren sehr schwer haben, die Rückkehr zu schaffen. Nun soll also Hakan Yakin helfen. Als Botschafter für die ACB und den Tessiner Fussball. Mit einem Vertrag von biblischer Länge. Ausgerechnet Yakin, der – soweit mir bekannt ist – kein Italienisch spricht und der es noch nie länger als 3 Saisons am Stück irgendwo ausgehalten hat.

Das Projekt Yakin im Tessin wirkt auf mich wie ein Trauerspiel. Plötzlich soll dank dem prominenten Zuzug ennet dem Gotthard die Fussballbegeisterung ausbrechen und Kontinuität Einzug halten. Yakin und Trainer Andermatt – notabene der fünfte Übungsleiter seit dem Abgang von Vladimir Petkovic 2008 – schwärmen von einer Zukunft mit vielen tollen jungen Spielern und verschweigen dabei, dass die fünf talentiertesten und wertvollsten lediglich Leihspieler sind. Der Rest der Mannschaft sind hauptsächlich Profis jenseits der 30 sowie ausrangierte Super-League-Kicker. Immerhin: Das Baugesuch für das neue Stadion wurde eingereicht, es ist aber mehr als fraglich, ob es nach seiner Fertigstellung in voraussichtlich zwei Jahren wegen Yakin besser ausgelastet sein wird.

Für Hakan Yakin soll die ACB der Einstieg in seine zweite Karriere bedeuten. In den letzten 10 Jahren hat er überall bestens verdient. Nahezu eine Million bei YB, das Doppelte gar bei Al-Gharafa, auch bei Luzern war er der Grossverdiener. Existenzielle Sorgen werden ihn in absehbarer Zeit nicht plagen, zumal er auch im Tessin ein stolzes Honorar kassieren wird, das der mit bescheidenem Budget operierende Verein dringend in den Kader investieren müsste, wenn der Wiederaufstieg wirklich zum Thema werden soll.

Hakan Yakin bleibt auch im Spätherbst seiner Karriere ein Mysterium und bietet viel Raum für Spekulationen. Ist beim FCL etwas vorgefallen, von dem man nichts weiss? Gibt es Zwist in der Yakin-Familie? Lockt «Hatsch» tatsächlich das einfach verdiente Geld bei Bellinzona? Oder ist er allen Ernstes der Ansicht, die ACB sei «eine einmalige Chance» und er wäre nicht Ende Saison – vielleicht mit einem weiteren Meistertitel im Gepäck – noch immer mit Handkuss genommen worden, wenn doch sein Freund Gürkan Sermeter auch mit 37 noch zum Stamm gehört?

Was auch immer Yakins Beweggründe für diesen Wechsel sein mögen, müsste ich eine Wette auf den Ausgang der Geschichte abschliessen, sähe meine Prognose wie folgt aus: Der Aufstieg wird verpasst, Yakins Weggefährte Andermatt gefeuert, im Tessin wird die Fussballeuphorie auch weiterhin nicht entfacht und nach spätestens zwei Saisons wird Yakin sein Engagement beenden. Es wird ein weiteres, ein letztes Missverständnis sein in der Karriere des grössten Schweizer Fussballers der letzten 10 Jahre.

Das Sinnvollste wäre, das spanische Modell anzuwenden

Mämä Sykora am Montag den 3. Oktober 2011

Ohne Auswärtsfans an den Spielen würden viele Konflikte gar nicht erst entstehen: Sicherheitsleute betreten das Spielfeld im Letzigrund, als die Situation eskaliert, 2. Oktober 2011.

Dass nach den schrecklichen Vorfällen von gestern überhaupt noch darüber gesprochen wird, was genau den Angriff der FCZ-Chaoten auf den Block der Grasshoppers ausgelöst hat, ist lächerlich. Selbst wenn Fahnen oder Fahnenstangen geklaut, verschmiert oder gar angezündet worden sind, sind dies zwar unschöne und unnötige Provokationen, aber schliesslich doch nichts weiter als Kindergartenspielchen, die die Reaktion darauf nicht im Geringsten legitimieren.

Was gestern im Letzigrund passiert ist, ist ein Wohlstandsproblem. Die Rivalität zwischen den Fangruppen kann auch hierzulande gross sein, dennoch ist sie nicht vergleichbar etwa mit dem «Old Firm» in Schottland, dem Derby zwischen Celtic und den Rangers, bei dem es um weit mehr als um Fussball geht. In der Schweiz nutzen Halbwüchsige die Anonymität in einem Stadion, um ihren Aggressionen freien Lauf zu lassen, weil das Leben sonst eben so wenig Aufregung bietet. Und das wird ihnen sehr leicht gemacht.

Ich war gestern zwischen den Fronten, als plötzlich ein Teil der GC-Fans schwarz vermummt war, worauf erste ebenfalls vermummte Personen ungehindert den FCZ-Block verlassen konnten und quer durch die Osttribüne marschiert sind, wo sich Familien, Kinder und ganz gewöhnliche Fussballfans befanden. Den ersten Chaoten folgten bald weitere, die GC-Kurve wurde erst von den Deltas abgeschirmt, als schon Pyrofackeln mitten in die Fans geflogen sind. Und noch immer strömten aus der Südkurve Mitläufer. Immer jüngere machten bei der Mutprobe mit, keine Sicherheitskräfte stellten sich ihnen in den Weg. Die Osttribüne musste den Durchmarsch der Vermummten ohnmächtig mitverfolgen.

Wie kann es sein, dass einer vor 15’000 Zuschauern in einem Stadion voller Videokameras und Security-Personal ein schweres Verbrechen begehen kann und nicht einmal erwischt wird? Eine 1000 Grad heisse Fackel in eine Gruppe Leute zu werfen ist ein Angriff auf Leib und Leben, der ausserhalb eines Stadions mit grosser Härte verfolgt und bestraft würde. Solange die Anonymität diese Idioten schützt, wird keine Besserung eintreten.

Die Sicherheit in den Stadien ist ein Thema, über das sehr unausgewogen berichtet wird. Die Mehrheit der Bevölkerung hat das Gefühl, man könne hierzulande kein Spiel besuchen, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Das ist zwar Unfug, dank solchen Ereignissen wie gestern erhalten aber die Stimmen, die eine härtere Gangart fordern, neue Nahrung. Der Druck auf die Politik nimmt zu, es besteht die Gefahr von Überreaktionen, obwohl noch keiner eine praktikable Lösung bereit hat.

In England kam man dem Hooligan-Problem mit einer drastischen Erhöhung der Ticketpreise bei. Hier wird das nicht funktionieren, die Krawallmacher sind keine Mittellosen, sondern eher gelangweilte Jugendliche. Der einzige Weg, solche Vorkommnisse zu verhindern, ist, den Chaoten die Sicherheit zu nehmen, ungeschoren davonzukommen. Viel gefordert wird der Internet-Pranger: Fotos der Täter sollen zur Identifizierung öffentlich gemacht werden, was wiederum dem Datenschutzbeauftragten missfällt. Darüber hinaus will die Polizei nicht im Stadion präsent sein. Kurz: Die Vereine werden mit ihren Problemen ziemlich alleine gelassen. Ja, es werden ihnen gar Steine in den Weg gelegt, und doch werden sie für solche Vorfälle verantwortlich gemacht.

Zwei Millionen Zuschauer verfolgen in einer Saison die Spiele der Super League, und doch schafft es eine verschwindend kleine Minderheit mit Ausschreitungen an einigen wenigen dieser 180 Partien, dass die Sicherheit in den Stadien zum Dauerthema wird, mit dem sich die politischen Parteien profilieren können. Die Reaktionen der Vereinsbosse der Zürcher Klubs sind deshalb verständlich. Wenn ihnen keine Möglichkeit gegeben wird, wirksam gegen diese Radaubrüder vorzugehen, ist es wohl – auch wenn es tragisch wäre – das Sinnvollste, Zustände wie in Spanien herbeizuführen. Dort gibt es kaum Auswärtsfans und demzufolge keine Probleme. In Holland wird dieser Weg bereits begangen, bei Ajax gegen Feyenoord gibt es keine Tickets mehr für die Gäste. Wenn der Aufwand, die Fangruppen auseinanderzuhalten, nicht zu bewältigen ist, wäre es bei Hochrisikospielen wohl einfacher, keine Gästefans mehr zuzulassen. Das trübt zwar merklich die Stimmung, dafür kann man als normaler Zuschauer in Ruhe ein Spiel geniessen. Und dies bis zum Schlusspfiff nach 90 Minuten.

Gesucht: Super-League-Hellseher

Mämä Sykora am Samstag den 1. Oktober 2011

Wer hat den richtigen Riecher für den Ausgang der Schweizer Meisterschaft? – Krake Paul holt sich vor dem WM-Final seinen Snack aus dem Behälter mit der Spanien-Flagge.

10 Spieltage ist die Saison 2011/12 nun alt, damit hat jeder gegen jeden mindestens einmal gespielt. Die Tabelle hat nun erstmals Aussagekraft. So ist sie wohl nur von sehr wenigen erwartet worden. Luzern als souveräner Leader, das kennt man schon aus der letzten Saison. GC im Abstiegskampf, auch hier hat sich wenig geändert. Und YB auf Platz 2, das hat fast schon Tradition.

Daneben finden sich aber auch einige Überraschungen. Der FCZ etwa krebst am Tabellenende, der FCB kämpft trotz aufsteigender Tendenz um den Anschluss, Aufsteiger Servette spielt teilweise ansehnlich mit und Thun erlebte auch nach dem Abgang von Trainer Yakin keinen Absturz. Und zu Xamax braucht man keine weiteren Worte zu verlieren.

All die Prognosen, die vor der Saison gemacht wurden und schon wieder vergessen sind, waren Rechnungen mit unzähligen Unbekannten. Erst jetzt, nachdem ein Viertel der Meisterschaft vorüber ist, kann man ernsthaft darüber nachdenken, wie die Tabelle wohl am Ende der Saison aussehen wird. Und genau das, liebe Leser, wollen wir nun tun.

Schreiben Sie Ihre prognostizierte Abschlusstabelle als Kommentar rein! Nach Abschluss der Meisterschaft wird dieser Blog wieder ausgegraben und entstaubt, dann haben wir es schwarz auf weiss, wer der beste Steilpass-Tipper ist. Diesem wirkt nicht nur ewige Bewunderung, lebenslanger Ruhm und grosse Ehre, unter den richtigen Einsendungen (mit gültigen E-Mail-Adressen) werden auch 5 Jahresabos des Fussballmagazins ZWÖLF verlost. Darüber hinaus erhält einer der Gewinner die Möglichkeit, sein enormes Fussballwissen auch mal der gesamten Leserschaft zugänglich zu machen und einen Steilpass-Blog zu schreiben, in dem er all das loswerden kann, was er schon immer mal zum Thema Fussball sagen wollte.

Wir sind gespannt, wie die werte Steilpass-Gemeinde den Ausgang dieser spannenden Meisterschaft sieht! Natürlich vor allem darauf, wer Ende Mai die Krone für den Steilpass-Tippkönig aufsetzen darf. Letzte Annahme der Tipps: 4. Oktober 2011.

Neue Ziele für den FCB

Mämä Sykora am Mittwoch den 28. September 2011


Es war eines jener Spiele, bei denen man am Schluss nicht weiss, ob man jetzt enttäuscht oder zufrieden sein sollte. Eine irre Frage, wenn man bedenkt, dass der Schweizer Meister soeben dem englischen Meister auswärts einen Punkt abgetrotzt hat. Und zwar nicht ein ermauertes 0:0, sondern ein spektakuläres 3:3.

Man kann dieses Ergebnis nicht hoch genug einordnen. Auch andere Underdogs haben schon Punkte bei Übermächtigen geholt oder gar Siege errungen. Beispielsweise die Schweiz an der WM gegen Spanien oder der FC Zürich in Mailand. Doch der Basler Punkt im Old Trafford war kein dank Glück und einer einzigen guten Aktion zustande gekommener, er war hochverdient. Die Spielstatistik wies für beide Mannschaften 50 Prozent Ballbesitz auf, Abschlussversuche auf beiden Seiten je 13. Basel war – mit Ausnahme in Sachen Effizienz – in allen Belangen ein ebenbürtiger Gegner, und das war das Erstaunlichste und Erfreulichste am gestrigen Abend.

Seit den schönen Champions-League-Nächten mit Hakan Yakin, Rossi und Gimenez gab es auf europäischer Ebene kein derart gutes Spiel einer Schweizer Mannschaft gegen einen der ganz Grossen mehr. Drei Tore im Old Trafford, das gelang zuletzt ZSKA Moskau 2009, in der Premier League hingegen schon ewig keiner Mannschaft mehr. Der FCB war gegenüber der heimischen Liga kaum mehr wiederzuerkennen. Hervorzuheben aus einem starken Kollektiv waren Fabian Frei und vor allem Marco Streller, jener Vielgescholtene, der gestern vorbildlich rackerte und sich als ausgezeichneter Vorlagengeber in Szene setzen konnte.

Nach zwei Spieltagen grüsst der FCB sensationell von der Tabellenspitze. Das gibt nicht nur der Mannschaft Selbstvertrauen, sondern sollte auch den restlichen Schweizer Mannschaften Mut machen. Wenn alles passt, der Einsatz stimmt und vor allem der Wille nicht gebrochen wird auch nach vergebenen Grosschancen und einem 0:2-Rückstand, können Super-League-Mannschaften auch die Könige in Europas Fussball ärgern. Und sogar mehr als das.

Bei allem Jubel ist sich indes auch Thorsten Fink bewusst, dass mit dem gestrigen Punkt noch nichts erreicht ist. Gewiss, es ist ein riesiger Erfolg, von dem man zu Recht noch lange sprechen wird. Er ermöglicht nun aber sogar die ganz grosse Sensation: den Aufstieg in die K.O.-Phase. Man erinnert sich auch noch gerne an den Triumph des FCZ in Mailand, am Ende blieb für die Zürcher dann doch nur der letzte Gruppenplatz und die Erinnerung an Tihinens Tor. GC gewann 1996/97 drei der ersten vier Partien, darunter dank Murat Yakins Knaller ein 1:0 bei Ajax, und doch schied man aus.

Für das restliche Programm gilt deshalb das Rezept, das Fink vor dem gestrigen Spiel ausgegeben hatte: «Wir wollen hier nicht mit grossem Mund auflaufen, sondern überzeugen.» Die Mannschaft ist reif genug, damit ihr dieser Erfolg nicht zu Kopf steigt. Denn jetzt erst kommt die Zeit der Bestätigung: Wer sich nach solchen aussergewöhnlichen Triumphen nicht mehr auf den Alltag konzentrieren kann, der liefert bescheidene Leistungen im tristen Ligabetrieb, was die Unruhe schüren kann und das nun tatsächlich erreichbare Fernziel, die Qualifikation für die nächste Runde, in weite Ferne rücken kann.

Die ganze Fussballschweiz sollte darauf hoffen, dass wir den gleichen FCB wie gestern auch gegen Servette oder GC erleben dürfen, damit das Selbstvertrauen und der Glaube an die eigene Stärke ohne Verlust der Bodenhaftung Einzug halten kann, das jene Mannschaft von 2002/03 ausgemacht hat. Und die hat es damals in Runde 2 geschafft. Nach einem 3:3 gegen eine englische Mannschaft übrigens.

Das Schreien der Männer

Mämä Sykora am Montag den 26. September 2011

FCZ – YB, 48. Minute: Alexandre Alphonse hat soeben den Berner Teamleader Alexander Farnerud mit getrecktem Bein weggegrätscht und dafür folgerichtig die rote Karte gezeigt bekommen. Wie bei solchen Szenen üblich, formiert sich daraufhin ein Rudel Mitspieler des Ausgeschlossenen und protestiert heftig gegen den Entscheid. Xavier Margairaz tat sich dabei besonders hervor und tippte sich vor dem Ref so lange mit dem Zeigefinger gegen die Stirn, bis auch er vom Platz flog.

Über Margairaz’ Aktion braucht man keine weiteren Worte zu verlieren. Nur drei Spiele nach seinem aufreizend lässig verschossenen Elfmeter gegen Sion schadete der Zürcher Vizecaptain mit seinem Verhalten seiner Mannschaft erneut in einer entscheidenden Phase, das ist unentschuldbar.

Bis er den roten Karton endlich gezeigt bekam, musste sich Margairaz richtig Mühe geben. Denn wer sich nicht ganz so dumm anstellt wie der Zürcher Mittelfeldspieler, der kommt meistens straffrei davon. Solange man derbere Schimpfwörter, eindeutige Gesten und Rempeleien unterlässt, gibt es keine Karten. Bei umstrittenen Entscheiden wird es toleriert, wenn eine Horde wütender Profis aus wenigen Zentimetern ihren Unmut brüllend gegenüber dem Schiedsrichter kundtut.

Es ist dies ein weiterer Moment, in dem sich Fussballer wenig sportsmännisch geben, ohne dafür bestraft zu werden. Es kann nicht angehen, dass es sich ein Unparteiischer gefallen lassen muss, bei jeder halbwegs heiklen Entscheidung umringt, bedrängt und angeschrien zu werden. Klar, auch ein Referee macht Fehler. Und im Eifer des Gefechts gehen vielleicht auch mal die Emotionen durch, was kurze Ausrufe des Ärgers zur Folge haben kann. Doch penetrantes Schreien und Einschüchtern darf nicht so oft folgenlos bleiben.

Seit einiger Zeit gilt zumindest die Rudelbildung als Regelverstoss. Den Schiedsrichtern wird nahe gelegt, die Rädelsführer zu verwarnen. Angewendet wird diese Regel indes kaum, noch immer lassen sich die Spielleiter viel zu viel gefallen. Wenn Unparteiische geschützt werden sollen und man ihnen helfen will, damit ihre Entscheidungen besser akzeptiert werden, müssen genau diese oben erwähnten Szenen verhindert werden. Und dies erreicht man am besten, indem man dieses mehrstimmige Geschreie untersagt.

«Zeigt sich ein Spieler mit einer Schiedsrichterentscheidung nicht einverstanden, indem er protestiert (verbal/nonverbal), wird er vom Schiedsrichter verwarnt.» So heisst es in FIFA-Regel 12. Würde dies wirklich so konsequent angewandt, kein Team würde die Partie mit 11 Spielern beenden. Gerade weil diese Regel so stiefmütterlich behandelt wird, wäre es vernünftig, den Captain, der im Gegensatz zu anderen Sportarten im Fussball keine Privilegien besitzt, als einzigen Ansprechpartner für den Schiedsrichter einzuführen.

Beim Unihockey etwa ist das im Reglement genau so festgehalten: «Nur der Captain hat das Recht, mit den Schiedsrichtern zu sprechen.» Dieser kurze und einfache Satz verhindert diese unsäglichen Schreihals-Aufritte und gleichzeitig auch, dass bei Protesten gegen Schiedsrichterentscheidungen nicht mit gleichen Ellen gemessen wird. Bei gefühlter ungerechter Behandlung soll der Captain, der ansonsten nur repräsentative Aufgaben übernimmt, dies dem Schiedsrichter in angemessenem Ton kundtun. Und der ganze Rest soll sich kurz ärgern, einmal leer schlucken und einfach die Klappe halten. Wenn es die Unihockeyaner schaffen, muss es auch bei der kickenden Zunft klappen.

Der Realitätsverlust bei GC

Mämä Sykora am Samstag den 24. September 2011

Kurzschlussreaktionen in Fussballvereinen, in denen es gerade nicht nach Plan läuft, sind selten gut. Selbst designierte Abstiegskandidaten entlassen bei erster Gelegenheit den Trainer, obwohl offensichtlich ist, dass auch für dessen Nachfolger die Perspektiven alles andere als rosig sind. Klubs mit dem Saisonziel Europacup sehen sich zum Handeln gezwungen, wenn der Rückstand auf die erwarteten Plätze ein paar Punkte beträgt, stellen Spieler frei und tätigen in der Winterpause Paniktransfers, die nur in den wenigsten Fällen einschlagen. Es sind die viel zitierten «Regeln des Geschäfts».

Wird normalerweise alles und jeder schlecht geredet, wenn es sportlich nicht läuft, erleben wir momentan bei den Grasshoppers das pure Gegenteil. Gegen jede Mannschaft hat der Rekordmeister nun einmal gespielt, die Bilanz ist erschreckend: vorletzter Tabellenplatz, 7 Punkte, 8 Tore erzielt (die Hälfte davon gegen Servette) und 22 kassiert. In jedem anderen Verein würde bei solchen Resultaten mindestens der Trainer infrage gestellt, der Präsident würde sich zu Wort melden und Besserung verlangen und die Fans würden Protestbanner hissen.

Nicht so bei GC. Nach der gestrigen verdienten Niederlage gegen Sion gab Ciriaco Sforza allen Ernstes zu Protokoll: «Meine Spieler haben einen starken Auftritt gemacht. Sie haben mit Herz, mit Leidenschaft gespielt. Das sind gute Zeichen.» Optimismus ist zwar gerade im Fussballbusiness eine löbliche Eigenschaft, doch es bleibt ein Rätsel, wieso Sforza die Spiele derart penetrant schönredet, obwohl er mit Sicherheit genau weiss, dass solche Leistungen für die Super League nicht genügen und auch wenig Hoffnung auf Besserung besteht.

Bei GC ist die Verkennung der Realität neuerdings Programm. Auch die vereinseigene Website war der Ansicht, GC sei in Sion schlecht belohnt worden. Rückendeckung für den Coach gabs auch: «Auch wenn gewisse selbsternannte Fachleute die Aussagen des Trainers als Schönfärberei abtun, die Aussage ist zutreffend. Wenn die Grasshoppers ihre Linie konsequent weiterverfolgen, ihren schnellen Angriffsfussball zeigen, dann werden sie das Glück auf ihre Seite zwingen.»

Welche «Linie» damit gemeint ist und vor allem welche Spielern diesen «schnellen Angriffsfussball» zelebrieren sollen, bleibt ein Rätsel. Nach dem Abgang von Emeghara bleiben in der Spitze von GC noch der ungenügende Paiva, der nicht Super-League-taugliche Mustafi, der 17-jährige Adili und als Notnagel der lieber auf der Seite agierende Frank Feltscher, zusammen haben sie ein einziges Tor erzielt. Gleichzeitig stellt sich die Defensive inklusive dem jungen Goalie Bürki oft sehr unbeholfen an, seit dem Abgang von Salatic fehlt die Organisation und der Zusammenhalt. Kurz: Es fehlt massiv an Qualität.

2014 will der neue Präsident Leutwiler Meister werden, und dabei auch weiterhin auf die Karte Jugend setzen. Nur: Die besten Junioren landen längst nicht mehr bei den Grasshoppers, in den Kategorien U-16 und U-18 wurde GC letzte Saison gar Letzter. Und solange die erste Mannschaft als Aushängeschild derart unerfolgreich spielt, werden auch in Zukunft die Talentiertesten ihr Glück woanders versuchen.

So vorbildlich der Plan der Jugendförderung auch ist, auch die erste Mannschaft muss Resultate liefern. Dass das Geld knapp ist, darf keine Ausrede sein. Auch der FC Thun und Servette operieren mit einem kleinen Budget, aber einiges erfolgreicher, indem die Vereine aus soliden, günstigen Spieler eine kompetitive Mannschaft geformt haben. Bei GC ist das Leistungsgefälle innerhalb des Teams bedenklich, das schlägt sich auf die Darbietungen nieder. So ist GC ein Abstiegskandidat und wird es auch bleiben, wenn nicht bald ein Umdenken stattfindet. Schönreden à la Sforza hilft niemandem, es kratzt höchstens an seiner Glaubwürdigkeit. Auch eine Trainerentlassung macht wenig Sinn, das Spielermaterial bliebe das gleiche. Es braucht ein Umdenken im Verein: Ambitionen runterschrauben und zuoberst auf die Prioritätenliste das Zusammenstellen einer einigermassen schlagkräftigen Truppe mit geringem finanziellen Aufwand setzen. Spieler wie Lustrinelli, Ruefli, Lüthi helfen euch weiter, für das Emeghara-Geld gibt es solche im Dutzend. Darauf kann man aufbauen, und Platz für die Jungen bliebe genug.

Peinlichkeiten vom Penaltypunkt

Mämä Sykora am Mittwoch den 21. September 2011

Zum Glück gibt’s die Universität Liverpool. Dank dieser Institution und den Forschungen von Tim Cable und John Moores wissen wir nun endlich, wie man den perfekten Elfmeter schiesst. Nämlich so: «Fünf bis sechs Schritte Anlauf, 20- bis 30-Grad-Winkel zum Ball. Der muss auf mindestens 104,5 km/h beschleunigt und je einen halben Meter unter der Latte und neben dem Pfosten platziert werden.» Oder etwas vereinfacht: Einfach den Ball ins Kreuz hämmern.

Des einen Leid ist des anderen Freud': Der brasilianische Torhüter Taffarel nach Baggios Schuss.

Des einen Leid ist des anderen Freud': Der brasilianische Torhüter Taffarel nach Baggios Schuss.

Dass ausgerechnet in England das Rezept für den perfekten Penalty gefunden wurde, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, fliegen doch die Three Lions regelmässig an grossen Turnieren nach Duellen vom Punkt raus. Besonders beliebt bei den Briten: Der klassische Ausrutscher. Egal ob David Beckham, John Terry oder letztes Wochenende Wayne Rooney, sie alle landeten auf ihrem Allerwertesten und der Ball beim Würstchenstand.

Doch in die Top 10 der lächerlichsten Elfmeter schaffen sie es ebenso wenig wie Marco Streller mit seiner zungenakrobatischen Einlage gegen die Ukraine an der WM 2006. In der Videostrecke oben sind sie also, die besten Peinlichkeiten vom Punkt! Oder fehlt da noch eine komödiantische Einlage?

Hochpreisinsel Stadion

Mämä Sykora am Montag den 19. September 2011


Es war kalt am 5. November 2000, doch immerhin schien die Sonne. Die Grasshoppers trafen in der 18. Runde auf Yverdon, die graue Maus vom Neuenburgersee. Der Heimklub spielte wie stets zu jener Zeit um die Tabellenspitze, die Gäste plagte die panische Angst vor dem Strich. Kurz: Es war ein Spiel, das niemand sehen wollte. Das wussten auch die Verantwortlichen vom Hardturm und senkten die Eintrittspreise massiv. Für gerade mal 5 Franken konnte man es sich auf der Estrade Süd bequem machen und hatte dort beste Sicht darauf, wie Rainer Bieli nach einer Stunde mit einem spektakulären Fallrückzieher sein erstes (und fast einziges) Tor für GC erzielte und damit die Partie entschied. Offiziell waren 4800 Zuschauer im Stadion, allerdings wurden damals die Saisonkarteninhaber noch mitgezählt, ob anwesend oder nicht. In Tat und Wahrheit waren es deutlich weniger, die aber alle zufrieden nach Hause gingen. Für 5 Franken akzeptiert man auch ein furchtbares Spiel und freut sich umso mehr über einen Fallrückzieher von Rainer Bieli.

Wäre Yverdon heute noch in der Super League, würde die Partie im Letzigrund auf einem vergleichbaren – der Laufbahn wegen sogar eher schlechteren – Platz 65 Franken kosten. 65 Franken für eine solche Affiche. Der gleiche Platz bei einem FCZ-Heimspiel auf Höhe der Mittellinie auf der Gegentribüne würde gar 90 Franken kosten. Für den gleichen Preis kann man sich etwa in der Champions League Bayern gegen Villareal auf einem adäquaten Platz anschauen. Oder fünf Mal ins Kino gehen. Oder in der Brasserie Lipp 25 Austern essen.

Will man gar noch seine Freunde ins Station einladen, kriegt man aus dem Tickethäuschen einen Betrag genannt, den man normalerweise für eine Woche Ferien einkalkuliert. Hat man den Schock verdaut, wird man sich gleich ein zweites Mal ärgern, denn im Letzigrund kann man tatsächlich nur bar bezahlen. Wir schreiben das Jahr 2011 und das Stadionmanagement erwartet anscheinend, dass die Besucher ihr Bargeld in Sporttaschen mit sich rumtragen.

Zürich ist keine Ausnahme in diesem Fall. Die Ticketpreise sind zumindest einigermassen ausgeglichen. Wer ein Spiel nicht in der Fankurve oder dem Family Corner verfolgen will, sondern entlang der Seitenlinie, der bezahlt viel. Viel zu viel. Denn viele Vereine verlangen für die Top-Spiele gar noch einen Zuschlag. Werden die Verantwortlichen darauf angesprochen, winken viele verärgert ab. Man sei im Vergleich mit anderen Vereinen durchaus günstig, als Beispiele werden immer die Saisonabos im Fansektor angefügt. Als sich kürzlich Ancillo Canepa über die tiefen Zuschauerzahlen beklagte und wir ihn fragten, ob er nicht auch denke, dass die hohen Ticketpreise viele Zuschauer und Gelegenheitsstadiongänger abhalten würden, pries er lediglich die preislichen Vorzüge dieser speziellen Sektoren, die Wucherpreise für die Sympathisanten und neutralen Zuschauer wurden mit keinem Wort erwähnt.

Zwar verzeichnet die Liga beinahe konstant steigende Zuschauerzahlen, doch auch die Ticketpreise werden fast jährlich erhöht. Man bekommt das Gefühl, dass die Schmerzgrenze ausgelotet wird. Bei GC etwa sind momentan noch jene Leute im Stadion, die so angefressen sind, dass sie wohl fast jeden Betrag zahlen würden. Dass das Potenzial grösser wäre, bewies eine kürzlich lancierte Aktion über die Website Groupon.ch, die Spezialdeals aller Art – von Wellness-Wochenenden über Haarentfernungen – anbietet: Die Saisonkarte für die Osttribüne gabs da für 290 statt für 700 Franken, die angebotenen Abos waren in Rekordzeit weg. Freilich zum Ärger derjenigen Fans, die kurz zuvor für die gleichen Plätze noch den vollen Betrag berappt haben.

In Basel, Bern und Luzern kann man über solche Aktionen nur lächeln, über ungenügenden Zuschaueraufmarsch kann man sich dort nicht beklagen. Für die anderen Vereine wäre es indes ratsam, die Grundregel des Marktes von Angebot und Nachfrage nochmals anzuschauen. 65 oder gar 90 Franken für ein Spiel, das nur Hartgesottene interessiert, sind massiv zu viel. So bleibt die Stadionauslastung gering und man verärgert jene Leute, die sich eigentlich gerne ab und zu ein Spiel ansehen würden, aber keine Saisonkarte kaufen wollen. Und von denen gibt es genug. Allerdings gehen viele davon auch gerne ins Kino und mögen Austern.

Constantin gegen den Rest der Fussballwelt

Mämä Sykora am Samstag den 17. September 2011

Er fordert, dass die Steuerbegüngstigungen der UEFA und FIFA aufgehoben werden: Christian Constantin gibt den Tarif durch, 10. Mai 2011.

Sion darf in der Europa League antreten, Sion darf doch nicht, dann doch wieder und schliesslich doch nicht. Ersatz Celtic, in der Qualifikation den Wallisern unterlegen, war am Donnerstag in Madrid chancenlos, während Constantin seinen Ruf festigte, und auch nach der juristischen Schlappe gegen die UEFA weitere Klagen ankündigte.

Das Enfant terrible des Schweizer Fussballs macht sich damit nicht viele Freunde. Mit dem Verband führt CC seit Jahren mit beachtlichem Erfolg einen offenen Kleinkrieg, nun nimmt er sich grössere Gegner vor. Er tut dies zwar vorwiegend, um für seinen Verein jeden möglichen Vorteil zu erstreiten, gleichzeitig sieht er sich aber auch als eine Art moderner Michael Kohlhaas, der sich nicht mit Ungerechtigkeiten jeglicher Art abfinden will.

Zu diesem Zwist führten unterschiedliche Ansichten darüber, welches Recht im Fussball angewendet werden soll. Während die Swiss Football League (SFL), die UEFA und die FIFA der Ansicht sind, wer bei ihnen mitspielen will, habe auch ihre eigenen Regeln zu befolgen, sieht der Walliser Sonnenkönig nicht ein, weshalb sich der Fussball über geltende Gesetze hinweg setzen darf, die für alle anderen Personen und Unternehmen Gültigkeit haben.

Unterschiedliches Recht für Fussball- und für Zivilleben

In der Tat werden findige Juristen diverse Ungereimtheiten in der fussballerischen Gesetzgebung finden. Eine erste leichte Erschütterung der bis anhin als in Stein gemeisselt geltenden eigenen Gesetze des Fussballs erreichte der Servette-Profi Georges Perroud, den der Verein nur für eine hohe Ablösesumme ziehen lassen wollte. 1972 reichte Perroud Klage ein und das Bundesgericht entschied – viele Jahre vor Bosman – dass Ablösesummen widerrechtlich seien.

Der Effekt blieb vorerst gering. «Ich rege mich über diesen Fall nicht auf», verkündete Nationalliga-Präsident Lucien Schmidlin. «Und zum Pressieren zwingt mich auch nichts.» Und gar kein Verständnis für den Vergleich mit der Sklaverei zeigte FCZ-Patron Edi Naegeli, weil «diese Sklaven ja gewiss nicht in Verhältnissen leben, wie sie in Onkel Toms Hütte geschildert werden».

Selbst die Kluboberen akzeptierten, dass in Fussball und Zivilleben unterschiedliche Rechte gelten. Trotz des Urteils des Bundesgerichts veränderte sich bis zum Bosman-Urteil diesbezüglich nichts. Erst jenes löste eine Revolution aus, deren Folgen längst nicht alle nur positiv beurteilen, weil u. a. bei Arsenal gegen Inter Mailand plötzlich kein einziger Spieler aus dem Land der Vereine mehr auf dem Platz stand.

CC will den Weltfussball zu Fall bringen

Nun schickt sich also CC an, diese Revolution zu Ende zu bringen. Er akzeptiert es nicht, dass etwa das Sport-Schiedsgericht CAS, bei dem «gewisse Richter mit Sportverbänden verbunden» sind, ein Urteil fällen darf, obwohl die private Gerichtsbarkeit des Sports nicht dem Zivilrecht des Staates entspricht. Es deutet vieles auf einen langen juristischen Kampf hin, der nicht nur für den FC Sion Folgen haben könnte, sondern die gesamte Fussballwelt auf den Kopf stellen könnte.

Ähnliche unliebsame Angriffe konnten die grossen Verbände bislang abwehren. Etwa die Klage des belgischen Vereins Charleroi, der Entschädigungen für seine in Länderspielen verletzten Spieler forderte, der aber mit Zahlungen ruhig gestellt wurde. CC wird sich damit nicht abfinden. Nach der empfindlichen Niederlage gegen die UEFA hat er es sich zum Ziel gesetzt, nicht weniger als das wacklige juristische Konstrukt des Weltfussballs zu Fall zu bringen. Er setzte gar noch einen drauf und forderte den Bundesrat auf, die Steuerbegünstigungen für die UEFA und die FIFA aufzuheben. In dieser Rolle als von vielen gefürchteter Unruhestifter gefällt sich Constantin sehr und er wird nicht eher ruhen, bis er für den FC Sion das Beste herausgeholt hat und vor allem eine Antwort auf die eine grosse Frage erhalten hat, um die es schliesslich geht: Dürfen im Fussball eigene Gesetze gelten?

Was denken Sie, liebe Leser? Ist CC lediglich ein ewiger Krawallmacher? Oder ist es an der Zeit, die Verbände dazu zu bringen, sich an geltendes Zivilrecht zu halten? Ist das im Fussball überhaupt möglich?