Autorenarchiv

Was hat die Fussball-Welt gegen die Deutschen?

Alexander Kühn am Mittwoch den 11. Januar 2012
Dec. 2, 2011

Kein deutscher Fussballer hat es in die Weltauswahl geschafft: Bundestrainer Joachim Löw schaut sich den Europameister-Pokal genau an, 2. Dezember 2011.

Sieht man sich die Ergebnisse der Fifa-Wahlen vom Montag an, muss man sich fragen, was die Fussball-Welt gegen die Deutschen hat. Natürlich ist Lionel Messi der richtige Gewinner des Ballon d’Or und Josep Guardiola durch den Champions-League-Triumph ein verdienter Sieger bei den Trainern; Bundestrainer Joachim Löw, der mit dem deutschen Nationalteam alle zehn Partien der EM-Qualifikation gewann, hätte aber zumindest einen Platz auf dem Treppchen verdient gehabt. Weit mehr als José Mourinho oder Sir Alex Ferguson, die mit Real Madrid und Manchester United 2011 schwere Enttäuschungen hinnehmen mussten und es trotzdem unter die Top 3 schafften.

Zugegeben, Löw hat mit dem DFB-Team noch keinen Titel geholt, doch liegt die Betonung hierbei auf «noch». Dem 51-Jährigen ist es gelungen, das Spiel seiner Mannschaft auf ein Niveau zu heben, das an guten Tagen sogar über jenem von Welt- und Europameister Spanien liegt. Attraktiver als die Spanier, bei denen vor den meisten brillanten Offensivaktionen unattraktive Kurzpass-Orgien im Mittelfeld stehen, spielen die Deutschen sowieso. Fussball à la Löw ist Fussball im Zeichen von Tempo und Geradlinigkeit, zwischen dem ersten Pass aus der Defensive und dem Tor liegen oft nur wenige Stationen.

Im Herbst demonstrierte Löws Mannschaft auf dem Weg zum 3:1 gegen Belgien eindrücklich, was schnelles Umschalten von der Offensive in die Defensive bedeutet. Elf Sekunden nachdem Sami Khedira den Ball im eigenen Strafraum unter Kontrolle gebracht hatte, lag er auch schon im gegnerischen Tor – dank eines perfekt ausgeführten Konters mit Mario Gomez und André Schürrle als weiteren Stationen. Den Türken ging es bei ihrer 1:3-Niederlage gegen das DFB-Team nicht besser. Den Führungstreffer für die Deutschen erzielte Gomez auf Zuspiel Thomas Müllers – exakt 13 Sekunden zuvor hatte Torhüter Manuel Neuer den Angriff mit einem Abwurf eingeleitet.

Kein deutscher Spieler in der Weltauswahl

Findet sich im Team des Jahres, der sogenannten FIFPro World XI, deswegen ein deutscher Spieler? Nein. Die Auswahl besteht aus sechs Spaniern (Iker Casillas, Gerard Piqué, Sergio Ramos, Andrés Iniesta, Xabi Alonso und Xavi Hernandez), dem Brasilianer Dani Alves, dem Serben Nemanja Vidic, dem Engländer Wayne Rooney, dem Portugiesen Cristiano Ronaldo und natürlich dem überragenden Argentinier Lionel Messi. Auffällig ist überdies, dass kein einziger Bundesliga- oder Serie-A-Profi in der Traumelf aufgeführt ist. Ist Casillas wirklich besser als Neuer? Und warum findet Rooney in der Hitliste Unterschlupf, aber Gomez nicht?

Mangelnder Sachverstand dürfte für diese Auswahl nicht verantwortlich sein, werden die Kandidaten für die FIFPro World XI doch von Fussballprofis rund um den Erdball nominiert, während bei den Wahlen zum Spieler und Trainer des Jahres Journalisten sowie Trainer und Captains der Nationalmannschaften abstimmen dürfen. Das internationale Prestige der Primera Division und der Premier League liegt aber dank grosser medialer Präsenz und geschicktem Marketing weltweit deutlich über jenem von Bundesliga oder Serie A. Ein Spieler, der in Deutschland oder Italien engagiert ist, kann so auffällig spielen wie er will, wenn ihn ein potenzieller Stimmengeber nicht zu sehen bekommt, nützt ihm das gar nichts. Denn auch Profifussballer, etwa in Asien, wo besonders die Premier League hoch im Kurs steht, stützen sich bei ihrer Auswahl in vielen Fällen auf das, was sie am Fernsehen und in den Zeitungen zu sehen und zu lesen bekommen haben.

Wie sieht Ihre Weltauswahl aus? Und welchen Trainer würden Sie aussuchen?

Ein kaufwütiger Trainer ausser Kontrolle

Alexander Kühn am Samstag den 7. Januar 2012
Felix Magath.

Macht den VfL Wolfsburg zum Durchlauferhitzer: Felix Magath.

Es gibt kaum einen Fussballer, der in dieser Winterpause nicht mit dem VfL Wolfsburg in Verbindung gebracht worden ist. Dies hat zwei Gründe. Zum einen lässt sich in der niedersächsischen Einöde dank der finanziellen Zuwendungen des Volkswagen-Konzerns mehr verdienen als bei den meisten Traditionsvereinen, zum anderen scheint Chefcoach Felix Magath wild entschlossen, seine Try-and-Error-Politik auf Teufel komm raus fortzuführen.

Magath lässt nicht wie andere Trainer innerhalb des Kaders rotieren, sondern tobt sich auf den internationalen Transfermärkten aus. Giovanni Sio, der für fünf Millionen Euro aus Sitten zum VfL wechselte, war sein fünfter Einkauf in diesem Winter, inzwischen folgten zwei weitere. Macht 19 Neue seit der Sommerpause. Zieht man die Einnahmen für die Abgänge von den Transferausgaben für die neuen Spieler ab, bleibt ein sattes Minus von rund 35 Millionen Euro. Das ist mehr als das Budget des Champions-League-Achtelfinalisten FC Basel. In den letzten viereinhalb Jahren hat der Durchlauferhitzer Magath als Trainer von Wolfsburg und Schalke 04 über 80 Kicker zusammengekauft.

«Ich tue mich schwer, mir alle Namen zu merken», bekannte VW-Chef Martin Winterkorn, dessen Firma den Wolfsburger Kaufrausch ermöglicht, als er auf die vielen Neuen beim VfL angesprochen wurde. Am besten lernt Winterkorn die Namen erst gar nicht auswendig, denn beim Team mit den giftgrünen Trikots haben Spieler eine geringe Halbwertszeit. Alexander Hleb, den Magath im August vom FC Barcelona ausgeliehen hatte, musste seinen Koffer nach einer enttäuschenden Vorrunde mit nur vier Einsätzen schon wieder packen, Sotirios Kyrgiakos, Srdjan Lakic und Hrvoje Cale, drei weitere Sommertransfers, stehen ganz oben auf der Abschussliste, die auch die Namen von Patrick Helmes (seit Januar 2011 im Klub), Thomas Kahlenberg und Ex-Captain Josué enthält. Selbst seine defensive Lebensversicherung, den Schweizer Nationalkeeper Diego Benaglio, stellte der Wolfsburger Trainer phasenweise infrage und kokettierte mit der Verpflichtung des Bremers Tim Wiese.

Er geniesst fast uneingeschänkte Macht: Trainer und Manager Magath.

Er geniesst fast uneingeschränkte Macht: Trainer und Manager Magath.

Unter der Rubrik «Gerüchte um Zugänge» des Webportals Transfermarkt.de finden sich beim VfL Wolfsburg nicht weniger als 22 Spieler. Kein Wunder, hat Magath das Trainingslager so aufgleisen lassen, dass er 40 Profis mitnehmen könnte, aktuell tummeln sich 35 Fussballer im aufgeblähten Kader. Verfolgt man das seltsame Treiben in Wolfsburg, kommt man nicht umhin zu hoffen, dass sich die zwischenzeitlich schon als perfekt vermeldete Verpflichtung von U-17-Weltmeister Ricardo Rodriguez doch noch zerschlägt. Ein Wechsel zum Tabellenzwölften der Bundesliga wäre der erste grosse Fehler in der Karriere des talentierten Verteidigers. So etwas wie Angewöhnungszeit würde Rodriguez unter Magath kaum bekommen.

Als Trainer und Manager in Personalunion geniesst Magath in Wolfsburg fast uneingeschränkte Narrenfreiheit. Ganz offensichtlich traut sich keiner, dem Allmächtigen einmal auf die Finger zu klopfen. Sei es aus dem Wissen über die eigene Unkenntnis vom Fussball-Business oder aus Dankbarkeit für den Gewinn der Meisterschaft vor drei Jahren. Dass der Retortenverein VfL Wolfsburg keine fanatischen Fans hat, die auf die Barrikaden gehen könnten, ist ein weiterer Umstand, der dem System Magath entgegenkommt. Es scheint, als könnte dem absurden Experiment nur der Abstieg aus der Bundesliga ein Ende bereiten. Vom Relegationsplatz trennen die Wolfsburger vier Zähler, von der Abstiegszone deren fünf.

Die verbalen Dribblings des Jahres

Alexander Kühn am Samstag den 31. Dezember 2011

Auf seine Wechselpräferenzen angesprochen, antwortete der frühere deutsche Nationalspieler Andy Möller einst mit dem Satz «Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien», und Giovanni Trapattoni prägte als Trainer des FC Bayern den Ausdruck «Flasche leer», der heute zum Kulturgut des Fussballs gehört wie das Wembley-Tor oder die drei Diamanten auf Gilbert Gress’ Brille. Kicker und Trainer sind also nicht nur für die Show auf dem Rasen unverzichtbar, sondern auch für jene daneben. Mal mehr, mal weniger freiwillig. Das war auch im ablaufenden Jahr nicht anders. So sind die Top 10 der Sprücheklopfer 2011 ein buntes Potpourri aus Eloquenz der Marke Heiko Vogel, Überheblichkeit à la Cristiano Ronaldo und Trapattonischer Sprachakrobatik. Aber lesen Sie doch am besten selbst, was die Grössen aus Super League, Primera Division und Bundesliga vor den Mikrofonen zum Besten gaben.

Her mit dem Maulkorb für Fussball-Kommentatoren

Alexander Kühn am Mittwoch den 28. Dezember 2011
Hoffen auf ein Versagen des Mikrofons: Die SF-Kommentatoren Beni Thurnheer und Sascha Ruefer.

Hoffen auf ein Versagen des Mikrofons: Die SF-Kommentatoren Beni Thurnheer und Sascha Ruefer.

Da selbst den Kollegen vom «Blick» zum Jahresende bisweilen die Themen ausgehen, liessen sie auf ihrer Website von den Lesern den besten Sportkommentator des Schweizer Fernsehens küren. Neben dem quasselnden Evergreen Beni Thurnheer standen Koryphäen wie Patrick Schmid oder Dani Kern zur Auswahl. Manch einem wird dies vorkommen, als suche man unter den zu 75 Prozent übergewichtigen Einwohnerinnen der Südseeinsel Tonga nach einer grazilen Eisprinzessin, die mindestens zwei Dreifachsprünge in ihrem Repertoire hat. Das grösste Fussballvergnügen hat der Zuschauer hiesiger Fussball-Übertragungen nämlich dann, wenn er entweder den Ton komplett abschaltet oder das Mikrofon in der Kommentatoren-Kabine ein Einsehen hat und seinen Dienst verweigert.

Irgendjemand scheint dem Kabinenpersonal von SF und Teleclub auf ziemlich überzeugende Weise eingetrichtert zu haben, dass es kein besseres Stilmittel zur Erzeugung von Spannung oder Begeisterung gebe als lautes Geschrei. Dieses steigert sich vor allem bei der Teleclub-Berichterstattung bisweilen zu einem regelrechten Bellen, was bei Hundebesitzern zu einer ungewollten Kettenreaktion führen kann. Schweizer Fussballkommentatoren neigen überdies dazu, ihre Wortspielchen noch bemerkenswerter zu finden als Lionel Messis Dribblings oder David Beckhams Freistösse.

Der frühere Radiokommentator Fredy Hunkeler, der vom Teleclub aus dem Ruhestand geholt wurde, ist mit seiner bisweilen etwas altväterischen, aber stets besonnenen Art eine wohltuende Ausnahme in der Riege der brüllenden menschlichen Kofferradios. Hunkeler weiss ganz offensichtlich, dass für den Zuschauer nicht er im Zentrum des Interesses steht, sondern das Geschehen auf dem Rasen. Einigen seiner Kollegen scheint diese Erkenntnis ob der eigenen Glorie zwischen Schrei- und Kopfstimme-Einlagen abhanden gekommen zu sein.

Die Abonnenten des deutschen Pay-TV-Senders Sky sind im Gegensatz zum gewöhnlichen Schweizer Fussball-Konsumenten in der glücklichen Lage, bei Bundesliga-Übertragungen frei entscheiden zu können, ob sie die jeweilige Partie mitsamt den Ausführungen des Kommentators verfolgen wollen oder nur mit der Geräuschkulisse aus dem Stadion. Dank der Option «Sky Stadion» ist der pure Fussballgenuss auch ohne Mikrofonausfall in der Kommentatoren-Kabine zu haben. Nervt der Reporter, verpasst man ihm ganz einfach per Knopfdruck einen Maulkorb. Es gibt keine Versprecher mehr und auch keine Brüllerei, nur noch die Rufe der Trainer und die Gesänge der Fans. Besitzt man eine Heimkino-Anlage mit Grossleinwand und Surround-Sound-System, ist man der echten Stadionatmosphäre schon ganz nahe.

Gegenüber einem Besuch im Stadion, nehmen wir als Beispiel den Zürcher Letzigrund, hat der Fussballgenuss in den eigenen vier Wänden sogar ein paar Vorteile:

  1. Er ist auch für eine Familie mit vier Kindern bezahlbar.
  2. Man kann sich seine Bratwurst auch im Winter auf dem Holzkohlengrill zubereiten und muss nicht auf ein bleiches Exemplar vom Gasgrill des Frauenvereins zurückgreifen.
  3. Vor dem Kühlschrank gibt es anders als vor dem Bierstand selbst in der Halbzeitpause keine Schlangen.

Auf welchem Sender schauen Sie am liebsten Fussball? Und würden Sie bei den Übertragungen des Schweizer Fernsehens auch nur die Geräuschkulisse aus dem Stadion hören wollen, wenn Sie könnten?

Beckham auf der Guillotine

Alexander Kühn am Samstag den 24. Dezember 2011
David Beckham an einem Freudschaftsspiel von LA Galaxy in Melbourne, 6. Dezember 2011.

Seine Lohnvorstellungen kommen nicht gut an in Frankreich: David Beckham an einem Freudschaftsspiel von LA Galaxy in Melbourne, 6. Dezember 2011.

Beim Namen David Beckham sehen Frankreichs Politiker rot und längst nicht nur jene des linken Spektrums. Beckham hat seinen Vertrag bei Paris St-Germain zwar noch gar nicht unterschrieben, wie viel der alternde Fussballstar aus England verdienen soll, weiss aber schon jetzt jeder: 800’000 Euro. Pro Monat, nicht pro Jahr. «Ich bin schockiert. Und nicht nur ein bisschen, sondern vielmehr als das», sagte Nicolas Dupont-Aignan von der gaullistischen Partei Debout la République stellvertretend für seine Zunft. In Grossbritannien, dessen Hauptstadt London eine Finanzmetropole ist, und in Spanien, wo Fussballer wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo den Statuts von Halbgöttern geniessen, mag ein solches Salär noch angehen, nicht aber im Land der Französischen Revolution, wo die Köpfe der Adligen einst wie Fussbälle aus der Guillotine purzelten.

Angesichts der Krise auf den internationalen Märkten und des Euro-Niedergangs empfinden viele Franzosen Beckhams königliche Bezüge als Schlag ins Gesicht. In einer Umfrage der Zeitung «Le Figaro» erklärten 80 Prozent von rund 9000 Befragten, die kolportierten Zahlen seien unmoralisch. Die Wut des Volkes richtet sich also für einmal nicht gegen Politiker oder Banker, sondern gegen einen Fussballer, der doch nur die Früchte einer rasanten finanziellen Entwicklung geniesst, welche die Grossklubs wie Real Madrid oder der FC Chelsea befeuert haben.

Beckham gibt den Tarif durch: David Beckham macht auf sich aufmerksam.

David Beckham gibt den Tarif durch: Der Engländer macht auf sich aufmerksam.

Gewiss ist es nicht gerecht, dass ein Arbeiter mit ein paar Tausend Euro im Monat auskommen muss, während Beckham das Geld förmlich in den Allerwertesten gesteckt wird, den 115-fachen englischen Nationalspieler als einen finanztechnischen Nimmersatt darzustellen, der auf seine alten Tage noch einmal absahnen will, ist aber falsch. Beckham liefert seinen Arbeitgebern auch mit 36 Jahren noch einen guten Return on Investment. Zum einen zeigt er auf dem Feld dank Leidenschaft und seinem genialen rechten Fuss starke Leistungen, zum anderen ist es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass Paris St-Germain die Trikots mit seinem Namenszug wie warme Baguettes verkaufen wird.

Das Problem im Fussball sind nicht die Spieler, die sich verständlicherweise nicht gegen ihre Gehälter wehren, sondern Investoren und Klubchefs mit Allmachtsfantasien, die den Erfolg mit allen Mitteln erkaufen wollen und so der Vernunft Stück für Stück entsagen. Es läge in den Händen der Ligen, dieser Entwicklung einen Riegel zu schieben, indem sie ihr Hoheitsgebiet für Milliardäre aus 1001 Nacht unattraktiv machen und gleichzeitig in Kauf nehmen, dass dies für die Vereine im internationalen Wettbewerb ein Nachteil ist.

Die Deutsche Fussball-Liga (DFL) etwa verbietet mittels der sogenannten 50+1-Regel, dass Kapitalanleger die Stimmenmehrheit bei Kapitalgesellschaften übernehmen, in die Fussballklubs ihre Profimannschaften ausgliedern. Selbst bei der TSG Hoffenheim Fussball-Spielbetriebs GmbH, die ihren Platz in der Bundesliga ausschliesslich dem milliardenschweren Software-Unternehmer Dietmar Hopp verdankt, besitzt der Mutterverein noch immer die Stimmenmehrheit. Obwohl die GmbH zu 96 Prozent Hopp gehört.

Für den Fussball-Fan stellt sich heutzutage die Glaubensfrage: Will er für das Produkt eines Investors in der Champions League die Fahne schwenken oder in einer tieferen Liga einem Fussballklub klassischen Zuschnitts die Daumen drücken. Erboste Anhänger von Manchester United wollten nach dem Einstieg des US-Milliardärs Malcolm Glazer Letzteres, kündigten dem 19-fachen englischen Meister die Liebe und gründeten den FC United of Manchester, ohne Millionen, aber auch ohne den ungeliebten Glazer.

Über die Feiertage kann es vorkommen, dass Kommentare nicht freigeschaltet werden. Das wird spätestens am 27. Dezember geschehen. Frohes Fest!

Ich bastle mir meine heile Fussballwelt

Alexander Kühn am Mittwoch den 21. Dezember 2011


Super League, Champions League und Bundesliga machen Winterpause? Sollen sie doch. Ich spiele unter dem Tannenbaum meine eigene Fussball-Meisterschaft, in der ich der Chef bin, mein Klub alle möglichen Titel gewinnt und Schlaftablettenvereine wie 1899 Hoffenheim und der VfL Wolfsburg entweder gar nicht exisitieren oder irgendwo in den Niederungen der 2. Liga eine Niederlage nach der anderen kassieren. Möglich macht den Traum ein altersschwacher PC aus den Neunzigern und eine CD-Rom mit der bis heute unerreichten Fussball-Simulation Bundesliga Manager Hattrick, kurz BMH.

Steilpass-Blog-Leser jenseits der Dreissig werden sich erinnern, welche fast schon erotischen Wallungen einen durchfluten, wenn auf dem BMH-Transfermarkt ein Spieler zum Verkauf steht, der in jeder der drei Kategorien Technik, Kondition und Form den Maximalwert 99 besitzt. Hat man ein Dutzend dieser 99er in seinem Team, eilt man leichtfüssig von Sieg zu Sieg und gibt im Europapokal der Landesmeister, wie er hier noch heisst, auch den Fussball-Imperialisten AC Milan (im Bundesliga Manager wegen Markenrechts-Poblemen EC Mailand genannt), Inter Mailand (Ynter Mailand), Real Madrid (Raal Madrid) oder FC Barcelona (FC Garcelona) ordentlich eins auf die Mütze.

Bei jedem Treffer leuchtet die Steinzeitanzeigetafel des Spiels mit dem Christbaum um die Wette, und am Ende steht es unverrückbar da: Dynamo Dresden – FC Garcelona 7:0. Als ich noch zur Schule ging und sich meine Dynamos in der Regionalliga Nordost von Berliner Quartiervereinen wie den Reinickendorfer Füchsen oder Hertha Zehlendorf auf der Nase herumtanzen lassen musste, waren diese Triumphe mein fussballerisches Lebenselexier. Meine Messis und Ronaldos hiessen und heissen in der BMH-Parallelwelt Stanislaw Tschertschessow, Torsten Gütschow oder Jörg Stübner. Im richtigen Leben ist der frühere russische Nationaltorhüter Tschertschessow heute Chefcoach des tschetschenischen Klubs Terek Grosny, der dreifache DDR-Oberliga-Torschützenkönig Gütschow Trainer einer Amateurmannschaft und der emsige Mittelfeldmann Stübner Hartz-IV-Empfänger.

Bittere Endspielniederlagen im Europapokal wie etwa das 1:2 der Bayern gegen Manchester United muss sich im Reich von Bundesliga Manager Hattrick keiner antun. Speichert man den Spielstand vor dem Finale ab, kann man dieses so lange durch den Rechner rattern lassen, bis einem das Resultat gefällt. Sollen die vom FC Garcelona und Ynter Mailand nur jubeln, wenn sich das Programm doch einmal gegen meine Allmachtsfantasien auflehnen will. Wenn sie nach dem Pokal greifen wollen, erkläre ich den Ausgang der Partie per Knopfdruck einfach für null und nichtig. Spiel beenden, Spiel neu laden. Hier gewinne nur ich. Früher oder später.

Natürlich ist es kindisch und unfair, mit solchen Tricks zu arbeiten. Die Verhältnisse in der Realität sind aber auch nicht besser. Dorthin, wo das Geld zu Hause ist, wandern meist auch die Pokale. Und jahrelang hat es die Uefa kein bisschen gekümmert, ob der siegreiche Klub mit dem 200-Millionen-Budget nun mit 300, 400 oder 500 Millionen in der Kreide steht. Transfersummen, die gegen 100 Millionen gingen, waren begrüssenswerte Sensationen, wer sie kritisierte, ein Nörgler, bestenfalls ein von der Zeit überholter Romantiker. Beim Bundesliga Manager Hattrick ist es anders. Übersichtliche 5 Millionen D-Mark Ablöse sind das höchste der Gefühle, und bei Misswirtschaft kommt der gestrenge DFB und schickt einen mitsamt den 99er-Spielern in die nächsttiefere Liga. Es sei denn, man weiss, mit welchen Tastenkombinationen sich unendlich viel Geld von der Bank abheben lässt, ohne dass einer etwas merkt. Aber fertig jetzt, die Saison beginnt!

Bundesliga Manager Hattrick hat eine eigene Fansite im Web. Dort steht auch eine auf neuzeitlichen Windows-Computern spielbare Version des Klassikers zur Verfügung.

Happy Birthday, Gilbert Gress!

Alexander Kühn am Samstag den 17. Dezember 2011

Lieber Gilbert Gress,

Sie sind nicht nur der letzte wahre Popstar im Schweizer Fussball, sondern auch der einzige, von dem in den Weiten des Internets zwei Geburtsdaten kursieren: der 14. und der 17. Dezember 1941. Der Respekt vor Ihrem jugendlichen Elan gebietet es mir, den späteren Termin als wahren Geburtstag zu betrachten. Deshalb hier und heute: alles Gute zum 70. Wiegenfest.

Sie haben schon zu meiner Fussballwelt gehört, als ich am Langnauer Schülerturnier im gegnerischen Strafraum vergeblich auf verwertbare Zuspiele wartete, und Sie sind bis heute nicht aus ihr wegzudenken. Selbst in den Studios des Schweizer Fernsehens versprühen Sie weltmännischen Glanz, beim Tippen der Champions-League-Resultate liegen Sie zwar bisweilen daneben, aber ihre Begründungen sind auch dann noch 1000-mal eleganter als die von Andy Egli, wenn er recht hat.

Der antike Sagenheld Herkules hat die Rinderställe des Augias ausgemistet und die menschenfressenden Rosse des Diomedes gebändigt, Sie haben die schlimmsten Heimsuchungen, die einem Fussballtrainer blühen können, überstanden: die Schweizer Nationalmannschaft, ein Engagement beim FC Sion unter Christian Constantin, den FC Aarau, die SF-Dokusoap «Der Match» mit Carl Hirschmann als Schützling und eine Tele-Züri-Homestory mit Patty Boser. Weder die Begeisterung für Ihren Beruf noch den korrekten Sitz Ihrer Frisur haben Sie ob all dieser Unbill eingebüsst. Chapeau!

In bester Erinnerung ist mir ihr entgeistertes Lachen, als Patty Boser im Kühlschrank Ihrer Wohnung in St-Blaise eine Fertig-Rösti fand und Sie fragte, ob Sie in der Lage seien, diese zuzubereiten. Natürlich nicht! Ein Fussballstratege Ihres Kalibers schneidet keine Rösti-Beutel auf. Und den bleichen Inhalt des Beutels wird er erst recht nicht braten. Mit Ihrem Charme finden Sie immer jemanden, der Ihnen ein Festmahl auf den Tisch zaubert. Ihre Ehefrau Béatrice hält Ihnen nicht umsonst seit fünf Jahrzehnten die Treue.

Sogar meinen persönlichen Wohlstand haben Sie befördert. Nicht weil ich Ihren Champions-League-Tipps gefolgt und mit Internet-Wetten reich geworden wäre, sondern weil ich 2007 mit meinem damaligen Chef gewettet habe, dass Sie den FC Aarau vor dem Abstieg bewahren. Eine Flasche Champagner und 100 Franken sind dabei herausgesprungen – immerhin. Sie habe laut eigener Aussage keine Fehler, und das hätte auch mein Chef wissen müssen. Wer den Gress unterschätzt, ist eben selber schuld.

Nur eines müssen Sie mir erklären: Warum lassen Sie ihre Spieler vor wichtigen Partien eine halbe Grapefruit essen? Dass Sie die Grapefruit einst auf dem Speisezettel des zehnfachen französischen Meisters AS St-Etienne entdeckt haben, kann ja nicht der einzige Grund sein. Wenn man Ihrem Ex-Klub FC Zürich in der laufenden Meisterschaft zugesehen hat, würde man sich wünschen, dass die Grapefruit unter Urs Fischer noch immer obligatorisch wäre. Den jämmerlichen Penalty in Sion hätte Xavier Margairaz sicher nicht so schläfrig geschossen, wenn er zuvor ins bitter-saure Fleisch ihrer Lieblingsfrucht gebissen hätte.

Ich hoffe, Sie haben bald wieder einen Job als Cheftrainer. Am besten in einer der grossen europäischen Ligen. Mit Ihnen wäre sogar der VfL Wolfsburg, den Mario Basler treffend als Schnupfen der Bundesliga bezeichnet hat, eine Attraktion. Aber jetzt feiern Sie erst einmal schön Ihren Geburtstag, mit oder ohne Grapefruit.

Die 10 Verlierer der Hinrunde

Alexander Kühn am Mittwoch den 14. Dezember 2011

Wir begrüssen heute hochoffiziell Alexander Kühn. Aufmerksamen Lesern ist sein erster Beitrag im Steilpass sicher nicht entgangen. Er wird künftig gemeinsam mit Mämä Sykora jede Woche über Fussball bloggen. Willkommen!

Für die Schweizer Fussball-Prominenz kommt der Schmutzli mit einer guten Woche Verspätung. Statt einer Rute hat er dafür gleich zehn im Gepäck. Eine für jeden, der in der Hinrunde mitgeholfen hat, die hiesigen Profiligen in einen Jahrmarkt der Eitelkeiten, Dummheiten, Fehlpässe und juristischen Winkelzüge zu verwandeln.

Sollten die Funktionäre an der Spitze der Swiss Football League noch nach geeigneten Strafen für die Versager und Despoten zwischen Neuenburg und Zürich suchen, hier ein paar Vorschläge:

  1. Eine Schicht als Marroniverkäufer beim für längere Zeit letzten Europa-League-Heimspiel des FC Zürich gegen den rumänischen Vertreter FC Vaslui im winterlichen Letzigrund.
  2. Eine handschriftliche Kopie des gesamten Briefverkehrs zwischen den Juristen des FC Sion und jenen von Fifa, Uefa und Swiss Football League.
  3. Ein Styling beim Coiffeur von FCZ-Trainer Urs Fischer und eine Modeberatung beim Herrenausstatter von Xamax-Besitzer Bulat Tschagajew.
  4. Ein Einsatz als Schiedsrichter bei einem Spiel des FC Köniz in der 2. Liga interregional. Beim Berner Klub spielt Carlos Varela, das langjährige Enfant terrible der Super League.
  5. Aus der Pfeife von FCZ-Präsident Ancillo Canepa eine Ladung Kunstrasen aus dem Stade de Suisse rauchen.
  6. Einmal aufräumen in den WC-Anlagen des Letzigrund-Stadions nach dem nächsten Match zwischen dem FC Zürich und dem FC Basel.

Und die zehn Verlierer der Hinrunde in der Schweizer Fussball-Meisterschaft sind:

Dynamo Dresden – ein Fussballklub in Geiselhaft der Krawallmacher

Alexander Kühn am Samstag den 29. Oktober 2011

Knall und Rauch: Dresden-Fans auswärts in Dortmund. (Bild: Keystone)

Woran denken Sie, wenn Sie den Namen Dynamo Dresden hören? Wahrscheinlich an stiernackige Krawallmacher, Knallpetarden oder Strassenschlachten mit der Polizei. Und als Dynamo-Fan kann ich Ihnen das noch nicht einmal verübeln. Schliesslich hat die gewalttätige Fraktion der Dresdner Anhängerschaft den Ruf des Klubs anlässlich des DFB-Pokalspiels in Dortmund wieder einmal gehörig besudelt. Vor einem Millionenpublikum und von den Kameras des ZDF gekonnt ins Bild gerückt.

Nicht nur Spieler und Vereinsführung von Dynamo hatten den Auftritt beim deutschen Meister als Festtag in ihrem Kalender angestrichen, sondern auch die Unbelehrbaren, die den achtfachen DDR-Meister in Geiselhaft halten. Wieder war nur von ihnen die Rede und nicht von den rund 15’000 friedlichen Supportern, die unter der Woche je 400 Kilometer Hin- und Rückreise auf sich nahmen, um den ungleichen sportlichen Kampf gegen den Champions-League-Teilnehmer zu sehen.

Es geht auch friedlich: Heimspiel gegen Leverkusen. (Bild: Keystone)

Das Umfeld der Dresdner ist ein ganz besonderes – im Positiven wie im Negativen. Dynamo kann nicht ohne seine Fans, weil die hohen Zuschauerzahlen dem finanziell angeschlagenen Verein das Überleben sichern, und Dynamo kann nicht mit seinen Fans, da deren Gewaltexzesse all jene potenziellen Grosssponsoren abschrecken, die den früheren Europapokal-Halbfinalisten wieder aufs internationale Parkett führen könnten.

Dynamo-Geschäftsführer Volker Oppitz war in Dortmund deutlich anzumerken, wie satt er es hat, ständig Auskunft über schwarzgelb gekleidete Randalierer geben zu müssen. Und Stürmer Robert Koch, der massgeblich am sensationellen 4:3-Triumph über Bayer Leverkusen in der ersten Pokalrunde beteiligt war, bekannte, er schäme sich für die Krawallmacher unter den Dresdner Zuschauern. Kochs Aussage ist ehrenhaft. Die Sportgemeinschaft Dynamo Dresden kann sich aber drehen und wenden, wie sie will, das Hooliganproblem wird sie so schnell nicht los. Der Klub hat das, was man in der Wirtschaft als Standortnachteil bezeichnet.

Im strukturell schwachen Osten der Bundesrepublik ist ein ungleich grösseres Gewaltpotenzial vorhanden als im wohlhabenden Süden. Das ist keine Entschuldigung für die ständigen Krawalle bei Dynamo-Partien, aber eine Erklärung. Ruhig und familienfreundlich geht es im wilden Fussball-Osten eigentlich nur zu und her, wenn der Retortenverein RB Leipzig in der viertklassigen Regionalliga Nord gegen die Reserveteams der Bundesligisten VfL Wolfsburg oder Hamburger SV spielt. Die Existenz des Red-Bull-Satelliten ist dennoch nicht unproblematisch: Die Anhänger der anderen Klubs aus der Region betrachten ihn als Provokation und empfangen ihn bei Auswärtsspielen entsprechend gereizt.

Nun hat in den beiden Bundesligen längst nicht nur Dynamo Dresden ein Problem mit pöbelnden Fans, sondern auch Eintracht Frankfurt oder der FC St. Pauli. Krawalle bei Dynamo-Spielen passen aber ins Bild vom Problemverein, das die deutschen Medien seit Jahren beflissen transportieren. «Wenn in Dresden einer einen Knaller fallen lässt, sind sofort 15 Fernsehteams vor Ort. Das steht in keinem Verhältnis», drückte es der frühere Dynamo-Spieler und Bundesliga-Torschützenkönig Ulf Kirsten pointiert aus. Auch am Pokal-Dienstag war im ZDF nur von den Zündeleien der Dresdner die Rede und nicht von jenen der Fans aus Köln oder Bochum, obwohl es in deren Blocks ebenso lichterloh brannte.

Die reisserische Berichterstattung, der sich selbst die öffentlich-rechtlichen Sender nicht verschliessen, ist für die Hooligans überdies eine Bestätigung für ihr elendes Treiben. Wer im Fernsehen kommt, ist schliesslich relevant und wichtig. Während es Spieler, Funktionäre und echte Fans schmerzt, dass sich die Gegner vor Dynamo regelrecht fürchten, berauschen sich die Gewalttäter an der Tatsache, dass sie als böseste Buben der Republik gelten. Das ZDF hat ihrer Eitelkeit im Rahmen des Pokalspiels in Dortmund die perfekte Bühne geboten. Man hatte den Eindruck, als hofften die Reporter regelrecht auf eine Eskalation. Diese hätte die Quote in die Höhe gejagt und einen besonderen voyeuristischen Schauer in die sicheren Wohnzimmer getragen.

Einer brach eine Lanze für Dynamo Dresden: Dortmunds Trainer Jürgen Klopp. «Es ist kein Problem von Dynamo Dresden, sondern von ein paar Schwachköpfen», sagte der Meistercoach zu den Randalen. Klopp fürchtet aber, dass die «Schwachköpfe» die Dresdner um Kopf und Kragen bringen könnten: «Der nächste Schritt wird sein, Spiele abzubrechen und alle nach Hause zu schicken.» Für die friedlichen Anhänger von Dynamo hilft wohl nur noch eines: beten.