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Freund- und Feindschaftsspiele

Birgit Schönau am Donnerstag den 24. Januar 2013
Distanziert sich von der «Blick»-Berichterstattung: Der italienische Sion-Captain Gennaro Gattuso. (Bild: Keystone)

Distanziert sich von der «Blick»-Berichterstattung: Der italienische Sion-Captain Gennaro Gattuso. (Bild: Keystone)

Wenn es um Fussball geht, meinen manche immer noch, sie könnten alles schreiben. Besonders über Italien, die Lieblings-Zielscheibe unbedarfter Klischee-Berichterstattung. In Bari herrscht zurzeit helle Empörung über einen Beitrag eines Boulevard-Kollegen vom «Blick». Der Bürgermeister hat offizielle Beschwerde bei der Schweizer Botschaft angekündigt, die Angelegenheit steht also im Ruch einer kleinen Staatsaffäre.

Was bisher geschah: Der FC Sion trat am vergangenen Samstag in Bari zu einem Freundschaftsspiel an und verlor gegen die AS Bari 0:1. Aus Sicht der Apulier liest sich die Begegnung so: «Vor einer schönen Kulisse mit über 1000 Tifosi hat die Mannschaft aus Bari dank eines Treffers von Cristian Galano in der ersten Halbzeit gesiegt. Bereits nach vier Minuten hatte Bari die erste Chance, später wurde die Partie vor allem im Mittelfeld ausgetragen. Nach der Pause kamen beide Mannschaften mit einigen frisch eingewechselten Spielern aber an der Dramaturgie änderte sich nicht viel. Bari verteidigte sich sehr ordentlich, riskierte wenig aber zeigte auch ein paar interessante Offensivaktionen.» So weit, so unaufgeregt die Gastgeber vom italienischen Zweitligisten.

Und hier die Schilderung des «Blick»-Kollegen, die inzwischen auf der Website der Zeitung nicht mehr zu finden ist:

«In Kalabrien hat die ‘Ndrangheta, die mächtigste Mafia-Organisation Europas, ihren Hauptsitz. Bari gilt als Hafenstadt an sich schon als kriminelles Pflaster. Und Sion hält sein Testspiel nicht etwa im WM-Stadion San Nicola, sondern muss wegen des miesen Wetters auf einem Kunstrasen spielen. Und der steht mitten im Quartier San Pio. Berüchtigt für Überfälle, Einbrüche, Erpressungen. Mafia-Land eben. ‹Lasst nichts im Auto liegen›, warnen uns einheimische Journalisten. ‹Hier brechen sie das Auto sogar auf, um euren Schreibblock zu klauen. ›»

Den Schreibblock klauen! Liebe Leute vom «Blick», das ist wirklich ein Brüller. Was bitte sollen die Ganoven in Bari mit dem Handwerkszeug eines Schweizer Fussballjournalisten anfangen? Es meistbietend versteigern? Diesen Schatz zu Erpressungszwecken nutzen? Ihn ihrer grossen Sammlung von Schreibblöcken aus dem Ausland zufügen? Oder essen sie einfach das Papier?

Alles ziemlich unwahrscheinlich, in Bari klauen nämlich überwiegend Profis. Und zwar nicht die schlimmen Finger von der ‘Ndrangheta. Diese mächtigste Mafia-Organisation Europas hat ihren Hauptsitz ganz woanders – in Kalabrien, der Heimat des Sion-Captains Gennaro Gattuso. Nicht in irgendeiner kriminellen Hafenstadt, sondern in den Bergen des Aspromonte. In Apulien hingegen befindet sich die vergleichsweise kleine, angestammte Mafia-Organisation Sacra Corona Unita seit Jahren in Auflösung. Man muss das alles nicht wissen, wenn man über ein Fussballspiel in Bari berichtet. Aber für die Mafia-Grusel-Gemeinplätze braucht man heutzutage doch ein Minimum an Recherche.

Bari habe den Sieg geklaut, behauptet «Blick», natürlich mit Hilfe des Schiedsrichters. Man wisse doch, wie so etwas in Italien läuft. «Pikant: Auf das Testspiel konnten auf italienischen Portalen Wetten abgeschlossen werden.» Nein, gar nicht pikant, sondern leider ganz fad: In Italien, und nicht nur dort, können auf alle möglichen Hinterhof-Begegnungen Wetten abgeschlossen werden. AS Bari ist zurzeit in einen Wettskandal verwickelt. Die haben wirklich andere Probleme, als ein Testspiel gegen Sion abzukarten.

«Die Mutter der Idioten geht immer schwanger. Auch in der Schweiz», hat Baris Bürgermeister Michele Emiliano geäussert. Ziemlich harte Worte. Der Mann kennt sich übrigens ganz gut aus mit der kriminellen Szene in seiner Stadt: Bürgermeister Emiliano ist von Beruf Richter. Er will jetzt den «Blick»-Autor verklagen.

Eine derart starke Reaktion auf ein paar Zeilen im Web mag übertrieben erscheinen. Aber in Süditalien reagiert man empfindlich auf Negativ-Klischees, die das Image empfindlich schädigen können. Für die Region Apulien ist die Schweiz ein wichtiger Handelspartner. Umgekehrt gilt das selbstverständlich auch. Deshalb kommt es ja zu Fussball-Freundschaftsspielen.

Fussballspieler im Sonderangebot

Birgit Schönau am Dienstag den 22. Januar 2013
Der Brasilianer Kaka, als er 2003 erstmals zu AC Milan kam. (Foto: Keystone/Felice Calabro)

Silvio Berlusconi macht wieder Wahlversprechen, unter anderem will er den Brasilianer Kakà wieder nach Mailand holen: Der junge Kakà, als er 2003 erstmals zu AC Milan kam. (Foto: Keystone/Felice Calabro)

Armes Italien. Arme Serie A. Wie arm, das lässt sich bestens an der Transferpolitik der beiden Mailänder Klubs Internazionale und Milan ablesen. Vor gar nicht langer Zeit gehörten sie zu den Reichsten in Europa. Inters Präsident Massimo Moratti gab schon mal in einem Sommer so viel Geld für neue Spieler aus wie die gesamte Bundesliga und Milans Patron Silvio Berlusconi servierte den Fans gern in Wahlkampfzeiten ein nobles Präsent. Zuletzt 2008, damals versprach Berlusconi die Ankunft von Ronaldinho. Es wäre zwar übertrieben zu behaupten, dass er deswegen die Wahlen gewann. Aber es ist nicht übertrieben festzustellen, dass Ronaldinho das einzige Wahlkampfversprechen war, dass Berlusconi tatsächlich einlöste.

Tempi passati. Es ist wieder Wahlkampf in Italien und Berlusconi verspricht – die Rückkehr von Kakà. Der Brasilianer wurde vor drei Jahren an Real Madrid verkauft, obwohl er sich buchstäblich mit Händen und Füssen dagegen wehrte. Tatsächlich wurde Kakà in Madrid nie der Publikumsliebling, der er in Mailand immer war. Er erfuhr ein ähnliches Schicksal wie seinerzeit Andrij Schewtschenko, der auch nicht ganz freiwillig zum FC Chelsea ging und nach drei ziemlich durchwachsenen Jahren in London für eine Saison an seinen alten Klub Milan ausgeliehen wurde. Schewtschenko konnte nicht an seine Erfolge anknüpfen. Das Risiko gibt es jetzt auch für Kakà, trotzdem wird der einst Geschasste  umgarnt wie der verlorene Sohn. Der Grund: Er könnte billig zu haben sein, weil Real ihn loswerden will. Milan hätte ihn gern als Leihgabe, zu einem deutlich geringeren Gehalt. So sehen die Wahlkampfversprechen 2013 aus – Mario Balotelli beispielsweise ist Berlusconi viel zu teuer. Er bezeichnete ihn etwas voreilig als «faulen Apfel», was schon stark an die alte Fabel vom Fuchs mit den Trauben erinnerte.

Wesley Sneijder wurde Inter zu teuer

Und Inter? Gerade hat es Moratti geschafft, endlich den letzten Star in seinem Aufgebot loszuwerden. Wesley Sneijder geht zu Galatasaray. Zu sagen, dass er das widerwillig tut, wäre stark untertrieben. Monatelang hatte der Holländer auf der Bank schmoren müssen, weil er sich geweigert hatte, eine Gehaltsreduzierung zu akzeptieren. Sneijder wäre liebend gern nach England gegangen, aber es fand sich kein Klub, der die Ablösesumme von 15 Millionen Euro zahlen wollte. So viel hatte Sneijder Inter vor drei Jahren gekostet. Entnervt von dem langen Tauziehen mit dem Spieler veräusserte Moratti ihn schliesslich zum Schleuderpreis von 7,5 Millionen: Hauptsache, Sneijder steht nicht mehr bei ihm auf der Gehaltsliste. 5,5 Millionen wird der 28-Jährige nun in Istanbul verdienen. Und in einer Liga spielen, die noch schlechter dasteht als die Serie A, sich ihre Ambitionen aber unverdrossen noch etwas kosten lässt.

Sneijder geht bestimmt, Kakà kommt vielleicht. So viel zu den Mailänder Super-Coups in diesem Transfer-Winter.

Langweilige Musterknaben

Birgit Schönau am Donnerstag den 17. Januar 2013
Lionel Messi und Josep Guardiola. (AP/Lluis Gene)

Im Fussball-Olymp eindeutig die «Guten»: Lionel Messi und Pep Guardiola (im Camp Nou während eines Spiels gegen Jerez), 24. April 2010. (AP/Lluis Gene)

Die Welt teilt sich in Kaffee- oder Teetrinker, Wagner oder Verdi und in Pep Guardiola oder José Mourinho. Also in Gut oder Böse. Mal ehrlich: Guardiola finden wir doch alle irgendwie gut, genauso wie wir irgendwie auch alle Barcelona-Fans sind. Zusammen mit Messi und Barça bildet Pep eine richtige Trinitas des Fussballs, die halbe Welt betet sie an, mindestens. Und Mourinho? Der besetzt die Schurkenrolle, kongenial unterstützt von seinem Landsmann und Lieblingsspieler Cristiano Ronaldo. Hand aufs Herz: Wer würde sich schon als Fan von Mourinho und Ronaldo outen, wo es doch viel naheliegender ist, Guardiola und Messi toll zu finden? Alle mal «Hier!» schreien. Na gut, wenn sich keiner traut, fange ich einfach mal an.

Mir geht nämlich die Guardiola-Verehrung kombiniert mit der Dauer-Häme für Mou gehörig auf die Nerven. Ich finde sie ebenso unoriginell wie ungerechtfertigt. Denn ich glaube, man kann Guardiolas Arbeit sehr schätzen und Mourinho trotzdem für einen fähigen Trainer halten. Die beiden sind wahrscheinlich die besten der Branche, die teuersten sowieso. Wer sie aus die Nähe erlebt hat, weiss übrigens, dass der Portugiese weitaus witziger und selbstironischer ist. Muss er ja auch sein, als Schurke. Guardiola hingegen ist von seiner Musterknaben-Rolle derart erfüllt, dass er schnell ein bisschen langweilig rüberkommt und wenn er tatsächlich mal verliert, sogar leicht beleidigt. Wer immer alles richtig macht, der wirkt halt auf die Dauer weniger schillernd als einer, der mit allen möglichen Tricks versucht, dem Klassenbesten eins auszuwischen. Auch wenn diese Tricks manchmal nicht ganz sauber sind. Aber bitte, Fussball ist keine moralische Anstalt. Jedenfalls nicht hier bei uns im Süden.

Am Ende hat sich Guardiola vielleicht ein wenig selbst gelangweilt und eine Auszeit genommen. Dann langweilte er sich in der Auszeit und heuert jetzt beim FC Bayern München an. In München nehmen sie ihn natürlich mit Kusshand und lassen sich die Verpflichtung des begehrtesten Trainers der Welt eine Menge kosten. Man könnte jetzt wetten, ob Guardiolas Bayern bald allen so sympathisch sind wie Guardiolas Barcelona. Ich möchte mich da aber lieber zurückhalten. Ob die Bayern wohl auch bei Mourinho angefragt haben?

Die Scheichs von Paris St. Germain hätten ihn am liebsten im Doppelpack mit Cristiano Ronaldo aber dass denen die Sympathie egal ist, konnte man schon sehen, als sie Ibrahimovic kauften. (Der auch mal in Barcelona gespielt hat, bis ihn Guardiola nicht mehr sehen konnte).

Guardiola in München, Mou in Paris? Umgekehrt wäre es viel lustiger gewesen. Also der untadelige Pep zu Ibra und den Scheichs und der sinistre Mourinho als Trainer von Schweinsteiger und Angesteller von Uli Hoeness. Prickelnd wie Champagner! Weil das aber nicht so gekommen ist, wird sich die Fussballwelt wohl weiter in Tee- oder Kaffeetrinker teilen.

«Wir wollen eine andere Justiz»

Birgit Schönau am Dienstag den 15. Januar 2013
In der Fankurve von Sampdoria Genua hängt ein Banner mit Aufschrift «Ali Baba und die 40 Moggi»- (Foto: Keystone/Luca Zennaro)

Der verurteilte, frühere Juve-Manager Luciano Moggi kandidiert für ein politisches Amt: In der Fankurve von Sampdoria Genua hängt ein Banner mit Aufschrift «Ali Baba und die 40 Moggi». Genua, 14. Mai 2006. (Foto: Keystone/Luca Zennaro)

Erinnert sich noch jemand an Luciano Moggi? Der Mann arbeitete als Manager für die SSC Napoli von Diego Armando Maradona, bevor er als Generaldirektor von Juventus der mächtigste Mann im italienischen Fussball wurde. Schnell war sein Sachverstand für Spielertransfers allgemein anerkannt, seine Methoden aber waren umstritten. An Moggi kam niemand vorbei – die Nationaltrainer ebenso wenig wie ehrgeizige Fussballer, betrieb doch sein Sohn praktischerweise die wichtigste Spieleragentur im Land. Als 2006 ruchbar wurde, dass der Juve-General auch die Schiedsrichter manipulierte und sich auf diese Weise mindestens zwei Meistertitel ergaunert hatte, ertönte der Schlusspfiff für Moggis Karriere. Juventus wurde erstmals in der Klubgeschichte in die zweite Liga relegiert, die beiden inkriminierten Titel wurden getilgt und – Gipfel der Schmach – einer von ihnen an den Erzrivalen Inter vergeben. Luciano Moggi aber war in fast ebenso vielen Prozessen angeklagt wie Silvio Berlusconi.

Luciano Moggi nachdem er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Neapel, 8. November 2011. (Foto: Keystone/ Ciro Fusco)

Luciano Moggi nachdem er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Neapel, 8. November 2011. (Foto: Keystone/ Ciro Fusco)

Inzwischen ist er in erster Instanz wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zu fünf Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Ein Berufungsgericht verordnete ihm ausserdem ein Jahr wegen Nötigung. Der Fussballverband FIGC hat Luciano Moggi auf Lebenszeit gesperrt, er darf noch nicht einmal mehr ein Stadion betreten. Da liegt es nahe, dass unser Mann für das Parlament kandidiert. Mit 75 Jahren hat Moggi den Reiz der Politik entdeckt und bewirbt sich bei den Wahlen am 25. Februar ausgerechnet im Piemont. Setzt er auf die Stimmen der Juventus-Fans? Oder auf die Stimmen der Tifosi vom Lokalrivalen Toro, die sich heute noch darüber freuen, dass Juve wegen Moggi auch mal zweitklassig war?

Die Partei, für die der alte Strippenzieher antritt, heisst «Riformisti Italiani», Italienische Reformer. Parteichefin ist Stefania Craxi, die älteste Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Bettino Craxi, der auf der Flucht vor zahlreichen Prozessen in seinem Heimatland nach Tunesien flüchtete und dort starb. Stefania Craxi sieht in Luciano Moggi eine Art Reinkarnation ihres armen Papas – einen Unschuldigen, der von bösen Staatsanwälten verfolgt wird. «Ein unwürdiger Medien- und Justizzirkus hat Luciano massakriert», sagt sie, und: «Ich bin diese Moralapostel ja so Leid!» Frau Craxi interessiert sich nicht für Fussball, sie interessiert sich eigentlich auch nur für eine einzige Reform, was für die Gründerin einer italienische Reformer-Partei ja nicht übermässig viel ist: «Wir wollen eine andere Justiz, ohne Pranger.» Und am besten auch ohne Staatsanwälte, zu diesem Zweck haben die «Riformisti Italiani» ein Wahlbündnis mit Silvio Berlusconi geschmiedet.

Im Falle eines Wahlsiegs käme Luciano Moggi gleich für mehrere Ministerämter in Frage: Justizminister, weil er weiss, dass es sich ohne Gerichte viel besser lebt. Transportminister, weil er vor seiner Fussballmanager-Karriere viele Jahre bei der Eisenbahn gearbeitet hatte. Oder Sportminister. Dann könnte er endlich Italiens Fussball von Grund auf reformieren und zum Beispiel die Schiedsrichter abschaffen. Oder er würde sich, wie Parteichefin Craxi suggeriert, um die Modernisierung der Stadien kümmern.

Jetzt könnte man sich darüber wundern, dass Luciano Moggi mit seiner Haftstrafen-Sammlung überhaupt für das Parlament kandidieren darf. Aber das wäre wieder ein anderes Thema.

Der Trainer als Dompteur

Birgit Schönau am Donnerstag den 10. Januar 2013
Impulsiv und autoritär: Walter Mazzari, Trainer von SSC Napoli, weist seinen Spieler Christian Maggio zurecht. (18. Oktober 2011)

Impulsiv und autoritär: Walter Mazzarri, Trainer von SSC Napoli, weist seinen Spieler Christian Maggio zurecht. (Reuters, 18. Oktober 2011)

Spiel haushoch gewonnen, Trainer stocksauer. «Da haben wir aber Glück gehabt!», raunzte Walter Mazzarri die Journalisten an. «Und Cavani hat wohl wieder alles allein gemacht!» Das war genauso sarkastisch gemeint, wie es klang. Mazzarri, 51, ist Trainer der SSC Napoli, also auch von Nati-Captain Gökhan Inler. Wahrgenommen wird Mazzarri aber vor allem als Coach von Edinson Cavani, dem Super-Stürmer aus Uruguay. Cavani, 24, hat in dieser Saison bereits 25 Tore geschossen. Gegen die AS Roma machte er am Sonntag drei. Napoli gewann 4:1 – und der Trainer war wütend. Es solle gefälligst die Mannschaftsleistung gewürdigt werden, schnaubte Mazzarri. Also seine. Immer nur Cavani! «Der kam aus Palermo nach Neapel, nicht von Real Madrid. Bei uns wurde er dann zum Star.» Also durch ihn. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen, auch nach einem Dreierpack! Was ist schon ein Tor pro Spiel? Was bedeutet es denn, dass Napoli mit Cavani sozusagen in jede Partie schon 1:0 startet? Gar nichts. Meint der Trainer.

Trainer oder Spieler?

Das kann man lächerlich finden, doch der impulsive Coach Mazzarri berührt damit ein philosophisches Problem, das so alt ist wie der Fussball selbst: Trainer oder Spieler, Mannschaft oder Einzelkünstler? Das ist das Dilemma, und wie es sich für ein ordentliches Dilemma gehört, bleibt es unlösbar. Sicher, spontan würde wohl jeder sagen: Mit Messi in der Mannschaft hole ich auch jeden Titel. Oder mit Ibrahimovic. Mit Messi in der argentinischen National-Mannschaft scheiterte aber ein gewisser Diego Armando Maradona bei der letzten WM im Viertelfinale und der Superstar schaffte kein einziges Tor. Und Ibrahimovic, der kürzlich England quasi im Alleingang versenkte, war schon mit sechs Klubs in der Champions League, doch einen Titel holte er nie.

Andererseits wurde Griechenland mit einer Truppe Europameister, die schlicht die Anweisung von Trainer Otto Rehhagel befolgte, immer schön Beton anzurühren und notfalls den Ball zu verstecken. Griechenlands Sieg war eine Ohrfeige für den Fussball, aber ein Trainer-Triumph, einer unter vielen. Auch das Triple der Mailänder Internazionale gehört in diese Kategorie, jedenfalls hat José Mourinho viele davon überzeugt. Wie er im Halbfinale 2010 das eigentlich überragende Team von Barcelona ausschaltete, war auch wirklich eine Glanzleistung. Aber Eto’o, Sneijder und Milito waren dabei auch nicht zu übersehen.

Vater und Dompteur

In Italien ist die Figur des Trainers traditionell besonders stark. Der Coach ersetzt den Pater familias, er formt und erzieht seine Truppe. Er ist eher Pädagoge als Motivator. Dabei darf er autoritär sein, das wird sogar von ihm erwartet. Dem italienischen Trainer ist Genialität ein Dorn im Auge, er empfindet sie als zersetzend. Er arbeitet wie ein Dompteur im Löwenkäfig und müht sich nach Kräften, aus temperamentvollen Raubkatzen handzahme Miezekätzchen zu machen. Legendär sind die Kämpfe zwischen Marcello Lippi und Roberto Baggio, am Ende verbot der Trainer dem aufsässigen Spieler sogar dessen Lieblings-Salatsauce. Renzo Ulivieri, Baggios Coach bei Bologna, sagte einmal: «Ich gewinne lieber mit einem Tor von Nervo als mit einem von Baggio.» Nervo machte ein Tor pro Saison, Baggio 22, an Ulivieri erinnert sich ausserhalb von Italien sowieso keiner mehr. Andere Trainer haben es geschafft, berühmter zu werden als ihre besten Spieler. Fabio Capello, Spitzname «Feldmaresciallo», wurde in Spanien und Italien Meister, anschliessend trainierte er England. Und Giovanni Trapattoni kann trainieren, wo er will, immer ist er der Star.

Walter Mazzarri wird es wohl nicht schaffen, Edinson Cavani zu überstrahlen. Er hat seinen Platz in den Annalen als Trainer, der Napoli nach mehr als 20 Jahren in die Champions League zurückführte. Cavani aber hat das Zeug zum Weltstar – wenn er Mazzarri und Neapel verlässt.

Scheinheilige Rassismus-Debatte

Birgit Schönau am Dienstag den 8. Januar 2013

Wir begrüssen heute im Steilpass unsere neue Bloggerin Birgit Schönau und wünschen ihr einen guten Start! Die Redaktion.


Es gibt Rassisten in Italien. Bis vor kurzem waren sie sogar an der Regierung, in Koalition mit Silvio Berlusconi. Da gab es einen Minister, der Separatistenpartei Lega Nord, der mit einem Schwein an der Leine über ein Grundstück marschierte, auf dem eine Moschee gebaut werden sollte. Der Minister wollte damit schon mal vorsorglich den Boden entweihen – das Schwein gilt dem Islam bekanntlich als unreines Tier. Wenn die Leute von der Lega im Parlament ihre Brandreden hielten, verliess keiner der Abgeordneten aus Protest den Saal.

Es gibt auch Rassisten in italienischen Fussballstadien. Sie ahmen Affenlaute nach, um schwarze Spieler zu verhöhnen oder sie beschimpfen sie in unübersetzbaren Sprechchören. Dass der Rassismus ebenso wie andere Abarten menschlicher Dummheit nicht vor den Stadiontoren halt macht, ist eine alte Geschichte. Übrigens nicht nur in Italien. Wenn Fussball anstatt in einem Stadion auf einer Opernbühne zur Aufführung käme, würde sich das geneigte Publikum womöglich mit dem Gegröle zurückhalten. Im Stadion meinen sie, das gehöre zum guten Ton.

Rassismus wird in der obersten Liga ignoriert

Ganz sicher haben jene Krawallbrüder, die vergangene Woche im Stadion von Busto Arsizio die schwarzen Spieler der AC Milan verhöhnten, nicht damit gerechnet, in der Weltpresse zu landen. Pech für sie: Der Spieler Kevin-Prince Boateng reagierte auf die Affenlaute, die ihm entgegen dröhnten. Erst schoss er den Ball auf die Tribüne, dann verliess er den Platz. Und der Rest der Milan-Fussballer folgte ihm. Die Nachricht vom Abbruch des Freundschaftsspiels Pro Patria Busto Arsizio – AC Milan ging prompt um die Welt. Wichtige ausländische Blätter beklagten einen «Rassismus-Skandal» und fragten besorgt: Warum bekommt Italien sein Rassismus-Problem nicht in den Griff?

Vielleicht auch deswegen, weil Oberflächlichkeit und Scheinheiligkeit die Rassismus-Debatte im Fussball dirigieren? Denn wie sonst ist es zu erklären, dass es bei einem Freundschaftsmatch in einem Stadion mit 4600 Plätzen zum Spielabbruch kommt, während das Gegröle in Italiens Erstliga-Arenen seit Jahren ignoriert wird? Zuletzt verhöhnten am Samstag die einschlägig berüchtigten Tifosi von Lazio einen schwarzen Spieler von Cagliari. Lazio muss deswegen ein Bussgeld zahlen, aber das Spiel wurde nicht abgebrochen. Schliesslich ging es um Punkte – Lazio gewann die Partie – und um viel Geld.

Silvio Berlusconi hat zwar getönt, seine Milan-Spieler würden fortan immer den Platz räumen, falls sie von Rassisten verunglimpft würden. Auch in der Champions League. Nun, wir werden ja sehen. Kevin-Prince Boateng erklärte, er überlege Italien wegen der Rassisten zu verlassen. Der Schock von Busto Arsizio sitzt offenbar tief. Es war zwar nicht das erste Mal, dass Boateng verunglimpft wurde. Aber in einem winzigen Stadion rückt das Publikum dem Spieler näher als im Meazza-Stadion zu Mailand.

Lega-Politiker unter den Rassisten in der Fankurve

Am Sonntag trug die Milan-Mannschaft in der heimischen Arena Trikots mit der Aufschrift «AC Milan gegen Rassismus». Auch Torwart Christian Abbiati machte mit. Der Mann ist Anhänger des faschistischen Diktators Benito Mussolini aber deshalb noch lange kein Rassist. Sein Arbeitgeber Berlusconi bastelt gerade wieder an Wahlkampf-Absprachen mit den Neofaschisten. Das Problem ist also, sagen wir mal: vielschichtig. Jedenfalls, wenn man nicht in Busto Arsizio Halt machen will. Sechs Krawallmacher wurden inzwischen dingfest gemacht. Einer von ihnen hatte sich als Sportpolitiker der Lega Nord einen Namen gemacht. Es ist wohl wirklich so, dass man als Rassist inzwischen in der Politik weniger auffällt als im Stadion. Da erscheint es logisch, dass der Lega-Mann künftig zwar vom Fussball ausgeschlossen wird aber nicht von seiner Partei.

Deshalb soll aber nicht untergehen, dass  Kevin-Prince Boateng mit seiner Verweigerung richtig gehandelt hat, auch wenn Sepp Blatter den Spieler dafür rügte. Auch einem Profi kann angesichts der geballten menschlichen Dummheit der Kragen platzen, er muss schliesslich nicht vor jedem Publikum spielen. Und selbstverständlich ist jede Aktion gegen Rassismus begrüssenswert, vielleicht hat ja Abbiati inzwischen auch schon seine Mussolini-Büste aus dem Wohnzimmer entfernt.

Am kommenden Sonntag haben alle Schwarzen im Stadion von Busto freien Eintritt, der Bürgermeister von der Berlusconi-Partei verspricht ausserdem eine Vielzahl von Initiativen gegen Rassismus. Das ist beruhigend. Und noch beruhigender sind andere Reaktionen. Nationaltrainer Cesare Prandelli verurteilte die Rassisten im Stadion nämlich genauso wie Bischöfe und Regierungsmitglieder. Ob das woanders wohl auch so gekommen wäre, nach dem Gegröle einiger Fussballfans aus der Vierten Liga? Italien jedenfalls zeigt sich sensibel. Und das ist schon eine ganze Menge.