
Der psychische Druck macht sich bemerkbar: Bastian Schweinsteiger und der Grieche Dimitris Salpigidis (r.) kämpfen um den Ball, 22. Juni 2012. (Foto: AP)
Bayerns Spielmacher Bastian Schweinsteiger erhielt in den Medien nach dem Spiel gegen Griechenland keine guten Noten, weil er für einmal keinen Einfluss auf das Spiel nehmen konnte. Die beiden Spieler von Real Madrid, Sami Khedira und Mesut Özil, stahlen dem Münchner auch in der Berichterstattung der Journalisten die Show. Und was macht Schweinsteiger? Er wehrt sich in seiner Verzweiflung und geht an die Öffentlichkeit mit der Erklärung, er sei noch nicht ganz fit, der lädierte Fuss bereite ihm immer noch Sorgen und Schmerzen. Der seit Jahren medienerprobte Schweinsteiger hätte eigentlich wissen müssen, dass seine Aussagen in der «Welt am Sonntag» Schlagzeilen geradezu provozieren würden.
Er hat offenbar für einmal eine Sekunde nichts studiert und hat in einem Gespräch mit einem Journalisten spontan seine Gefühle preisgegeben. Das war ungeschickt, das war ein Fehler, der ihm nicht hätte passieren dürfen. Man kann sich nach einem Spiel nicht einfach hinstellen und eine schlechten Leistung im Nachhinein mit einer Verletzung begründen und so ein Alibi suchen. Man darf aber nicht vergessen, dass Schweinsteiger mit 27 Jahren noch ein relativ junger Spieler ist. Darf ein junger Spieler keine Fehler machen? Wenn ich meine Karriere noch einmal Revue passieren lasse, kann ich mich noch sehr wohl daran erinnern, wie ich als junger aber schon gestandener Nationalspieler, manchmal unbewusst noch ins Fettnäpfchen getreten bin. Da habe ich spontan Sachen von mir gegeben, die ich heute nicht mehr sagen würde. Aber ich habe mit der Zeit aus meinen Fehlern gelernt. Und das wird auch bei Schweinsteiger so sein.
Seinen Fehler mit den Aussagen in der «Welt am Sonntag» kann ich mir nur damit erklären, dass Schweinsteiger zurzeit vor allem im psychischen Bereich angeschlagen ist. Das wundert mich allerdings nicht. Er musste in den letzten 365 Tagen einiges erleiden und ertragen. Schweinsteiger hat mit den Bayern die Meisterschaft, den Pokal und die Champions League verspielt. Er hat im Final der Königsklasse gegen Chelsea auch noch den vorentscheidenden Penalty im Elfmeterschiessen an den Pfosten geschossen. Bei ihm kam noch gravierend dazu, dass er oft verletzt war. Im Champions-League-Spiel gegen den SSC Napoli hat er sich bei einem Zweikampf mit Gökhan Inler das Schlüsselbein gebrochen. Später verletzte er sich am Fuss und musste in dieser Saison schon zum zweiten Mal lange pausieren. Seine physischen Probleme schlagen jetzt offenbar auch auf seine Psyche.
Aber Schweinsteiger hat in diesem Interview ehrlich seine Gefühle ausgedrückt, und das macht ihn für mich nur noch sympathischer. Dass er bei seinen Mitspielern deswegen an Kredit verloren hat und sogar unten durch ist, kann ich mir hingegen überhaupt nicht vorstellen. Schweinsteiger hat sich in den letzten Jahren zu einer absoluten Persönlichkeit entwickelt und sich seinen Stellenwert in der Hierarchie der Mannschaft hart erarbeitet. Auch seine unbestrittene fussballerische Klasse hat er im Übrigen an dieser EM unter Beweis gestellt. Immerhin hat er beim 2:1-Sieg gegen Holland die beiden Tore von Mario Gomez mit zwei genialen Pässen vorbereitet. Deshalb ist es für mich nur logisch, dass Bundestrainer Jogi Löw weiterhin an ihm festhält. Löw lässt sich vor einem Spiel nicht gerne in die taktischen Karten schauen und gibt die Aufstellung meist erst wenige Stunden vor dem Anpfiff bekannt. An der Pressekonferenz am Dienstag in Danzig hat er jedoch bereits ein Geheimnis gelüftet. Er will den Halbfinal am Donnerstag gegen Italien unbedingt mit Schweinsteiger beginnen. Damit hat Löw im Fall Schweinsteiger ein starkes – und richtiges – Zeichen gesetzt.