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Die kulturellen Versuche der Fussballer

Mämä Sykora am Samstag den 5. November 2011

Nachdem diese Woche an dieser Stelle schon über Fussball und Kultur und gewisse Spannungsfelder diskutiert worden ist, wollen wir uns heute auch den Kontaktpunkten widmen. Nicht selten wurde der Fussball in der Kunst thematisiert, in Filmen, Bildern, Liedern und Theaterstücken, und darunter war auch viel sehens- oder hörenswertes. Nur selten hingegen wechseln Fussballer ins Kulturmetier.

Vielleicht ist das auch besser so. Einer der ersten, die in beiden Welten verankert waren, war Giovanni (oder Hannes) Schmidhauser. Der «Bund» rühmte dessen «sorgfältig gegliedertes Spiel», die «NZZ» schwärmte, er sei nicht nur charmant und sehe gut aus, sondern auch dass «sein Körper Gesundheit ausstrahle, Kraft und Erdnähe, aber sein seelisch differenziertes Bild lichtet diesen währschaften Körper mit geistiger Lebendigkeit und Behendigkeit auf.» Diese Zeilen waren indes nicht dem Fussballer, sondern dem Schauspieler Schmidhauser gewidmet, den in der Gotthelf-Verfilmung «Uli der Knecht» 1,6 Millionen Leute im Kino sehen wollten.

Zur gleichen Zeit war Schmidhauser als Giovanni bei den Grasshoppers unter Vertrag und musste oft gleich nach dem Schlusspfiff auf die Bühne. 13 Länderspiele absolvierte der im Jahre 2000 verstorbene Lockenkopf zwischen 1952 und 1959. Sein Doppelleben brachte ihm auch nicht selten hämische Kommentare der Zuschauer ein. Verstolperte Bälle hatten oft ein «Ueli, bisch wieder bim Vreneli gsi?» zur Folge, eine Anspielung auf seine Filmpartnerin Lilo Pulver.

Auch andere Schweizer Fussballer waren als Schauspieler erfolgreich. Etwa der ehemalige FC-Aarau-Profi Joris Gratwohl, der am Theater anfing und seit 2001 in der «Lindenstrasse» den Alex Behrend verkörpert. Daneben spielte er auch schon in diversen Spielfilmen mit, u.a. «Grounding» und «Das Wunder von Bern».

Damit hielt er sich deutlich länger als Berti Vogts, der vor der Kamera ähnlich hölzern wirkte wie auf dem Rasen und deshalb bei seinem Auftritt kaum mehr als den bekannten Satz «Gib dem Kaninchen eine Möhre extra» sagen durfte. Auch die Schauspielkarriere seines Teamkollegen Paul Breitner war nur von kurzer Dauer. Er durfte immerhin an der Seite von Hardy Krüger den Sergeant Stark im Western «Potato Fritz» geben.

Zum Glück schon längst vorbei ist jene Zeit, in der jeder Fussballer mit Weltstar-Ambitionen früher oder später zum Mikrofon greifen musste. Der Kaiser höchstpersönlich säuselte 1966 den Schrumm-Schrumm-Klassiker «Gute Freunde kann niemand trennen» und schaffte es auf Platz 31 der deutschen Charts, sein Rivale Johan Cruyff liess den Festzelt-Schunkler «Oei oei oei» folgen und auch Pelé war sich nicht zu schade, «Meu mondo é uma bola» zu Sergio Mendes’ Klängen zu nuscheln. Später sangen sich auch noch diverse Nationalmannschaften in WM-Form, heute versucht sich glücklicherweise kaum mehr ein Fussballer als Sänger.

Eine Ausnahme bildet Hannovers ebenso schussgewaltiger wie verletzungsanfälliger Verteidiger Christian Pander, dessen unglücklich gewählter Künstlername «Funky Pee» ebenso für Heiterkeit sorgt wie seine Rapkünste. Alex Frei liess sich davon nicht abschrecken und rappte für BANDIT die Nationalhymne weitgehend talentfrei. Wohl deshalb beschränkt sich Luzerns Daniel Gygax ganz auf das DJing. 2008 mixte er für die offizielle Streetparade-Compilation elektronischen Einheitsbrei und nannte die CD unpassend «Underground». Der «Tages-Anzeiger» urteilte damals: «Die Track-Auswahl ist so überraschend wie ‹We Are The Champions› nach einem WM-Final.»

Fussballer, die die Grenze zur Kultur überschreiten, gibt es immer weniger. Das ist einerseits schade, weil die Vorstellung durchaus amüsant ist, Hakan Yakin dereinst in der Nachfolgeserie von «Lüthi und Blanc» zu sehen, Beni Huggel auf einer Theaterbühne oder Ludovic Magnin als neue Mireille Mathieu. Doch der Spruch «Schuster, bleib bei deinen Leisten» passt selten besser als zu Fussballern, die sich ein neues Betätigungsfeld suchen. Zumindest die Kultur – ob Hoch- oder Pop- sollten sie auf jeden Fall jenen überlassen, die dafür wirklich talentiert sind.

Subventionen für den Fussball!

Mämä Sykora am Mittwoch den 2. November 2011


Fussball und Kultur – zwei Felder mit einigen Kontaktpunkten und vielen Unterschieden. Was beiden eigen ist: das stetige Jammern über fehlende finanzielle Mittel. Die Gründe dafür sind jedoch unterschiedlicher Natur. Namentlich die Hochkultur lebt mehrheitlich von der öffentlichen Hand, während die Fussballklubs nach den Gesetzen der Marktwirtschaft funktionieren müssen.

Auch ein Fussballverein ist wichtig für eine Stadt. Er prägt das Bild, das Leute von ihr haben, er bietet Unterhaltung für die Massen und lockt gar – zumindest wenn der Verein im Europacup spielt – Touristen an, die Geld ausgeben. Orte wie Manchester oder Lyon sind mehrheitlich wegen ihren Klubs in der ganzen Welt bekannt. Und doch sieht keine Stadt die Notwendigkeit, den lokalen Verein in irgendeiner Form zu unterstützen. Im Gegenteil: Hierzulande geht stets ein Aufschrei durch die Bevölkerung, wenn etwa ein Polizeiaufgebot wieder einmal etwas kostet. «Und das berappen wir Steuerzahler!», ist nach solchen Anlässen wohl der meistgeschriebene Satz in Online-Kommentaren.

Hier sollte man die Verhältnisse mal etwas gerade rücken. Das Zürcher Opernhaus wird jährlich mit 75,2 Millionen Franken unterstützt, auch das Schauspielhaus bekommt 33,4 Mio. zugesprochen. Jeder belegte Platz in diesen Etablissements wird mit 304 resp. 262 Franken subventioniert. Als Vergleich: Bei einem Hochrisikospiel wie FCZ gegen FCB, von denen es pro Jahr nur sehr wenige gibt, fallen 250’000 Franken an Polizeikosten an, wobei die Zürcher Vereine – die notabene in einem städtischen Stadion spielen – fortan jährlich bis zu 500’000 Franken selber berappen müssen, mit einem Aufschlag für internationale Spiele. Zuvor war es noch mehr gewesen.

Während alleine Opernhaus und Schauspielhaus zusammen jährlich über 100 Mio. Franken zugesteckt bekommen, um insgesamt 370’000 Besucher zu unterhalten, müssen GC und der FCZ, die in etwa die gleiche Anzahl Leute anziehen, dafür tief in die Tasche greifen. Der abgetretene CEO von GC, Urs Linsi, rechnete vor: «Wir machen im Schnitt 3 Franken Verlust pro Zuschauer». Denn zu den Polizeikosten kommen weitere Ausgaben für die Sicherheit, alleine dafür wendete der FCZ letztes Jahr 3,5 Mio. Franken auf.

Doch dies ist nicht alleine ein Zürcher Phänomen. Das Stadttheater Bern etwa wird mit ca. 25 Mio. Franken subventioniert, obwohl es im Jahr so viele Besucher anzieht wie YB an nicht einmal vier durchschnittlichen Heimspielen. Der Kanton Basel-Stadt lässt sich die Kulturförderung 116 Mio. Franken kosten, davon gehen 61,2 Mio. an private Institutionen. Das Theater Basel lockt trotz 42,2 Mio. Franken aus der öffentlichen Hand gerade mal 180’000 Besucher jährlich an, dreimal weniger als der FCB. In Luzern ist es das KKL, dessen Bau eine stolze Summe verschlang und noch immer einiges kostet.

Ich bin sehr wohl der Meinung, dass die Kultur mit einem schönen Batzen unterstützt werden sollte, da es viele Angebote nicht mehr geben würde, wenn sie nach rein wirtschaftlichen Aspekten funktionieren müssten. Doch ich erachte es als ungerecht, wenn – vor allem bei den grossen Häusern – Geld in unglaublichen Dimensionen ausgeschüttet wird, während der Fussball darben muss. Selbst gegen die Mietzinsreduktion für den Letzigrund regte sich Widerstand, weil damit «ein kommerzieller Betrieb durch die Hintertür subventioniert» (Balthasar Glättli) werde. Fussballvereine sind aber keineswegs profitable Unternehmen, die Millionen abwerfen, und dank solcher Zuwendungen ihren Gewinn weiter steigern würden. Die allermeisten haben grosse Mühe, überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen.

Das Opernhaus Zürich leistete sich mit Anna Netrebko die weltbeste Sängerin, für die sich dennoch nur eine kleine – und oft auch ohnehin schon zahlungskräftige – Minderheit interessiert. Für die Fussballklubs fällt derweil nicht einmal ein Krumen ab, obwohl die Stadtbewohner allerorts lieber ins Stadion als ins Theater pilgern. Fussball ist noch immer das ungeliebte Kind, der unnütze Rüpel. Dabei wäre schon mit einem Bruchteil der horrenden Summen für die Kultur einiges mehr möglich im Schweizer Fussball.

Das soll nicht heissen, dass sich YB dank öffentlichen Geldern plötzlich Wayne Rooney leisten oder bei GC Fabio Capello auf der Bank Platz nehmen soll. Aber finanzielle Erleichterungen müssen ganz einfach drin liegen. Zum Beispiel in Form von subventionierten Eintritten, was mit Sicherheit mehr Zuschauer bedeuten würde, oder eben – zumindest dort, wo die Stadt als Vermieter auftritt – Mietreduktionen. Es wären immer noch Peanuts im Vergleich zu dem, was die Hochkultur jährlich abschöpft, aber es wäre ein wichtiger Beitrag für die Marke der Stadt, vom dem sie schlussendlich profitieren würde. Ein starker Fussballverein kann ebenso viel wert sein wie ein Theater – und ist erst noch deutlich günstiger.

Die verlorene Qualität der Super League

Mämä Sykora am Montag den 31. Oktober 2011

In der Super League überzeugt zurzeit keine Mannschaft: Xamax-Spieler Haris Seferovic, 27. Oktober 2011.

Dass wir Zuschauer von den Partien unserer Liga nicht gleiches erwarten können wie von denjenigen der Premier League oder der Bundesliga, versteht sich von selbst. Nach über einem Drittel der Meisterschaft muss man aber konstatieren: Um die Qualität der Super League steht es derzeit wahrlich nicht zum Besten.

Die letzten beiden Runden boten eine gute Gelegenheit, sich davon ein Bild zu machen. Am Mittwoch kam es im Tourbillon zum Spitzenspiel Sion gegen Basel, also zum Duell zwischen zwei der stärksten Teams der Liga. Dass längst nicht jede Affiche hält, was sie verspricht, musste jeder Fussballfan schon öfters feststellen. In diesem Spiel war es indes nicht – wie oft bei solchen Ausgangslagen – so, dass die Mannschaften solid stehen, sich weitgehend neutralisieren und sich niemand etwas traut, auffallend war vielmehr die erschreckend hohe Anzahl an Fehlern, Ballverlusten, Ungenauigkeiten und Flanken ins Nirgendwo.

Vor allem der FC Sion brachte nach dem Rückstand überhaupt nichts mehr auf die Reihe, obwohl ihm einiges an Zeit und Raum gelassen wurde. Die Angriffe versandeten meist nach eklatanten individuellen Fehlern. Auch der FCB bekleckerte sich derweil nicht mit Ruhm, obwohl man sagen muss, dass er mit der Führung im Rücken auch nicht in der Pflicht stand.

Gleichzeitig lieferten sich Titelanwärter YB und das formstarke Xamax ein 0:0 zum Vergessen, gestern dann folgte auch noch der Auftritt von Leader Luzern beim kriselnden FCZ, und auch das war wahrlich nichts für Feinschmecker, ausser man kann Spielen weitgehend ohne zusammenhängende Aktionen und Fehlpässen à discrétion etwas abgewinnen.

Wohlgemerkt: Das waren Partien zwischen den besseren Teams der Liga. Wer diese Saison schon eine Partie zwischen Kellerkindern gesehen hat, der weiss, dass es durchaus noch schlimmer sein kann. Trügt der Eindruck, oder war die Qualität der Mannschaften tatsächlich schon lange nicht mehr so tief?

Tatsache ist: Spektakuläre Spieler sucht man derzeit vergebens. Doumbia schiesst seine Tore nun in Russland (gestern ein Hattrick innerhalb von 7 Minuten), Nuñez ist schon lange nicht mehr hier, Chikhaoui noch nicht wieder der Alte, Hakan Yakin im Spätherbst der Karriere, selbst jene mit einem kurzen Hoch wie Zárate (GC) oder Ideye Brown (Xamax) sind mittlerweile woanders tätig. Spieler wie diese konnten selbst eine Partie auf bescheidenem Niveau zum Erlebnis machen, in dieser Saison gibt es das nicht.

Man kann nicht erwarten, dass die Vereine regelmässig solche Ausnahmekönner präsentieren, zudem können sie kaum lange gehalten werden. Doch auch abgesehen davon dünkt es mich, dass die Kader aller Super-League-Vereine Qualitätseinbrüche erleben mussten. Die Partien sind zumeist entweder einseitig, ohne dass der Favorit zu überzeugen vermag, oder eben enttäuschend, wie diejenigen der letzten Woche.

Die Defensiven leisten sich reihenweise Aussetzer, Goalies greifen daneben, im Mittelfeld fehlen die Ideen und im Angriff die Präzision und/oder das Tempo. Das war zwar schon immer so in unserer Liga, und doch waren die Spiele schon lange nicht mehr so unschön anzuschauen wie in dieser Spielzeit. Es gab bislang keine Partien, die länger in Erinnerung bleiben werden, dafür umso mehr solche, nach denen man sich zu Recht fragen musste, ob man sich das wirklich wieder antun wolle.

Was ist denn bloss los mit unserer Liga? Die Spannung stimmt immerhin, bei vier Teams an der Spitze innerhalb von drei Punkten. Aber wo ist denn bitteschön der gute und attraktive Fussball hin, den es in den letzten Jahren zumindest zeitweise zu geniessen gab? Jene Spiele, über die man sagt, sie seien «beste Werbung für die Liga»? Ich hoffe schwer, dass die Herren Trainer die Winterpause nutzen, um zumindest die Fehlerquote massiv zu verringern. Und vielleicht findet ja doch noch ein Spieler den Weg zu uns, der für etwas Farbe im dunklen Grau des Liga-Alltags sorgt.

Sind die Steilpass-Leser ebenso enttäuscht vom bisher Gebotenen? Oder stellt Ihr keinen Qualitätseinbruch fest gegenüber früheren Spielzeiten?

Traumfussball dank arabischem Geld

Mämä Sykora am Mittwoch den 26. Oktober 2011

Wenn 206 Millionen Franken zusammen jubeln: Die Manchester-City-Spieler Agüero, Balotelli, Yaya Touré, Milner und Silva (v.l.) feiern ihren 6:1-Erfolg beim Stadtrivalen United. (Bild: Keystone)

Am Wochenende kam es zum 133. Mal in der englischen Liga zum Manchester-Derby zwischen der United und City. Bis dahin konnten die Citizens seit Einführung der Premier League im Jahre 1992 gerade mal fünf Siege einfahren. In der gleichen Zeit gewannen die Red Devils zwölf Meisterschaften, je viermal den FA Cup sowie den League Cup und zweimal die Champions League. Citys Triumph im FA Cup im letzten Mai war hingegen die erste Trophäe seit 1976.

Angesichts dieser Statistiken deutete vieles auf eine klare Sache hin, zumal die Partie im Old Trafford ausgetragen wurde. Und es wurde auch eine klare Sache: Die vormals als «noisy neighbours» (lärmige Nachbarn) verspotteten Blauen verpassten dem Rekordmeister eine Klatsche von historischem Ausmass. David Silva (gekauft für 38 Mio. Franken) wirbelte, Balotelli (39 Mio.) knipste, Milner (29,5 Mio.) bereite mustergültig vor, Yaya Touré (40 Mio.) eroberte Bälle, und als alles schon entschieden war, durften auch Kun Agüero (60 Mio.) und Edin Džeko (49 Mio.) einnetzen und Samir Nasri (36,5 Mio.) erhielt noch Auslauf. 6:1 hiess es zum Schluss, City spielte phasenweise fantastischen und schnellen Fussball (alle Tore im Video unten). Präzis wie jener von Barcelona, gar mit einer Prise mehr Kraft und Tempo.

http://www.youtube.com/watch?v=s2d9vTDNbxQ

Doch darf man das überhaupt toll finden? Manchester City, das ist jene Mannschaft, die noch vor drei Jahren ansehlichen Fussball geboten hat mit vielen talentierten jungen Spielern, darunter auch der Schweizer Gelson Fernandes. Vom damaligen Kader spielen gerade mal fünf Spieler noch immer mit. Der Grund dafür heisst Mansour bin Zayed Al Nahyan. Der Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten investierte in den letzten zwei Saisons alleine 245 Mio. Franken in neue Spieler, die Talente mussten Weltstars weichen. Der Erfolg stellte sich überraschend schnell ein, City grüsst von der Tabellenspitze.

Emirates auf der Brust, Qatar Investment Authority im Rücken: Spieler von Paris Saint-Germain. (Bild: Keystone)

Auch in der französischen Ligue 1 steht ein Verein mit einem neuen arabischen Besitzer auf Platz 1. Im Mai wurde der notorisch erfolglose Traditionsverein Paris Saint-Germain von der Qatar Investment Authority gekauft und holte gleich mal Spieler für 115 Mio. Franken, die Hälfte ging für den argentinischen Zauberer Javier Pastore drauf. Selbst in Spanien, wo die ersten beiden Plätze jeweils fix vergeben sind, ist dem neuen Besitzer des FC Málaga, Abdullah bin Nasser Al-Thani, ein Mitglied der katarischen Königsfamilie, einiger Erfolg beschieden. Dank seinen 77 investierten Millionen Franken auf diese Saison (u.a. für Ruud van Nistelrooy, Jérémy Toulalan und Santi Cazorla) steht der ehemalige Dauerabstiegskandidat derzeit auf einem Europacupplatz.

«Geld holt keine Titel», hiess es jahrelang und man verwies gerne hämisch auf Inter Mailand, Schalke 04 oder Real Madrid, die regelmässig enorme Beträge für neue Spieler aufwendeten und dennoch nie ihren Ambitionen gerecht wurden. Die neue Generation der Geldgeber handelt deutlich cleverer. Die schwerreichen Patrons von früher waren eher Fans, die bei der Auswahl von Neuzuzügen mehrheitlich selber entscheiden konnten, weshalb nicht selten Stars mit grossem Namen überteuert geholt wurden, die dann aber überhaupt nicht ins Team passten. Die arabischen Investoren hingegen überlassen die Zusammenstellung der Mannschaft den Experten, sie bezahlen lediglich die Rechnungen. So holt Roberto Mancini bei Man City eben Aleksandar Kolarov statt Ashley Cole, Balotelli statt Eto’o und Yaya Touré statt Arjen Robben. Man setzt auf Qualität statt auf Namen, auch wenn die Neuzuzüge freilich keine Unbekannten sind. Das Resultat ist ein unglaublich starkes Team, das auch noch zusammenpasst. Je länger, desto besser.

Vielleicht sind es die letzten Jahre, in denen wir solche hochkarätigen Mannschaften erleben können. 2015 führt die UEFA das «Financial Fair Play» ein, nach dem die Einnahmen die Ausgaben im Verlauf der letzten drei Jahre mindestens ausgleichen müssen. Damit sollen die Ablösesummen und Spielergehälter gesenkt werden. Ein durchaus löbliches Vorhaben, das mehr Ausgeglichenheit verspricht, sofern die Regelung denn konsequent umgesetzt wird. Insofern ist die momentane Situation ein letztes Aufbäumen, von dem sich die gross investierenden Vereine versprechen, auch in Zukunft zu Europas Elite zu gehören. Wenn sie so spielen wie Manchester City dieses Wochenende, kann man fast nichts dagegen haben.

Folgt jetzt der Absturz des FC Luzern?

Mämä Sykora am Montag den 24. Oktober 2011


Von einer Krise zu sprechen, wie sie der FC Luzern nach der letztjährigen Winterpause erleben musste, ist sicherlich verfrüht. Noch steht der FCL an der Tabellenspitze, doch der Vorsprung ist von sechs auf einen Punkt geschmolzen, die vormals ungeschlagenen Zentralschweizer zogen zudem nach der ersten Saisonniederlage gegen YB vor der Länderspielpause nun gleich die nächste ein, ihre erste im neuen Stadion. Dies könnte aber bereits fatale Folgen haben, denn die Ruhe im Verein ist zumindest vorübergehend gestört.

Damit ein vergleichsweise kleiner Verein wie der FCL nur mehr als nur für einige Monate für Furore sorgen kann, muss fast alles stimmen. Er kann sich keine hochkarätige Ersatzbank leisten, Neuzuzüge müssen perfekt passen, das Selbstvertrauen und die Freude müssen da sein, die Verletzungshexe hingegen fernbleiben. Und Unruhe darf gar nicht erst aufkommen.

Vieles hat der FCL richtig gemacht. Veskovac und Zverotic musste man zwar nach Bern ziehen lassen, ohne viel Geld in die Hand zu nehmen konnte sich die Mannschaft dank den Zuzügen von Sarr, Hyka, Hochstrasser und Winter aber dennoch verstärken. Das ist zwar kein Quantensprung, aber Murat Yakin gab dem Team die defensive Stabilität, die es nach dem Einbruch in der letzten Saison dringend nötig hatte. Die erst sieben Gegentore sprechen eine deutliche Sprache, die eigentliche Reifeprüfung folgt jedoch erst in den nächsten Wochen.

Die Yakins brachten am Pilatus die Hoffnung auf eine Wiederholung des Meisterstücks von 1989 zurück, nun könnten sie einer der Hauptgründe sein für einen erneuten Absturz nach vielversprechendem Start. Erst verkündete Hakan seinen baldigen Abgang zu Bellinzona, und nur sehr Blauäugige glaubten daran, dass sich der geniale Linksfuss angesichts dieser Umstände weiterhin ein Bein ausreissen würde. Und nur wenig später flirtet Murat Yakin offen mit dem FC Basel.

Murat Yakin mag viele Qualitäten haben, Klubtreue gehört bestimmt nicht dazu. Bei 5 Vereinen stand er als Profi unter Vertrag, nun ist er bereits beim vierten Verein in seiner noch jungen Trainerkarriere. Bei Thun liess er sich erst den Vertrag verlängern, um dann doch bei nächster Gelegenheit weiterzuziehen. «Ich bin in Luzern dabei, etwas Grosses aufzubauen. Mir macht es hier grossen Spass, ich will mit dieser Mannschaft etwas erreichen», spricht er nun in die Mikrofone. Verständlich, wenn diesen Worten nur wenige Glauben schenken können. Denn in etwa so klang auch Thorsten Fink noch wenige Tage vor seiner überstürzten Abreise.

Leidtragender dieser Unruhe ist natürlich der Verein. Sie wird noch grösser werden, wenn die sportliche Baisse anhält. Und weiteres Ungemach droht ohnehin: Im Winter ist Hakan Yakin weg, auch der wiedergenesene Christian Ianu hegt Abwanderungsgelüste. Sforza interessiert sich sehr für den Rumänen, und vieles deutet auf einen Wechsel hin («Ich will, GC will, Luzern will»). Ein herber Verlust für die ohnehin dünn besetzte FCL-Offensive, denn die Verpflichtung aus Thun, Nick Proschwitz, wollte Murat Yakin nicht haben und verschacherte ihn gleich weiter zu Paderborn, wo er zu den besten Torschützen der Liga gehört.

Der FCL könnte also bald ohne Trainer und ohne Stürmer dastehen. Diese Ungewissheit ist alles andere als hilfreich, wenn man demnächst wieder zum Siegen zurückfinden will. Wahrscheinlicher ist aber ohnehin, dass der schleichende Abstieg bereits eingesetzt hat. Letzte Saison fiel der Wintermeister noch auf Platz 6 zurück, wenn man sich zumindest ein bisschen gefestigter zeigt, liegt zumindest ein Europacup-Platz drin. Mehr ist erst dann möglich, wenn in Luzern mal eine ganze Saison in Ruhe gearbeitet werden kann. Davon kann momentan nicht die Rede sein.

Was denken die Steilpass-Leser? Stürzt Luzern nochmals so ab wie letzte Saison? Oder bleibt Murat Yakin bis Ende Jahr und der FCL weiterhin ein Titelanwärter?

Unsere schönsten Spiele

Mämä Sykora am Samstag den 22. Oktober 2011

Was den Fussball so schön macht, ist die kollektive Erinnerung an Ereignisse. Einige Tore, Szenen, Spielzüge bleiben für immer und ewig in den Windungen des Gehirns hängen, und es ruft eine seltsame Art von Glückseligkeit hervor, wenn man sich mit Leuten austauschen kann, bei denen das Gleiche hängengeblieben ist. Unnützes Wissen meinen die einen, die anderen sind der Ansicht, dass es exakt solche Dinge sind, die den Fussball so wunderbar machen.

Wer die Geschichte und die Geschichten kennt, dem eröffnet sich eine neue Dimension. Man erkennt, wie Rivalitäten entstanden sind, welche Vorgeschichte die Spieler haben, weshalb Dinge so gelaufen sind, wie sie eben gelaufen sind. Die Schweiz ist für jene, die sich nicht bloss für das laufende Spiel, sondern eben auch für die Vergangenheit interessieren, furchtbares Ödland. Während die deutsche «Sportschau» Woche für Woche eine historisch bedeutende Partie nochmals aufrollt und damit das Bewusstsein für die Vergangenheit stärkt, kommt es hierzulande schon einem Kraftakt gleich, das Resultat – geschweige denn die Mannschaftsaufstellungen – eines 10 Jahre zurück liegenden Spiels herauszufinden. Ganze Archive wandern in den Mülleimer, die Erinnerung an wichtige Ereignisse verblasst immer mehr. Was vorbei ist, kann keinen mehr interessieren.

Angesichts dieser Voraussetzungen ist die Arbeit des Luzerners David Mugglin ganz besonders zu würdigen. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die schönsten Momente des Schweizers Fussballs am Leben zu erhalten. Vor einigen Monaten stellte er eine hochkarätige Jury zusammen und liess sie über die «100 grössten Schweizer Spiele» abstimmen. Herausgekommen ist eine abwechslungsreiche Rangliste, in der es für jeden Partien zu entdecken gab, dessen Bedeutung ihm bis dahin gar nicht klar war.

Nun setzte er noch einen drauf. Zusammen mit Benedikt Widmer suchte er 50 Schweizer Fussballgrössen auf und liess sie in der Ich-Form von ihren schönsten 90 Minuten erzählen. Daraus entstanden ist das 200 Seite starke Buch «Das Spiel meines Lebens». Auf jeweils 3 bis 4 Seiten wird dem Leser natürlich nicht nur die Partie nacherzählt, er erfährt auch mehr über die Gemütslage, die Begleitumstände und die Auswirkungen jener Partie, die der Erzähler als sein persönliches Highlight sieht. Zu Wort kommen Fussballer aus den letzten sechs Jahrzehnten, von Walter Eich über Köbi Kuhn, Daniel Jeandupeux, Kurt Müller, Raimondo Ponte, Heinz Hermann, Thomas Bickel, Marc Zellweger bis Patrick Müller.

Bei einigen Profis ist die Wahl naheliegend, etwa wenn Jörg Stiel seine Begegnung mit Maradona wählt oder Diego Benaglio den Sieg über Spanien. Andere Partien sind wohl nur noch den wenigsten in Erinnerung, wie etwa Lucien Favres 2:2 mit Servette gegen Bohemians Prag oder Rolf Osterwalders Cuphalbfinal mit Aarau.

Die Vielfalt spiegelt sich nicht nur in der Auswahl der Spiele, auch die Fussballer selber, die man dank diesen Gesprächen ein Stück weit besser kennenlernt, kommen sehr unterschiedlich daher. Bescheiden und nüchtern die einen, herzlich und selbstbewusst die andern. Bei allen jedoch erfährt man vieles über die Konstellationen und Hierarchien innerhalb der Mannschaften, darunter auch viel Überraschendes («Tararache ist für mich der beste Spieler, der je in der Super League gespielt hat», meint etwa Blerim Dzemaili).

«Das Spiel meines Lebens» (rotweiss Verlag, bis Ende Oktober für 22.80 Franken) ist nicht nur ein unbedingt lesenswertes Buch, weil es interessant, lehrreich und ebenso unterhaltend ist, es ist auch ein wichtiger Beitrag zur Erhaltung der Erinnerung an die schönsten Stunden der Schweizer Fussballgeschichte. Je stärker diese kollektive Erinnerung wird, desto bedeutender wird auch der Fussball selber hierzulande. Mugglin und Widmer haben einen ersten Tropfen Wasser für die fussballhistorische Wüste Schweiz beigesteuert. Dafür gebührt ihnen der Dank aller Fussballinteressierten hierzulande.

Stärkeverhältnisse zurechtgerückt

Mämä Sykora am Mittwoch den 19. Oktober 2011


Es war eigentlich ein guter Auftritt der Basler gestern im St. Jakob-Park gegen Benfica Lissabon. Mit Ausnahme von Steinhöfer, dessen Flanken allesamt ungenügend waren, blieb kein FCB-Profi unter den Erwartungen, Shaqiri fiel zumindest eine Stunde gar besonders positiv auf, und doch resultierte am Schluss eine 0:2-Niederlage gegen den portugiesischen Rekordmeister, die sich im Kampf um die beiden zum Aufstieg in die K.o.-Phase berechtigten Plätze als fatal herausstellen könnte.

Benfica war keineswegs deutlich überlegen, und doch hat der Auswärtssieg die Stärkeverhältnisse in der Gruppe C nach dem sensationellen Remis der Basler bei Manchester United wieder zurechtgerückt. Für einige war das grosse Spiel im Old Trafford der endgültige Beweis dafür gewesen, dass der hierzulande dominierende FCB nun auch international mit den ganz Grossen mithalten kann. Auch hier im Steilpass wurde kommentiert: «Es wäre langsam an der Zeit, dass männiglich sich im Klaren darüber wird, dass der FCB mittlerweile zu einer europäischen Spitzenmannschaft aufgestiegen ist.» Doch um nach all den ornithologischen Kalauer nach dem Abgang von Fink und dem Vertrauen in Vogel einen weiteren zu bemühen: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.

Auch wenn die Partie gegen Lissabon über weite Strecken ausgeglichen verlaufen ist, mussten doch jene vermeintlich kleinen Dinge auffallen, die eine gute von einer sehr guten Mannschaft unterscheidet: Die Ballsicherheit, das schnelle Umschalten, die genaueren Zuspiele, das Verhalten im Zweikampf und vor allem eben: die Kaltschnäuzigkeit. Die Partie erinnerte unweigerlich an die Begegnungen zwischen Basel und Bayern München in der letzten Champions League, als man ebenfalls sehr gut mitspielte, und doch ohne Punkte blieb.

Benfica ist nicht Bayern. Gerade mal zwei Meistertitel holte das einstige europäische Schwergewicht in den letzten 15 Jahren, dazu erlebten die Rot-Weissen in den letzten beiden Jahren einen wahren Aderlass. Die besten Spieler zogen – wie nach jeder Spielzeit – weiter: Unter anderem mussten Angél Di Maria (für 44 Mio. zu Real), David Luiz (40 Mio, Chelsea), Fábio Coentrão (40 Mio, Real) und Ramires (29,5 Mio, Chelsea) ersetzt werden, mit 17 Neuzugängen alleine auf diese Saison befindet sich die Mannschaft im Umbruch. Und dies seit Jahren permanent. Und dennoch hatte man im gestrigen Spiel den Eindruck, dass das Team genug gefestigt ist, um Basel zwar viel Freiräume zugestehen, im richtigen Moment aber jederzeit wieder zulegen zu können.

Und so spiegelte die Partie ziemlich genau die nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen der europäischen Mittelklasse und einer besseren Mannschaft wider. Der FCB steht in der Rangliste der Klubkoeffizienten trotz alljährlicher Qualifikation für den Europacup auf Platz 52, Benfica auf Platz 17. Der Unterschied ist in den letzten Jahren erfreulicherweise kleiner geworden, er wird dennoch jede Saison wieder sichtbar. Für Basel ist nicht ein 3:3 bei Manchester United oder ein 2:1 bei der AS Roma der Normalfall, sondern eben ein 0:2 zu Hause gegen Benfica trotz guter Leistung oder gar ein 0:5 bei Schachtjor Donezk. Platz 3 in der Champions-League-Gruppenphase ist ein Erfolg, für mehr reicht es in 9 von 10 Fällen nicht.

Man soll sich zwar nicht kleiner machen, als man ist, aber als Schweizer müssen wir uns daran gewöhnen, dass solche Exploits wie der des FCB in England oder der des FCZ in Mailand eine absolute Ausnahme sind. Und wir sollten auch lernen, nicht immer gleich von einem Extrem ins andere zu fallen. Nach einem sensationellen Auswärtspunkt gehören unsere Spitzenteams noch lange nicht zu Europas Elite, und wenn sie gegen Cluj, Dnjepropetrowsk oder MyPa patzen, ist noch lange nicht alles im Argen. Freuen wir uns, wenn ein Schweizer Verein die realistische Zielvorgabe – im Falle Basels der dritte Gruppenrang – erreicht. Dieses Jahr wird zwar nicht mehr drin liegen, vielleicht passiert es aber wieder mal wie in der Saison 2002/03. Auch dann wäre und bliebe es eine Sensation, zum Normalfall wird es nie werden.

Die Challenge League: Die härteste Liga der Welt

Mämä Sykora am Montag den 17. Oktober 2011

Während die meisten Vereine in Europa in ihren Ligen liegen gelassenen Punkten nachtrauern oder vielleicht händeringend nach einem Ersatz für den plötzlich zur Konkurrenz gezogenen Leistungsträger suchen, stehen viele Klubs der Challenge League zurzeit deutlich grösseren Problemen gegenüber. Für sie geht es ums nackte Überleben. In dieser Saison noch viel mehr als ohnehin schon üblich.

Ende Mai wurde die geplante Reform der Liga bestätigt. Diese umfasst neben der Reduktion auf 10 Teams und der Schaffung der 1. Liga Promotion auch die Abschaffung der Barragespiele mit dem Zweitletzten der Super League. Auch in der neuen dritthöchsten Spielklasse wird fortan nur der Erste aufsteigen. Das Ziel ist klar: Die Challenge League soll kompetitiver werden, das Gefälle verringert, die Attraktivität für junge Talente der Grossklubs und die Qualität ebenso wie die Zuschauerzahlen gesteigert werden.

Der Blick über die Grenzen war für die Initianten bestimmt eine Inspiration. In Deutschland wurde die Ligastruktur ebenfalls mit der Einführung einer professionell vermarkteten 3. Liga umgekrempelt. Doch selbst hartgesottenen Optimisten dürfte klar sein, das hierzulande kein ähnlicher Effekt eintreten wird. In der dritthöchsten Spielklasse Deutschlands spielen Traditionsvereine wie Arminia Bielefeld, Saarbrücken, Kickers Offenbach oder Darmstadt, in der Schweiz lässt sich nicht einmal die zweithöchste Liga vermarkten. Nach dem Rückzug von Dosenbach hat die Liga nicht einmal mehr einen Titelsponsor mehr finden können, im TV gibt’s nur jeweils ein Spiel am Montag auf SSF zu sehen, im «Sportpanaroma» gibt’s wie auch in den meisten Zeitungen selbst die Resultate nicht mehr.

Die meisten Challenge-League-Vereine operieren mit einem Mini-Budget. Die paar Hundert Zuschauer decken kaum die Kosten für das Stadion, einen Sponsor zu finden ist bei nahezu null Medienpräsenz sehr schwierig. So kicken denn auch viele Profis für einen Hungerlohn, andere arbeiten noch nebenbei. Trotz den stets gestiegenen Anforderungen an die Infrastruktur hielten sich die Vereine – mit Ausnahme von Concordia Basel und FC La Chaux-de-Fonds – irgendwie über Wasser, meist dank herzhaftem Einsatz von einzelnen Personen oder der Spendierlaune von Gönnern. Nun soll auf einmal alles professionell werden. Die Stadien, die Vermarktung und die Spieler. Doch woher soll das Geld dafür plötzlich fliessen?

Dieser bedrohliche Trennstrich unter dem 10. Rang wird nun für viele Klubs zur existenziellen Gefahr. Wer drunter rutscht, dem droht der Fall in die Bedeutungslosigkeit, ein Wiederaufstieg ist nahezu ausgeschlossen. Und weil der Sport nicht kalkulierbar ist, kämpfen nun auch NLB-Dinos gegen den Abstiegssog. Der FC Winterthur etwa, souveräner Leader in der ewigen Rangliste der NLB mit dem aktuell dritthöchsten Zuschauerschnitt der Liga und einer aktiven und innovativen Fanszene. Aber auch Locarno, Delémont, Etoile Carouge und sogar Vaduz.

Schon bald kommt die Winterpause und damit für jene Vereine, über denen das Damokles-Schwert schwebt, die letzte Chance, korrigierend einzugreifen. Man muss wohl mit Panikkäufen rechnen und damit auch mit der Gefahr, dass sich einige Klubs finanziell übernehmen. Bei einem Abstieg würde sich dies zwar erledigen, dafür käme es einem Verschwinden von der Fussball-Landkarte gleich. Vielleicht für immer, zumindest aber wohl auf lange Zeit. Im Falle eines Klassenerhalts hingegen könnten solche Transfers eine (zu) schwere Hypothek sein, zumal nicht damit zu rechnen ist, dass eine Begegnung wie Wohlen gegen Nyon auch dann zum Kassenschlager und Publikumsmagnet wird, wenn sie vier Mal im Jahr ausgetragen wird. Ganz zu schweigen davon, dass die geringe Durchlässigkeit der Ligen viel von der Spannung raubt. Wer auch immer den prädestinierten Aufsteiger St. Gallen ersetzt, wird in der Saison 2012/13 für fast alle verbleibenden Teams in der Challengue League ausser Reichweite sein.

Der Kampf der kleinen Vereine gegen die Reform war vergebens, sie finden sich nun im Überlebenskampf in der vielleicht härtesten Liga der Welt wieder. Begonnen hat er genau jetzt, und viele werden dabei auf der Strecke bleiben. Schade für den Schweizer Fussball, weil mit Sicherheit in wenigen Jahren erneut eine grosse Reform anstehen wird, wie das in der Vergangenheit regelmässig der Fall war. Es ist zu befürchten, dass einige Klubs die nächste Reform nicht mehr erleben werden.

Die Folgen von Finks Flucht

Mämä Sykora am Samstag den 15. Oktober 2011

Der Abgang von FCB-Trainer Thorsten Fink zum HSV hat vor allem zwei Dinge gezeigt. Erstens: Für einen Profi ist der Letzte in der Bundesliga noch immer attraktiver als der Branchenprimus, Titelanwärter und Champions-League-Teilnehmer in der Schweiz. Und zweitens: Verträge – selbst ohne Ausstiegsklausel – werden wirklich lediglich darum abgeschlossen, damit der Verein bei einem vorzeitigen Abgang eine nette Ablösesumme kassiert.

Gerade das Zweite ist natürlich nichts Neues. Kaum einer bleibt im Fussballbusiness bis zum Ablauf seines Vertrags im Verein. Immer lächerlicher werden hingegen die Spielchen im Vorfeld eines Transfers. Da wird dementiert, Treue versichert, der eigene Verein schön und stark geredet. Im Falle Finks hörte man erst vom Interesse der Norddeutschen, dann kam die klare Absage, zwei Tage später war der Trainer doch weg, nur um bei der Ankunft in Hamburg in einem Interview mit Hsv.de zu sagen: «Ich habe bei der Entscheidung nicht lange überlegt.»

Und dies notabene bei jenem Thorsten Fink, der sich stets überschwänglich über den FCB und dessen tolle Möglichkeiten und Perspektiven geäussert hat. Verständlich, dass sich durch diesen plötzlichen Abgang viele Basel-Fans vor den Kopf gestossen fühlen und von ihrem Ex-Trainer sehr enttäuscht sind.

Aus der Sicht von Fink ist der Wechsel hingegen durchaus verständlich. Der HSV hat zwar gerade mal 4 Punkte auf dem Konto und steht auf dem letzten Tabellenplatz, der Kader ist dennoch gut genug, um den Abstieg zu vermeiden, zumal der Rückstand noch nicht gross ist. Darüber hinaus steht den stets klammen Hamburgern nach den Abgängen von Elia, Pitroipa und Mathijsen etwas Geld für Verstärkungen in der Winterpause zur Verfügung. Da die Erwartungen für den weiteren Verlauf der Meisterschaft deutlich gesunken sind, muss Fink den Verein lediglich vor dem Abstieg bewahren, um seinen Job zu bewahren. Wenn er das schafft, ist seine Rechnung aufgegangen, und er wird dem FCB keine Träne nachweinen.

Für Fink wird die Umstellung keine leichte sein. Beim FCB profitierte er davon, die stärksten Spieler der Liga unter sich zu haben, sein Offensivfussball funktionierte mehrheitlich dank der Klasse der Spieler. Bei Ingolstadt, das in der 2. Bundesliga diese Möglichkeiten nicht hatte, klappte es überhaupt nicht. Anscheinend ist man bei den Hanseaten der Ansicht, dass einer, der in Manchester ein sensationelles Remis holt, auch ihr Team zu Höhenflügen führen kann. Ob Fink auch mit spielerisch nicht überlegenen Mannschaften Erfolg haben kann, wird sich in den nächsten Wochen weisen.

Für den FCB wird sich nach dem Abgang nichts ändern, sofern Fink nicht in der Winterpause einige FCB-Spieler in den Norden lotst, wie es einst Lucien Favre als Hertha-Trainer mit dem FCZ gemacht hat. Die Qualität im Team stimmt trotz gewissen Problemen in der Defensive, die Taktik wird auch der ehemalige Assistent Heiko Vogel nicht ändern. Der FCB bleibt so auch nach Finks unschönem Abgang Titelaspirant und sogar Anwärter auf ein Aufsteigen in die K.-o.-Phase der Champions League. Egal, ob Vogel ein längerfristiges Engagement bekommt oder ob in der Winterpause Murat Yakin ans Rheinknie gelockt wird und sich damit exakt jene Vorgänge wiederholen würden, die der Verein kritisiert hat.

Ich wünsche mir, dass der FC Basel eine andere Lösung findet, dass Vogel zumindest bis Ende Jahr bleiben kann oder ein frei verfügbarer Trainer eingestellt wird. Es soll auch ein Zeichen des Respekts und der Fairness sein, sich nicht mitten in der Saison bei kleineren Vereinen zu bedienen und damit eine verhängnisvolle Kettenreaktion auszulösen, bei der die Kleinsten auf der Strecke bleiben. Und ein Zeichen von Grösse, wenn man nach einer solchen Enttäuschung leer schluckt und weitermacht, anstatt den gleichen Weg zu gehen. Denn was passieren wird, wenn ein grosser (und zahlungskräftiger) Verein mit einer Anfrage an einen Trainer herantritt, wissen wir spätestens jetzt. Abwägung, Absage, Treueschwüre, Vereinslob – und dann der plötzliche Abgang.

Zusammenschluss in Europas Fussball

Mämä Sykora am Mittwoch den 12. Oktober 2011

Die Guten ins Töpfchen: Andrei Schewtschenko zieht die Schweiz bei der Auslosung zur EM-Qualifikation 2012 in Warschau. (Bild: Keystone, 7.2.2010)

Die Auslosung von Qualifikationsgruppen wird nach Töpfen vorgenommen, die die Stärke der Mannschaften abbilden sollten. Dafür werden die Ergebnisse der letzten Jahre herbeigezogen. In der Vergangenheit liefen die Teams sehr oft genau so im Ziel ein, wie es die Lostöpfe vorgesehen hatten. Mittlerweile ist einiges durcheinander geraten. In den soeben abgeschlossenen Gruppenspielen der EM-Qualifikation für 2012 gab es nur zwei Gruppen (F und H), bei denen die Schlusstabelle identisch mit der Lostopf-Tabelle war.

Doch nicht nur dies: Nur bei zwei weiteren Gruppen «stimmen» wenigstens die beiden Teams, die direkt qualifiziert sind bzw. im Playoff stehen. Überraschungen gab es einige: Mit Montenegro und Estland stehen gar zwei Mannschaften aus Lostopf 5 in der Barrage. So etwas wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.

Aus der Mehrklassengesellschaft im europäischen Fussball ist eine Dreiklassengesellschaft geworden. An deren Spitze stehen die ganz Grossen: Spanien, die Niederlande, Deutschland, Italien, mit Abstrichen auch England. Für diese ist die Qualifikation lediglich ein gutes Training, gefordert werden sie kaum. Deutschland wies 13 Punkte Vorsprung auf den Zweiten auf, Italien immerhin 10. Die Teams, die diese Mannschaften noch vor wenigen Jahren fordern konnten, haben den Anschluss verloren. Wer fürchtet sich heute noch vor Rumänien, Bulgarien, Schweden oder Tschechien? Sie sind zwar immer für eine erfolgreiche Qualifikation gut, je nach Gruppe und Form ist aber auch ein kompletter Absturz möglich. Und im direkten Duell gegen die ganz Grossen sind sie meist ohne jegliche Chance.

Nicht nur der Rückstand auf Europas fussballerische Elite ist angewachsen, gleichzeitig kam es zum grossen Zusammenschluss der Mittelklasse. Von Topf 2 bis hinunter zum Topf 5 haben fast alle Mannschaften eine realistische Möglichkeit, sich für eine Endrunde zu qualifizieren. Gerade die ehemals kleinen Teams aus Osteuropa haben einen grossen Sprung nach vorne gemacht. Neben Montenegro und Estland steht auch Bosnien-Herzegowina in der Barrage, Armenien durfte bis zum letzten Spieltag hoffen.

Als letzte Gruppe bleiben die Fussballzwerge wie San Marino, Liechtenstein, Andorra etc., die zwar immer für einen Überraschungserfolg gut sind, aber jeweils ohne Qualifikationschancen bleiben.

Die Schweiz teilt ihre Mittelklasse neu mit einer grossen Anzahl Mannschaften. Für den Fussball ist das wunderbar. Erstens werden die vielen Qualifikationsspiele spannender, und zweitens liegt heute für einige vormals chancenlose Teams das Erreichen der Endrunde tatsächlich im Bereich des Möglichen. Für das Geschäft Fussball ist das hingegen ein Debakel. Montenegro, Estland und Armenien lassen sich sehr schlecht vermarkten, bei Partien mit diesen Beteiligten rümpfen Sponsoren die Nase. Und es wird für sie noch schlimmer: Ab 2016 sind 24 Mannschaften zugelassen, da werden mit Sicherheit einige EM-Neulinge mitspielen.

Diese neue Spannung begrüsse ich einerseits sehr. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell sich einige Nationalmannschaften vom Kanonenfutter zum respektierten Gegner entwickelt haben. Man muss aber auch sehen, dass dieser Zusammenschluss nur möglich war, weil die obere Mittelklasse massiv an Qualität eingebüsst hat. Zumindest hier steht die Schweiz nicht allein.

Ich jedenfalls freue mich auf die EM 2016 mit Weissrussland, Litauen und Finnland. Auch wenn – oder vielleicht gerade weil – es für die Fan-Zonen und die EM-Vermarkter ein Graus ist.