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Ein zusätzlicher Super-League-Platz für Aarau

Alexander Kühn am Mittwoch den 30. Mai 2012
Superleistung: Staubli jubelt über den 4. Treffer zum 7:0-Sieg über Etoile Carouge am 21. Mai 2012. (Bild: Keystone)

Superleistung: Staubli jubelt über den 4. Treffer zum 7:0-Sieg über Etoile Carouge am 21. Mai 2012. (Bild: Keystone)

Die unrühmliche Meisterschafts-Saison 2011/12 mit dem Kollaps von Neuchâtel Xamax, der sportrechtlichen Posse um den FC Sion und dem Fast-Konkurs des FC Servette ist endlich vorbei. Das ist die gute Nachricht. Und nun kommt die schlechte: Der Challenge-League-Zweite FC Aarau hatte in der Barrage nie eine faire Chance aufzusteigen. Nicht weil der FCA zu schlecht wäre, um ein Team aus dem Tabellenkeller der Super League zu bezwingen, sondern weil er in den Relegationsspielen mit Sion einen Gegner vor die Nase gesetzt bekam, der dort eigentlich nicht das Geringste verloren hatte.

Sportlich gehören die Sittener zur nationalen Spitze, wirklich besser als die Equipe des streitbaren Präsidenten Christian Constantin ist nur der FC Basel, seines Zeichens Achtelfinalist in der Champions League. Nur weil Constantin bekanntlich die Fifa-Transfersperre missachtete und sich die Swiss Football League auf Druck des Weltverbandes genötigt sah, dem FC Sion 36 Punkte abzuziehen, landeten die Walliser in der Super-League-Tabelle schliesslich auf Rang 9, dem Barrageplatz. Die Grasshoppers, die in 34 Partien gerade einmal sieben Siege und fünf Remis an Land gezogen hatten, entgingen trotz 22 Niederlagen dem Auf-/Abstiegs-Showdown.

In Aarau fragt sich nach dem verpassten Aufstieg nun so mancher, was wohl geschehen wäre, wenn der Barragegegner nicht Sion, sondern GC geheissen hätte. Als neutraler Beobachter ist man geneigt zu antworten, dass es dann zumindest sehr spannend geworden wäre. So spannend, wie es bei einer solchen Affiche eben unter normalen Umständen zu und her geht. Der Unterklassige hat gewöhnlich das Momentum auf seiner Seite, da er ja eine erfolgreiche Spielzeit hinter sich hat. Und das gleicht das finanzielle Ungleichgewicht fast immer aus. In Deutschland setzte sich in den beiden Relegations-Duellen dieser Saison jeweils das Team aus der unteren Liga durch. Fortuna Düsseldorf stach im Kampf um einen Platz in der 1. Bundesliga Hertha BSC aus, Jahn Regensburg sicherte sich gegen den Karlsruher SC die Zugehörigkeit zum Bundesliga-Unterhaus.

Die Swiss Football League hat mit dem Abzug von 36 Punkten also längst nicht nur den FC Sion bestraft, sondern vor allem den FC Aarau. Einen Club, der im Gegensatz zu vielen anderen im helvetischen Profifussball stets solide und vernünftig wirtschaftete und lieber sportliche Rückschritte in Kauf nahm als finanzielle Risiken. Stellen Sie sich einmal vor, wie sich der Dritte der 2. Bundesliga betrogen fühlen würde, wenn er nicht gegen den Sechzehnten, sondern gegen den Dritten des Oberhauses stechen müsste. Der hätte in diesem Jahr Schalke 04 geheissen …

Die gerechteste Lösung – auch wenn sie utopisch erscheint – wäre nun, den Aarauern als Wiedergutmachung einen zusätzlichen Platz in der Super League zu schenken. So würden sie doch noch eine Belohnung für eine ausgezeichnete Spielzeit bekommen, in der sie unter anderem die ambitionierte AC Bellinzona mit Hakan Yakin hinter sich liessen. Für die Swiss Football League würde dieses Szenario zwar eine gewaltige organisatorische Herausforderung bedeuten, die Super-League-Saison 2012/13 würde aber sicher mit einer zweistelligen Anzahl Mannschaften zu Ende gehen – auch wenn bei Servette doch noch die Lichter ausgehen sollten. Es wäre ja nicht das erste Mal.

Kündigungsgrund Rassismus

Alexander Kühn am Samstag den 26. Mai 2012


In der abgelaufenen Saison warfen in England zwei Rassismusaffären ein dunkles Licht auf das Hochglanzprodukt Premier League. Jene um Liverpools Uruguayer Luis Suárez und jene um Chelsea-Captain John Terry. Suárez hat sich für seine Ausfälligkeiten gegen Patrice Evra von Manchester United inzwischen halbherzig entschuldigt, Terry bestreitet jedoch weiterhin vehement, Anton Ferdinand von den Queen’s Park Rangers rassistisch beleidigt zu haben. Ein Gericht muss nun am 9. Juli mit Hilfe kryptischer Fernsehbilder darüber entscheiden, wer die Wahrheit sagt.

Die ehrwürdige Professional Footballers’ Association (PFA), die sich seit über 100 Jahren um die vertraglichen Belange der Kicker in England kümmert, bastelt unterdessen an einer Klausel, die es den Clubs der beiden höchsten Spielklassen erlauben soll, einen Spieler fristlos zu entlassen, wenn er sich rassistische Pöbeleien leistet. Sie soll schon in der kommenden Saison Gültigkeit haben. PFA-Chef Gordon Taylor will so zeigen, wie ernst es dem englischen Fussball mit dem Kampf gegen jede Form der Intoleranz ist. Obwohl es letztlich Sache der Vereine sei, ob sie die Klausel in ihre Kontrakte aufnehmen oder nicht, sieht Taylor in der Neuerung eine schlagkräftige Waffe. Ein Club, der gegen einen Spieler nach einer rassistischen Verfehlung nicht mit letzter Konsequenz vorgehe, müsse sich dann nämlich den Vorwurf gefallen lassen, dessen Verhalten stillschweigend zu dulden.

Der Vorstoss der PFA ist löblich, zumal sich viele grosse Organisationen im Sport-Business gern ihrer moralischen Verantwortung entziehen und verlauten lassen, sie hätten mit Politik nichts am Hut. Der Besuch von Fifa-Präsident Sepp Blatter beim international geächteten Diktator und Massenmörder Robert Mugabe in Simbabwe ist hierfür nur ein Beispiel. Der Fall von John Terry zeigt aber, dass sich die geplante Rassismus-Klausel wohl nicht so einfach umsetzen lässt. Wie soll der Club reagieren, wenn Aussage gegen Aussage steht? Und ist es überhaupt zu verantworten, dass ein Fussballer seinen Job verliert, wenn ihm einmal die Sicherungen durchgebrannt sind?

Auch die Rolle der Vereine ist brisant. Natürlich wird ein Manager geneigt sein, einem verzichtbaren Profi mit einem zu gut bezahlten Vertrag zu kündigen, wenn dieser ihm Anlass dazu gibt. Doch wie sieht es aus, wenn ein gerade erst für eine zweistellige Millionensumme verpflichteter und für das Fortkommen der Mannschaft unentbehrlicher Spieler gegen die Rassismus-Klausel verstösst? Schadet die durch moralischen Druck herbeigeführte Beendigung der Zusammenarbeit dann nicht mehr dem Club als dem Sünder selbst? Es dürfte sich leicht ein Abnehmer für den fehlbaren Fussballer finden lassen, der ja dann ohne Vertrag und ablösefrei wäre. Sein ehemaliger Arbeitgeber aber würde in die Röhre schauen.

Taylor und der PFA sind diese Probleme natürlich auch bewusst. Deshalb sehen sie in der Rassismus-Klausel auch kein Allheilmittel, sondern nur eine Komponente der Therapie für die Premier League. Man dürfe nicht ausschliesslich an allfällige Strafen denken, sondern auch überlegen, wie man die Profis für das Thema sensibilisieren könne. Die PFA, so führt Taylor im «Guardian» aus, arbeite gemeinsam mit der League Managers Association an einem diesbezüglichen Programm, dass sich an Trainer, britische und ausländische Spieler, Vorstände und Clubbesitzer richte. Es werde zu den Pflichten der Vereine gehören, mit neuen Spielern aus dem Ausland einen Themenkatalog durchzugehen, um diesen zu erklären, wie die Ansichten zu Rassismus und Gleichheit aussehen.

35 Milliarden Euro für Fernbeziehungen

Alexander Kühn am Samstag den 19. Mai 2012
Weltweiter Jubel: Barcelona-Fans feiern den Champions-League-Titel 2009. (Bild: Keystone)

Weltweiter Jubel: Barcelona-Fans feiern den Champions-League-Titel 2009. (Bild: Keystone)

Als Basler war man früher einfach FCB-Fan, als Berner unterstützte man die Young Boys und als Zürcher entweder GC oder den FCZ – je nachdem, zu welchem der beiden Clubs der Vater eine Affinität besass und was für ein Verhältnis man zum Vater hatte. Heute denken viele Fussball-Fans global und fiebern auch mit Vereinen, deren Stadien sie noch nie betreten haben.

Wie aus einer Studie des Champions-League-Sponsors Mastercard hervorgeht, kann man ein Drittel der Fussball-Supporter, nämlich 41 Millionen, als sogenannte Fans ohne Grenzen bezeichnen. Sie geben jedes Jahr 35 Milliarden Euro für ihre ausländischen Fussball-Liebschaften aus. Geld, mit dem man zehnmal die Münchner Allianz-Arena bauen oder 372-mal Real Madrids Torjäger Cristiano Ronaldo verpflichten könnte.

Die beiden Löwenanteile der 35 Milliarden Euro entfallen auf Ausgaben für Pay-TV (7,5 Milliarden) und die Reisen zu den Spielen inklusive Unterbringung (8,75 Milliarden).  25 Prozent der Anhänger ausländischer Equipen verfolgen die Partien ihrer fernen Lieblingsclubs tatsächlich auch live vor Ort. «Die zunehmende Mobilität und die Gelegenheit, weltweit einfacher und günstiger zu reisen, ermöglichen es den Fans auch ausländische Vereine anzufeuern. Neue Medienkanäle erlauben es den Supportern, ohne grossen Aufwand an Informationen über ihren Lieblingsverein zu gelangen und Kontakt zu anderen Fans im Ausland zu pflegen, was wiederum den Fans ohne Grenzen ein tieferes Gefühl von Zugehörigkeit zum jeweiligen Club vermittelt», erklärt Prof. Dr. Sascha Schmidt, der Leiter des Institute for Sports, Business & Society der European Business School im deutschen Oestrich-Winkel.

Das Aufkommen von globalen Spitzenspielern und -trainern mit Prominentenstatus führe überdies Fans aus unterschiedlichen Ländern zusammen, über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, hält Schmidt fest. Von den in der Mastercard-Studie untersuchten Fans ohne Grenzen gehören elf Prozent dieser Kategorie an, sie lassen sich unter dem Sammelbegriff Star Followers führen. Sie haben nicht einen bestimmten Lieblingsverein, sondern sind von einem Spieler oder einem Trainer begeistert. Diesen Personen bleiben sie auch bei einem Clubwechsel verbunden. So liefen zum Beispiel mit dem Transfer von Cristiano Ronaldo von Manchester United zu Real Madrid zahlreiche Bewunderer des Portugiesen ins Lager des spanischen Rekordmeisters über. Die Liste der beliebtesten ausländischen Clubs führt der FC Barcelona (29 Prozent) vor Real Madrid (10 Prozent) und Manchester United (8 Prozent) an.

Weitere Untergruppen der Fans ohne Grenzen sind die sogenannten Highlight Fans – sie machen rund zwei Drittel der Fans ohne Grenzen aus – und die Regional Affinity Fans, die meist eine enge Verbindung zur Heimatstadt ihres Lieblingsvereins besitzen. Sie decken etwa zwölf Prozent der ganzen Gruppe ab. Von ihnen besuchen 55 Prozent regelmässig die Region ihres Clubs. Diese Supporter entsprechen innerhalb der Fans ohne Grenzen am ehesten dem traditionellen Fussball-Anhänger.

Für Puristen stellt sich nun die Frage, ob man tatsächlich ein echter Fan eines Clubs sein kann, wenn man diesen nur aus dem Internet, dem Fernsehen oder den Zeitungen kennt. Irgendwie, so könnte man sagen, ist es doch, als wäre man ernsthaft der Meinung, in eine Hollywood-Schönheit verliebt zu sein, die man im realen Leben noch nie zu Gesicht bekommen hat.

Was meinen Sie, liebe Steilpass-Leser: Gibt es so etwas wie die grosse Fussball-Liebe aus der Distanz? Können diese sportlichen Fernbeziehungen so intensiv sein, wie die Verbindung zum lokalen Verein, bei dessen Partien man Woche für Woche in der Kurve steht? Diskutieren Sie mit!

Düsseldorfs Aufstieg darf nicht zählen

Alexander Kühn am Mittwoch den 16. Mai 2012


Nach dem chaotischen Relegations-Rückspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC, bei dem Raketen auf den Rasen flogen und Fortuna-Fans den Platz stürmten, gibt es nur Verlierer. Die Düsseldorfer, weil das Verhalten der Krawallmacher die nach 15 Jahren errungene Bundesliga-Rückkehr wieder infrage stellt. Die Berliner, weil sie sportlich untergingen. Die friedlichen Fans, weil Idioten stärker waren als sie. Die Polizei, weil sie wieder einmal den Kopf hinhalten musste. Und schliesslich der Deutsche Fussball-Bund (DFB), weil er nun ein ganz unangenehmes Urteil zu fällen hat und auch einen Grossteil der Schuld an der Eskalation trägt.

Die Relegation spült dank der Direktübertragung im Fernsehen viel Geld in die Kassen des DFB. Sie ist aber nicht nur spektakulär, sondern auch risikobehaftet. Schliesslich geht es für die beteiligten Vereine in einer von oben verordneten Finalissima-Situation ums sportliche Überleben, was bei den Anhängern erfahrungsgemäss die Sicherungen durchbrennen lässt. Dass es schon am Montag nach der Zweitliga-Relegation zwischen dem Karlsruher SC und Jahn Regensburg zu wüsten Randalen mit 75 Verletzten, unter ihnen 18 Polizisten, kam, ist beileibe kein Zufall.

«So darf man nicht aufsteigen», schreibt die «Welt» heute mit Blick auf die Szenen in Düsseldorf und trifft den Nagel damit auf den Kopf. Die Fortuna war als Gastgeber der brisanten Partie ganz offensichtlich nicht in der Lage, die Sicherheit im Stadion zu gewährleisten. Dem Geschick von Schiedsrichter Wolfgang Stark und dem Zufall ist es zu verdanken, dass die Situation nicht völlig ausser Kontrolle geriet. Was wäre passiert, wenn Stark das Spiel abgebrochen und damit eine Neuansetzung notwendig gemacht hätte? Wie hätte der Mob reagiert, wäre der Hertha in der Nachspielzeit noch das rettende dritte Tor gelungen? Fragen, die man lieber gar nicht erörtern will. «Wir haben nur weitergespielt, um ein Blutbad zu verhindern», sagte Hertha-Anwalt Christoph Schickhardt zu «Bild». Die Berliner Spieler hätten unter Todesangst gelitten. Das mag etwas überspitzt formuliert sein, liegt aber doch nicht allzu weit weg von der Wahrheit.

Wie muss der DFB nun also reagieren? Auf jeden Fall mit grosser Härte. Erstens muss die Schandnacht von Düsseldorf Konsequenzen haben, welche die fehlbare Fortuna auch tatsächlich schmerzen. Zweitens haben die Verbandsoberen die Latte mit dem erstinstanzlichen Pokalausschluss gegen ihren Lieblingssündenbock Dynamo Dresden in dieser Saison sehr hoch gelegt. Zur Erinnerung: Dynamo wurde dafür bestraft, dass Hooligans im fast 500 Kilometer entfernten Dortmund randalierten. Aufs Feld lief damals keiner, einen fast halbstündigen Unterbruch wie gestern in Düsseldorf gab es nicht.

Hätten sich nicht auch die Berliner Anhänger in Düsseldorf daneben benommen und Leuchtraketen in Richtung Rasen geschossen, wäre moralisch noch nicht einmal ein Wiederholungsspiel gerechtfertigt. Dann gäbe es nur eine vertretbare Konsequenz aus den Geschehnissen: nämlich eine Forfait-Niederlage der Fortuna. Erst recht, weil deren Captain Andreas Lambertz nach dem Schlusspfiff noch die Dreistigkeit besass, den Aufstieg mit verbotenem Feuerwerk in der Hand mit den Platzstürmern zu zelebrieren.

Die von besonders strengen Moralwächtern geforderte Rückstufung beider Clubs in die 2. Bundesliga ist keine ernsthafte Option. Soll die oberste Spielklasse 2012/13 etwa nur aus 17 Teams bestehen? Oder will man die sportlich abgestiegenen Kölner begnadigen, deren Fans am letzten Spieltag bekanntlich auch auf die Barrikaden gingen? Nein, das Urteil muss abschreckend sein, aber auch nachvollziehbar und im Dienste des Fussballs. So wäre ein Wiederholungsspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit – garniert mit einer saftigen Geldstrafe im siebenstelligen Bereich und einem Punktabzug für die kommende Saison – durchaus vertretbar. Bleibt es bei einer Geldstrafe und dem einen oder anderen Geisterspiel, macht sich die deutsche Fussball-Justiz lächerlich und letztlich gar zur Komplizin der Randalierer.

Tevez hat das Recht auf Provokation

Alexander Kühn am Mittwoch den 16. Mai 2012

Carlos Tevez hat auf der Meisterfeier von Manchester City ein Plakat mit der Aufschrift «RIP Fergie» (Ruhe in Frieden, Fergie) in die Luft gehalten. Als Replik auf eine drei Jahre alte Bemerkung von ManU-Trainer Sir Alex Ferguson, wonach die United zu seinen Lebzeiten niemals im Schatten der Citizens stehen werde. Auf Tevez’ vielleicht etwas ungehobelten Scherz folgte die demütige Entschuldigung. «Das Plakat ist geschmacklos und verwerflich. Carlos hat einen grossen Fehler begangen», kommunizierte Manchester City. «Ich habe den Kopf verloren und wollte Sir Alex Ferguson nicht beleidigen, denn ich achte ihn als Trainer und Menschen sehr», schob Tevez selbst hinterher.

Das klingt alles vernünftig, und doch ist es Quatsch. Denn in diesem Fall trifft der Spott keinen Unschuldigen. Die freundlichen Worte sind also nicht nur heuchlerisch, sondern auch fehl am Platz. Wer austeilen kann, der muss auch einstecken können. Selbst dann, wenn er sich wegen seiner Verdienste um den britischen Fussball Sir nennen darf. Ferguson ist nicht nur der grösste Trainer im Vereinigten Königreich, sondern auch ein ebenso grosser Provokateur. Als er 2009 beschloss, seinen damaligen ManU-Schützling Tevez nach Ablauf der Leihe nicht von West Ham United zu übernehmen, trat er noch verbal nach. «Tevez ist ganz einfach keine 25 Millionen Pfund wert», so Fergusons Spruch, der den Argentinier nach 63 Spielen und 19 Toren geschmerzt haben muss.

Auch nach dem Herzschlagfinale in der Premier League am vergangenen Wochenende zeigte sich Sir Alex alles andere als diplomatisch. Vielmehr bemühte er zum wiederholten Mal das Bild der unverdient zu viel Geld gekommenen Citizens und meckerte, der Stadtrivale werde nun neuerlich ein Vermögen für neue Spieler und deren irrwitzige Saläre ausgeben. Auf eine Entschuldigung seitens der United wartet man derweil vergebens.

Generell ist es schlicht und einfach naiv, in den Grössen des Weltfussballs moralische Instanzen zu sehen. Es gibt Spieler, die schiessen Tore mit der Hand und brüsten sich auch noch damit, es gibt Spieler, die spannen ihren Mitspielern die Ehefrau aus, und es gibt eben Spieler, die sich bisweilen im Ton vergreifen. Wer noch nie bei der Arbeit geschummelt hat, nie fremdgegangen ist und nie gegen jemanden ausfällig geworden ist, möge Tevez für sein Plakat mit aller Inbrunst verurteilen. Alle anderen sollten schweigen.

Jene Leute, die sich im Fussball-Business wirklich daneben benehmen, sind die Idioten, welche die Gewalt in die Stadien tragen. Die Idioten, die Raketen in die gegnerischen Fanblocks schiessen. Die Idioten, die Polizisten behandeln, als wären diese gefühllose Roboter. Dem Trainer Ferguson, der Millionen verdient und selbst kein Kind von Traurigkeit ist, schmiert man schon wegen einer Lappalie wie dem Tevez-Plakat Honig ums Maul, ein Polizist müsste im Krankenhaus landen, um eine annähernd so mitfühlende Behandlung zu bekommen. Das ist der wahre Skandal, nicht das spöttische Transparent von Manchester.

Aegerter soll nicht jammern

Alexander Kühn am Samstag den 12. Mai 2012
Der Captain geht: Ein enttäuschter Silvan Aegerter nach einer Niederlage in Basel, 2010. (Bild: EQ Images)

Der Captain geht: Ein enttäuschter Silvan Aegerter nach einer Niederlage in Basel, 2010. (Bild: EQ Images)

Mangelnde Professionalität konnte man dem scheidenden FCZ-Captain Silvan Aegerter bis zu seiner öffentlichen Abrechnung mit der Vereinsspitze am Freitag nicht vorwerfen. Und trotzdem ist es richtig, dass sich die Zürcher vom Mittelfeldspieler trennen. Aegerter war in der Krise des FC Zürich schlicht und einfach der falsche Mann am falschen Ort. Ein durchaus passabler und fleissiger Fussballer zwar, aber alles andere als ein charismatischer Leader, der es versteht, eine Mannschaft ohne Selbstvertrauen und Biss aus ihrer Lethargie zu reissen. Und genau das wäre nötig gewesen, erst recht seit dem Beginn der Regentschaft der überfordert wirkenden Interims-Trainer Harald Gämperle und Urs Meier.

Der FCZ konnte Aegerter vor fünf Jahren zwar aus dem beschaulichen Thun in die selbsternannte Weltstadt an der Limmat lotsen, das beschauliche Berner Oberland brachten die Verantwortlichen aber nicht aus ihm heraus. Als es dem FC Zürich gut lief, war das kein Problem, in der verpfuschten Saison 2011/12 zeigte sich aber, dass die Fussstapfen seines Vorgängers Hannu Tihinen für Aegerter zu gross waren. Der Finne war auch kein Mann der grossen Worte, aber einer, der aus dem Kollektiv herausragte. Sogar wenn er schwieg. Tihinen wurde nicht erst seit seinem Hackentreffer gegen die AC Milan in der Champions League von den Fans verehrt. Sondern weil er eine enorme Ausstrahlung auf dem Platz besass und seinen Teamkollegen Sicherheit vermittelte.

Der FCZ hat schon im Winter mit den Verkäufen von Ricardo Rodriguez, Admir Mehmedi, Dusan Djuric, Xavier Margairaz und Alexandre Alphonse den Umbruch eingeleitet. Dass er ihn nun mit der Trennung von Aegerter weitergeht, ist nur konsequent. Zumal der Kontrakt des 32-Jährigen, für den einst die Mutter der Ex-Freundin einen Vertrag aushandelte, ohnehin ausläuft. Der Captain muss der verlängerte Arm des Trainers sein, und der designierte FCZ-Coach Rolf Fringer hat sich offensichtlich einen anderen verlängerten Arm gewünscht. Einen, der auch einmal unbequem in die Parade fährt, die Mitspieler zusammenstaucht und dies nicht dem nur beim Lamentieren noch frischen Ludovic Magnin überlässt. Anders formuliert: Aegerter ist nicht zu schlecht, aber zu brav, um beim Wiederaufbau des Trümmerhaufens FC Zürich eine tragende Rolle zu spielen.

Die deftigen Worte, mit denen der Aussortierte seinen Präsidenten Ancillo Canepa und Sportchef Fredy Bickel in der gestrigen «Blick»-Ausgabe bedacht hat, ändern dies nicht. Jetzt, wo ohnehin schon alles bachab gegangen ist, wirkt die Kritik weinerlich statt kämpferisch. «Wer hat das Team zusammengestellt? Wer hat all diese sogenannt charakterlosen Spieler verpflichtet?», fragte Aegerter. Als Captain hätte er handeln müssen, als er noch Autorität besass.

Der neue FCZ-Captain muss ein Mann ohne Altlasten sein – und er muss vor allem eines haben: Ecken und Kanten. Tomislav Puljic vom FC Luzern wäre so ein Mann. Der 29-jährigen Verteidiger ist mit seinen 1,92 m und 90 kg schon allein physisch eine imposante Erscheinung. Zudem kennt er Fringer aus der gemeinsamen Zeit beim FCL und weiss, wie der frühere Schweizer Nationalcoach tickt. Im Sommer kursierte das Gerücht, der Bundesligist VfB Stuttgart wolle Puljic aus seinem bis 2014 datierten Vertrag herauskaufen. Keine schlechte Referenz. Der Karlsruher SC, der noch gegen den Abstieg aus der 2. Bundesliga kämpft, dürfte für den FCZ kein ernsthafter Konkurrent sein, wenn es darum geht, Puljics Unterschrift zu bekommen.

Anders als Aegerter, der in Interviews mehr wie ein Pfarrer als wie eine sportliche Führungsfigur rüberkam, scheut sich Puljic nicht vor klaren Worten. Ein Muster seiner Qualitäten als Kritiker lieferte er im vergangenen November ab, nachdem ein nicht nachvollziehbarer Platzverweis gegen ihn Luzerns 1:3-Niederlage in Thun eingeleitet hatte. «Diese Entscheidung ist ein Skandal. Sogar in Bosniens zweiter Liga hat es bessere Schiedsrichter als in der Schweiz», polterte er. Mann kann sich leicht denken, dass Puljic nicht nur dem Referee die Meinung geigt, wenn er sauer ist. Und genau das macht ihn zum valablen Kandidaten für das Captain-Amt in einem Team, dessen Spieler den Niedergang erst nicht erkennen wollten und dann nicht bekämpfen konnten.

Der Glücksbringer mit dem Genickbruch

Alexander Kühn am Mittwoch den 9. Mai 2012


Vom Kriegsgefangenen zum Fussballer des Jahrs: Bert Trautmanns wundersame Karriere. (Quelle: Youtube)

Wenn es sich der Fussball-Gott nicht doch noch anders überlegt, wird Manchester City am kommenden Samstag kurz vor 18 Uhr zum ersten Mal seit 44 Jahren englischer Meister. Der Titel wäre nicht nur für die leidgeprüften Anhänger ein grosses Geschenk, sondern auch für Bert Trautmann, der Citys Geschichte prägte wie kein anderer. 545-mal stand der heute 88-Jährige zwischen 1949 und 1964 im Tor der Himmelblauen, den Meisterpokal durfte er aber nie in die Höhe stemmen. Nun trennt den Verein seines Herzens nur noch ein Sieg gegen den Tabellensiebzehnten Queen’s Park Rangers vom grossen Triumph. Nicht zuletzt deshalb, weil die Citizens in der Person von Joe Hart wieder einen ganz grossen Keeper besitzen, wie Trautmann findet. «Joe ist derzeit zweifellos der beste Torhüter im Vereinigten Königreich», schwärmt der gebürtige Bremer, der im Zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangener nach England kam.

Trautmann ist ein Glückskind, und so wäre es nur logisch, wenn er auch in seiner Funktion als Maskottchen endlich Erfolg hätte. Zumal ihm Fortuna im Monat Mai schon einmal treu zur Seite stand: Am 5. Mai 1956 überlebte er im Endspiel um den FA-Cup vor den Augen von 98’982 Zuschauern einen Genickbruch. Trautmann, der nichts von der schweren Verletzung wusste, spielte die Partie gegen Birmingham City nach dem fatalen Zusammenstoss in der 75. Minute zu Ende und hatte grossen Anteil am 3:1-Sieg seiner Citizens. Dass er nicht auf dem Platz starb, sondern folgenlos weiter durch den Strafraum hechtete, gilt bis heute als medizinischen Wunder.

Die Queen ehrte ihn für sein Zutun an die deutsch-britische Freundschaft: Bert Trautmann mit seinem Orden in Berlin, 2004. (Bild: Reuters)

Die Queen ehrte ihn für sein Zutun an die deutsch-britische Freundschaft: Bert Trautmann mit seinem Orden in Berlin, 2004. (Bild: Reuters)

Ein Wunder anderer Art hatte ihm über ein Jahrzehnt zuvor die Flucht aus einem sowjetischen Gefangenenlager ermöglicht, die folgende Internierung in Grossbritannien war letztlich die glücklichste Wendung in seinem Leben. Noch heute erheben sich die Menschen in Manchester von den Sitzen und applaudieren, wenn der beliebteste Deutsche und Honorary Officer of the Most Excellent Order of the British Empire die Arena betritt. Im alten City-Stadion an der Maine Road wurden nach Trautmanns Rücktritt die Pfosten ausgetauscht, da kein anderer als der einstige Gefangene zwischen ihnen stehen sollte.

Überhaupt ist Manchester City ein ganz besonderer Verein, auch wenn den Puristen die steinreichen Clubbesitzer aus Abu Dhabi nicht passen. Schon alleine ihrer Standhaftigkeit wegen haben die Fans der Citizens der Titel weit mehr verdient als die erfolgsverwöhnten Fans von Manchester United, die seit 1993 nicht weniger als zwölf Premier-League- und zwei Champions-League-Trophäen feiern durften. Wer den FCZ in den Zeiten der GC-Dominanz unterstützte, kann sich vorstellen, wie hart es über zwei Dekaden war, dem City-Lager anzugehören.

Auf Seiten von Manchester United sieht man das naturgemäss ganz anders. Der mächtige Trainer Sir Alex Ferguson, der beim letzten Derby einen Streit mit seinem City-Konterpart Roberto Mancini anzettelte, mag dem lange unterlegenen Stadtrivalen die neue Kraft nicht recht gönnen und kritisiert dessen wirtschaftliches Gebaren. «Niemand kann City auf finanzieller Ebene schlagen. Der Transfermarkt ist ausser Kontrolle geraten, das haben Teams wie City zu verantworten. Sie können sich jeden Spieler kaufen, das macht es für andere Vereine schwer, ein Wörtchen mitzureden», gab der Schotte zu Protokoll. Mit Verlaub, Ferguson als Anwalt der kleinen Clubs ist mehr als unglaubwürdig. Schliesslich erdrückte seine United die Konkurrenz über Jahre mit ihrer monetären Potenz.

City-Coach Mancini sollte im Fall des Titelgewinns gleich auch noch zum Ehrendoktor für Psychologie ernannt werden – als Lohn für seine Fähigkeiten, das Mannschaftsklima trotz der exzentrischen Lohnbezüger Carlos Tevez und Mario Balotelli auf einem angenehmen Niveau zu halten.

Die geheimen FCZ-Tribünengespräche

Alexander Kühn am Samstag den 5. Mai 2012

Was besprechen Ancillo und Heliane Canepa eigentlich mit dem designierten FCZ-Trainer Rolf Fringer? Das Protokoll eines fiktiven Gesprächs.


Rolf Fringer: Also im «Sportpanorama» hat das irgendwie alles besser ausgesehen, die spielen ja noch schlimmer als der FC Luzern vor meiner Entlassung.

Ancillo Canepa: Sei doch froh, dass du erst in der nächsten Saison auf der Trainerbank sitzen musst. Bis dahin hat der Bickel die ganzen Bratwürste aussortiert.

Rolf Fringer: Abwarten, Cillo. Dem Magnin habt ihr ja damals einen Vertrag bis Sommer 2013 gegeben. Und wies aussieht, möchte den nicht mal Zürich United haben.

Ancillo Canepa: Die Heliane wollte halt unbedingt, dass der Magnin zum FCZ kommt. Wegen den roten Haaren, damit sie nicht mehr die Einzige ist. Und unter dreieinhalb Jahren wollte er nicht.

Rolf Fringer: Also wenn der Bickel den bis im Sommer loswird, dann schneide ich mir eine Igelifrisur à la Urs Fischer.

Ancillo Canepa: Und ich lasse mir einen Irokesen rasieren.

Heliane Canepa: Aber Schatz, du hast mir doch versprochen, dass wir in der nächsten Saison die gleiche Frisur tragen werden. Dann können wir endlich als Kobolde zusammen an die Basler Fasnacht.

Ancillo Canepa: Hör mir auf mit dieser Kobold-Nummer! Die lachen in Basel sowieso schon über uns. Und überhaupt muss ich jetzt mit dem Rolf die neue Saison planen und habe keine Zeit, mit dir zu diskutieren.

Rolf Fringer: Wenn mir die Heliane den Petric kauft, verkleide ich mich von mir aus auch als Kobold.

Heliane Canepa: Siehst du, Schatz. Das ist eben noch ein Mann mit Mut.

Ancillo Canepa (flüstert seiner Frau zu): Sonst hätte er ja hier auch nicht unterschrieben. Obwohl er noch gar nicht weiss, dass ich nach dem ersten gewonnenen Testspiel doch wieder den Meistertitel als Minimalziel ausgeben werde. Zumal wir ja ganz sicher keine Doppelbelastung mit dieser komischen Europa League haben werden.

Heliane Canepa: Jetzt tu mal nicht so, Schatz. Du hast dich doch auch gefreut über die Dienstreise zum Spiel gegen Lazio Rom. Und in der Waffenkammer der Schweizer Garde hast du noch mehr gestrahlt als damals bei der Vertragsunterzeichnung mit dem Magnin.

Ancillo Canepa: Psst! Das muss doch der Rolf nicht wissen, sonst nimmt er mich auch nicht mehr ernst. Wenn du nicht gleich still bist, sage ich allen, dass du den Smiljanic als neuen Abwehrchef verpflichten wolltest.

Heliane Canepa: So ein Quatsch! Also so viel versteh auch ich noch vom Fussball. Und überhaupt, geh mir jetzt besser mal eine Bratwurst holen. Mit meinen MBT-Schuhen komme ich schlecht die Treppen runter, und der Rolf hat sicher auch Hunger.

Ancillo Canepa (steht auf): Also gut, dann geh ich mal an den Wurststand.

Rolf Fringer (eindringlich zu Heliane Canepa): Das mit der Basler Fasnacht und den Kobold-Haaren ist mir wirklich ernst, aber dann will ich zum Petric auch noch zwei finnische Masseure und einen polnischen Chiropraktor, damit der Chikhaoui nicht wieder die halbe Saison verletzt ist.

Heliane Canepa: In Ordnung, ich verstecke Cillo seine Lieblingspfeife und gebe sie ihm erst wieder, wenn er zu allem Ja und Amen gesagt hat. Wir gehen dann aber auch gleich zusammen in den Franz Carl Weber und kaufen die Verkleidung.

Rolf Fringer: Von mir aus, Hauptsache ich kriege den Petric, die Masseure und den Chiropraktor. Wenn der Chikhaoui nicht fit ist, wird es hier auch in der nächsten Saison nichts, und dann bringt mich der «Blick» zur Strafe womöglich noch als GC-Trainer ins Gespräch.

Ancillo Canepa: So, da bin ich wieder! Einmal Bratwurst und Bier für alle.

Heliane Canepa: Danke, Schatz. Gut gemacht. Und sag mal, wie lange läuft eigentlich der Vertrag vom Aegerter noch?

Ancillo Canepa: Noch bis im Sommer.

Rolf Fringer: Gott sei Dank.

Heliane Canepa: Allerdings. Das ist auch so einer, der immer dort hinrennt, wo der Ball ist, dann aber doch nichts macht. Aber erklär das mal dem Cillo.

Ancillo Canepa: Auf den Silvan lass ich nichts kommen.

Heliane Canepa: Das hast du auch schon beim Fischer gesagt. Deine beste Entscheidung als FCZ-Präsident …

Ancillo Canepa: Was hätte ich denn tun sollen? Der Challandes ist immer gleich so aufbrausend geworden, ich habe ja manchmal fast meine Pfeife verschluckt. Und der Fischer war wenigstens nett.

Rolf Fringer: Der Gegner hat übrigens gerade ein Tor geschossen. Also wir brauchen unbedingt noch vier neue Verteidiger und einen international erfahrenen Mann fürs defensive Mittelfeld.

Heliane Canepa: Vier Verteidiger? Das finde ich schon etwas übertrieben.

Rolf Fringer: Denk an die Kobold-Verkleidung, Heliane!

Heliane Canepa (sehr kleinlaut): Okay, vier Verteidiger.

Trainer vom Typus Gross sind nicht mehr zeitgemäss

Alexander Kühn am Dienstag den 1. Mai 2012


Die sportliche Ehe zwischen den Berner Young Boys und Christian Gross ist grandios gescheitert. Am Ende waren die Darbietungen auf dem Rasen so dürftig, dass selbst CEO Ilja Kaenzig die Weiterbeschäftigung des bärbeissigen Zürchers nicht mehr länger verantworten wollte. Mit seiner autoritären Art und dem wenig feinsinnigen Fussball, den Spötter als Stratosphären-Pingpong bezeichnen, kam Gross beim Berner Publikum nicht an – und bei den Spielern trotz gegenteiliger Beteuerungen offenbar auch nicht. Was soll ein Fussballer schon über seinen Chef sagen, wenn ihn ein Reporter fragt, ob er sich unter dessen Kommando wohl fühle?

Gross, der nach den Engagements beim FC Basel und dem VfB Stuttgart die dritte Entlassung innerhalb von zweieinhalb Jahren hinnehmen musste, hat enorme Verdienste um den Schweizer Fussball. Er sorgte mit GC und dem FCB in der Champions League für Furore und trug so massgeblich zur Steigerung des Ansehens der hiesigen Kicker bei. Der Glatzkopf war ein grosser Trainer – unbestritten. Das Problem ist aber, dass die Betonung hierbei auf dem Wort «war» liegt. Die Zeit der autoritären Fussball-Lehrer ist abgelaufen. Nur ganz wenige Ausnahmefiguren wie Sir Alex Ferguson von Manchester United oder der begnadete Selbstdarsteller José Mourinho von Real Madrid halten sich noch. Gross aber zählt nicht zu diesen Ausnahmefiguren.

«Ich konnte der Mannschaft nicht die gewünschte Winner-Mentalität einpflanzen», bekannte er nach seiner Entlassung vor der Presse, um anzufügen: «Ich bedaure, dass die Clubführung nach relativ kurzer Zeit das Vertrauen verloren hat.» Mit Verlaub, Herr Gross: Ein Trainer mit einem weniger klangvollen Namen wäre bei diesen Ergebnissen schon viel früher entlassen worden. Und anders als dem ebenfalls geschassten FCZ-Coach Urs Fischer hat man Ihnen im Winter auch nicht die halbe Mannschaft verkauft, sondern einen teuren Mann wie Raul Bobadilla geholt.

Benjamin Huggel, in Basel einst Schützling von Christian Gross, hat an der Meisterfeier des FCB einen klugen Satz gesagt, als er gefragt wurde, ob Heiko Vogel ein autoritärer Trainer sei: «Ein autoritärer Trainer wird keinen Erfolg haben.» Tatsächlich scheint im modernen Fussball der kumpelhafte Typ gefragt zu sein, der charmante, witzige Kommunikationsprofi, der Seelenmasseur und Gute-Laune-Bär. Basels Meistermacher Vogel fällt ebenso in diese Kategorie wie Jürgen Klopp vom Bundesliga-Primus Borussia Dortmund oder Roberto Di Matteo, der den FC Chelsea sensationell in den Final der Champions League führte und selbst das ewige Sorgenkind Fernando Torres wieder zu neuem sportlichem Leben erweckte.

Vogel, Klopp, Di Matteo – sie alle sprechen eine Sprache, die bei den naturgemäss jüngeren Spielern ankommt. Will Gross an alte Erfolge anknüpfen, muss er sich kommunikativ neu erfinden – an Kompetenz mangelt es ihm nicht. Gute Vorbilder gibt es genug. In der Schweiz sticht neben Vogel auch Murat Yakin heraus, der beim FC Luzern mit Kompetenz und Intellekt das Maximum aus der Mannschaft kitzelt, in Deutschland Lucien Favre. Favre, der mit Borussia Mönchengladbach an der Qualifikation zur Champions League teilnehmen darf, ist mit Jahrgang 1957 biologisch zwar nur drei Jahre jünger als Gross, wirkt aber mit seinen funkelnden Augen und dem jungenhaften Charme, als gehöre er einer ganz anderen Generation an. Dass sich Gross nach dem dritten Scheitern in Folge den Traum vom Job als Schweizer Nationaltrainer noch erfüllen kann, darf man nach dem aktuellen Stande der Dinge nebenbei bemerkt bezweifeln.

Der falsche Neid auf die Bayern

Alexander Kühn am Samstag den 28. April 2012
Heimvorteil genutzt: Bayern München fühlt sich in der Allianz Arena wohl. (Bilder: Keystone)

Heimvorteil genutzt: Bayern München fühlt sich in der Allianz Arena wohl. (Bilder: Keystone)

Statistisch betrachtet hat der FC Bayern die Champions League schon jetzt gewonnen – aus einem einfachen Grund. Das Endspiel der Königsklasse findet am 19. Mai in der Münchner Allianz Arena statt, und der deutsche Rekordmeister war in der laufenden Saison auf internationalem Parkett daheim dreimal erfolgreicher als sein Gegner auf fremden Plätzen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Finalspielort München in England kritische Geister auf den Plan ruft, zum Beispiel Kenny Dalglish. «Man sollte nicht das Stadion einer Mannschaft auswählen, die am Wettbewerb teilnimmt. Das ist vollkommen unfair und ein riesiger Vorteil für Bayern München», schimpfte der Trainer des FC Liverpool.

«Vollkommen unfair»: Dalglish sieht Chelsea klar im Nachteil.

«Vollkommen unfair»: Dalglish sieht Chelsea klar im Nachteil.

Zur Illustration seiner These hier die Fakten. 7:0 gegen Basel, 2:0 gegen Marseille und 2:1 gegen Real Madrid lauten die Resultate der Bayern in der Knockout-Phase, in den Gruppenspielen gab es ein 2:0 gegen Manchester City, ein 3:2 gegen die SSC Napoli und ein 3:1 gegen Villarreal. Macht summa summarum sechs Siege in sechs Partien bei 19:4 Toren. Für Chelsea weist die Datenbank neben dem tapfer erkämpften 2:2 beim gescheiterten Titelverteidiger FC Barcelona nur ein wirklich gutes Auswärtsresultat aus – das 1:0 gegen Benfica Lissabon im Viertelfinal-Hinspiel. In den Achtelfinals setzte es für die Londoner ein 1:3 in Neapel, in der Vorrunde hiess es aus Sicht der Blues 1:1 gegen Valencia und Genk sowie 1:2 in Leverkusen. Unter dem Strich stehen ein Sieg, drei Remis und zwei Niederlagen – Tordifferenz 7:9.

Muss man sich also der These von Dalglish anschliessen und den Bayern das siebte Champions-League-Heimspiel der Saison missgönnen? Als reiner Zahlenmensch schon, als Freund des Fussballs aber nie und nimmer. Erstens gehört die Ungerechtigkeit nun einmal zum Sport – man denke nur an die Halbfinalduelle zwischen Barça und Chelsea – und zweitens würde Dalglishs Forderung den Grossteil der schönsten Arenen Europas zum vornherein als Finalspielorte ausschliessen: das Bernabéu in Madrid, das Camp Nou in Barcelona und eben auch die wunderbare Allianz Arena vor den Toren Münchens. Ein spontanes Umschwenken ist aus logistischer Sicht kaum machbar, die Uefa kann sich schlecht erst einen Monat vor dem grossen Endspiel auf einen Austragungsort festlegen.

Fand den Weg: Der FC Bayern ist in München angekommen.

Fand den Weg: Der FC Bayern ist in München angekommen.

Die Wahl eines festen Finalspielorts wie etwa im englischen FA Cup oder im DFB-Pokal würde die Ungerechtigkeit nur ein wenig mildern. Wäre es denn kein Heimvorteil mehr, wenn Chelsea zum Beispiel im Londoner Wembley zu einem Endspiel antreten würde? Bleibt die theoretische Möglichkeit, den Final der Königsklasse in ein Land zu vergeben, dessen Vertreter sicher nicht um die europäische Krone spielen werden. Die Schweiz könnte so zum Handkuss kommen. Doch ein finales Duell zwischen den Bayern und Real Madrid im Stade de Suisse oder im Basler St. Jakob-Park wäre bei aller Liebe zu den zwei schmucken Arenen blanker Unsinn. Die beiden Stadien sind schlicht zu klein. Schon jetzt muss man fast so viel Glück wie ein Lottokönig haben, um sich zu regulären Preisen Tickets für den Champions-League-Final zu sichern.

Und überhaupt: Wenn man bei der Wahl des Finalspielorts schon so päpstlich tut, was ist dann mit den teils absurden Schulden, welche die Spitzenvereine aus Spanien und England haben? Könnten die Bayern dann nicht auch sagen, dass sie nicht gegen Real Madrid spielen wollen, weil die Königlichen derart königlich in der Kreide stehen, dass die Sittenwächter des DFB ihnen erst gar keine Lizenz erteilen würden? Die Ungerechtigkeit gehört einfach zum Fussball, und das ist gut so. Um wie viel ärmer wäre die Geschichte dieses Sports, wenn es das Wembley-Tor im WM-Final 1966 zwischen England und Deutschland oder Diego Maradonas Treffer mit der Hand Gottes gegen die Engländer an der WM 1986 nicht gegeben hätte? Eben. Beim letzten wirklich bedeutenden Duell zwischen einer deutschen und einer englischen Mannschaft auf Münchner Boden siegten übrigens die Gäste von der Insel. Deutschlands Nationalteam unterlag England in der Qualifikation zur WM 2002 im alten Olympiastadion am 1. September 2001 mit 1:5.