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Auf nach Åland!

Alexander Kühn am Samstag den 7. Juli 2012
Wiklöf Holding Arena

Auch Fussball ist in Finnland etwas eigen: Der Idrottsparken, auch Wiklöf Holding Arena genannt. (Bild: Wikipedia)

Keine EM mehr, noch keine Super League oder Bundesliga und noch nicht einmal Olympia. Über was also eine Kolumne schreiben? Über das Fifa-Bekenntnis zur Torlinien-Technologie? Nein, viel zu viele Bürokraten in Anzügen und viel zu viel Technik. Über den x-ten Versuch von Yassine Chikhaoui, wieder auf die Beine zu kommen? Da schmerzt mein altes FCZ-Herz zu sehr. Darüber, dass mein Lieblingsclub Dynamo Dresden im Trainingslager in Österreich tatsächlich gegen den englischen Meister Manchester City antreten darf? Dann hören Sie gleich auf zu lesen. Also lieber ganz exotisch. Heute gibts keine Polemik und schon gar keine Analyse, sondern einen fussballerischer Reisetipp.

Machen Sie sich auf in Richtung Åland, ins Reich des entspannten Fussball-Genusses, dorthin, wo garantiert kein vermummter Idiot bengalisches Feuer neben Ihnen anzündet! Nie von Åland gehört? Das ist eine ganz wundervolle Inselgruppe in der nördlichen Ostsee am Eingang des Bottnischen Meerbusens zwischen Schweden und dem finnischen Festland. Das mit dem Bottnischen Meerbusen habe ich aus Wikipedia abgeschrieben, aber ich war wirklich schon oft in Åland. Und einmal eben auch im Fussballstadion der Inselhauptstadt Mariehamn, das den schmucken Namen Wiklöf Holding Arena trägt. Hier finden den ganzen Sommer über zuverlässig Spiele der sogenannten Veikkausliiga statt. Weil es in Finnland im Winter viel zu kalt für etwas anderes als Langlauf ist und weil die Finnen wohl gar nicht mehr ernsthaft versuchen, sich einmal für ein grosses Turnier zu qualifizieren.

Ich wurde bei meinem Besuch in der Wiklöf Holding Arena Zeuge eines 0:0 zwischen dem IFK Mariehamn und dem IFK Helsinki. Es war ein Spiel mit vielen Chancen für die Gäste aus der Hauptstadt und ebenso vielen Paraden des Keepers der Hausherren. «Der Tormann von Mariehamn ist ein Arschloch», bemerkte mein damals 5-jähriger Neffe trocken. Er hätte lieber Tore gesehen. Das Bemerkenswerte dabei war, dass der Kleine mit seiner emotionalen Reaktion auf das Geschehen ganz und gar alleine stand. Die finnischen Zuschauer vom weissblonden Kind mit einem Lakritz-Eis (pfui Teufel!) in der Hand bis zum Hot Dog kauenden Greis sassen 90 Minuten lang mit stoischer Ruhe auf der kleinen Tribüne der 4000-plätzigen Arena. Lebhaft wurden sie nur, als es darum ging, in der Pause eine Flasche der pappsüssen Birnen-Limonade namens Smurffi (finnisch für Schlumpf) zu erbeuten. Fast hätte man den Eindruck bekommen können, ein Spassvogel habe ihnen die Anweisung gegeben, möglichst allen Stereotypen der Nordländer zu entsprechen, damit der Tourist aus der Schweiz auch schön etwas zu schreiben hat.

Mariehamn ist nicht zu unterschätzen: Der Finne Paulus Arajuuri (u.) im Zweikampf mit Atletico Madrid-Spieler Ignacio Camacho, 2. Juni 2009. (Reuters)

Mariehamn ist nicht zu unterschätzen: Der Finne Paulus Arajuuri (u.) im Zweikampf mit Atletico-Madrid-Spieler Ignacio Camacho, 2. Juni 2009. (Reuters)

Dass der Club mit der wohl gleichgültigsten Anhängerschaft der Welt in der höchsten Liga Finnlands mitspielen kann, liegt daran, dass Åland dank florierendem Tourismus (jeder Trottel fängt dort einen Fisch und findet Pilze) und Reedereien mit  schwimmenden Duty-Free-Shops nicht nur schön, sondern auch wohlhabend ist. So ist der IFK Mariehamn inzwischen ein beliebtes Ziel für Fussballer aus Kenia, Braslien, den USA, Kanada oder Bosnien. Man weiss, hier kann man in Ruhe leben, anständig verdienen und ohne Pfiffe von den Rängen 0:0 spielen.

Übrigens kann es durchaus sein, dass bald einmal ein Schweizer Club gegen den IFK Mariehamn antreten muss. Der Verein aus Åland ist nämlich auf bestem Weg, sich für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Er liegt nach einem guten Drittel der Meisterschaft auf Rang 2 zwei Punkte hinter Tabellenführer IFK Helsinki und mit einem Spiel weniger. Und wenn Sie dann jemand fragen sollte, wo denn bitte dieses Åland liegt, dann sagen Sie einfach: «In der nördlichen Ostsee am Eingang des Bottnischen Meerbusens.» Und noch etwas. Lassen Sie um Himmels Willen die Finger von Lakritz-Eis und Smurffi-Limonade. Die Finnen sind aus anderem Holz geschnitzt als wir.

Deutschland, Europameister der Selbstzerfleischung

Alexander Kühn am Mittwoch den 4. Juli 2012
Nach dem Aus der deutschen Elf ging eine üble Kampagne los: Zeitungsausschnitte nach der Niederlage gegen Italien.

Nach dem Aus der deutschen Elf ging eine üble Kampagne los: Zeitungsausschnitte nach der Niederlage gegen Italien.

Spanien hat an der Euro 2012 den Pokal gewonnen, der Europameister der Selbstzerfleischung aber heisst Deutschland. Nach dem 4:2-Viertelfinalsieg gegen Griechenland tönte das Boulevardblatt «Bild» noch «Uns stoppt keiner mehr», nach der 1:2-Niederlage gegen Italien verkündete es dann unter der Überschrift «Die bittere Wahrheit», Stürmer Mario Gomez achte nur auf seine Frisur, Captain Philipp Lahm labere wie ein Politiker und Bastian Schweinsteiger werde nie ein Chef. Kein Wort mehr von der goldenen Generation, die mit 15 Pflichtspiel-Siegen in Serie einen Weltrekord aufgestellt hatte. Kein Wort mehr vom sympathischen Offensiv-Fussball Löw’scher Prägung, der ganz Europa ein Deutschland-Bild jenseits überheblicher Phrasendrescherei vermittelt hatte. Kein Wort mehr davon, dass die deutsche Elf dank Joachim Löws taktischem Gespür und den vielen talentierten jungen Spielern 2014 bei der Vergabe des WM-Titels ein gewichtiges Wort mitreden wird. Es war, als wolle der Boulevard den besten Bundestrainer seit der Wiedervereinigung aus dem Amt schreiben. Daher auch die Frage an die Leserschaft: «Kann man noch an Jogi glauben?»

Doch selbst den zuvor mit dicken Negativ-Schlagzeilen aufgeputschten «Bild»-Lesern dämmerte mehrheitlich, dass die Attacken gegen Löw trotz allfälliger Fehler bei der Aufstellung für das Italien-Spiel sachlich nicht zu rechtfertigen sind. Immerhin 59 Prozent von ihnen befanden, der Bundes-Jogi solle im Amt bleiben. Dass die Resonanz in einer gemässigteren Publikation noch positiver ausgefallen wäre, lässt sich leicht denken. Löw ist damit erst einmal aus der Schusslinie. Denn die einzige Instanz, gegen die der Boulevard prinzipiell nicht anschreiben möchte, ist das Volk. Der schale Nachgeschmack aber bleibt. Genauso wie das Stirnrunzeln über all jene selbst titellosen Experten, die monierten der DFB-Elf fehle das Sieger-Gen. Während man den Nörglern Oliver Kahn und Jens Lehmann wenigstens noch Neutralität attestieren kann, fragt man sich bei Michael Ballacks Kritik, ob er sich nicht einfach nur bei Löw für seine Degradierung vom Captain zum Zuschauer der Nationalmannschaft revanchieren wollte. Das deutsche Team sei zu stromlinienförmig und dazu noch verunsichert gewesen, schimpfte Ballack. Doch mit Verlaub: Stromlinienförmig sind auch die Schlüsselspieler der erfolgreichen Spanier. Oder würden sie einen Andrés Iniesta als Rebellen bezeichnen?

Der Einfluss der Medien wird bisweilen überschätzt. Doch wird er im Zusammenhang mit Fussball-Nationalteams nicht vielleicht unterschätzt? Ist es wirklich Zufall, dass mit den Deutschen und den Engländern die beiden Mannschaften aus den Ländern mit der aggressivsten Presse seit langer Zeit keinen grossen Titel mehr gewonnen haben? Deutschland wartet seit 1996, die Engländer sogar schon 30 Jahre länger. Wenn die Erwartungen und die Ansprüche so hoch sind, dass eine Halbfinal-Teilnahme als mittlere Katastrophe bewertet wird, dürfte der Druck beim nächsten Turnier nicht geringer sein. Und wenn man sich als Spieler noch so sagt, man wolle keine Zeitungen lesen, irgendwie bekommt man die Forderungen und Polemiken doch mit.

Das Phänomen, dass himmelhohe Ansprüche das Wirken der Fussballer behindern, ist aus dem Clubfussball bestens bekannt. Schon ein Blick auf die vergangene Bundesliga-Saison genügt, um diese These zu untermauern. So rettete sich der mit bescheidenen Mitteln operierende SC Freiburg vor dem Sturz in die Zweitklassigkeit, weil der zum Chefcoach beförderte Assistenztrainer Christian Streich in Ruhe arbeiten konnte. Der finanziell bedeutend besser gestellte 1. FC Köln stieg dagegen trotz Nationalstürmer Lukas Podolski sang- und klanglos ab – denn in der Grossstadt Köln weht wegen der örtlichen Boulevardzeitung «Express» medial ein ganz anderer Wind.

Es gibt nichts Besseres als einen echten Strassenköter

Alexander Kühn am Freitag den 29. Juni 2012

Was musste sich Mario Balotelli wegen seines exzentrischen Wesens auf und neben dem Platz nicht schon alles anhören. Die Palette reichte von «untrainierbar» bis «zu dumm für den Fussball». Und gestern Abend kamen auch noch die Bezeichnungen «Pflegefall» und «Strassenköter» dazu, ausgesprochen vom ARD-Moderatoren-Duo Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl. Klar, dass dies nun hohe Wellen schlägt. Die bösen Deutschen mögen dem armen Kerl den Erfolg nicht gönnen, heisst es. Die künstlich geschürte Aufregung über die flapsigen Bemerkungen fällt fast heftiger aus als die Reaktionen, wenn hirnlose Rassisten aus Italien oder Kroatien den Sohn ghanaischer Immigranten wieder einmal mit rassistischen Schmähungen und Bananen eindecken. Dabei ist der Strassenköter-Vergleich unter dem Strich endlich einmal ein Kompliment für den genialen Strassenfussballer Balotelli.

Ein Strassenköter muss schliesslich nichts Schlechtes sein. Erst recht nicht in einer Fussball-Epoche, die von taktischen Zwangsjacken und entsetzlichen Querpass-Orgien geprägt ist, in der perfektionistische Chihuahuas Langeweile verbreiten. Dass auch auf höchster Ebene noch die Genialität eines Einzelnen den Unterschied machen kann, ist ein Sieg für den anderen Fussball, für den schönen, überraschenden, unterhaltsamen und menschlichen Fussball. Für jenen Fussball, den auch der ausgefeilteste Roboter nicht spielen könnte. Kurz und gut: Die Euro 2012 hat endlich einen echten Star bekommen, einen Charakterkopf, der im Gegensatz zum spanischen Weltmeisterschützen Andrés Iniesta oder dem deutschen Captain Philipp Lahm nicht wie ein bleicher Sonntagsschüler daherkommt und ebenso faszinierend ist wie einst Eric Cantona, Paul Gascoigne oder George Best. Selbst als Deutschland-Fan mit Euro-Kater muss ich sagen: Schön, dass es Balotelli gibt.

Ein ganz grosses Kompliment gebührt auch jenem Mann, der aus Balotelli einen echten Super-Mario gemacht hat: Nationaltrainer Cesare Prandelli. Der 54-Jährige, unter dem sich die Italiener vom Defensiv-Fussball verabschiedet haben, zeichnet sich nicht nur durch grossen Sachverstand aus, sondern auch durch Mut und psychologisches Gespür. Er hat es gewagt und geschafft, die schwierigen, aber genialen Pflegefälle Balotelli und Antonio Cassano als Stützpfeiler in die Squadra Azzurra einzubauen. Damit hat er seiner Equipe in der Offensive eine Unberechenbarkeit verliehen, die am Sonntag im Final auch den Spaniern Bauchschmerzen bereiten wird. Wahrscheinlich noch deutlich mehr als beim Aufeinandertreffen in der Vorrunde, das 1:1 endete. Denn Italien ist während des Turniers im Gegensatz zu Spanien als Einheit gewachsen.

«Kommunikation ist immer wichtig», lautet einer von Prandellis Lieblingssätzen. Und dieser Kommunikation ist es auch zu verdanken, dass sich Balotellis kongenialer Partner Cassano schriftlich für seine homophoben Äusserungen entschuldigte, womit der Anstand gewahrt und weitere Unruhe abgewehrt war. Ein anderer Trainer hätte Cassano vielleicht einfach aus der Mannschaft geworfen, nicht aber der Kommunikator Prandelli. Wetten, dass er vor dem Final wieder die richtigen Worte findet?

Warum man England selbst als Deutscher lieben muss

Alexander Kühn am Samstag den 23. Juni 2012


Ich gebe es zu. Neben der deutschen Elf habe ich in meinem Leben als Fussball-Fan eine Nebenfrau. Und erst noch eine ganz unmögliche: die englische Nationalmannschaft. Jahrelang habe ich mich dagegen gesträubt und mir neidisch auf die Lippen gebissen, wenn meine englischen Freunde «God Save The Queen» intonierten. Jahrelang habe ich versucht, mir einzureden, dass die Engländer zwar den Fussball erfunden haben, inzwischen aber eine ganz gewöhnliche Mannschaft hätten. Jahrelang habe ich nach Gründen gesucht, mich gegen die Three Lions zu sperren. Viel mehr als die dürre Frau von David Beckham ist mir aber nicht eingefallen, und die befindet sich nun ja in sicherer Entfernung, irgendwo in Hollywood. Was blieb mir also anderes übrig, als zu kapitulieren. Als einzusehen, dass ich kein bisschen besser bin als die ganzen bleichen Nord- und Mitteleuropäer, die zur WM-Zeit Brasilien-Trikots kaufen und ihre Herkunft verleugnen.

England-Sympathisant als schweizerisch-deutscher Doppelbürger! Das ist erbärmlich! Aber es ist halt so. Und noch schlimmer: Wenn vor dem Spiel gegen die Italiener, die ich schon alleine wegen ihrer kulinarischen Verdienste überaus schätze, die englische Hymne erklingt, wird mich ein fast schon patriotischer Schauer übermannen. Denn England, das spürt man besonders, wenn aus Tausenden von Kehlen «God Save The Queen» erschallt, ist und bleibt die grösste Fussball-Nation der Welt. Daran gibt es nichts zu deuteln. Da können auch meine Deutschen, die Brasilianer und die Italiener nicht mithalten. Die Spanier schon gar nicht, die sind mit ihren beiden Titelchen nur eine Randnotiz in der Historie des wunderbarsten Sports dieses Planeten.

England steht wie kein zweites Land für die Faszination Fussball. Die Insel besitzt so viel Fussball-Kultur, dass sie selbst einen guten Fussball-Song zustande gebracht hat: «Football’s Coming Home» aus der Feder von Ian Broudie. Und dann all diese Dramen und Tränen, die den Weg der Three Lions pflastern. An der WM 1986 an Diego Maradonas Hand Gottes gescheitert, an der WM 1990 im Penaltyschiessen an Deutschland, an der EM 1996 wieder in der Elfmeter-Lotterie am gleichen Gegner. Niederlagen machen eben doch noch mehr her als Siege. Stilvoll gewinnen, das kann fast jeder. Aber stilvoll verlieren, das ist eine Domäne der Engländer. So entsetzlich ihre Küche bisweilen ist, so wunderbar ist ihr Sportsgeist. Selten haben die Engländer in den letzten Jahren wirklich überzeugend gespielt, aber widerstandlos und feige untergegangen sind sie nie. Englischer Fussball ist Gentleman-Fussball, erst recht mit Roy Hodgson an der Seitenlinie. Selbst Wayne Rooney, neben dem Rasen bisweilen ja ein ausgemachter Flegel, lässt eine gewisse Demut nicht vermissen, wenn er das Trikot mit den drei Löwen trägt.

Wer im Fussball an das Gute glaubt, muss auch daran glauben, dass sich die Götter einmal der Engländer erbarmen. Wenn schon nicht das eigene Land gewinnen kann, dann sollen es wenigstens die Engländer tun. Das sollte der Grundsatz jedes ehrlichen Fussball-Fans sein. Gewinnt England an der Euro 2012 den ersten Titel seit 46 Jahren, wäre das die Wiedergutmachung für fünf verlorene Penaltyschiessen in den letzten 22 Jahren, für unzählige Goalie-Flops und immer wieder enttäuschte Hoffnungen. Leider wäre es aber auch das Ende des englischen Mythos, wie es ihn heute gibt.

Haltet Angela Merkel auf!

Alexander Kühn am Freitag den 22. Juni 2012

Liebe Frau Merkel

Bitte verzichten Sie heute Abend doch darauf, das EM-Spiel zwischen Deutschland und Griechenland auf der Tribüne des Danziger Stadions zu betrachten. Bleiben Sie daheim, im Hotel oder in der Kabine der deutschen Mannschaft. Verstecken Sie sich von mir aus sogar im Garderobenkästchen von Mesut Özil, den mögen Sie ja besonders. Aber zeigen Sie sich den griechischen Spielern nicht! Dass Sie sich die Partie vor Ort anschauen möchten, ist nämlich nach menschlichem Ermessen das einzige Argument, das sich für einen griechischen Sieg ins Feld führen lässt.

Auch wenn die Spieler betonen, dass es hier nur um Sport und nicht um einen Stellvertreterkrieg für den Streit um finanzielle Unterstützung für Griechenland gehe, bin ich mir sicher, dass Sie bei den griechischen Fussballern unfreiwillig eine Trotzreaktion hervorrufen werden. Da können Sie noch so unschuldig aus ihrem Deuxpièce schauen und sich noch so im Hintergrund halten. Wenn Sie beim Griechenland-Spiel auf der Tribüne sitzen, ist das Provokation pur. So, als würden die treuesten FCZ-Fans einen Sonntagsausflug in die Muttenzerkurve des Basler St.-Jakob-Parks unternehmen, und das einheitlich gekleidet mit T-Shirts, die an den Sieg in der Finalissima vom 13. Mai 2006 erinnern.

Und stellen Sie sich doch mal vor, was passiert, wenn Deutschland gegen diese griechischen Betonmischer tatsächlich ausscheiden sollte: Dann sind ganz allein Sie schuld. Dann können Sie Ihre Wiederwahl schon jetzt vergessen, denn im Fussball zu scheitern, ist für viele ihrer Landsleute schlimmer als Hartz IV, Euro-Krise und Atomstrom-Diskussion zusammen. Geben Sie sich einen Ruck, verzichten Sie. Das macht sympathisch. Nehmen Sie sich den letzten sächsischen König Friedrich August III zum Vorbild und sagen Sie wie er 1918 bei der Abdankung: «Machd doch eiern Drägg alleene!»

Falls Ihnen so spontan kein Alternativprogramm einfallen sollte und Sie sich ohne den Stadionbesuch vor Langeweile fürchten, fahren Sie doch einfach nach Berlin zu Madame Tussauds. Ihre Wachsfigur dort würde sich bestimmt ehrlich freuen, wenn Sie den Match mit Ihnen statt mit dem Klon von Michael Jackson ansehen könnte. Oder reisen Sie in die Höhle des Löwen – nach Athen! Dort betreibt ein Deutscher namens Erich Lickert eine Kneipe mit einem Schnaps, der ihnen gewidmet ist. Bloody Merkel heisst er und soll auch bei den griechischen Gästen beliebt sein. Das wär doch schon einmal ein Anfang.

In der Hoffnung auf ein Einsehen grüsse ich Sie freundlichst. Ihr Alexander Kühn.

Die schreckliche Beliebtheit der Deutschen

Alexander Kühn am Donnerstag den 21. Juni 2012
So sieht es bei Spielen der Deutschen heute auch hierzulande aus: Begeisterung mit Plastikblumen und Hasenohren – ein Graus für jeden Trotz-Traditionalisten.

Ein Graus für jeden Trotz-Traditionalisten: So sieht es bei Spielen der Deutschen heute auch hierzulande aus. (Bild: Keystone)

Früher hat Public Viewing bei Deutschland-Spielen noch Spass gemacht. Ich stand im Trikot mit dem Adler in der nörgelnden Menge und sprang bei jedem Treffer besonders eifrig auf, weil ich wusste, dass sich all die Missgünstigen, die lieber Bundesliga als hiesige Fussball-Kost konsumieren, aber gegen den deutschen Fussball schimpfen, dann noch mehr aufregen würden. Je rumpliger das Tor war, je später es fiel, desto besser. Es war meine ganz persönliche kleine Revolte gegen den Meinungs-Mainstream, gegen die dumpfe Aversion, gegen die bei jedem grossen Turnier zuverlässig wiederkehrende Deutschland-Allergie. Siege der deutschen Nationalmannschaft, allen voran die unverdienten, waren damals ein Geschenk des Himmels für mich. Besonders schön war es, als Oliver Bierhoff im EM-Final von 1996 den Ball mit einem erbärmlichen Schüsschen zum ersten Golden Goal der Turniergeschichte im tschechischen Tor versorgte. All diese betretenen Gesichter, all diese jäh in den falschen Hals geratene Schadenfreude. Herrlich!

Heute bleibe ich bei Deutschland-Spielen lieber daheim, lege mich aufs Sofa und sehe mir die inzwischen fast schon besorgniserregend gepflegten Angriffe meiner Lieblings-Nationalmannschaft mit einem Glas Himbeersirup in aller Ruhe an. Zum Public Viewing will ich längst nicht mehr. Dort ist alles voll mit Deutschen, die patriotisch aus der Wäsche schauen – Sonnenbrand am Kopf und Plastikblumenkränze in Schwarz-Rot-Gold um den Hals inklusive. Die Exklusivität meiner fussballerischen Vorliebe ist durch die Zuwanderung der letzten Jahre dahin. Ich bin nun das, was ich früher nie sein wollte – ein Teil des Meinungs-Mainstream.

Kaum eine Bar, in der nicht Schwarz-Rot-Gold Trumpf ist, kaum eine Spelunke, in der man noch schief angeschaut wird, wenn man sich über einen Offsidetreffer aus deutscher Produktion freut. Statt giftige Blicke hat man heute in Zürich bei deutschen Erfolgen viel Schlimmeres zu befürchten: Bierseligkeit, im Freudentaumel ausgeschüttete Red-Bull-Brause (lauwarm) und womöglich sogar DJ Ötzis Gebrüll aus dem Riesenlautsprecher. Der ist zwar Österreicher, aber inzwischen sicher auch Fan der deutschen Nationalmannschaft.

Die aufrechten Deutschland-Hasser – wie ein Freund, der mir immer wieder mit Schumachers Foul von 1982 an Battiston kommt – sind mir inzwischen viel lieber als jene, die aus dem anderen Lager übergelaufen sind und des gepflegten Passspiels wegen den Deutschen applaudieren und sie sympathisch finden, weil anstelle von Matthäus oder Kahn nun Boateng und Neuer auf dem Rasen stehen. Lasst euch eines gesagt sein, ihr Modefans: Ihr gehört nicht dazu, diese Mannschaft gehört euch nicht! Ihr habt euch gefälligst zu ärgern, wenn Deutschland gewinnt. Ihr dürft mir beim Public Viewing gegen das Schienbein treten, aber mich umarmen, das dürft ihr nicht. Ob ihr mir mehr auf die Nerven geht oder das Partyvolk made in Germany mit den Plastikblumen und den Red-Bull-Dosen, das kann ich beim besten Willen nicht sagen.

Darum eine Bitte, lieber Joachim Löw: Selektionieren Sie doch wieder Spieler, die keiner leiden kann. Wenn nötig, reaktivieren Sie Lothar Matthäus, dann lässt er wenigstens die Welt der nicht einmal halb so alten Damen in Ruhe. Und sagen Sie doch mal etwas gegen das Schweizer Bankgeheimnis oder gegen Anflüge auf Zürich-Kloten, die über deutsches Gebiet führen. Man findet Sie hier für einen deutschen Bundestrainer schlicht und einfach zu sympathisch.

Alexander Kühn (33) ist Steilpass-Blogger, Sportredaktor bei Newsnet und leidgeprüfter Fan des deutschen Zweitligisten Dynamo Dresden. Mangels fussballerischen Talents beschränkt er sich auf kritische Einwürfe von Tribüne und Schreibtisch aus.

Ein Hoch auf den Idealisten Podolski

Alexander Kühn am Sonntag den 17. Juni 2012
Ein Lachen, das Berge versetzen kann: Lukas Podolski, guter Geist der deutschen Nationalmannschaft.

Ein Lachen, das Berge versetzen kann: Lukas Podolski, guter Geist der deutschen Nationalmannschaft.

Lukas Podolski, der mit einem Einsatz im heutigen Spiel gegen Dänemark die Marke von 100 Länderspielen für Deutschland erreicht, ist der bemerkenswerteste Spieler der Euro 2012. Nicht wegen seiner fussballerischen Fähigkeiten, obwohl diese unbestritten sind, sondern deshalb, weil er der letzte Idealist unter den Spielern von internationaler Klasse ist. Oder hätten Sie den grössten Teil Ihrer Karriere beim 1. FC Köln verbracht und als Nationalstürmer sogar in der 2. Bundesliga gespielt, wenn Sie seine Möglichkeiten hätten?

Während Kameruns Superstar Samuel Eto’o auf Grund finanzieller Überlegungen für den russischen Verein Anschi Machatschkala statt bei Inter Mailand kickt und auch noch behauptet, er mache dies der sportlichen Herausforderung wegen, stehen für den Fussball-Idealisten Podolski das Wohlbefinden und die Identifikation mit seinem Club über dem Geld. Er weiss, dass er nur dann glücklich ist und Leistung bringen kann, wenn sein Umfeld stimmt. Und so kommt seine Beschreibung der DFB-Equipe einer Liebeserklärung an den Verein seines Herzens gleich, den er mit einer Träne im Knopfloch Richtung Arsenal verlässt: «Wenn die Nationalmannschaft ein Club wäre, dann so einer wie der 1. FC Köln. Die Nationalmannschaft ist mir ans Herz gewachsen. Ich bin stolz und froh, wenn ich den Adler auf der Brust habe.»

Überhaupt verkörpert keiner den positiven Geist des neuen Fussball-Deutschland besser als Podolski, der vor acht Jahren in Kaiserslautern gegen Ungarn sein Debüt im Nationalteam gab – damals noch mit einer eigentümlichen Gel-Frisur samt Strähnchen auf dem Kopf. Der stets positive und fröhliche Kölner, der in ein müdes, übersättigtes Team kam, das an der Euro 2004 in Portugal kläglich in der Vorrunde scheitern sollte, half entscheidend mit, die Irrlehre zu beerdigen, das nur ein erfahrener Fussballer auch ein guter Fussballer sei. Inzwischen beneidet ganz Europa die Deutschen um ihre Talente, die auch auf höchster Ebene bestehen können. Zwei von ihnen, Marco Reus und André Schürrle, schielen nun auf Podolskis Platz, müssen sich jedoch wohl noch ein wenig gedulden. Bislang hat Podolski an der EM zwar noch nicht wirklich gezeigt, was er kann, doch er wird sich steigern, wenn es drauf ankommt. Das war noch immer so.

Das 100. Länderspiel ist denn auch nicht die Marke die Podolski reizt. Er denkt schon an den 150. Einsatz im DFB-Trikot, womit zum Rekordhalter Lothar Matthäus aufschliessen würde. Und an das 103. Länderspiel, das der EM-Final am 1. Juli in Kiew sein könnte und den Jubilar auf eine Ebene mit Franz Beckenbauer hieven würde. «Ich hoffe, dass das 103. Länderspiel mein schönstes wird», sagt Podolski.

Alexander Kühn (33) ist Steilpass-Blogger, Sportredaktor bei Newsnet und leidgeprüfter Fan des deutschen Zweitligisten Dynamo Dresden. Mangels fussballerischen Talents beschränkt er sich auf kritische Einwürfe von Tribüne und Schreibtisch aus.

Einfallsreiche Spässe statt dumpfer Hass

Alexander Kühn am Mittwoch den 13. Juni 2012
Arm in Arm: Deutschland- und Holland-Fans feiern das 1:1 ihrer Teams an der Euro 2004 in Porto. (Bild: Reuters)

Arm in Arm: Deutschland- und Holland-Fans feiern das 1:1 ihrer Teams an der Euro 2004 in Porto. (Bilder: Reuters)

Deutschland gegen Holland, das war einst eine erbitterte Fussball-Feindschaft. An der EM 1988 wischte sich Ronald Koeman mit dem Trikot von Olaf Thon demonstrativ den Hintern ab, zwei Jahre später spuckte Franck Rijkaard an der WM in Italien seinem Gegenspieler Rudi Völler von hinten in die Lockenpracht. 1993 berichtete der «Spiegel» gar, der deutsche Rekordnationalspieler Lothar Matthäus habe am Münchner Oktoberfest zu einem filmenden Holländer gesagt, er sei wohl von Adolf Hitler vergessen worden. Matthäus, der 1989 beim von Krawallen begleiteten WM-Qualifikationsspiel zwischen den beiden Erzrivalen in Rotterdam auf einem Transparent mit Hitler verglichen wurde, bestritt die Anschuldigungen vehement, ein weiteres Kapitel der Geschichte der viel zitierten Fussball-Feindschaft aber war geschrieben.

Kein Stich: Der Niederländer Miles Kooren, 9, spielt mit einer deutschen Voodoo-Puppe.

Kein Stich: Der Niederländer Miles Kooren, 9, spielt mit einer deutschen Voodoo-Puppe.

Wenn sich Deutsche und Holländer heute Abend in Charkow im zweiten Gruppenspiel begegnen, ist die sportliche Rivalität zwar noch da, der Hass aber ist verschwunden. Es ist ein Sieg der Zeit über die alten Wunden – und ein Erfolg der europäischen Einigung, die ja längst nicht nur den serbelnden Euro hervorgebracht hat. Die Niederländer, die im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht überfallen und von der Nazi-Besatzungsmacht terrorisiert wurden, sehen längst nicht mehr in jedem Deutschen eine Reinkarnation Hitlers; die wiedervereinten Deutschen haben die Holländer sogar lieben gelernt. Auch wenn sie das natürlich nie zugeben würden. Rafael van der Vaart und seiner Frau Sylvie hofierte die deutsche Boulvardpresse aber während ihrer Zeit in Hamburg, als wären sie ein vom Himmel gesandtes Kaiserpaar, das von Bundeskanzlerin Angela Merkel die Regierungsgeschäfte übernommen hat. Unbeliebt ist in der Bundesliga von den Holländern eigentlich nur Arjen Robben, aber den mochte wegen seiner eigentümlichen Persönlichkeit auch bei Chelsea und Real Madrid keiner.

Weil sich die Deutschen und die Niederländer nicht nur gegenseitig lieb gewonnen haben, sondern auch an ihrer alten Feindschaft hängen, geht es aber doch nicht ganz ohne Spott und Provokationen. Auf deutscher Seite ist seit jeher das Millionenblatt «Bild» führend in dieser Disziplin. Die Zeitung, die vor dem WM-Final von 1974 dem verheirateten Johan Cruyff fröhliche Wasserspiele mit Sekt und nackten Mädchen im Hotel-Bad andichtete, lässt in diesem Jahr auf ihrer Website den als Louis van Gaal verkleideten Komiker Matze Knop sprechen: Er spaziert über den Amsterdamer Gemüsemarkt und berichtet davon, dass sich die Holländer bereits mit Frust-Tomaten für den Fall einer Niederlage eindecken. Ein niederländischer Anhänger legte derweil am deutschen Mannschafts-Bus Hand an und befestigte eine Wegfahrsperre an einem Rad des Gefährts.

Mal sehen, ob sich die Deutschen revanchieren. Schlagen sie Holland, ist der Europameister von 1988 so gut wie ausgeschieden, bei einem dänischen Punktgewinn gegen Portugal sogar mit Gewissheit. Es wäre eine Wegfahrsperre der anderen Art. Und trotz des Tauwetters eine grosse Freude für jeden Anhänger der DFB-Elf. Denn Schadenfreude bleibt halt doch die schönste Freude. Das weiss keiner besser als die Schweizer. Oder wie war das, wenn die SFV-Auswahl bei grossen Turnieren gar nicht dabei war und sich alle daran labten, wenn die Deutschen auf die Nuss bekamen?

Alexander Kühn (33) ist Steilpass-Blogger, Sportredaktor bei Newsnet und leidgeprüfter Fan des deutschen Zweitligisten Dynamo Dresden. Mangels fussballerischen Talents beschränkt er sich auf kritische Einwürfe von Tribüne und Schreibtisch aus.

Ich habe Angst um Deutschland!

Alexander Kühn am Montag den 4. Juni 2012
Taucher im Test: Die Deutschen Hummels (r.) und Mertesacker verlieren gegen die Schweizer. (Bild: Keystone, 26. Mai 2012)

Taucher im Test: Die Deutschen Hummels (r.) und Mertesacker verlieren gegen die Schweizer. (Bild: Keystone, 26. Mai 2012)

Ja, es stimmt: Ich habe Angst vor der Euro 2012. Nicht wegen der militanten polnischen Hooligans und auch nicht weil ich arbeiten muss, wenn es sich meine Freunde mit Bier und Chips vor dem Fernseher gemütlich machen. Ich fürchte mich schlicht und einfach davor, dass die Deutschen wie 2000 und 2004 schon nach drei Spielen die Koffer packen müssen. Und beim Blick auf die Vorrundengegner meiner Lieblinge ist diese Furcht leider durchaus realistisch. Dänemark, Portugal, Holland – oder anders ausgedrückt: schlimm, schlimmer, am schlimmsten.

Die Holländer sind mein fussballerisches Kindheitstrauma. 1988 war es, da gewannen sie in Deutschland den EM-Titel, obwohl sie an der WM 1986 doch nicht einmal dabei gewesen waren und ich keinen ihrer Spieler aus dem Panini-Album des Turniers in Mexiko kannte. Ich hatte mir ein schönes weisses Deutschland-Trikot gekauft und besass sogar eine vergoldete Medaille. Mit dem Hasen Bernie drauf, dem Maskottchen der Euro 88. Wie konnte ich da annehmen, dass die Mannschaft des zugegebenermassen naseweisen Franz Beckenbauer ihren Halbfinal gegen die Holländer in den hässlichen orangen Shirts verlieren würde. Und überhaupt: Ruud Gullit hätte man mit dieser Frisur nie und nimmer spielen lassen dürfen, der sah aus wie ein Schaf. Von Ronald Koeman ganz zu schweigen. Furchtbar. Inzwischen mag ich die Holländer, die Angst aber ist geblieben.

Die Portugiesen machen mir fast ebenso viel Bauchweh. Cristiano Ronaldo, der im Trikot von Real Madrid wie ein Gockel übers Feld stolziert und dem Gegner massenweise Eier ins Netz legt, ist im Nationalteam zwar meist nur ein müder Abklatsch seiner selbst, ein Kapaun, die EM-Historie beunruhigt mich jedoch. Vor zwölf Jahren gehörten Deutschland und Portugal schon einmal der gleichen Vorrundengruppe an, und das endete böse.

Die Deutschen, sie sollten auf dem letzten Platz landen, gingen im abschliessenden Gruppenspiel gegen die Südeuropäer mit 0:3 unter. Rumpelfüssler gegen Supertechniker, verknöcherte Verzweiflung gegen inspirierte Offensive – für mich, inzwischen gelangweilter Student der Germanistik – war diese Partie schlimmer als ein Linguistik-Seminar morgens um acht bei diesem seltsamen bärtigen Professor, der immer aus seinen eigenen Büchern vorlas. Aber zurück zu den Portugiesen: Für die erzielte Sérgio Conceição alle drei Tore. Auch er ein Frisurensünder vor dem Herrn. Blonde Strähnchen in eigentlich schwarzen Haaren. Grund genug, alle Treffer im Nachhinein abzuerkennen.

Die Dänen sind in der sogenannten Todesgruppe zwar nur Aussenseiter, aber das waren sie auch 1992, als sie nach dem Ausschluss Jugoslawiens aus dem Urlaub an die EM in Schweden reisten und sich den Pokal schnappten. Ihr Finalgegner hiess – Sie haben es längst erraten – Deutschland. Seither weiss ich, dass das mit dem dänischen Dynamit nicht nur eine hohle Phrase ist. Was mir blüht, wenn Jogi Löws hochgelobte Equipe tatsächlich in der Vorrunde auf der Strecke bleibt, will ich mir erst gar nicht vorstellen. Hohn und Spott, womöglich Fotos von Cristiano Ronaldo an meinem Arbeitsplatz. Drum, liebe Adlerträger: Spielt bei der EM bitte besser als im Freundschaftsspiel gegen die Schweiz. Das war peinlich genug. Da wart ihr noch erbärmlicher als die lauwarmen Weisswürste im Medienraum des Basler St. Jakob-Parks.

Alexander Kühn (33) ist Steilpass-Blogger, Sportredaktor bei Newsnet und leidgeprüfter Fan des deutschen Zweitligisten Dynamo Dresden. Mangels fussballerischen Talents beschränkt er sich auf kritische Einwürfe von Tribüne und Schreibtisch aus.

Endlich hat YB einen vernünftigen Trainer

Alexander Kühn am Samstag den 2. Juni 2012
Für YB kanns nur aufwärts gehen: Mit Martin Rueda, dem neuen Trainer. (Keystone)

Für YB kanns nur aufwärts gehen: Mit Martin Rueda, dem neuen Trainer. (Keystone)

Menschen, deren Weingeschmack sich vorwiegend am Preisschild der jeweiligen Flasche orientiert, bezeichnet man landläufig als Etikettentrinker. Hauptsache, es ist ein grosser Name. Dieser Maxime huldigten auch die Verantwortlichen der Young Boys, als sie den beim Publikum beliebten Vladimir Petkovic vertrieben und an seiner Stelle den teuren Christian Gross inthronisierten. Die Folgen sind bekannt: Unter Gross machten die Berner spielerische Rückschritte, den FC Basel – in der Ära Petkovic noch einigermassen in Reichweite – sah YB bald nur noch mit Hilfe des Fernglases.

Mit der Verpflichtung von Martin Rueda hat im Stade de Suisse nun aber das Zeitalter der neuen Bescheidenheit und der Vernunft begonnen. Rueda ist alles andere als ein Selbstdarsteller, er ist ruhig, bescheiden und zielorientiert. Deshalb passt er nach Bern, obwohl er wie Gross ein Zürcher ist. Der «Bund» bezeichnete den neuen Mann auf der YB-Kommandobrücke als «Trainer mit einem höchstens mittelmässigen Leistungsausweis», doch diese Formulierung ist nicht ganz korrekt. Natürlich hat Rueda mit Wohlen, Aarau, Winterthur und Lausanne keine grossen Titel geholt, aus den geringen Möglichkeiten seiner Vereine hat der frühere Nationalspieler aber fast immer viel gemacht.

Lausanne entwickelte sich in der Rückrunde nach Anlaufschwierigkeiten zu einer durchaus soliden Super-League-Mannschaft. Aus 16 Spielen resultierten für die Waadtländer 19 Punkte – der FCZ holte nur einen Zähler mehr, YB deren fünf. Obwohl die Berner mit Raul Bobadilla einen Stürmer holten, dessen Gehalt ebenso ausserordentlich ist wie jenes von Gross. Die abschätzige Bemerkung, dass es keine grosse Kunst gewesen sei, mit Lausanne in dieser Chaos-Saison die Klasse zu halten, kann man so also nicht stehen lassen. Man ist durchaus geneigt, sich der Formulierung von YB-CEO Ilja Kaenzig anzuschliessen: «Martin Rueda hat aus wenig viel gemacht in der Vergangenheit. Wir sind überzeugt, dass er aus viel noch mehr machen kann.»

Auch wenn er keinen so klingenden Namen wie Gross besitzt, muss sich Rueda in der Schweizer Trainerlandschaft vor niemandem verstecken. Er weiss nach seinem Engagement als Juniorencoach bei GC wie wichtig die Nachwuchsarbeit ist, er kennt die Challenge League, in der bekanntlich diverse Spieler mit Potenzial zu finden sind, ausgezeichnet, und er hat schon als Abwehrchef gelernt, strategisch zu denken. Zudem spricht der 49-Jährige mit spanischen Wurzeln sechs Sprachen. Seine Spanischkenntnisse könnten ihm gerade im Umgang mit dem als schwierig geltenden Argentinier Raul Bobadilla einen entscheidenden Vorteil bringen. Ein weiteres grosses Plus des neuen YB-Trainers ist, dass keiner von ihm den Meistertitel erwartet. Die von oben genehmigte Entschleunigung wird der Mannschaft gut tun.

Wenn die Young Boys den Weg mit Rueda konsequent weitergehen, können sie sich mittelfristig zumindest als erste Herausforderer des FC Basel etablieren. Auch die Basler haben ihre Erfolge in dieser Saison mit einem Coach erreicht, dessen Name bei der Vertragsunterschrift wenig Glamour besass. Nun ist Heiko Vogel auch in Deutschland bekannt. Bei Manchester United sowieso.