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Rache an Real

Alexander Kühn am Mittwoch den 25. April 2012


Jupp Heynckes ist kein Mann der lauten Töne. Im gesegneten Traineralter von fast 67 Jahren erst recht nicht mehr. So verwundert es nicht, dass der Stratege auf der Bank des FC Bayern vor dem heutigen Halbfinal-Rückspiel in der Champions League bei Real Madrid jede Polemik vermeidet. Wie es in seinem Inneren aussieht kann man aber nur erahnen. Heynckes hat mit Real noch eine Rechnung offen – und zwar eine von historischem Format. 14 Jahre ist es her, dass der Deutsche mit den Madrilenen die Krone des europäischen Clubfussballs gewann und dann statt eines neuen Vertrags doch nur einen Tritt in den Hintern bekam.

In den Augen der Real-Führung war Heynckes stets ein Notnagel. Den Job im Bernabéu bekam er nur, weil der heutige Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld dem spanischen Rekordmeister zuvor eine Absage erteilt hatte. Entsprechend respektlos war die Kommunikation bei seiner Entlassung. Der damalige Real-Präsident Lorenzo Sanz unterrichtete zunächst einen Radiosender von seinem Entschluss, erst dann telefonierte er mit dem geschassten Coach. Noch wichtiger als der Erfolg sei bei Real der Draht zu den Mächtigen, lautet Heynckes’ Lehre aus dem bewegten Jahr in Madrid. Man müsse nicht nur ein begnadeter Trainer sein, sondern auch ein Verkäufer der Extraklasse.

José Mourinho ist so ein Verkäufer. Einer der sich seinen Vorgesetzten gegenüber wie ein Gott gebärden kann, obwohl er seit seiner Ankunft im Jahr Sommer 2010 noch keinen bedeutenden Titel gewinnen konnte und seinen ersten Clásico gegen den Erzrivalen FC Barcelona am 29. November 2010 im Camp Nou mit 0:5 verlor. Mourinho steht für den Glamour, der bei Real Madrid ganz oben im Pflichtenheft figuriert. Ob er auch der bessere Taktiker als Heynckes ist, hat der Portugiese heute Abend aber erst noch zu beweisen. Er muss mit der Erwartungshaltung klarkommen, die er selbst geschaffen hat.

Trainer Heynckes ist im Bayern-Kader nicht der Einzige, für den das Motto «Rache an Real» gilt. Auch sein Flügel Arjen Robben weiss, wie es ist, wenn man bei den Königlichen nicht mehr erwünscht ist. Nach den Transfers von Cristiano Ronaldo und Kaká legte ihm die Chefetage im Sommer 2009 den Abschied nahe – knapp zwei Jahre zuvor war er für 36 Millionen Euro von Chelsea nach Spanien gelotst worden. Robben machte anders als Heynckes kein Geheimnis daraus, wie sehr ihn die Vertreibung aus Madrid traf: «Von aussen betrachtet sieht bei Real immer alles so schön aus, aber wenn man drin ist, kommt es einem ganz anders vor als aus der Entfernung», sagte er der holländischen Zeitung «Sportwereld». «Ich finde nicht, dass ich in Madrid sehr gut behandelt wurde. In diesem Verein ist alles so politisch.»

Man kann sich denken, welche Befriedigung es für den Holländer wäre, seinem Ex-Club einen grossen Strich durch die Rechnung zu machen. Trifft Robben im Bernabéu für die Bayern, muss Real schon drei Tore schiessen, um den Champions-League-Final zu erreichen. Das Erreichen des Endspiels würde den Flügelspieler auch ein wenig für den mit 0:1 verlorenen WM-Final 2010 gegen Spanien entschädigen. Dort hätte er in der 83. Minute nach einem Zuspiel von Robin van Persie zum Helden werden können, scheiterte aber am herausstürzenden Real-Goalie Iker Casillas.

Red Bull und die Albtraumliga

Alexander Kühn am Samstag den 21. April 2012
Stierisch ernst: So präsentiert sich die 1. Mannschaft von RB Leipzig auf der Vereinswebsite.

Stierisch ernst: So präsentiert sich die 1. Mannschaft von RB Leipzig auf der Vereinswebsite.

Dietrich Mateschitz, der Chef des Energydrink-Herstellers Red Bull, ist es gewohnt, dass alles zu Gold wird, was er anfasst. Erst recht nach dem zweiten Weltmeistertitel für sein Formel-1-Team um Sebastian Vettel im vergangenen November. Der Red-Bull-Masterplan zur Eroberung des deutschen Fussballs funktioniert aber auch rund drei Jahre nach der Gründung des Retortenvereins Rasenballsport Leipzig hinten und vorne nicht. Zwar begann die Saison für RB mit dem Sieg über das VW-Spielzeug VfL Wolfsburg in der 1. Runde des DFB-Pokals glänzend, in der viertklassigen Regionalliga Nord liegen die Leipziger aber fünf Runden vor Schluss vier Punkte hinter dem einzigen Aufstiegsplatz zurück. Trotz des renommierten Trainers Peter Pacult und erfahrenen Profis wie dem österreichischen Nationalstürmer Roman Wallner oder Pekka Lagerblom, der zwölfmal das Trikot der finnischen Auswahl trug und in Deutschland auf 25 Einsätze in der 1. Bundesliga kam.

Die Verantwortlichen in Leipzig machen kein Geheimnis daraus, dass ihr Ziel mittelfristig 1. Bundesliga und langfristig Champions League heisst. Wenn der starke Regionalliga-Tabellenführer Hallescher FC um den früheren Nürnberger Bundesliga-Profi Maik Wagefeld nicht noch empfindlich einbricht, werden die Gegner von RB in der kommenden Saison aber weiter Germania Halberstadt, TSV Havelse oder ZFC Meuselwitz heissen. Gegen die Mannschaft aus dem thüringischen 11’000-Einwohner-Örtchen Meuselwitz kassierten die Leipziger vor zwei Wochen zu Hause eine wohl verhängnisvolle 0:1-Niederlage. Krasser als an diesem Tag kann die Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei den steinreichen fussballerischen Sendboten des Red-Bull-Konzerns kaum zutage treten. Bayern München oder Borussia Dortmund sind sportlich Lichtjahre entfernt.

Das Problem der RB-Equipe, die im vergangenen Jahr gegen den Chemnitzer FC im Aufstiegsrennen den Kürzeren zog, liegt auf der Hand. Gegen den Krösus der Regionalliga Nord ist jedes Team motiviert, als handle es sich um einen Pokalfight mit dem FC Bayern. Den reichen Emporkömmlingen gönnt keiner den Erfolg, einem Traditionsverein wie Chemnitz oder Halle dagegen schon. Ein Team, das sich gegen Leipzig zerreisst, legt sich gegen Halle nach einem Rückstand vielleicht nicht mehr ganz so fest ins Zeug. Heute Nachmittag muss RB beim Tabellendritten Holstein Kiel antreten, dem Lieblingsclub des Comic-Helden Werner. Die Kieler haben bei zwei Punkten Rückstand auf Leipzig selbst noch eine kleine Chance auf den Aufstieg in der 3. Liga.

«Schwule Sau»: So konterte Trainer Pacult den verbalen Angriff eines St.-Pauli-Fans. (Keystone)

«Schwule Sau»: So konterte Trainer Pacult den verbalen Angriff eines St.-Pauli-Fans. (Keystone)

Zum sportlichen Krebsgang kommen bei RB in schöner Regelmässigkeit peinliche Geschichten über das Fehlverhalten des Personals. Zuletzt geriet Trainer Pacult ins Kreuzfeuer der Kritik, weil er gemäss übereinstimmenden Berichten von «Bild» und «Hamburger Morgenpost» beim Spiel gegen die Amateure des FC St. Pauli Anfang April einen Anhänger der Hansestädter als «schwule Sau» beschimpfte. Der Fan habe ihn zuvor provoziert und einen «schwulen Österreicher» genannt, rechtfertigte sich Pacult. Es habe während des Spiels weitere Beleidigungen gegen ihn und seine Spieler gegeben, selbst körperliche Angriffe seien nicht ausgeblieben.

Im Juli 2010 hatte sich die Presse in Sachsen genüsslich über verbotene Besuche von RB-Spielern in der Mensa der Leipziger Universität hergemacht. Mehrere der fürstlich entlohnten Fussballer verschafften sich mittels geliehener Chipkarten eines der vom Staat subventionierten Tagesmenüs zu Preisen zwischen 1.50 und 3.50 Euro. Von Betrug am Steuerzahler war die Rede, Werbung für Red Bull sieht anders aus.

Was am Bayern-Dusel wirklich dran ist

Alexander Kühn am Mittwoch den 18. April 2012


Beim Bundesliga-Gipfel in Dortmund waren die Bayern vom Glück verlassen. Arjen Robben verschoss einen Penalty und vergab in der Schlussphase eine hochkarätige Chance zum Ausgleich. Am Ende stand eine 0:1-Niederlage, die gleichbedeutend war mit der Kapitulation im Kampf um die deutsche Meisterschaft. Gestern Abend um exakt 22.32 Uhr war er scheinbar aber wieder da – der sprichwörtliche Bayern-Dusel. Mario Gomez traf in der 90. Minute des Halbfinal-Hispiels in der Champions League gegen Real Madrid zum 2:1 für die Münchner. Nicht mit einem kunstvollen Schlenzer oder einem spektakulären Fallrückzieher, nein, Gomez drückte den Ball trotz seiner spanischen Wurzeln rustikal bayerisch über die Linie. Und dann auch noch zu diesem späten Zeitpunkt. Glückhaft würden es nicht wenige nennen.

Wer während der rund 94 Minuten in der Allianz Arena Bayern-Dusel finden wollte, wird auch auf die 17. Minute verweisen, als das 1:0 für die Deutschen fiel. Beim erfolgreichen Abschluss von Franck Ribéry stand Luiz Gustavo nämlich im Abseits. Zur Erleichterung der Bayern blieb die Pfeife des englischen Schiedsrichters Howard Webb aber stumm. Zwei Tore und zweimal Dusel also, könnte man sagen – typisch Bayern eben. Letztlich ist die Beschwörung des Bayern-Dusels aber nichts als dummes Geschwafel. Ein Kondensat aus mangelnder Einsicht, selektiver Wahrnehmung und der Unfähigkeit, Kampfgeist und Willenskraft anzuerkennen. Genauso gut könnte man im Tennis von einem Djokovic-Dusel reden, weil der Serbe seit Januar 2011 die ganz wichtigen Spiele auch dann gewinnt, wenn er sich scheinbar aussichtslos im Hintertreffen befindet. Der French-Open-Halbfinal gegen Roger Federer im vergangenen Juni bestätigt als Ausnahme diese Regel nur.

Ein Tennisjournalist, an den die Leser den Anspruch der Objektivität stellen, würde sich jedoch kaum anmassen, Djokovics Erfolg auf ein Glücks-Gen zurückzuführen, zu sehr würde er sich der Lächerlichkeit presigeben. Den Bayern aber darf jeder andichten, sie seien in unerträglichem Mass vom Glück begünstigt. Im Gegensatz zum charmanten Djokovic füllen sie in den Köpfen der meisten Sportfans die Rolle des unsympathischen Grosskotzes aus und müsse als Mülleimer für den angestauten Frust der Enttäuschten hinhalten. «Für diejenigen, die die Bayern nicht mögen, ist es eine Erleichterung, nicht die Leistung der Mannschaft anerkennen zu müssen, sondern ihr Glück für ihre Erfolge verantwortlich machen zu können», schreibt Christian Schütte in seinem Buch mit dem Titel «Matchwinner und Pechvögel: Ergebniserklärung in der Fussballberichterstattung». Treffender kann man es nicht formulieren.

An einer rationalen Auseinandersetzung anhand statistischer Erhebungen besteht kein Interesse. Dabei liegt es bei nüchterner Betrachtung auf der Hand, dass die Bayern gerade auf nationaler Ebene einfach deshalb öfter in engen Situationen die Oberhand behalten, weil sie weit mehr als die meisten Gegner ein Kollektiv mit herausragender Physis und Psyche bilden. Oder etwas einfacher formuliert: Qualität setzt sich eben durch. Ob in der ersten oder der letzten Minute spielt mathematisch keine Rolle. Die Bayern besitzen in den Augen des Sportpsychologen und früheren Bundesliga-Torhüters Philipp Laux den Glauben, «jedes Spiel zu jedem Zeitpunkt noch gewinnen zu können», was unter anderem damit zu tun habe, dass der Club seine Ziele klar formuliere und sich die Spieler mit dieser positiven Art des Denkens identifizierten.

Noch besser als mittels aller theoretischen Betrachtungen lässt sich der Mythos vom Bayern-Dusel jedoch mit einem einfachen Beispiel zerpflücken – dem Champions-League-Endspiel von 1999 gegen Manchester United. Die damals noch vom heutigen Schweizer Nationalcoach Ottmar Hitzfeld trainierten Münchner führten bis in die Nachspielzeit mit 1:0, hatten den Pfosten und die Latte getroffen, ehe der grösste anzunehmende Fussballunfall geschah – zwei Gegentreffer binnen zwei Minuten durch Teddy Sheringham und Ole Gunnar Solskjaer. Die denkwürdige Partie hat längst Eingang in die Geschichtsbücher gefunden, das Gerede vom Bayern-Dusel aber ist dennoch geblieben.

Für Murat Yakin wäre GC ein Rückschritt

Alexander Kühn am Samstag den 14. April 2012
Murat Yakin und Ciriaco Sforza, 20. März 2012.

Den bald vakanten Trainerposten bei GC zu übernehmen, wäre ein Fehler: Murat Yakin und GC-Trainer Ciriaco Sforza, 20. März 2012. (Bild: Keystone)

Glaubt man den Gerüchten, die zurzeit rund um die Grasshoppers kursieren, gibt es nur zwei Kandidaten für die Nachfolge von Ciriaco Sforza – den Wunschtrainer Murat Yakin und Uli Forte als Plan B. Für Yakin sprechen seine grossen Erfolge mit dem FC Luzern, für Forte die Tatsache, dass GC Yakin kaum bekommen wird. Auf jeden Fall ist den Zürchern zu wünschen, dass sie bei der Auswahl des neuen Trainers professioneller Vorgehen als gestern bei der Kommunikation des Abgangs von Sforza. Das hierfür gedachte E-Mail an die bei der Medienkonferenz nicht anwesenden Journalisten war nämlich so leer wie der Letzigrund bei den Heimspielen des Rekordmeisters. Es fehlte das angehängte Word-Dokument, das gewöhnlich den Text der Pressemitteilung enthält.

Trotz des neuen Winds, den sich GC wohl zurecht von seinem Sanierer Dosé verspricht, wäre Yakin schlecht beraten, in Luzern den Bettel hinzuschmeissen, um seiner alten Zürcher Liebe beim Wiederaufbau zu helfen – Differenzen mit FCL-Präsident Walter Stierli hin oder her. Der vom «Blick» kolportierte Jahreslohn von 500’000 Franken dürfte für einen Mann von Yakins Kaliber auch kein Argument sein. Wie Sforza hat Yakin in seiner Karriere so viel Geld verdient, dass er sich seine Engagements nicht nach finanziellen Gesichtspunkten aussuchen muss. Die sportlichen Perspektiven sind für ihn entscheidend.

Ausser dem schmucken Campus in Niederhasli und der vagen Hoffnung auf bessere Tage können die Grasshoppers Yakin eigentlich nichts bieten. Zudem ist das Umfeld in Luzern mit der Verpflichtung des hervorragenden Fachmanns Heinz Hermann als Sportchef noch ein ganzes Stück professioneller geworden. Hermann und Yakin werden sich bestens ergänzen. Punkto Stadion ist die vermeintliche Provinz Luzern der selbsternannten Weltstadt Zürich ohnehin weit voraus. Die Swissporarena gehört zu den Schmuckstücken hierzulande, der Letzigrund taugt höchstens für Konzerte und das alljährliche Leichtathletik-Meeting.

Natürlich ist es eine durchaus reizvolle Aufgabe aus dem aktuellen Trümmerhaufen GC wieder einen kompetitiven Player im Schweizer Fussball-Business zu machen. Die Chance, dass ein Trainer bei diesem Versuch auf die Nase fällt, ist aber gross. Was die Arbeit von Ciriaco Sforza in den vergangenen drei Jahren tatsächlich wert war, wird sich erst zeigen, wenn ein neuer Mann das Kommando übernommen hat. Die Grasshoppers Ausgabe 2011/12 hätte wohl selbst José Mourinho nicht in den internationalen Wettbewerb geführt. Die Mannschaft ist schlicht zu schwach und seit dem Verkauf des noch immer besten GC-Torschützen Innocent Emeghara Ende August offensiv so unschuldig wie die Jungfrau Maria höchstpersönlich.

Wenn Yakin den FC Luzern zum Saisonende verlassen sollte, dann wegen eines reizvollen Angebots aus dem Ausland. Läuft es ideal für ihn, darf er sich im Mai Vizemeister und Cupsieger nennen, was seinen Marktwert noch einmal in die Höhe schnellen lassen würde. Dass Yakin auch in der deutschen Bundesliga einen guten Namen hat, ist kein Geheimnis. Und dort wird immer wieder ein attraktiver Posten frei.

So sieht es schwer danach aus, dass Uli Forte von GC-Chef Dosé einen Vertrag bekommt. Der 37-Jährige, der in Brüttisellen zur Welt gekommen ist, hat in Zürich schon einmal sehr erfolgreich gearbeitet, allerdings zwei Spielklassen tiefer beim FC Red Star. Anschliessend betreute er den FC Wil und führte den FC St. Gallen im Sommer 2009 zurück in die Super League, ehe er am 1. März letzten Jahres bei den Ostschweizern wegen Erfolglosigkeit an die frische Luft gesetzt wurde. Es wäre böse zu behaupten, der am St. Galler Abstieg beteiligte Forte passe zu den GC-Kummerbuben, weil minus mal minus mathematisch plus ergeben müsse. Auch wenn er nicht Yakins Charisma besitzt, ist er ein Trainer, der anpacken kann und Optimismus vorlebt. Bei den Grasshoppers könnte er diese Qualitäten auf jeden Fall einbringen.

Der Club der abgehalfterten Fussball-Dichter

Alexander Kühn am Mittwoch den 11. April 2012
Carlos Varela beim FC Köniz. (Screenshot: SFV)

Carlos Varela, wie man ihn sonst nicht kennt: FC-Köniz-Spieler Varela im Interview. (Screenshot: SFV)

Kein Fussballer schimpft und meckert hierzulande so schön wie Carlos Varela. Legendär ist sein Auftritt aus dem Juli 2008, als er sich über das destruktive Spiel des FC Basel und die 1:2-Heimniederlage seines damaligen Arbeitgebers YB ärgerte. «Heb din Schlitte, du huere Schissdreck du», Varelas Ausruf in Richtung eines jubelnden FCB-Spielers, gehört inzwischen ebenso zum helvetischen Fussball-Kulturgut wie die Wankdorf-Uhr oder der Schweizer Riegel des früheren Nationaltrainers Karl Rappan. Umso seltsamer mutet sein jüngster Auftritt in einer Reportage des Schweizerischen Fussballverbandes über den FC Köniz aus der 2. Liga interregional an.

Wäre der 1. April nicht schon eine gute Woche her, könnte man das Video direkt für einen humoristischen Beitrag halten, so harmlos und nichtssagend kommt selbst der gewöhnlich um pointierte Aussagen nicht verlegene Varela darin daher. «Das isch en Verein, sicher jetzt in 2. Liga inter, aber mit viel Ambitione. Das isch öppis, wo eus Spieler brucht, wo ich bruch schlussendlich», erzählt der Mann, dessen Flankenläufe einst zum Besten gehörten, das die Super League zu bieten hatte. Doch es kommt noch besser. «Ich ha nid welle eifach schutte zum schutte, und da hemmer wirklich in es paar Jahre grossi Ambitione, und das macht viel Spass zum Spiele. Und nach einer Profikarriere so ein Verein z’finde und wieder so ne Chance z’haa das isch für mich es riise Glück», führt Varela weiter aus. Untermalt wird das Ganze von einer Musik die klingt, als sei sie der «Swiss Map Trophy» entnommen, jenem Geografie-Computerspiel, das in den Neunzigerjahren den Schweizer Gymnasiasten den Aufbruch ins digitale Zeitalter verkünden sollte.

Nach Varela lächelt mit Roman Friedli ein weiterer ehemaliger YB-Profi selig in die SFV-Kamera und berichtet von den Segnungen des Könizer Clubs. «Ich tu eifach gern schutte, oder, mit Ambitione, und de FC Köniz het Ambitione, sie wej e pflegte Fussball spiele, sie wej ufstiege, und ja, das isch für mich eifach au e Challenge, wo ich gern animme», so Friedli, der auf 21 U-21-Länderspiele für die Schweiz und den exotischen Geburtsort Katmandu (Nepal) verweisen kann. Eigentlich müsste der Präsident des FC Köniz Klage gegen den SFV einreichen – wegen Verunglimpfung eines im Grunde äusserst interessanten und löblichen Projekts. Der Verein aus dem Südwesten Berns setzt die abgehalfterten Fussball-Dichter Varela und Friedli nämlich nicht nur als Spieler ein, sondern auch als Trainer und Vorbilder für die eigenen Junioren. So sollen sich die Könizer nachhaltig in der dritthöchsten Spielklasse, der 1. Liga etablieren.

Neben Varela und Friedli gehören mit Gabriel Urdaneta und Miguel Portillo zwei weitere ehemalige Super-League-Profis zum Könizer Kader, dessen Chefcoach der frühere YB-Keeper Bernhard Pulver ist. Pulver verweist auf die soziale Verantwortung, die der FC Köniz als grösster Club der Gemeinde habe, und meint damit nicht, dass er Varela und Co. ein sportliches Gnadenbrot bietet. Vielmehr sei die Ausbildung der zahlreichen fussballbegeisterten Jugendlichen ein grosses Anliegen des FCK. «Wir wollen mithelfen, ihnen eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung zu bieten», wird Pulver von der «Berner Zeitung» zitiert.

Sollte die Medienstelle des SFV diesen Blog lesen, noch zwei Dinge. Erstens: Nicht böse sein, ein Blog ist nun halt bisweilen eine spöttische Angelegenheit. Zweitens: Veranlassen Sie doch einmal, dass man auch dann auf ihre Website kommt, wenn man nur football.ch statt dem umständlichen www.football.ch in den Internetbrowser eintippt. Dem FC Köniz wünsche ich viel Erfolg und den baldigen Aufstieg in der 1. Liga. Nach 17 von 26 Runden sieht es dafür sehr gut aus. Die Mannschaft von Bernhard Pulver belegt mit einem Punkt Vorsprung auf das Team Vaud U-21 Rang 1.

Chelseas Herzschrittmacher aus der Schweiz

Alexander Kühn am Samstag den 7. April 2012


Spielerisch ist Chelsea wahrscheinlich der schwächste der vier Champions-League-Halbfinalisten. Und trotzdem klappt es für den Club des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch vielleicht ausgerechnet in diesem Jahr mit dem ersten Triumph in der Königsklasse. Hauptgrund dafür ist nicht ein neuer Star, der eine Ablöse in dreistelliger Millionenhöhe gekostet hat, sondern Interimstrainer Roberto Di Matteo. Unter dem gebürtigen Schaffhauser haben die Londoner nämlich eine urbritische Qualität wiederentdeckt: den Fighting Spirit. Mit dessen Hilfe kegelten sie erst die SSC Napoli aus dem Wettbewerb und in den Viertelfinals auch noch Benfica Lissabon, obwohl die Portugiesen im Rückspiel vom Mittwoch selbst in Unterzahl noch gepflegter spielten.

Das Beste am FC Chelsea dieses Frühlings ist, dass es ihn nicht kümmert, wie er zu seinen Erfolgen kommt, dass er spontan ist und unerschrocken. In seiner Brust schlägt ein grosses Kämpferherz, und dessen Schrittmacher ist Di Matteo. Der frühere Aarau- und FCZ-Profi, nach der Entlassung des Millionenirrtums André Villas-Boas eigentlich nur eine Verlegenheitslösung, weiss, wie er seine Spieler anpacken muss und wie er ihnen seine Ideen vermitteln kann. Di Matteo beschränke sich beim Coaching auf das Einfache, sagt Frank Lampard und meint das durchaus positiv. «Er redet von Dingen, die wir alle verstehen», so der englische Nationalspieler, der sich seit dem Amstantritt seines neuen Chefs sogar ohne zu murren auf die Ersatzbank setzt, wenn die taktische Ausrichtung dies erfordert.

Der Fussball, den Chelsea unter Di Matteo spielt, mag im Vergleich zum Tikitaka des FC Barcelona hausbacken wirken. Etwa so wie eine Tüte Fish and Chips neben einer Kreation aus dem Labor des Molekular-Kochkünstlers Ferran Adria. Bisweilen ist es aber das ganz Simple, welches das Hochentwickelte aussticht. Und das gibt Chelsea für die beiden Halbfinalspiele gegen Barça Anlass zur Hoffnung. Die AC Milan scheiterte in den Viertelfinals auch deshalb an den Katalanen, weil sie nicht mutig genug agierte und die alles andere als überragende Verteidigung des Titelhalters nur selten mit letzter Konsequenz prüfte, weshalb Barcelonas fahrlässiger Umgang mit den besten Torchancen nicht bestraft wurde. Chelsea dürfte ein entschlossenerer Kontrahent sein, diesen Schluss legt vor allem das grossartige Achtelfinal-Rückspiel gegen Napoli nahe.

Di Matteo hält für die Duelle mit Barça zudem einen Trumpf in der Hand, der weiss, wie man grosse Spiele entscheidet: Fernando Torres, der Spanien 2008 im Wiener EM-Final gegen Deutschland zum Titel schoss. Der Blondschopf, der nach seinem Transfer aus Liverpool schon als grösster Fehleinkauf in der an überteuerten Profis reichen Historie des Abramowitsch-Spielzeugs FC Chelsea galt, ist dank der Seelenmassage seines Trainers wieder eine fixe Grösse. Genauso wie die zuvor bereits ins Pfefferland gewünschten Salomon Kalou, David Luiz und John Obi Mikel. Für Di Matteo spricht auch seine Konsequenz: Obwohl Didier Drogba gegen Napoli der Matchwinner war, spielte er in den Viertelfinals gegen Benfica keine Minute. Der Ivorer hatte nach der Auslosung ein Freudentänzchen aufgeführt, da er Benfica als eine Art Freilos betrachtete. Eine Respektlosigkeit, die sich mit der neuen Philosophie an der Stamford Bridge nicht verträgt.

Barcelonas Fussballvisionär Josep Guardiola ist jedenfalls gut beraten, die Dynamik einer aus Scherben wieder zusammengesetzten Mannschaft nicht zu unterschätzen, zumal die Spieler von Chelsea im Wissen darum antreten, dass sie nur noch gewinnen können. So wie die Dänen, die 1992 als Nachrücker für das von der Uefa ausgeschlossene Jugoslawien Europameister wurden.

Favre und die deutschen Katastrophen-Szenarien

Alexander Kühn am Mittwoch den 4. April 2012
Lucien Favre während des Spiels gegen Nürnberg, 4. März 2012.

Gemäss «Bild» ist er jetzt der Trainer von Plattbach: Lucien Favre während des Spiels gegen Nürnberg, 4. März 2012.

Für das Gros der deutschen Fussballreporter gibt es nur Schwarz oder Weiss, Überflieger oder Absturzopfer, Helden oder Versager. Für das, was sich zwischen den beiden Extremen abspielt, hat es selbst in gehobeneren Publikationen meist keinen Platz. Und so ist Lucien Favre in diesen Tagen nicht mehr Trainer von Mönchengladbach, sondern von Plattbach. Das naheliegende Wortspiel stammt, Sie haben es erraten, von der «Bild»-Sportredaktion, der Bundeszentrale für fussballtechnische Untergangsszenarien. Von jenem Gremium also, das Favre vor ein paar Wochen noch unterstellte, er sei ein unverbesserlicher Tiefstapler, weil er die Meisterschaft im Jahr nach dem knapp vermiedenen Abstieg nicht zum offiziellen Saisonziel erklären wollte. Nach dem jüngsten 1:2 in Hannover trauen die Fussballweisen den Gladbachern nun nicht einmal mehr zu, Rang 3 und die direkte Qualifikation für die Champions League zu erreichen.

Klar: Nur ein Sieg aus den sieben letzten Pflichtspielen, das klingt nach sportlichem Offenbarungseid. Wenn man bedenkt, dass eine dieser Partien der unglückliche Penaltykrimi gegen den FC Bayern im DFB-Pokal war, erscheint aber alles schon weit weniger dramatisch. Richtig schwach waren Favres Borussen selbst bei der 1:2-Heimniederlage gegen Hoffenheim am vorletzten Bundesliga-Spieltag nicht, und im Match beim Tabellenfünften Hannover verhinderte letztlich nur der starke gegnerische Torhüter den ohnehin nicht selbstverständlichen Punktgewinn. Gladbach spielte zwar längst nicht so stilsicher und effizient wie zu den Zeiten des grossen Hochs, hatte aber insgesamt 64 Prozent Ballbesitz und drückte nach dem 0:2 gehörig aufs Gaspedal. Nach dem schnellen Anschlusstreffer war das 2:2 in der Schlussphase mehrfach ganz nah. Von Plattbach keine Spur. Übrigens: Hannover hat in der laufenden Saison zu Hause noch kein Spiel verloren, und auch die Bayern verliessen die niedersächsische Hauptstadt mit einer 1:2-Niederlage im Gepäck.

Für Lucien Favre sind es lediglich zehn Prozent, die seiner Equipe momentan fehlen. Es handle sich dabei um einen Kursverfall von unnatürlichen 110 auf 100 Prozent, so der Schweizer Fussball-Lehrer. Angesichts des Restprogramms mit Spielen gegen Hertha BSC (h), Werder Bremen (a), den 1. FC Köln (h), Borussia Dortmund (a), den FC Augsburg (h) und den FSV Mainz 05 (a) scheint es auch für die 100-Prozent-Borussia durchaus machbar, den Rückstand von drei Punkten gegenüber dem aktuellen Tabellendritten Schalke 04 aufzuholen. Die Schalker treffen noch auf Hannover 96 (h), den 1. FC Nürnberg (a), Dortmund (h), Augsburg (a), die Hertha (h) und Bremen (a).

Wenn sich aus der laufenden Bundesliga-Saison eine Lehre ziehen lässt, dann die, dass man keine Mannschaft vorzeitig abschreiben sollte. Hätten die düsteren Prognosen aus den Schreibstuben der Boulevardpresse zugetroffen, dann wären in Freiburg und Augsburg längst die Lichter ausgegangen und die Bayern würden im Saisonfinish nicht die Chance besitzen, aus eigener Kraft Meister zu werden, sondern sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wetten, dass aus Plattbach bei einem überzeugenden Sieg gegen Hertha BSC am kommenden Wochenende schon wieder Gladbach wird und aus dem vermeintlich ratlosen Favre das «Super-Hirnli»? Wieder so ein «Bild»-Wortspiel, unter grosszügiger Ausdehnung des Einflussgebiets des Suffixes «-li» auf die Romandie.

Doch was macht die Deutschen gegenüber ihren grossen Fussballclubs so überkritisch? Woher stammt der Hang, entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt auf die Resultatlisten und Tabellen der Bundesliga zu blicken? Wahrscheinlich ist es die Liebe zum Fussball, die in keinem Land auf dem europäischen Festland so intensiv empfunden wird, was auch die enormen Zuschauerzahlen belegen, deren sich die Traditionsvereine selbst in den unteren Ligen erfreuen. Wenn es um Fussball geht, ist das Verhalten der Deutschen ähnlich wie jenes der Schweizer in Sachen Roger Federer. Der Tennisstar war in den Augen seiner Kritiker nach der Niederlage in den Viertelfinals von Wimbledon 2011 gegen Jo-Wilfried Tsonga nur noch ein Häufchen Elend und nach dem Masters-Triumph im November dann doch wieder der Allergrösste.

Gratulation zum dankbarsten Job in der Super League

Alexander Kühn am Samstag den 31. März 2012
Folgt auf Urs Fischer: Rolf Fringer, hier nach einem Sieg mit St. Gallen gegen Xamax am 18. August 2007, wird neuer Trainer beim FC Zürich. (Bild: Reuters)

Folgt auf Urs Fischer: Rolf Fringer, hier nach einem Sieg mit St. Gallen gegen Xamax am 18. August 2007, wird neuer Trainer beim FC Zürich. (Bild: Reuters)

Rolf Fringer hat den Sprung vom Karussell der arbeitslosen Trainer geschafft und landet erst noch auf dem dankbarsten Trainerstuhl der Super League. Der Misserfolg der laufenden Saison hat die Erwartungen beim FCZ nämlich endlich auf ein vernünftiges Mass zurechtgestutzt. Das Umfeld ist für hiesige Verhältnisse aber noch immer first class, vom Stimmungsfriedhof Letzigrund einmal abgesehen. Der Stadtclub besitzt in der Person von Fredy Bickel einen ausgezeichneten Sportchef und hat dank der finanziell überaus lohnenden Verkäufe von Admir Mehmedi, Ricardo Rodriguez und Dusan Djuric auch genügend Kleingeld in der Kasse, um die grundsätzlich solide Mannschaft qualitativ aufzuwerten.

Vor einem Jahr hätte Präsident Ancillo Canepa wohl noch die Devise ausgegeben, dass der neue Chefcoach zum Ende der Saison mit dem FCZ auf Rang 1 stehen müsse, nun wünschte er sich nur noch «einen Mann, der schon mal etwas in die Höhe gestemmt hat und weiss, wie man Meister wird». Der FC Zürich ist weiter ambitioniert, aber angesichts der augenfälligen Sonderstellung des FC Basel nicht mehr anmassend.

Nach dem Experiment mit Urs Fischer, das wohl mehr einem Impuls von Canepa als sorgfältiger Prüfung entsprang, setzt der Meister der Jahre 2006, 2007 und 2009 auf die konservative Lösung Fringer. Konservativ, das mag zunächst einmal negativ klingen, im Fussball-Business, wo letztlich nur Ruhe und Kontinuität den Erfolg bringen, ist es aber das Gegenteil. Nicht umsonst präsentierte der FCB nach dem Abflug von Thorsten Fink im vergangenen Herbst keinen grossen Namen als Nachfolger, sondern dessen Assistenten Heiko Vogel. YB wollte mit dem Engagement von Christian Gross derweil alles auf den Kopf stellen und muss diesen Aktionismus nun ausbaden. Der einzige Vorwurf, den man dem FCZ in Sachen Fringer machen kann, ist der, dass der neue Trainer das Amt besser schon jetzt und nicht erst im kommenden Sommer angetreten hätte. So wäre es leichter zu erkennen gewesen, welche Spieler in sein System passen und welche nicht.

Fringer ist vor allem auch wegen seiner Gelassenheit ein Gewinn für den FCZ, dessen Präsident Canepa zwar begeisterungsfähig ist, oft aber zu emotional handelte. Das Theater um den verdienten Spieler Almen Abdi vor dessen Wechsel zu Udinese ist nur ein Kapitel aus dem Buch mit dem Titel «Ein Rumpelstilzchen namens Ancillo». Fringer bringt spätestens seit dem 0:1-Debakel mit der Nationalmannschaft in Aserbeidschan am 31. August 1996 nichts mehr aus der Ruhe. Er denkt und redet sehr strukturiert, besitzt Visionen und wie sein unglücklicher Vorgänger Fischer einen geradlinigen Charakter. Nörgler mögen ihn als zu wenig charismatisch empfinden, der Einfluss, den Fringer auf Deutschlands Nationaltrainer Joachim Löw und den neuen Chelsea-Coach Roberto Di Matteo ausgeübt hat, beweist jedoch das Gegenteil.

Dass der FCZ seinen neuen Trainer just einen Tag nach der Bekanntgabe von André Dosés Präsidentschaft bei GC bekannt gegeben hat, darf man übrigens getrost als ersten Derbysieg der neuen Saison werten. Wetten, dass der Adliswiler, der eigentlich Österreicher ist, auch bei den Hoppers ein Kandidat für die Nachfolge des schrittweise demontierten Ciriaco Sforza war?

Weg mit der unsäglichen Europa League!

Alexander Kühn am Mittwoch den 28. März 2012


Wenn es Frühling wird und sich in den Supermärkten die Schokolade-Osterhasen stapeln, mobilisieren die ambitionierten europäischen Fussballteams ihre Kraftreserven, um sich für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Es locken die reich gefüllten Fleischtöpfe der Uefa. Die Fans interessiert der internationale Wettbewerb allerdings nur dann, wenn es sich um die Champions League handelt. Die Teilnahme an der aufgeblähten und nach einem unsäglichen Kaumgummi-Modus ausgetragenen Europa League ist unter dem Strich mehr Schikane als Belohnung für eine gute Saison. Die leidgeprüfte Anhängerschaft der Grasshoppers ist für einmal fein raus, sie muss sich angesichts von Rang 7 und 15 Punkten Rückstand auf Platz 3 und YB keine Gedanken über sportliche Fernreisen in den Kaukasus oder nach Moldawien machen.

Die acht Europa-League-Viertelfinalisten, die morgen – hätten Sie es gewusst? – wieder im Einsatz sind, stehen zwar für gutbürgerliche Fussballkost, Glanz verströmen aber auch sie nicht. Und um Glanz geht es nun einmal, wenn regionale Rivalitäten fehlen. Oder würden Sie begeistert ins Stadion rennen, wenn AZ Alkmaar, Hannover 96, Metallist Charkow oder Atlético Madrid in Ihrer Stadt gastieren? Eben. Wird doch einmal ein wirklich Grosser in den Verlierer-Wettbewerb verbannt, verabschiedet er sich so schnell wie möglich wieder durch die Hintertür. So wie es das FCB-Opfer Manchester United in dieser Saison getan hat. Die Engländer, die sich in den Achtelfinals gegen Athletic Bilbao bereitwillig in ihr Schicksal ergaben, machten noch nicht einmal einen Hehl daraus, dass sie von der Europa League wenig bis nichts halten.

Dass ihr zweiter Clubwettbewerb ausser den Schatzmeistern der Mittelklasse-Vereine kein Schwein mehr interessiert, hat sich die Uefa selbst zuzuschreiben. Um ihren Profit zu steigern, hat sie die Champions League auf mittlerweile 32 Teams aufgeblasen, seit der Saison 1999/2000 können sich bis zu vier Mannschaften eines Verbandes für die Königsklasse qualifizieren. Anders als in den alten Zeiten, als schon der Zweite einer grossen Liga im Uefa-Cup startete, bleibt für die Europa League so bestenfalls gehobenes Mittelmass übrig. Fredi Bobic, Manager beim Bundesligisten VfB Stuttgart, gab gegenüber der «Bild»-Zeitung freimütig zu, dass die kleine Schwester der Champions League ein Mauerblümchen ist. «Es stellt sich die Frage, wie die Europa League hier gesehen wird. Zuletzt wurde sie in Stuttgart nicht angenommen, die Stadien waren nicht voll. Sie ist irgendwie schwer zu greifen», so der Europameister von 1996. Europäisch brachte es der VfB auf einen kümmerlichen Zuschauerschnitt von etwas mehr als 16’000. In der Bundesliga strömen jeweils rund 54’500 Anhänger in die Mercedes-Benz-Arena.

Wie aber haucht man einem Patienten, der auf der Intensivstation vor sich hin röchelt neues Leben ein? Am besten mit dem Stoff, der ihn in die schlimme Lage manövriert hat. Da die Uefa an ihrem Erfolgsprodukt Champions League nichts verändern will, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, die besten Teams der Europa League mit Tickets für die Königsklasse der kommenden Saison zu belohnen. Derzeit wird noch nicht einmal der Gewinner des angeblich so wichtigen Wettbewerbs in den erlauchten Kreis aufgenommen, wenn er die Qualifikation nicht über die heimische Liga bewerkstelligen kann.

Dass die Gruppendritten der Champions League in der Europa League weiterspielen dürfen, ist ein weiterer Makel. Wer vor der Knockout-Phase scheitert ist ein Verlierer, und ein Pokal um den Gescheiterte spielen, ist ein Verliererpokal. Die Entwertung des Wettbewerbs ist gerade für viele Schweizer Clubs bitter. Sie müssen auf Duelle mit der europäischen Crème de la Crème verzichten. Und wehmütig denkt so mancher Fan an grosse Uefa-Cup-Nächte zurück. Etwa an die ungleichen Duelle zwischen dem FC Wettingen und Diego Maradonas SSC Napoli oder das tapfere Ringen des FCZ mit Francesco Tottis AS Roma. Wenn morgen die Europa League über den Bildschirm flimmert, wird sich selbst die Mehrheit der Sportbegeisterten lieber einen Krimi ansehen.

Harte Landung mit Vogel

Alexander Kühn am Samstag den 24. März 2012


Früher gab es für den durchschnittlichen Schweizer Fan zwei Varianten eines guten Wochenendes. Erstens: Die eigene Mannschaft gewann. Zweitens: Die Grasshoppers bekamen auf den Deckel. Heute verfolgt die Mehrheit der Fussball-Nation die Entwicklung beim Rekordmeister nur noch mit Mitleid. Wäre GC eine Soap Opera im Vorabendprogramm eines Privatsenders, dürfte eine erstklassige Einschaltquote garantiert sein. Die Darbietungen auf dem Platz sind dagegen nur noch dazu geeignet, allzu vitale Säuglinge in den Schlaf zu wiegen.

Das jüngste Kapitel in der Tragikomödie um den nach Niederhasli ausgewanderten Grasshopper Club ist der Abgang des erst gerade reaktivierten Alt-Internationalen Johann Vogel. Vogel, der offenbar wild entschlossen ist, wieder die Rolle des giftigen Bösewichts auszufüllen, hat dem bemitleidenswerten Chefcoach Ciriaco Sforza quasi als Abschiedsgeschenk jenen Rest von Autorität geraubt, der übrig blieb, nachdem Vizepräsident Alain Sutter verkündet hatte, GC sehe sich im Rahmen eines «Plan B» nach einer Neubesetzung für den Trainerposten um.

Auf die Frage, ob Sforza ein guter Coach sei, antwortete Vogel im «Blick» nur: «Ein Trainer wird immer an seinen Resultaten gemessen.» Der nun zum zweiten Mal zurückgetretene Fussballer mag diese Formulierung für elegant halten, da der aktuelle Punktstand hinter dem grossen Namen GC so richtig kümmerlich aussieht; tatsächlich ist sie aber nur eines: stillos. Ein Schiedsrichter würde Vogel dafür die rote Karte zeigen – wegen Nachtretens gegen einen Kontrahenten, der bereits am Boden liegt. Erst recht, weil Sforza in der Winterpause in Anbetracht der prekären Lage über seinen Schatten sprang und seinen einstigen Intimfeind Vogel überredete, noch einmal für GC aufzulaufen.

Tatsächlich wirkte der 35-jährige Vogel zunächst auch überaus motiviert. Bei einem Besuch im «Sportpanorama» des Schweizer Fernsehens punktete er zudem mit bubenhaftem Charme und Humor. Eigenschaften, die er gewöhnlich versteckt hielt. Sforza, Vogel und GC, das schien zu passen. Der Stinkstiefel Vogel, so wollte man glauben, gehörte der Vergangenheit an. Mit dem Ausbleiben des Erfolgs rauschten Loyalität und Motivation beim 94-fachen Internationalen aber in den Keller. «Der Spass war nicht mehr da. Ich konnte nicht bewirken, was ich mir vorgestellt hatte. Die Konstellation zwischen dem Trainer und mir hat einfach nicht gepasst», lautet Vogels Schilderung jener Phase. Vielleicht hat sich der einstige Captain des Nationalteams aber einfach auch zu viel zugetraut. Der einzige GC-Sieg in diesem Frühjahr (2:0 gegen YB) kam ironischerweise dann zustande, als Vogel krank auf der Tribüne sass. Er wird Sforza aber ebenso wenig nützen wie das einstimmige Vertrauensvotum der Spieler, an das Vogel nicht glauben will. «Nicht einmal bei Barça würde eine solche Abstimmung ohne Gegenstimme ausfallen», bemerkte er spitz.

Sforza mag bei GC sportlich gescheitert sein, aus welchen Gründen auch immer. Menschlich hat sich der frühere Bayern-Star aber stets vorbildlich verhalten. Und genau das wird ihm nun zum Verhängnis. Er, der sich immer wieder vor seine jungen Spieler gestellt hat und deren Fehler vor der TV-Kamera so aufopferungsvoll schön redete, bekommt nun erst von Vizepräsident Sutter und dann auch noch von seinem Hoffnungsträger Vogel das Messer in den Rücken gerammt. Der Alt-Internationale und langjährige GC-Spieler Roger Wehrli sieht denn auch in Sutter den Hauptschuldigen am leidigen Kapitel Johann Vogel. «Er hat es abgesegnet und zugelassen, dass man Vogel reaktiviert und ihm ein Comeback ermöglicht. Dieses Experiment war doch schon von vornherein zum Scheitern verurteilt», so Wehrlis Votum auf Tagesanzeiger.ch/Newsnet.

Während sich Vogel zunächst einmal aus der Verantwortung stiehlt und sich auf seine Aufgaben als Trainer der U-15-Junioren konzentrieren will, steht Sutter nun unter Druck. Er muss einen Trainer finden, der aus der ausgequetschten Zitrone GC mehr Saft herausbekommen kann als Sforza. Ich würde nicht darauf wetten wollen, dass ihm das gelingt. Bedeutend erfolgreicher wäre mit diesen Grasshoppers wohl auch Josep Guardiola vom FC Barcelona nicht gewesen. Selbst ein Spitzenkoch mit drei Michelin-Sternen wird aus schrumpligem Gemüse und unreifen Früchten kein Gourmet-Dinner zaubern. Sforza wäre es zu gönnen, wenn er nach seiner Zeit bei GC in einem besseren Umfeld arbeiten und beweisen kann, wozu er an der Seite der richtigen Mitstreiter fähig ist.