
Es gibt Spiele, die man nie vergisst: Der Brasilianer Romario und der Italiener Paulo Maldini kämpfen während des WM-Finals 1994 um den Ball, 17. Juli 1994. (Keystone/Thomas Kienzle)
Heute möchte ich über Erinnerungen an Fussball-Weltmeisterschaften schreiben. Die erste WM, die ich bewusst wahrnahm, war jene 1986 in Mexiko, da war ich acht Jahre alt. Ich fieberte mit den Brasilianern mit, der Viertelfinal gegen Frankreich gilt ja als eines der besten Spiele der Geschichte. Leider verschoss Zico, diese wunderbare Nummer 10, in der regulären Spielzeit einen Elfmeter, und riesengross war meine Trauer nach dem Abgang der Brasilianer im Elfmeterschiessen. Ich beschloss als spontane Trotzreaktion, mein erstes Panini-Album nicht mehr füllen zu wollen, obwohl bloss noch wenige Kleber fehlten – und obwohl ich vorher wochenlang auf dem Pausenplatz und in der Badi akribisch um die Maradonas und Platinis, bärtigen Ungarn und glitzernden Länderwappen gefeilscht hatte.
Vier Jahre später, an der WM 1990 in Italien, flossen dann sogar bittere Tränen, als Brasilien ausgerechnet gegen den Rivalen Argentinien (ja: Pass Maradona, Tor Caniggia) bereits im Achtelfinal ausschied (0:1). Ich wollte damals als spontane Trotzreaktion vom Balkon im 3. Stock unserer Wohnung springen, wie meine Mutter erzählt, weil ich so untröstlich und traurig war – und die Laune besserte sich keineswegs auf, als wenige Stunden später Deutschland gegen Holland siegte. Ich war (und bin es manchmal immer noch) nämlich einer dieser Schweizer, die an einem leichten Deutschlandkomplex leiden und Land, Leute, Bundesliga zwar supertoll finden, aber die Schadenfreude über ein Scheitern der Deutschen (möglichst spät und spektakulär) lustvoll pflegen können.
Fussballweltmeisterschaften sind nicht nur für Kinder eine grosse Sache, jeder Fan verbindet spezielle Erinnerungen mit ihnen. Mein schönstes Erlebnis fand 1994 in Los Angeles statt. Als Höhepunkt einer knapp dreiwöchigen WM-Reise mit meinem Vater durch die USA besuchten wir den Final, wo sich Brasilien gegen Italien im Elfmeterschiessen durchsetzte. Der Ball, den Roberto Baggio bei seinem Penalty weit übers Tor schoss, ist angeblich bis heute nicht gefunden worden. An den Endspielen 1998 und 2002 litt ich dann mit den Brasilianern vor dem TV mit. 1998 war die 0:3-Niederlage gegen Frankreich, ausgerechnet einen Tag vor dem Einrücken in die Rekrutenschule, Grund für ein gepflegtes Besäufnis, 2002 führten Ronaldos zwei Tore auf dem Weg zum 2:0-Sieg gegen Deutschland zum legendären Bild mit dem geschlagenen deutschen Wundertorhüter Oli Kahn am Torpfosten.
Derzeit steht die WM 2022 in Katar heftig in den Negativschlagzeilen. Vor wenigen Tagen hiess es mal wieder, die vielen Arbeiter aus Drittweltländern würden in Katar wie Sklaven gehalten. Sie bauen die zahlreichen Attraktionen, Bauten und Stadien im Land auf, verdienen kaum etwas, werden ausgebeutet und mies behandelt, schreiben Menschenrechtsorganisationen. Die Arbeits- und Wohnbedingungen seien hundsmiserabel. Natürlich gab und gibt es regelmässig vor Weltmeisterschaften kritische Berichte übers Austragungsland, weil beispielsweise die Kosten explodieren. Der Weltverband FIFA wäre jedoch nicht falsch beraten, wenn er die ohnehin fragwürdige WM-Vergabe 2022 noch einmal überprüfen würde.
Denn es ist in jeder Hinsicht ziemlich ungewöhnlich, den grössten und beliebtesten Sportanlass der Welt ausgerechnet im Kleinstaat Katar auszutragen. Die unerträgliche Hitze im Sommer ist dabei nur ein Grund. Ich besuchte vor Jahren Hakan Yakin in Katar, als er dort spielte. Es war auch im Herbst noch derart heiss, dass die Trainings und Spiele erst sehr spät am Abend stattfanden. Am Tag hielt sich niemand draussen auf. Und sollte die WM 2022 in den europäischen Winter verlegt werden, hätte das ein gewaltiges Terminchaos zur Folge. Zudem wäre das rechtlich ein Problem.
Immerhin: Die FIFA-Idee, mit der WM in bisher unberücksichtigte Regionen gehen zu wollen, ist löblich. Allerdings ist zu offensichtlich, warum das schwer- und einflussreiche Katar den Zuschlag erhielt. Und: In Australien fand auch noch nie eine Weltmeisterschaft statt. Auf eine WM 2022 in diesem herrlichen Land könnte man sich bereits jetzt freuen.
Was sind Ihre ersten oder schönsten oder bittersten Erinnerungen an Weltmeisterschaften? Wie erlebten Sie die Turniere in der Jugend? Und was wäre ein geeignetes Austragungsland für die WM 2022?