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Wünsche für das neue Fussballjahr

Mämä Sykora am Donnerstag den 27. Dezember 2012

Liebe Leserinnen und Leser
Dies ist leider der letzte Steilpass-Blog von Mämä Sykora. Für seine präzisen Analysen, humorvollen Beiträge und engagierten Voten möchten wir Mämä danken. Er hat den Blog in den letzten Jahren entscheidend mitgeprägt und eine grosse, begeisterte Leserschaft gewonnen. Für die Zukunft alles Gute! Die Redaktion.

Sion-Spieler Serey Die lässt sich im Barrage-Spiel gegen den FC Aarau dramatisch fallen, Mai 2012. (Keystone)

Schwalben sind das Letzte: Sion-Spieler Serey Die lässt sich im Barrage-Spiel gegen den FC Aarau dramatisch fallen, Mai 2012. (Keystone)

Das Jahr ist bald vorbei. Höchste Zeit also, sich seine Wünsche für das neue Jahr zurechtzuschustern. Gerne verzichte ich auf meine eigenen auf Kosten dieser Dinge, die ich mir vom Fussball in 2013 wünsche. Oder zumindest in einer nicht so fernen Zukunft, dass erst meine Urenkel davon profitieren können.

Stoppt die Überdosis! Ich mag Fussball. Ich liebe ihn sogar. Doch selbst bei mir löst die stetige Erhöhung der Anzahl Spiele jährlich nicht etwa eine zunehmende Befriedigung aus, sondern eher ein Überdruss. Eine Champions League mit 64 Mannschaften, eine EM mit 24 Teams – völliger Blödsinn! Reduktion statt Explosion muss es heissen. Behaltet bitte die «Kracher» und «Klassiker» auf einem Minimum, denn nur dann bekommen sie auch diese Aufmerksamkeit, die ihnen gebührt.

Erlegt die Schwalben! Es kann nicht sein, dass unser Lieblingssport derjenige ist, in dem mit riesigem Abstand am meisten geschauspielert, geschummelt, simuliert und betrogen wird, so dass man sich gegenüber Anhängern anderer Sportarten schämen muss. Wo sind Fairness, Ehrlichkeit und Sportsmanship hin? Eine gelbe Karte dafür, dass man mit einer Schwalbe jeglichen Anstand vermissen lässt und betrügen will? Lächerlich. Die Rettung des Fussballs funktioniert in diesem Fall nur über knallharte Bestrafungen. Hier geht es nicht um kleinere Unsportlichkeiten, sondern um Betrug. Genau wie beim Doping. Deshalb müssen solche Dinge auch gleich sanktioniert werden. Mit schmerzhaften langen Sperren.

Realismus in den Verwaltungsräten! Toll, wir sind derzeit die Liga mit dem höchsten Trainerverschleiss weltweit. Und dies, weil anscheinend die meisten Verwaltungsräte der Super-League-Vereine den Eindruck haben, ihr Verein müsse doch viel besser dastehen, als er es derzeit tut. Liebe Herren, lasst euch nicht immer von eurem Fanblick irreführen und glaubt den Experten im Klub, wenn sie die Möglichkeiten des Teams erörtern. Und glaubt ihnen auch, dass es Zeit braucht, um eine Mannschaft in Gang zu bringen. Den Trainer zu feuern ist wahrlich nicht immer die beste Lösung.

Bleibt hier, Jungs! Liebe junge Fussballer, schaut euch bitte mal die Einsatzminuten eurer jungen Landsmänner im Ausland an, bevor ihr nach 2, 3 guten Spielen irgendwohin wechselt. Ja, ihr habt Talent. Und ja, ihr verdient dort verdammt gut. Aber erinnert euch doch mal daran, weshalb ihr Fussballer werden wolltet. Wegen den tollen Spielen, den Trophäen, der Freude. Reift erst mal hier zu Leistungsträgern, die Zeit rennt euch nicht davon! Es ist auf jeden Fall schöner, hier etwas zum Spiel beizutragen als in Kiew, London oder Wolfsburg auf der Bank oder der Tribüne zu sitzen.

Denkt daran: Es ist ein Spiel! Diesen Satz sollten sämtliche Beteiligten auf dem Platz und auf der Tribüne jeden Tag mantrisch wiederholen. Ihr Fussballer messt euch mit anderen, tut dies bitte auch so, wie ihr es mit Freunden tun würdet. Und ihr Fans unterstützt euren Verein genau gleich wie die anderen Fans ihre Mannschaft. Es gibt keinen Grund, weshalb ihr nicht nach dem Schlusspfiff mit ihnen ein Bier trinken gehen könnt. Ihr schaut lediglich 90 Minuten einem Spiel (!) zu.

Nicht nur das Jahr geht zu Ende, sondern mit dem heutigen Blog auch meine Zeit als Autor des «Steilpass». Nach eineinhalb Jahren, 153 Blogs und über einer halben Million Zeichen überlasse ich das Feld anderen. Ich bedanke mich bei euch Lesern für die Aufmerksamkeit und die spannenden Diskussionen. Es war mir eine Freude!

Wer weiterhin von mir lesen, hören und sehen will, der abonniert natürlich das Magazin ZWÖLF und schaut ab dem 23. Januar jeweils um 18 Uhr die Sendung «ZWÖLF – Die Fussballbar» auf SSF. Ich wünsch euch allen einen guten Rutsch und ein tolles 2013!

Nachtrag: Wir freuen uns ab Januar Birgit Schönau als Bloggerin im Steilpass begrüssen zu können. Einen guten Rutsch! Die Redaktion.

Die falschen Ziele des «Financial Fair Play»

Mämä Sykora am Montag den 24. Dezember 2012
Scheich Abdullah bin Nasser Al-Thani und Real-Madrid-Präsident Florintino Perez, Oktober 2010. (Keystone)

Der FC Málaga wurde von der Uefa für ein Jahr vom Europapokal ausgeschlossen: Málaga-Besitzer Scheich Abdullah bin Nasser Al-Thani und Real-Madrid-Präsident Florentino Perez, Oktober 2010. (Keystone)

Kurz vor Weihnachten bekam der FC Málaga ein Geschenk, auf das er gerne verzichtet hätte. Die Uefa schloss den Champions-League-Gruppensieger wegen Verstössen gegen die «Financial Fair Play»-Regelung für ein Jahr aus dem Europapokal aus. Die aktuelle Spielzeit ist davon nicht betroffen, sollten sich die Andalusier in den nächsten vier Jahren aber wieder qualifizieren, wird ihr Startplatz weitergegeben. Grund für die Strafe sind ausstehende Gehaltszahlungen an Spieler in Millionenhöhe sowie Schulden beim spanischen Staat.

Für viele Leute gilt diese Massnahme als Beweis dafür, dass die Uefa es wirklich ernst meint mit dem «Financial Fair Play» (FFP). Erklärtes Ziel der Vorschriften ist es, zu verhindern, dass Vereine deutlich über ihre Verhältnisse leben und Schulden anhäufen. Fortan dürfen nur jene Klubs im Europacup mittun, deren Ausgaben und Einnahmen sich über die letzten drei Jahre in etwa die Waage halten. Die Absicht dahinter ist löblich, doch es bestehen grosse Zweifel daran, wie konsequent die Uefa gegen Verfehlungen vorgehen wird. Den Fall Málaga nutzt Michel Platini nun als Beweis dafür, dass mit aller Härte vorgegangen wird: «Es scheint, als ob einige Klubs die Botschaft nicht verstanden haben. Es ist Zeit, die neuen Regeln ernst zu nehmen.»

epa03496448 Malaga's Uruguayan striker Seba Fernandez (L) duels for the ball with Anderlecht's Swedish defender Behrang Safari, during the UEFA Champions League group C soccer match played at Rosaleda stadium in Malaga, southern Spain, on 04 December 2012.  EPA/Jorge Zapata

Málagas Seba Fernandez (l.) im Zweikampf mit Anderlecht-Spieler Behrang Safari, 4. Dezember 2012. (Keystone)

Nur: Málaga ist ein einfaches Opfer. 2010 wurde der klamme Verein vom katarischen Scheich Abdullah bin Nasser al-Thani übernommen, der teure Stars wie Demichelis, Saviola, van Nistelrooy oder Santi Cazorla holte und damit die Lohnsumme immens aufblähte. Nach einem Jahr drehte al-Thani ohne Angabe von Gründen den Geldhahn zu, was zu den erwähnten Löchern in der Kasse führte. Dass so ein Verein bestraft wird, ist als Warnung an Klubs mit ähnlichen Plänen bestimmt wertvoll, doch ob auch gegen die grossen Namen im europäischen Fussball so vorgegangen wird, muss sich erst weisen. DFL-Vizepräsident Heribert Bruchhagen formulierte es so: «Mir fehlte bislang der Glaube, dass man auch bei den Big Playern in der Lage ist, die Sanktionen durchzuhalten. Nichts gegen den FC Málaga, aber die Entscheidung wird erst fallen, wenn es einen der ganz grossen in Europa trifft.»

Tatsächlich zielt die neue Regelung nicht darauf ab, hoch verschuldete Vereine zu sanktionieren, sondern sie zum «nachhaltigen Wirtschaften» anzuhalten. Alleine die Premier-League-Vereine sind mit über 4,8 Milliarden Franken verschuldet, auch bei Real Madrid ist es über eine halbe Milliarde. Dies wird auch in Zukunft möglich sein. Darüber hinaus kann bei Vereinen mit einem schwerreichen Investor die Möglichkeit des «Selbst-Sponsorings» nicht ausgeschlossen werden. Manchester City etwa schloss mit Etihad Airways einen Deal ab, der dem Klub über 10 Jahre absurde 600 Millionen Franken einbringt. Schliesslich ist Scheich Mansour bin Zayed Besitzer beider Unternehmen. Als Vergleich: Arsenal generiert durch den Sponsoringvertrag mit Emirates aus dem Jahre 2004 in 15 Jahren nicht einmal einen Viertel dieser Summe. Fortan sollen deshalb gemäss FFP solche Sponsoringdeals «in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu Konkurrenzprodukten» stehen, ansonsten werden sie in der Einnahmen-/Ausgaben-Rechnung nicht berücksichtigt.

Die Uefa hat sich mit der vollmundigen Ankündigung des gnadenlosen Kampfes gegen Misswirtschaft weit aus dem Fenster gelehnt. Denn sie ist auf ihre Top-Vereine angewiesen, denn nur sie bringen die lukrativen TV- und Sponsoring-Verträge. Ein Ausschluss von Real Madrid oder Chelsea hätte eine Abwertung des Wettbewerbs zur Folge. Zudem zeigt das Beispiel von Manchester City, dass sich mit jeder Regelung neue Schlupflöcher auftun. Selbst kleine Vereine umgehen die Vorschriften mit verworrenen Geschäften. Zweifel an der Tauglichkeit der FFP-Regelungen kamen auf, als das hochverschuldete Real Saragossa im letzten Jahr für 10 Mio. Franken von Benfica Torwart Roberto Jiménez übernahm. Der Verein selber steuerte nur einen winzigen Teil dieser Summe bei, den Rest übernahm ein Investmentfonds mit Sitz auf Jersey, dem der Präsident von Saragossa angehört und der von einem Spielervermittler geführt wird.

Dass angesichts der unzähligen Umgehungsversuche ebenso viele Gerichtsverfahren vorprogrammiert sind, ist nur eine Schattenseite des FFP. Einschneidender ist die Tatsache, dass die derzeit dominierenden Vereine damit zur «geschützten Gruppe» werden. Sie werden zwar in Zukunft grössere Anstrengungen auf sich nehmen müssen, um an Geld zu kommen und entsprechend zu bilanzieren, dafür wird es für die Konkurrenz noch schwerer, die Lücke zu den Topvereinen zu schliessen. Denn dies wäre nur mit grossen Investitionen möglich – wie etwa bei Manchester City –, und solche sind fortan nicht mehr erlaubt. Karl-Heinz Rummenigge begrüsst dies natürlich: «Will man die Manchester Citys dieser Welt fördern? Ich als Fussballfan will Inter, Real, Barcelona, Bayern, Milan, Manchester United sehen. Weil das über viele Jahre hinweg die besten Klubs der Welt sind und Tradition haben.» Und damit werden die wahren Ziele der neuen Regelung auch schon offensichtlich: Der «Klub der Grossen» soll gegen von Scheichs und Oligarchen unterstützte Emporkömmlinge abgeschottet werden. Im Falle Málagas hat dies schon mal bestens funktioniert. Nun kommen wohl bald PSG und Anschi Machatschkala an die Reihe. Mehr wird das als Revolution angekündigte FFP nicht bewegen. Schade.

Liebe Leserinnen und Leser, über die Festtage kann es etwas länger dauern, bis Ihre Kommentare freigeschaltet werden. Wir bitten Sie um Ihr Verständnis. Die Redaktion.

Wie man über Fussball spricht

Mämä Sykora am Donnerstag den 13. Dezember 2012
Haben sie eine Ahnung? Milans Nesta (r.) diskutiert mit Crespo vom Stadtrivalen Inter, 7. Mai 2003. (Bilder: Keystone)

Haben sie eine Ahnung? Milans Nesta (r.) diskutiert mit Crespo vom Stadtrivalen Inter, 7. Mai 2003. (Bilder: Keystone)

In Umberto Ecos grossartigem Buch «Wie man mit einem Lachs verreist» erteilt der italienische Autor dem geneigten Leser diverse Ratschläge für Alltagssituationen. Es findet sich sogar ein Kapitel, das erläutert, wie man nicht von Fussball spricht. Denn Herr Eco mag den Fussballfan nicht, und zwar «weil er eine seltsame Eigenart hat: Er kapiert nicht, dass man selbst keiner ist, und beharrt darauf, mit einem so zu sprechen, als ob man einer wäre.» Dabei könnte sich Herr Eco glücklich schätzen in seiner Situation, denn er muss nicht darüber sinnieren, wie man über Fussball spricht. Nach jahrelangen Feldstudien bin ich nämlich zum Schluss gekommen, dass man das am besten überhaupt nicht tut. Ausser – und wirklich nur in diesem einen Fall – man befindet sich in Gesellschaft bester Freunde, die allesamt das Gleiche wertschätzen, sei dies die Art des Fussballspiels oder die bevorzugte Mannschaft.

Denn aus irgendeinem Grund – die Suche danach ist eines der am sträflichsten vernachlässigten Forschungsfelder der Wissenschaft – hat jeder, der schon einmal das «Sportpanorama» verfolgt hat, das Gefühl, er sei die höchste Instanz in Fussballfragen, während jeder andere nur ein bemitleidenswerter Plauderi sei. Eine beliebte Replik in Online-Kommentaren ist denn auch der Klassiker, dass der Vorschreiber «keine Ahnung von Fussball» habe. Sie ist sogar so beliebt, dass sie in den letzten zwölf Monaten in exakt dieser Form 179 Mal in Kommentaren zum «Steilpass»-Blog niedergeschrieben wurde. Erstaunlicherweise wird diese Formulierung in Diskussionen über Gentechnologie, die Wirren im Südsudan oder die Weissgeldstrategie kaum bemüht, obwohl in diesen Bereichen tatsächlich sehr viele Leute – mich eingerechnet – «keine Ahnung» haben.

Expertenrunde beim Training: Nati-Coach Artur Jorge (r.) mit Assistenztrainer Hans-Peter Zaugg, 29. Mai 1996.

Expertenrunde beim Training: Nati-Coach Artur Jorge (r.) mit Assistenztrainer Hans-Peter Zaugg, 29. Mai 1996.

Als wären das nicht schon genug Hindernisse in der Fussball-Kommunikation, wird sie zusätzlich erschwert durch die Verbreitung des «Fussball-Babelfischs». In seiner ursprünglichen Form ist der Babelfisch ein Lebewesen aus Douglas Adams’ unbedingt lesenswertem Roman «Per Anhalter durch die Galaxis», das man sich ins Ohr einführt – also den Fisch, nicht den Roman – und dank dem der Träger alle Sprachen versteht. Fussball-, genauer: Vereinsfans tragen indes eine gefährliche Mutation dieses Symbionten in sich, die sämtliche noch so kuschelweichen Äusserungen des Gesprächspartners in verbale Attacken auf den Herzensverein des Babelfisch-Trägers verwandelt.

Klagt also etwa Person A aus Zürich über das bescheidene Niveau der Super League, kommt das bei Person B aus Basel in etwa folgendermassen an: «Der FCB ist eine himmeltraurige Gurkentruppe, bestehend aus lauter Unsympathen erster Güte, die selbst gegen eine Auswahl schwer verletzter Strandfussballer aus Kiribati mit wehenden Fahnen untergehen würde.» Darauf folgt als Replik zwingend – man kann es sich denken – eine Variante aus der Keine-Ahnung-Schublade, angereichert mit einem Assortiment erlesenster Beschimpfungen und Beleidigungen.

Wer sich auf Fussballgespräche ausserhalb seines engsten Kreises einlässt, wird demzufolge entweder als Nixblicker, Neidhammel oder noch viel Schlimmeres bezeichnet. Lohnt sich das? Nur für ein paar Momente verbalen Klingenkreuzens – zumal man in solchen Diskussionen nicht gewinnen kann? Ja, nicht einmal das Rechthaben ist einem vergönnt, denn meistens dominiert der Konjunktiv. Behandelt werden irgendwelche hypothetischen Fragen und Konstellationen, die niemals verifiziert werden können. Man kann also nicht einmal die gewagte These mit den kiribatischen Strandfussballern widerlegen. Oder dass Georges Bregy die Schweizer Nati in die WM-Viertelfinals führen würde. Fussballdiskussionen sind also nicht nur ermüdend, sondern auch zwecklos. Vollkommen. Es gibt nur eins: aufhören, über Fussball zu sprechen. Und genau das werde ich tun. Für immer. Bis morgen zumindest. Oder sagen wir: bis heute Nachmittag.

Mehr Gelb-Schwarz, bitte

Mämä Sykora am Montag den 10. Dezember 2012
Der Wiler Marko Muslin, rechts, gegen den Berner Alasin Nef, links, beim Fussball Achtelfinal-Cupspiel zwischen dem Challenge Laegue Club FC Wil und dem Super League Verein BSC Young Boys in der AFG-Arena in St. Gallen, am Sonntag. 9. Dezember 2012. (KEYSTONE/Walter Bieri)

Der Wiler Marko Muslin (r.) im Zweikampf mit dem Berner Alain Nef (l.) , 9. Dezember 2012. (Keystone/Walter Bieri)

1927 gewann die Schweizer Nati kein einziges Spiel, Dynamo Kiew wurde gegründet und Newcastle United holte seinen bislang letzten Meistertitel. Aber das wichtigste Ereignis in jenem Jahr fand bereits am 22. Januar statt. Dann nämlich wurde die erste Radio-Livereportage eines Fussballspiels ausgestrahlt. Auf BBC konnte man die Partie Arsenal gegen Sheffield United mitverfolgen. Damit die Zuhörer sich das Spiel besser vorstellen konnten, druckten Programmzeitschriften ein in nummerierte Rechtecke eingeteiltes Fussballfeld ab, und während der eine Kommentator das Spielgeschehen rapportierte, nannte ein zweiter jeweils das Feld, in dem sich der Ball gerade befand. Es war der Beginn einer lang anhaltenden und innigen Liaison zwischen dem Fussball und dem Radio, die mit dem Aufkommen des Fernsehens abrupt abkühlte.

So ganz zu Ende ist sie indes noch nicht. Zum Glück. Zwar verbinden nur noch Pensionäre ihre schönsten Fussballerinnerungen mit den Stimmen einst berühmter Radioreporter, doch das Internetzeitalter schuf Nischen für eine Wiederbelebung der Beziehung Fussball/Hörfunk. Das Berner Radio Gelb-Schwarz besetzt so eine Nische (Und ich bin froh, dass ich den Namen nur schreiben und nicht sagen muss. Dieses «Gäub» ist wohl für Zürcher das, was das «Chuchichäschtli» für Nicht-Schweizer ist) . Seit dreieinhalb Jahren kommentieren Simon Klopfenstein und Brian Ruchti die Spiele ihrer Young Boys und haben in dieser Zeit eine treue Fangemeinde gewonnen. Im Schnitt verfolgen rund 3000 Personen ihre emotionalen Matchberichte.

Gestern waren sie natürlich wieder im Einsatz. YB spielte in St. Gallen im Schweizer Cup gegen den FC Wil. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt bauten sie in der AFG-Arena ihr Material auf und versorgten ihre Hörerschaft mit Informationen zu jenem Spiel, das für YB zum Debakel werden sollte. Sie taten dies trotz des erschütternden Spielverlaufs wie immer. Mit viel Humor, aber ohne in Blödeleien abzudriften. Mit guten Analysen, ohne trocken zu wirken. Und mit sehr viel Engagement und Leidenschaft. «Parteiisch, aber fair» heisst der Slogan von RGS. Er passt perfekt.

In St. Gallen mussten Simon* und Brian ziemlich leiden. Nicht nur die miserable Leistung ihres Teams machte ihnen zu schaffen, auch der starke Schneefall verlangte nach kreativen Lösungen, um die Ausrüstung zu schützen. So berichteten die RGS-Kommentatoren zwischen versandeten YB-Angriffen vom Bau eines Schutzwalls aus Papier, begleitet von ironischen Ratschlägen an die Adresse des Architekten des Stadions. Es sind diese Momente, die RGS zum besonderen Genuss machen. Mühelos wechseln sie zwischen zwangslosen und unterhaltenden Plaudereien und Aufschreien nach verpassten Chancen oder hanebüchenen Fehlpässen. Wer eine Partie auf RGS verfolgt, der fühlt sich, als sässe er selbst mit Freunden im Stadion, wo man ebenso wenig ausschliesslich übers Spiel spricht.

So hört man Brian auch mal ein Lied summen, dessen Name ihm partout nicht einfallen will. Derweil fordert Simon den Einsatz von Müslüms «Süpervitamin», um den 0:3-Rückstand beim Unterklassigen noch aufzuholen. Gepaart mit dem unbestreitbaren Fussballwissen der beiden Herren ergibt das eine erfrischende Mischung und damit eine willkommene Alternative zur ewig gleichen und biederen Fussballberichterstattung auf anderen Kanälen.

Derzeit kommen nur YB-Fans in den Genuss einer Radioreportage, die so informativ und unterhaltend ist, dass man ganz vergisst, dass man gar keine Bilder vom Spiel hat. Es ist höchste Zeit, dass ein ähnliches Konzept in den nationalen Sendern eingeführt wird. Wer braucht denn schon die holprigen Teleclub-Livespiele im TV, wenn man stattdessen ein ungemein eindrücklicheres Erlebnis beim Fussball-Hören haben kann? Die Schweizer TV-Aufarbeitung des Fussballs ist mittlerweile derart lieblos, dass die zweite grosse Radiorevolution nach 1927 dringend gebraucht wird.

* RGS betreibt Nachwuchsarbeit: Wie nicht nur einige Kommentatoren, sondern auch die Beteiligten selber anmerkten, war gestern nicht «Simu», sondern Praktikant Dario Hitz mit Brian im Einsatz. Dass der Autor dies nicht bemerkte, spricht durchaus für die Qualität der Nachwuchsarbeit bei RGS.

So ein GC braucht die Liga!

Mämä Sykora am Montag den 3. Dezember 2012
(Keystone)

Spielt ein Club wie GC gut, profitieren alle: GC-Fankurve, 2. Dezember 2012. (Keystone)

18’400 Zuschauer waren gestern Nachmittag im Letzigrund, obwohl die Temperaturen um den Gefrierpunkt lagen und der eine am Spiel beteiligte Verein in einer tiefen Krise und bedrohlich nahe am Strich feststeckt. Über einen solchen Aufmarsch kann man in Basel und Bern nur lächeln und auch in St. Gallen oder Luzern kann das niemand erstaunlich finden, in Zürich aber gibt es in einem solchen Fall Applaus von den Rängen, wenn der Stadionspeaker die Zuschauerzahl bekannt gibt.

Dass Zürich keine Sport- und schon gar keine Fussballstadt ist, ist hinlänglich bekannt. Der Stellenwert unseres Lieblingssports ist verniedlichend gesagt bescheiden in der grössten Schweizer Stadt. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Ein Drittel der 390’000 Einwohner sind Ausländer, vom Rest ist über die Hälfte aus einem anderen Kanton zugewandert und hat eher dort den Herzensverein. Damit verbleiben gerade mal 130’000 Personen, von denen sich die Sportinteressierten nicht nur auf zwei Fussballvereine aufteilen, sondern die auch noch vom ZSC und den EHC Kloten umworben sind. Dies ist zumindest eine Erklärung für das Missverhältnis zwischen Einwohnerzahlen und Stadiongängern in Zürich.

Hinzu kommt, dass es längst nicht nur ein Segen ist, dass die Stadt gleich zwei Vereine in der Super League stellt. Während Stadtpräsidenten, Theaterhausdirektoren, Stadtoriginale, Wirtschaftsvertreter und andere Aushängeschilder der Stadt sich anderswo bedenkenlos als Fans ihres Vereins outen können, weil die ganze Stadt hinter dem gleichen Klub steht, ist die Hemmschwelle bei Zürchern gross, weil man damit Anhänger des Rivalen brüskieren würde. Und gerade solche Aushängeschilder tragen ihren Teil dazu bei, dass der Fussball zum Thema wird, sei es in Alltagsgesprächen oder in den Medien.

FCZ-Spieler Raphael Koch wird von GC-Spieler Amir Abrashi gestoppt. (Keystone)

FCZ-Spieler Raphael Koch wird von GC-Spieler Amir Abrashi (l.) gestoppt. (Keystone)

In Zürich braucht es etwas Anderes, damit der Fussball zumindest einigermassen wahrgenommen wird in der Stadt. Nämlich ein erfolgreiches GC. Trotz der dürren letzten Jahre ist der Mythos nicht verblasst. GC-Fans (oder zumindest Sympathisanten) gibt es noch immer viele, nur waren sie lange Zeit zu erfolgsverwöhnt, wie die spärlich besuchten Meisterfeiern etwa in den Neunzigern bewiesen. Nach der Ablösung als Branchenprimus durch den FCB und vor allem der sportlichen Talfahrt namentlich in der letzten Saison, dürstet man in diesem Lager nach Erfolgen. Und plötzlich können sich einige doch wieder zu einem Stadionbesuch aufraffen.

Der FCZ hingegen wurde in den letzten Jahren zum «Selbstläufer». Selbst im Tabellenkeller und bei wenig glamourösen Affichen ist zumindest die Südkurve gut gefüllt. Das Sportliche hat hier nur bedingt einen Einfluss auf die Besucherzahlen, noch immer steht der FCZ deutlich besser da als der Stadtrivale. Die leidgeprüften Fans werden auch weiterhin in den Letzi pilgern und darauf hoffen, dass diese kurze Phase, in der man die Nummer Eins in der Stadt war, bald eine Fortsetzung findet.

Das wieder erstarkte GC sorgt derzeit dafür, dass Fussball endlich wieder einmal ein Thema ist in der Stadt. Das hilft nicht nur in Sachen Zuschauerzahlen, sondern kann auch anderweitig den Vereinen zugute kommen. Ist Fussball ein Thema, interessiert das auch Sponsoren und Geldgeber, die einen der beiden Stadtvereine unterstützen wollen. Und dies nicht nur in Zürich: Wenn sich das renommierte GC wieder zum ernsthaften Titelkandidaten entwickeln sollte, hat das auch auf den FCB, YB, Luzern & Co. einigen Einfluss. Niemand hat die Zeit vergessen, in der GC die Liga beinahe nach Belieben dominierte und damit für alle Vereine zum Erzrivalen wurde. Und Rivalität belebt das Geschäft enorm.

Je mehr Gegner mit einem solchen Renommee wie GC in der Liga spielen, desto attraktiver ist die Liga. Natürlich nur, wenn die aktuellen sportlichen Leistungen einigermassen mit dem Renommee mithalten können. Bei GC ist dies nun endlich wieder der Fall. Für die Super League ist dies ein Segen.

Überholt von den Kirchenmäusen

Mämä Sykora am Montag den 26. November 2012
Le joueur vaudois Gabriel Garcia de la Torre "Gabri", 2eme gauche, laisse eclater sa joie apres avoir marque le premier but avec le joueur vaudois Salim Khelifi, 2eme droite, a cote de la deception des joueurs bernois Matias Vitkieviez, gauche, et Alexander Gonzalez, droite, lors de la rencontre de football de Super League entre le FC Lausanne-Sport, LS, et le BSC Young Boys ce dimanche 25 novembre 2012 au stade Olympique de la Pontaise a Lausanne. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

Teams mit bescheidenem Budget ziehen an den reicheren Clubs vorbei: Der Lausanner Gabriel Garcia de la Torre (2. v. l.) feiert seinen Treffer gegen YB, 25. November 2012. (Keystone)

Lausanne steht auf Platz 5 der Super League. Zwar mit beträchtlichen 14 Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze, aber schon mit doppelt so vielen Punkten wie Schlusslicht Servette. Lausanne operiert mit einem Budget von ca. 6 Millionen Franken, kann fast nur ablösefreie Spieler holen oder Leihgeschäfte tätigen und hat den zweittiefsten Zuschauerschnitt der Liga. Und doch stehen die Waadtländer in der Tabelle vor YB, dem FCZ und Luzern. Das darf es eigentlich nicht geben.

Die genannten Vereine geben pro Jahr ein Vielfaches für ihr Fanionteam aus und schaffen es dennoch nicht einmal, besser dazustehen als ein zusammengewürfelter Haufen von fussballerischen Restposten, wenn man es etwas böse formulieren würde. Dass viele Schweizer Vereine Jahr für Jahr ihre Ziele nicht erreichen, ist nichts Neues und gehört auch zum nun mal nicht kalkulierbaren Fussballgeschäft. Aber was die Tabelle uns derzeit präsentiert, ist dann doch noch ein ganzes Stück weiter als nur «die Ziele nicht erreicht». Da sind Mannschaften, die sich mit dem FCB um den Titel duellieren oder zumindest europäisch spielen wollten, noch hinter den Kirchenmäusen vom Lac Léman platziert, mit bereits absurdem Rückstand auf die Spitzenplätze.

Die ambitionierten Schweizer Vereine machen es den Underdogs aber auch wirklich besonders leicht. Der FCZ etwa wartet weiterhin verzweifelt auf einen Aufschwung wie damals unter Lucien Favre. So ratlos wie sich die Zürcher am Wochenende beim 0:2 gegen den Tabellenletzten aus Genf präsentierten, so wirkt mittlerweile auch Rolf Fringer. In fast jedem Spiel versucht er eine neue Taktik – einmal fast nur weite Bälle, dann wieder versuchtes Kurzpassspiel wie zu Zeiten Favres –, der Erfolg bleibt stets derselbe. Ob er seinen Job angesichts der Leistungen in Gefahr sehe, wurde Fringer von SF gefragt. Er habe andere Dinge zum Überlegen, es sei ihm eigentlich egal, entgegnete der Österreicher. Zuversicht sieht anders aus.

Egal ob Fischer, Fringer oder schon wieder jemand anders, die Probleme werden die gleichen bleiben. Nämlich dass Ambitionen und Realität weit auseinander klaffen. Beim FCZ gibt es derzeit keine «Goldene Generation» wie jene um Inler, Dzemaili und Abdi. Nach dem Exodus geblieben sind diejenigen, die es nicht weggeschafft haben, ergänzt mit Neuzuzügen, die man sich leisten konnte, und die dennoch gleich vom Fleck weg eine Schlüsselposition einnehmen hätten sollen. Und natürlich auch gleich noch die Mannschaft in den Europacup schiessen. Dass das nicht gehen kann, müsste eigentlich jedem klar sein. Der FCZ hätte nach den vielen Abgängen die Chance auf einen richtigen Neuanfang gehabt, er ist aber in der Hälfte stecken geblieben und steckt deshalb nun in der totalen Krise.

Ähnlich sieht es bei YB aus. Für die Berner, so scheint es, ist die Super League unter ihrer Würde und lediglich ein lästiges Pflichtprogramm. Nicht Lausanne und Thun sollten die Gegner heissen, sondern Udinese und Liverpool. Raúl Bobadilla sprach nach dem Europa-League-Triumph über die Italiener davon, dass der Europacup nun mal eine andere Motivation sei und man da mehr gebe. Das wäre ja schön und gut, wenn man denn mit normalem Einsatz in der Super League gut abscheiden wurde. Nur verlor man eben erst gestern selbst gegen den Zwerg Lausanne und wurde auch gleich von ihm überholt. Fast schon grotesk angesichts der unterschiedlichen Ambitionen dieser beiden Vereine.

Mit dem aktuellen Super-League-Format wären alle Voraussetzungen gegeben, um einigermassen langfristig zu planen und auch einige dürftigere Saisons zu überleben. Es gibt keine Abstiegsrunde mehr, ja nicht einmal mehr ein Relegationsspiel. Nur der Letzte steigt ab, ein paar wenige schaffen es in den Europacup und der Rest spielt im Niemandsland. Und dennoch trauen sich die finanzkräftigsten «Herausforderer» von Basel nicht, konsequent einen Weg zu gehen. Weder die riskante Version «Totalangriff», die mit grossen finanziellen Risiken verbunden ist, noch die Variante «Neuaufbau», mit der man eine Dürreperiode in Kauf nehmen muss. Alle wählen etwas irgendwo zwischendrin und wundern sich dann, wenn man die Ziele bei Weitem nicht erreicht. Während Vereine wie Lausanne, GC oder St. Gallen mit bescheidenen Budgets und Ambitionen in der Tabelle vorbeiziehen…

Wie Fairplay aussieht – und wie nicht

Mämä Sykora am Donnerstag den 22. November 2012

Schachtar Donezks Brasilianer Luiz Adriano verstiess vorgestern im Champions-League-Spiel gegen FC Nordsjælland gegen jegliche Regeln des Fairplays (siehe Video oben). Nach einem Schiedsrichterball wollte Willian den Dänen den Ball zurückspielen, Luiz Adriano hatte jedoch anderes im Sinn: Er ersprintete den Ball, umkurvte den fassunglosen Keeper und schob zum 1:1-Ausgleich ein. Für den übermotivierten Stürmer hier einige Anschauungsbeispiele, wie Fairplay wirklich aussieht.

Arsène Wenger (Arsenal), 1999:
In der 5. Runde des FA-Cups 1998/99 zwischen Arsenal und Sheffield United wollte Ray Parlour den zuvor vom Sheffield-Keeper einer Verletzung wegen ins Aus spedierten Ball zurückgeben. Davon wusste aber Debütant Nwankwo Kanu nichts. Er holte sich den Ball und legte ihn Marc Overmars auf, der den Siegtreffer erzielte. So einen Sieg wollte Arsène Wenger nicht haben und offerierte ein Wiederholungsspiel, das sein Team wiederum mit 2:1 gewann.

Ajax Amsterdam, 2005:
Auch ein als faire Rückgabe gedachter Ball kann zum Problem werden: Im holländischen Pokal wurde ein solcher von Jan Vertonghen immer länger und schlug hinter dem machtlosen Keeper von Cambuur ein. Die ratlosen Ajax-Spieler fanden aber einen Weg zur Wiedergutmachung und liessen die Gäste ohne Gegenwehr einen Treffer erzielen.

Valter Birsa (AJ Auxerre), 2009:
Schiedsrichter sind nun mal nicht unfehlbar. Nach einem Zusammenstoss zwischen Birsa und OM-Akteur Bakari Koné blieb der Slowene am Boden liegen und der Referee zeigte dem erstaunten Koné rot. Kaum stand der Auxerre-Stürmer wieder, verlangte er vom Unparteiischen, diese Entscheidung wieder rückgängig zu machen. «Koné hat nichts Verbotenes getan, sondern nur seine Hand auf meinen Rücken gelegt. Wir kämpften um den Ball und er fiel auf mich», klärte er später auf.

Costin Lazar (Rapid Bukarest), 2009:
Auch Rapid-Stürmer Lazar hatte schon den Mut, den Schiri umzustimmen. Nachdem er im Strafraum korrekt von einem Otelul-Verteidiger vom Ball getrennt worden war, bekam er einen Strafstoss zugesprochen, den er aber partout nicht annehmen wollte.

Marius Ebbers (FC St. Pauli), 2012:
Solche Fairplay-Aktionen fallen einem leicht, wenn man schon komfortabel in Führung liegt oder es um nichts mehr geht. Im Spiel St. Pauli gegen Union Berlin im April dieses Jahres stand es allerdings 1:1 und für Pauli ging es um den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Da erzielte Stürmer Marius Ebbers 10 Minuten vor dem Ende einen Treffer mit einer Kombination aus Kopf und Oberarm. Der Schiedsrichter wollte den Treffer anerkennen, doch Ebbers gab das Handspiel zu. Dafür gab’s von Mitspieler Fin Bartels das erlösende Tor in der Nachspielzeit und vom DFB die «Fair ist mehr»-Medaille.

Vittorio Esposito (US Termoli), 2012:
Und es geht noch dramatischer: Im Viertelfinal-Rückspiel des italienischen Amateurpokals steht es nach dem Remis im Hinspiel 1:0 für Sassari Torres, als Termoli-Stürmer Vittorio Esposito in der Nachspielzeit ohne Kontakt eines Verteidigers im Strafraum zu Boden geht und dafür mit einem Elfmeter belohnt wird. Die Last des Betrugs wog aber doch zu schwer auf den Schultern von Esposito, der gleich selber zum Elfer antrat und ihn absichtlich verschoss. Somit war sein Team ausgeschieden, er hingegen zu einem Held des Fairplays geworden.



Was halten Sie von Luiz Adrianos Tor? Welche Beispiele von unfairen oder besonders fairen Spielsituationen fallen Ihnen ein?

Die Weichen auf Meisterschaft gestellt

Mämä Sykora am Montag den 19. November 2012
Der FC Basel kann noch vor der Winterpause an die Tabellenspitze vorstossen: Valentin Stocker, Alex Frei und Marco Streller feiern einen Treffer, 18. November 2012. (Keystone)

Der FC Basel kann noch vor der Winterpause an die Tabellenspitze vorstossen: Streller, Stocker und Degen feiern einen Treffer, 18. November 2012. (Keystone)

Natürlich wurde im Anschluss in erster Linie über die Fehlentscheide des abtretenden Schiedsrichter Daniel Wermelinger diskutiert. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass sowohl Basels drittes wie auch das vierte Tor Offsidetreffer waren. Das ist ärgerlich, sowohl für die GC-Fans wie auch für Wermelinger selber, war es doch seine Abschiedsvorstellung. Jedoch sind es nicht diese Fehler des Unparteiischen, die nach dem gestrigen Spitzenspiel für Gesprächsstoff sorgen sollten, und schon gar nicht sollten wieder diese ermüdenden Verschwörungstheorien aufkommen, nach denen die Swiss Football League ihre Referees zu baselfreundlichen Entscheiden anhalten soll, die Quintessenz des gestrigen Spieltags war nämlich vor allem jene, dass die überraschend begonnene Meisterschaft nun endgültig in die erwarteten Bahnen gelenkt worden ist.

Selbst wenn die beiden Tore von Alex Frei gestern zu Recht annulliert worden wären, hätte der Gast aus Zürich noch immer zwei Tore erzielen müssen, um auch nur einen Punkt zu entführen. Und das auswärts bei einem ziemlich souveränen und nur noch einer Viertelstunde verbleibender Spielzeit. Das ist zwar nicht unmöglich, aber doch zumindest eher unwahrscheinlich. Mit dem Sieg über den Leader kann der FC Basel die nach den vielen Abgängen vermutete schwierige Startphase als überstanden ansehen und muss nun wieder als Titelkandidat Nummer Eins gelten. Die Konkurrenz hat es wie schon im letzten Jahr nicht geschafft, die Basler Anlaufschwierigkeiten auszunutzen und einen ansprechenden Punktevorsprung herauszuspielen, nun fehlen dem Meister noch gerade mal drei Punkte, um sich wieder an die Spitze zu setzen, was sogar noch vor der Winterpause geschehen könnte. Mit dem wiedergewonnenen Selbstvertrauen der Rot-Blauen ist der Verlauf der Rückrunde vorprogrammiert.

David Degen jubelt über seinen Treffer. (Keystone)

David Degen jubelt über seinen Treffer. (Keystone)

Schade natürlich um die Spannung, aber im Grunde musste dieser Zusammenschluss erwartet werden. Ob weiter mit Heiko Vogel oder neu mit Murat Yakin: Am FCB kommt in der Schweiz nur vorbei, wer während einer Schwächeperiode des Ligakrösus konstant und ohne Ausrutscher bleibt. Denn im direkten Vergleich gibt es gegen Basel kaum was zu holen, wenn dessen Spieler wissen, was auf dem Spiel steht. Der FCB ist sich solche grossen Spiele aus der Champions League gewohnt, kann in solchen Momenten meistens eine sehr gute Leistung abliefern, und vor allem wird dann die Wichtigkeit eines breiten Kaders offensichtlich. Gegen GC wechselte Yakin Díaz, Salah und Frei ein, Uli Forte musste auf Feltscher, Paiva und Adili zurückgreifen. Nichts gegen die Letztgenannten, aber das ist nun mal ein ziemlicher Qualitätsunterschied.

Dass GC mit einem derart schmalen Kader noch immer an der Spitze steht, ist erstaunlich, ein ernsthafter Titelkandidat wird man so indes nicht. Üblicherweise sind bei GC mit Feltscher, Paiva, Mustafi und Gashi vier der sechs Auswechselfeldspieler Offensivleute, im Mittelfeld und in der Abwehr bleiben Forte kaum Optionen, weder bei Formschwäche noch bei Verletzungen. Gegen Basel war Salatic, einer der wichtigsten GC-Akteure, gesperrt – eine zu schwere Bürde für die Hoppers. Im Gegensatz dazu kann es sich Basel leisten, Goalgetter Frei über eine Stunde auf der Bank zu lassen – neben ihm und den anderen Eingewechselten nehmen zudem noch Park und Zoua Platz. Das ist genau jener Unterschied, der die Meisterschaft wieder zugunsten der Basler entscheiden wird.

Stolpern kann der FCB nur über sich selber. Nämlich dann, wenn Unruhe aufkommt, frischfröhlich gefeuert und gewechselt wird wie etwa in Sion. Doch dafür ist der FCB zu solide, zu überlegt und zu clever. In Panik geraten könnte man nur, wenn der Punkterückstand bereits bedrohliche Ausmasse annehmen würde. Diese Gefahr ist seit gestern gebannt. Und deshalb wird der Schweizer Meister 2013 einmal mehr FC Basel heissen.

Es lebe die neue EM!

Mämä Sykora am Freitag den 16. November 2012
Michel Platini im National Stadium in Warschau, April 2012. (Foto: Keystone)

Eine Europameisterschaft in mehreren Ländern ist eine gute Idee: Michel Platini im Nationalstadion in Warschau, April 2012. (Foto: Keystone)

Die Idee hatte Uefa-Präsident Michel Platini schon während der EM 2012 angekündigt, nun hat er sie noch etwas detaillierter ausgeführt: 2020 soll die Endrunde nicht mehr in einem oder zwei Ländern ausgetragen werden, sondern in 13 verschiedenen Staaten. Die Pläne stiessen weitherum auf Ablehnung und wurden als «Schnapsidee» abgetan. Zu Unrecht, denn es könnte die «Rettung» für die Europameisterschaft sein.

Einer der Kritikpunkte ist, dass bei dieser Revolution das Länderspezifische verloren geht. In Tat und Wahrheit gibt es dieses längst nicht mehr. Die Anforderungen an Stadien, Verpflegung, Fan-Zonen und Infrastruktur vonseiten der Uefa sind derart gestiegen, dass man als Besucher mittendrin nicht mal sagen kann, ob man nun in Charkiw, Bern oder Porto ist. Eine Endrunde ist bis ins kleinste Detail reglementiert, da bleibt kein Platz mehr für Länderspezifisches.

Natürlich werden auch die weiten Distanzen kritisiert. Die Gruppen sollen aber ohnehin im Land des Gruppenkopfs ausgespielt werden, weite Reisen fallen demnach nur in den K.-o.-Runden an. Zudem: Von Donezk nach Danzig waren es schon 2012 über 1500 Kilometer, da ist selbst Rom-Bukarest oder Basel-Stockholm weniger weit. Wenn die Gruppenspiele klug angesetzt werden, muss hier keine Zunahme der Reisedistanzen befürchtet werden.

Die Pros überwiegen auf jeden Fall. Für die letzten EM-Endrunden wurden unzählige Stadien errichtet, die heute kaum mehr genutzt werden. In Portugal stehen seither in Leiria, Coimbra, Faro, Aveiro, Guimarães und Braga völlig überdimensionierte und teilweise gar nicht mehr bespielte Arenen, gleiches gilt für viele der neuen Bauten in Polen und der Ukraine. Und es wäre ebenso der Fall, wenn etwa die Türkei, Aserbaidschan und Georgien oder Schottland, Irland und Wales die Endrunde 2020 zugesprochen bekämen. Das ist nicht nur ein kompletter Irrsinn, sondern auch für die Austragungsländer eine grosse finanzielle Belastung. Stadien sollten für die Anforderungen der Heimvereine gestaltet werden, nicht für 2-3 Partien an einer Endrunde und danach dem Verfall preisgegeben werden.

Das von Platini vorgeschlagene Format ist auch ein Weg, um das drohende Horrorszenario abzuwenden. Mit der unsinnigen Aufstockung auf 24 Teilnehmer besteht nämlich die Gefahr, dass die Stadien längst nicht immer gefüllt sein werden. Wer will denn schon etwa in Baku das Vorrundenspiel zwischen Ungarn und Slowenien schauen gehen? Mit Platinis Vorschlag gäbe es gleich 13 Gastgeberländer, die für volle Ränge sorgen würden. Ein cleverer Schachzug.

Eine EM mit diesem Modus greift auf bereits Bestehendes zurück – zumindest ein den Ansprüchen genügendes Stadion haben alle in Frage kommenden Austragungsländer – und verhindert so, dass sich die Gastgeber wegen unbrauchbaren Riesen-Arenen, überdimensionierten Flughäfen und Hotels in unnötige Unkosten stürzen und bringt die Spiele dahin, wo die Leute sind. Bei so vielen Austragungsorten ist eine Komplett-Gleichmachung zudem kaum mehr möglich, Lokalkolorit gibt’s demnach mit der neuen Umsetzung eher mehr als zuvor. So sollte eine Europameisterschaft sein. Mir fällt wahrlich nichts sein, was an diesem Plan schlecht sein sollte. Zwar wird der Plan lediglich als Ausnahme wegen des 60-jährigen Jubiläums der EM angepriesen, für mich könnte es aber gerne ab 2020 immer so sein. Es lebe die neue EM!

Matchhirn

Mämä Sykora am Montag den 12. November 2012
Wie heisst der Typ rechts von Heinz Bertschi? Karl Odermatt. Die Schweizer Nationalspieler geben am 5. Juni 1963 Autogramme. (Bild: Keystone)

Wie heisst der Typ rechts von Heinz Bertschi? Karl Odermatt. Die Schweizer Nationalspieler geben am 5. Juni 1963 Autogramme. (Bild: Keystone)

Mein Vater wuchs in der damaligen Tschechoslowakei auf, spielte in seiner Jugend ziemlich gut Eishockey und interessierte sich nebenbei natürlich auch für Fussball. Sein Lieblingsverein war Slovan Bratislava. 1968 flüchtete er als 22-Jähriger vor den sowjetischen Panzern in die Schweiz. Als ich kürzlich im Zürcher Sportantiquariat auf einen reich bebilderten Band über die USA-Reise von Sparta Prag in den Sechzigern stiess, kam ich nicht umhin, ihm diesen als Geschenk zu überreichen. Selbstverständlich erkannte er die meisten Spieler, darüber hinaus mochte er sich auch noch an viele der hinten im Buch aufgeführten Resultate der Freundschaftsspiele auf dieser Tour erinnern. Unbedeutende Freundschaftsspiele einer Mannschaft, die nicht mal seine liebste war, und die mehr als 40 Jahre zurück liegen. Er quittierte diese Tatsache mit der Frage: «Warum können wir uns bloss solch unnötigen Blödsinn merken?»

Es fällt in der Tat schwer, sich eine Situation vorzustellen, in der es nützlich wäre, das Resultat eines Testspiels zwischen Sparta Prag und den Baltimore St. Gerards von 1966 zu kennen. Nun ist ja aber nicht so, dass Fussballbegeisterte sich hinsetzen und Resultate, Torschützen und Tabellen büffeln würde, wie andere sich durch Periodensysteme oder Formeln arbeiten. Einmal gehört, gelesen oder gesehen – nie mehr vergessen. Da es doch vermessen wäre zu behaupten, solche Leute hätten ein leistungsfähigeres Gehirn, liegt die Befürchtungen nahe, dass andere, deutlich wichtigere Dinge mit diesem Nonsens überschrieben werden.

Nimmt man die männlichen Mitglieder meiner Familie als Beispiel, so muss vermutet werden, dass diese Flut an unnützen Fussballinformationen im Hippocampus abgelegt wird, wodurch dessen Funktionen stark beeinträchtigt werden. Der Hippocampus ist zuständig für den Orientierungssinn, der in unserer Familie derart verkümmert ist, dass wir alle es erst nach unzähligen Fehlversuchen schaffen, den Weg von einer Restauranttoilette zurück zum Platz zu finden. Da ich aber doch einige Fussballverrückte kenne, die durchaus ohne Navigationsgerät spazieren gehen können, muss diese Theorie bereits als widerlegt betrachtet werden.

Oder muss man Leute, die sich noch immer im Detail an das unglaubliche Spiel um Platz 3 des Afrika-Cups 1998 zwischen Kongo und Burkina Faso (4:4) erinnern können, bereits zu den sogenannten «Savants» zählen? Savants können in einem kleinen Teilbereich aussergewöhnliche Leistungen erbringen, zum Beispiel 12’000 Bücher auswendig kennen oder Pi bis auf 22’514 Stellen nach dem Komma aufsagen. Dinge halt, die ähnlich nützlich sind wie Resultate von Freundschaftsspielen aus längst vergangener Zeit. Savants weisen fast immer schwere soziale Defizite auf, über die Hälfte sind Autisten. Die Fussballnerds, die ich kenne, pflegen hingegen alle ein gesundes Sozialleben, können sich auch bestens auf einem anderen Parkett bewegen und geben gute Freunde ab, die man auch brauchen kann, wenn man nicht gerade bei «Wer wird Millionär?» auf dem Stuhl sitzt und einen Telefonjoker benötigt, der als richtige Antwort «Mongi Ben Brahim» ausspuckt.

Bleibt eigentlich nur die simple Theorie, dass einem Menschen das in Erinnerung bleibt, was ihn besonders interessiert. Ob er will oder nicht. Und auch wenn jede Woche wieder einige Spiele und Tore dazu kommen, die sich auf der Festplatte festsetzen, müssen wir wohl nicht befürchten, dass uns gerade der Name der aktuellen Freundin partout nicht einfallen will. Höchstens vielleicht, was sie am Samstag vor zwei Wochen trug. Dafür können wir mit Gleichgesinnten stundenlang vor einem Bier sitzen und uns gegenseitig von Nebensächlichkeit aus grauer Vorzeit erzählen. Und wenn diese sich auch noch daran erinnern können, dann haben wir die Gewissheit, dass da oben wohl doch alles irgendwie in Ordnung ist. Auch wenn es verstopft ist mit Dingen, die wirklich niemand wissen muss.