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Favre, Vogel, Yakin und das verlorene Rückgrat

Alexander Kühn am Mittwoch den 22. August 2012
Drei Trainer, ein Problem: Lucien Favre, Heiko Vogel und Murat Yakin. (Bilder: Keystone)

Drei Trainer, ein Problem: Lucien Favre, Heiko Vogel und Murat Yakin. (Bilder: Keystone)

Wenn Mönchengladbachs Trainer Lucien Favre aufgeregt ist, dann schaut er wie ein Hamster, der weiss, dass er gleich eine schmerzhafte Behandlung beim Tierarzt hinter sich bringen muss. Gestern war Monsieur Favre besonders aufgeregt. Denn im Playoff-Hinspiel der Champions League gegen Dynamo Kiew erfüllten sich seine schlimmsten Befürchtungen. Das Spiel der Borussia fiel nach einer furiosen Startphase mit dem 1:0 durch Alexander Ring in sich zusammen. Die Stabilität ging flöten, die guten Aussichten auf das Erreichen der Gruppenphase ebenso. Statt 1:0 hiess es am Ende 1:3.

«Wir haben unser Rückgrat verloren», hatte Favre am Wochenende bedeutungsschwanger gesagt – dass er richtig lag, wird den Perfektionisten schmerzen. Mit dem Rückgrat meinte Favre die Erfolgsachse Dante – Neustädter – Reus. Jene Spieler, die vor ihren Transfers zu Bayern München, Schalke 04 und Borussia Dortmund massgeblich daran beteiligt waren, dass die Gladbacher überhaupt an der letzten Runde der Qualifikation zur europäischen Königsklasse teilnehmen dürfen.

Wer Favre gestern während der TV-Übertragung des ZDF beobachtete, musste leiden. Nach dem zweiten Gegentreffer wippte der Romand unruhig auf der Bank hin und her, um kurz darauf aufzustehen und mit schwindender Überzeugung Anweisungen an sein Personal zu geben. Auf eine vergebene Chance rund 20 Minuten vor Schluss reagierte er nur noch mit einem entnervten Kopfschütteln. Favre quälte, was jeder sehen konnte: Seine Mannschaft hat mit dem Spanier Alvaro Dominguez, dem Schweizer Granit Xhaka und dem Holländer Luuk de Jong zwar ein neues Rückgrat bekommen, dieses ist aber noch nicht ins Teamgefüge eingewachsen.

Das Beispiel von Favre, an dessen Fähigkeiten längst keiner mehr zweifelt, zeigt, wie hart eine Mannschaft und einen Trainer der Verlust eines oder mehrerer Schlüsselspieler treffen kann. Selbst wenn der Coach alles richtig macht und an die Stelle des alten ein neues, qualitativ ebenfalls hochwertiges Rückgrat einpflanzt, hat er einen übermächtigen Feind: die Zeit. Die Umstellung einer Mannschaft geht nicht von heute auf morgen vonstatten. Bei Borussia Mönchengladbach ebenso wenig wie beim FC Basel oder dem FC Luzern. Während Heiko Vogel in Basel trotz der gestrigen 1:2-Niederlage gegen Cluj weiter fest im Nest sitzt und den Neuaufbau des FCB vorantreiben kann, sind die Tage von Murat Yakin als Chefcoach des FCL viel zu früh gezählt.

Die Luzerner, die mit dem Problem kämpfen, Burim Kukeli und Nelson Ferrerira verloren sowie Dimitar Rangelov noch nicht integriert zu haben, folgten bei der Trennung von Yakin wohl mehr dem Druck der Fans und einem nervösen Aktionismus als sachlichen Überlegungen. Dass die hohen Ansprüche des früheren Nationalspielers keine vernünftige Zusammenarbeit mehr erlaubten, ist wenig plausibel. Ein Trainer, der einen Verein mit den Möglichkeiten des FCL zur Vizemeisterschaft und fast zum Cupsieg führte, kann in der Sommerpause nicht mir nichts, dir nichts ein schlechter Coach werden. Ein Traumtänzer schon gar nicht.

Etwas mehr Geduld und Verständnis für die schwierige Trainertätigkeit – her mit der Moralkeule! – wäre angebracht. Auch in Luzern, wo die neue Arena die Strukturen und Ressourcen des Clubs in verklärtem Licht erscheinen lässt. Bleibt zu hoffen, dass Yakins Nachfolger, der ruhige und oft unterschätzte Ryszard Komornicki, mehr Kredit geniesst als bei seinem ersten Engagement in der Zentralschweiz. Vor elf Jahren dauerte seine Amtszeit gerade einmal fünf Spiele. Auch er, diese Prognose sei gewagt, wird eine Weile brauchen, eher er dem FC Luzern ein neues Rückgrat eingesetzt hat.

Kongenial oder katastrophal?

Alexander Kühn am Samstag den 18. August 2012

Der kommende Montag ist ein spannender Termin für alle Fans von Manchester United. Im ersten Saisonspiel, das der englische Vizemeister beim FC Everton bestreitet, gibt es endlich verwertbare Hinweise darauf, ob die beiden Superstars Wayne Rooney und Robin van Persie auch wirklich zusammenpassen. Rooney, so glaubt die englische Journalistenschar, soll auf die Zehnerposition rücken und den amtierenden Torschützenkönig Van Persie mit Vorlagen füttern. Doch macht das wirklich Sinn? Wäre es nicht besser, wenn Van Persie, der Prototyp des spielenden Mittelstürmers, die Rolle des Strategen und Passgebers übernehmen würde? Der Niederländer führt die feinere Klinge als sein neuer Partner. Rooney scheint dafür für die Rolle als Brecher, Wühler und robuster Abnehmer für Kopfbälle besser geeignet.

Eines ist klar: Für den Erfolg muss sich einer der beiden Superstars neu erfinden – und die Torjägerkrone freiwillig zugunsten des anderen sausen lassen. Dass Rooney als Platzhirsch dies wirklich will, erscheint zweifelhaft. Van Persie dürfte eher geneigt sein, sich dem Erfolg der Mannschaft unterzuordnen. Die Motivation für seinen Wechsel von der Weltstadt London in den unwirtlichen Norden Englands war nicht in erster Linie das Geld (er soll pro Woche 250’000 Pfund verdienen), sondern die Perspektive, endlich einen grossen Titel gewinnen zu können. Van Persie ist zudem fleissiger als Rooney, kein Spieler lief in der vergangenen Premier-League-Saison mehr als der gebürtige Roterdamer.

United-Trainer Sir Alex Ferguson macht kein Geheimnis daraus, dass er noch nicht recht weiss, was er mit der neuen Flut an Kombinationsmöglichkeiten anfangen soll. «Nun habe ich eine fantastische Auswahl. Ich hoffe, dass ich die richtigen Kombinationen wählen werde», so der 70-Jährige. Er vergleicht das Manchester United der Saison 2012/13 aber schon mit den Champions-League-Gewinnern von 1999. Damals habe sein Club mit Dwight Yorke, Andy Cole, Teddy Sheringham und Ole Gunnar Solskjaer die vier besten Angreifer in Europa besessen, mit Javier Hernandez, Danny Welbeck, Shinji Kagawa, Rooney und Van Persie sehe es nun wieder so aus. Fergusons Ziel dürfte also kein geringeres sein als das Double aus Meistertitel und Triumph in der europäischen Königsklasse.

Für Arsenal ist Van Persies Abgang ein harter Schlag, hat der Angreifer doch in 194 Partien 96 Treffer für die Londoner erzielt. «Robin ist ein Ausnahmespieler. Seine Bewegungen im Strafraum sollte jede Fussballschule zeigen», drückte Gunners-Coach Arsène Wenger seine Wertschätzung nach der letzten Saison aus. Enttäuschte Arsenal-Fans stellten unterdessen schon ein Video ins Netz, das zeigt, wie sie ein Van-Persie-Trikot verbrennen. Vor dem ersten Auswärtsspiel gegen seine alten Kollegen muss dem verlorenen Sohn trotzdem nicht allzu bange sein. Die Premier-League-Stadien sind seit vielen Jahren geradezu ein Ort der Sittlichkeit. Dass wie einst nach Luis Figos Wechsel vom FC Barcelona zu Real Madrid ein Schweinekopf auf das Feld fliegt, ist kaum zu erwarten.

Warum wir plötzlich sogar die Bayern mögen

Alexander Kühn am Mittwoch den 15. August 2012
Selbst seine gewohnt schelmischen Witze interessieren das Publikum brennend: Der Schweizer Xherdan Shaqiri bei den Bayern. (Bild: Keystone)

Selbst seine gewohnt schelmischen Witze interessieren das Publikum brennend: Der Schweizer Xherdan Shaqiri bei den Bayern. (Bild: Keystone)

Die Fussball-Schweiz ist in diesen Tagen gespannt wie ein Flitzebogen. Nicht weil schon bald die Qualifikation zur WM 2014 beginnt und unsere Nationalmannschaft heute ein Testspiel in Kroatien bestreitet, sondern weil für den FC Bayern der erste Ernstkampf der Saison stetig näherrückt. Die grosskotzigen Münchner, die der helvetische Fussballkonsument stets mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu betrachtete, sind nämlich ein wenig schweizerisch und damit auch diesseits des Rheins salonfähig geworden – dank eines 169 Zentimeter kurzen Dribbelkünstlers namens Xherdan Shaqiri. Wenn es Shaqiri im Epizentrum deutscher Fussballhochnäsigkeit schafft, so sagt sich mancher, dann steigen auch Beachtung und Wertigkeit des hiesigen Kickerhandwerks. Ein Schweizer, der sich im nördlichen Nachbarland durchsetzt, das erfüllt Fans von FCB, YB, GC und FCZ gleichermassen mit einem wohligen patriotischen Schauer. Wir sind dann zwar nicht Papst, aber immerhin Shaqiri. Und wenn wir dem Kraftwürfel mit dem Schmetterantritt die Daumen drücken, dann halt auch den Bayern.

Die grosse Frage ist nur, ob Jupp Heynckes, der Bayern-Trainer mit den lustigen Ohren, unseren Liebling Shaqiri auch tatsächlich spielen lässt und nicht stattdessen den Diplom-Egoisten Arjen Robben auf der Flügelposition einsetzt. Der Holländer ist zwar bei den Fans weit weniger beliebt als der sympathische Neuankömmling aus Basel, er durfte aber am vergangenen Wochenende im Supercup gegen Borussia Dortmund (1:2) 85 Minuten lang spielen, während sich Shaqiri mit einem fünfminütigen Kurzauftritt begnügen musste.

Das war zum einen dumm für den Schweizer Nationalspieler, weil Robben sich überaus achtbar aus der Affäre zog, und zum anderen ärgerlich für jene erwartungsfrohen Journalisten, die gerne ein vernünftiges Protokoll von Shaqiris Einsatz erstellt hätten und sich so genötigt sahen, der Öffentlichkeit Informationen wie «Shaqiri scherzt sofort entspannt mit Neuer und Ribéry. Der Franzose spritzt ihm nach einem frechen Spruch freundschaftlich mit der Wasserflasche ins Gesicht» zu übermitteln. Genügend Leser werden die Protokollanten dennoch gefunden haben, denn mit Shaqiri ist es derzeit ein wenig wie mit Roger Federer. Er ist sogar dann interessant, wenn er eigentlich gar nichts macht. Wenn uns Schweizer erst einmal der sportliche Nationalstolz gepackt hat, dann sind wir wie Schwämme und saugen alle Informationen über die Helden aus Helvetien auf.

Was Bayern-Trainer Heynckes betrifft, so ist zu hoffen, dass er wie ich die Tweets des früheren Schalkers Hans Sarpei abonniert hat. Sarpei schrieb nämlich kürzlich einen Satz, der den fussballerischen Charakter des grössten Shaqiri-Konkurrenten trefflich entlarvt: «Fifa 13 soll so realistisch sein, selbst wenn man auf die Passtaste drückt, spielt Arjen Robben nicht ab!» Wozu Robbens Egoismus führen kann, sollte Heynckes aber eigentlich auch so wissen. Man denke nur daran, wie sich der Holländer vordrängte, als es darum ging, in der Verlängerung des Champions-League-Finals gegen Chelsea den Ruhm verheissenden Elfmeter zu schiessen. Robben, das weiss jedes Kind im Freistaat Bayern, versiebte die historische Chance – und am Ende jubelten die spielerisch unterlegenen Londoner.

Ein wenig beunruhigen könnte den überbesorgten Fussball-Liebhaber Shaqiris Umgang in München. Er unternehme besonders viel mit Franck Ribéry, da dieser in der gleichen Strasse wie er wohne, liess der Schweizer Internationale an der Pressekonferenz des Verbandes in Kroatien verlauten. Und Ribéry, auch das ist in Bayern und um Bayern herum kein Geheimnis, ist nicht gerade der Inbegriff des skandalfreien Musterprofis. Unter anderem geriet der Franzose in die Schlagzeilen, weil er 2009 für Sex mit dem damals 17-jährigen Callgirl Zahia D. bezahlt haben soll. Shaqiri ist aber ja zum Glück ein überaus anständiger junger Mann – und er hat in München immer jemanden von seiner Familie bei sich. Es steht also alles zum Besten, wenn da nur nicht dieser Arjen Robben wäre.

Die Dechiffriermaschine für Favres Gedanken

Alexander Kühn am Samstag den 11. August 2012

Ein Spieler von Dynamo Kiew kennt ihn zu gut: Gladbach-Trainer Lucien Favre. (Bild: AFP)

Für den Schweizer Trainer Lucien Favre und Borussia Mönchengladbach hätte die Auslosung des Champions-League-Playoffs nicht dümmer laufen können. Dynamo Kiew, der Gegner der Borussia, ist nicht nur das stärkste Team aus der Lostrommel, die Ukrainer besitzen auch noch eine Art Dechiffriermaschine für Favres Gedanken. Diese heisst Raffael, reifte beim FC Zürich unter dem Romand zum Topstürmer, folgte ihm anschliessend zu Hertha BSC in die Bundesliga und stand in diesem Sommer nach dem Abstieg der Berliner ganz oben auf dem Wunschzettel seines Lehrmeisters.

Es ist beileibe kein Geheimnis, dass der frühere FCZ-Meistermacher seinen sportlichen Ziehsohn noch bedeutend lieber gehabt hätte als den Basler Granit Xhaka oder den Holländer Luuk de Jong. Der Grund ist klar: Raffael und Favre kennen sich nach den gemeinsamen Jahren in- und auswendig. Dem brasilianischen Stürmer hätte der Fussballprofessor aus der Schweiz nicht erst erklären müssen, was er von einem Spieler erwartet, wie er tickt und welche taktischen Finessen ihm wichtig sind. Raffael ist der Fussball Favre’scher Prägung längst in Fleisch und Blut übergegangen. Nur leider war er der Gladbacher Führungsriege zu teuer, trotz der hohen Transfererlöse für Abwehrchef Dante und den flinken Angreifer Marco Reus.

Vermisst: Favres sportlicher Ziehsohn Raffael, hier im Hertha-Dress. (Bild: Reuters)

Mit Raffael in Richtung Königsklasse zu stürmen, das wäre Favres Traum gewesen. Gegen den Spieler, den er mehr schätzt als jeden anderen, anzutreten, kommt für den stets besorgten Taktiker einem Albtraum gleich. Er muss sich nun stets die Frage stellen, ob seine geheimen Winkelzüge wirklich unentdeckt bleiben – oder ob nicht die Dechiffriermaschine Raffael schon vorausahnt, was er plant, und dies den Dynamo-Strategen meldet. So gesehen traf Gladbachs Vizepräsident Rainer Bonhof den Nagel auf den Kopf, als er nach der Auslosung im Uefa-Hauptsitz in Nyon sagte: «Ich bin erschüttert.»

Favre wiederum muss in dieser Spielzeit nicht nur Kiew aus dem Weg räumen, sondern auch die letzten Zweifel daran, dass er – obwohl aus der kleinen Schweiz – ein ganz grosser Trainer ist. Gelingt es ihm, nach der Wunderrettung im Frühling 2011 und der exzellenten Saison 2011/12 seine Mannschaft auf hohem Niveau zu stabilisieren, ist er den Makel der Entlassung bei Hertha BSC endgültig los. Dann dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis er beim FC Bayern das Kommando führen darf. Dort müsste er sich keine Sorgen mehr machen, dass ihm jemand seine Wunschspieler vor der Nase wegkauft, was für einen Perfektionisten schwer zu ertragen ist. Favre fehlen nun ja gleich drei Akteure, die unter ihm sicher eine Schlüsselrolle spielen würden: Dante und Reus, die er hergeben musste, sowie Raffael, den er nicht bekommen hat.

Weltmeisterliche Winzlinge

Alexander Kühn am Mittwoch den 8. August 2012

«Ausserdem sind wir ja klein»: Das japanische Frauenfussballteam in London. (Bild: Keystone)

Stellen Sie sich einmal vor, ein Fussballweltmeister müsste in der Premium Economy Class von einem Kontinent auf den anderen fliegen. Er würde wohl noch im Duty-free-Shop einen Sitzstreik beginnen. Die japanischen Fussballerinnen, die im vergangenen Jahr in Deutschland die WM-Krone gewannen, nahmen die unbequeme Reise nach Europa dagegen klaglos hin und kämpften sich anschliessend wieder in den Final vor, unter anderem durch Siege über Brasilien und Frankreich. Japans U-23-Kicker durften übrigens in der Business Class Platz nehmen, ein Privileg, das nach dem Endspiel auch die Frauen geniessen sollen.

«Wer sieht, wie wir spielen, erkennt, dass wir sehr geduldig sind und uns auch mit der Economy Class abfinden können. Ausserdem sind wir ja klein», bemerkte Norio Sasaki, der Trainer der amtierenden Weltmeisterinnen, süffisant. Viel wichtiger als die Verteilung der Sitze im Flugzeug, die in der Heimat eine Sexismusdebatte auslöste, ist ihm die Organisation des Teams auf dem olympischen Rasen. Japan mag zwar keine so glänzenden Individualistinnen haben wie die USA, in der Summe aus Talent, Taktik, Disziplin und Kondition sind die Asiatinnen gemeinsam mit dem morgigen Finalgegner aber das Mass der Dinge in ihrer Sportart, die noch immer vielerorts als Frauenfussball bezeichnet wird, als handle es sich um eine grundlegend andere Tätigkeit als bei den Männern.

Zieht den Ball an: Aya Miyama beim Training in Cardiff. (Bild: Keystone)

Zieht den Ball an: Aya Miyama beim Training in Cardiff. (Bild: Keystone)

Da die Japanerinnen weniger glamourös daherkommen als etwa Hope Solo, die schöne Torhüterin der US-Equipe, ist über sie in der westlichen Welt wenig bekannt. Dabei haben sie mit dem WM-Titel vor einem Jahr zu Hause einiges bewegt, wie die Frauenrechtlerin Miho Okumura in einem Interview mit der «Zeit» bemerkte. Der Erfolg sei sehr wichtig für die Gleichberechtigung. Die Fussballerinnen hätten den jüngeren Generationen vor Augen geführt, dass es abseits der traditionellen weiblichen Domänen andere Wege für Frauen und Mädchen gebe. «Viele Jungs träumen davon, eines Tages weltberühmte Sportler zu werden. Mädchen dagegen begnügen sich oft mit kleinbürgerlichen Träumen, etwa dem Traum von einer Anstellung als Köchin. Unsere Fussballerinnen haben den japanischen Kindern gezeigt, dass es sich lohnt, hartnäckig für die eigenen Träume zu kämpfen», führte Okumura aus.

Japans Nationaltrainer Sasaki, der seine Spielerinnen artig mit «Frau Ogimi» oder «Frau Sakaguchi» anspricht, hat drei Maximen: Pefektion durch Konstanz, Stabilität und hartes Training. Punkte, die allesamt auch auf die Fussballer aus Spanien zutreffen, die als erste Nation drei grosse Turniere hintereinander gewinnen konnten. Der Trend, dass die Mannschaft über dem Individuum steht, akzentuiert sich geschlechterübergreifend. Wankelmütig ist der Strippenzieher Sasaki nur auf der Goalieposition. Er verbannte die vermeintlich gesetzte Weltmeister-Keeperin Ayumi Kaihori an den Spielen von London auf die Bank und stellte stattdessen deren Vorgängerin Miho Fukumoto wieder zwischen die Pfosten. Ein Schazug, der sich vor allem gegen die angriffigen Brasilianerinnen auszahlte. Fukumoto parierte sieben platzierte Schüsse und bannte nach zehn Eckbällen die Gefahr.

Am meisten Sorgen dürfte den US-Amerikanerinnen vor dem Final allerdings eine andere Japanerin machen: die mit 1,57 Metern kleinste, Aya Miyama. Die Spielmacherin, die auch in der Economy Class genug Beinfreiheit hat, war im letztjährigen WM-Endspiel gegen die USA mit dem Treffer zum 1:1 und einem verwandelten Versuch im Elfmeterschiessen die entscheidende Figur. Im Olympiahalbfinal gegen Frankreich am Montag, den die Japanerinnen 2:1 gewannen, lieferte sie jeweils per Freistoss die Vorlagen zu den beiden Treffern der Weltmeisterinnen. Der französische Coach Bruno Bini konnte sich in seiner Spielanalyse dennoch nicht an ihren Namen erinnern und sprach nur von der «japanischen Nummer 8». Ein klein wenig chauvinistisch ist eben fast jeder Fussballtrainer.

Künstler, lasst den Fussball in Frieden!

Alexander Kühn am Samstag den 4. August 2012
(Bild: Screeshot SF)

Fasst die Spiele der Super League rappend zusammen: Räpper Schmed. (Bild: Screenshot SF)

Haben Sie sich auch schon gefragt, was zum Geier dieser merkwürdige Rapper mit dem Zettel und der Mütze soll, der nach den Super-League-Übertragungen des Schweizer Fernsehens jeweils herumhampelt und das Spiel in ein paar Sekunden zusammenfasst? Hat der Zuschauer zuvor nicht mit eigenen Augen gesehen, was passiert ist? Und reicht es nicht, wenn er sich die wichtigsten Szenen später im «Sportpanorama» noch einmal anschauen kann? Offenbar nicht: Sport und Kultur müssen nach dem Willen der TV-Strategen auf Teufel komm raus zusammengepfercht werden. Sauglatt muss die Sportberichterstattung sein, auch wenn die Zusatzleistung kein Schwein interessiert.

Dabei sollte sich doch langsam herumgesprochen haben, dass Musik und Fussball in etwa so gut zusammenpassen wie Bismarckhering und Vanillepudding. Die wenigen Ausnahmen – «You Never Walk Alone» oder «Football´s Coming Home» etwa – bestätigen nur die Regel. Ganz furchtbar lang ist sie, die Liste der grauenhaften Kinder, die den Zwangsvermählungen der beiden Pole menschlicher Vergnügung entsprungen sind. Gott – oder wenigstens der Papst – möge uns davor bewahren, dass sie noch länger wird.

Da gibt es den erbärmlichen Gesang der deutschen Nationalmannschaft unter der Ägide von Udo Jürgens vor der WM 1990, bei dem man sich eine Berliner Mauer aus Oropax herbeiwünscht, oder die katzfalschen Klagelaute des jungen Franz Beckenbauer aus den finsteren Siebzigern, als auch Heintje die akustische Toleranz von Mensch und Tier auf die Probe stellte. Schon beim blossen Gedanken zieht es einem die Gedärme zusammen. Zugegeben: Das sind Extrembeispiele, aber viel besser sind auch die Vereinshymnen, die bis heute durch die Stadionlautsprecher dudeln, nicht.

Mein Lieblingsclub Dynamo Dresden pflegt mit «Der zwölfte Mann» immerhin noch ein wenig das Liedgut der untergegangenen DDR. Ein platter Schlager ist das Stück, mit einem noch platteren Text, aber irgendwie rührend unprätentiös. Einen Ehrenplatz im Olymp der musikalischen Scheusslichkeit hat der FC Bayern verdient. In München beschränkt man sich nicht darauf, deutscher Rekordmeister zu sein, man möchte auch auf dem Gebiet der akustischen Gemeinheiten führend sein. Und so haben die Bayern gleich zwei Lieder, mit denen sie Freund und Feind bei ihren Spielen triezen können: «Stern des Südens» und «FC Bayern, Forever Number 1». Letzteres Kunstwerk ist sogar noch als sogenannte Klassikversion verfügbar – ein Tritt ins Trommelfell. Das lässt sich erst nach der fünften Mass Bier vom Stadion-Caterer halbwegs ertragen. Vielleicht sind die Bayern ja deshalb so reich.

Wegen all der Unbill, die ich durch die Zusammenführung von Musik und Fussball schon erfahren habe, bin ich kürzlich auch beim Zeitunglesen gehörig zusammengezuckt. Der deutsche Sänger Jan Delay, so war in einer Agenturmeldung zu lesen, habe für seinen Herzensclub Werder Bremen eine ganz tolle Hymne komponiert. Sie liege bereits fertig in der Schublade und warte sehnlichst auf ihre Veröffentlichung. Diese werde aber erst erfolgen, wenn Werder wieder richtig geilen Fussball spiele. Im letzten Jahr waren die Bremer nämlich nur Neunter. Ich hoffe sie werden 2012/13 höchstens Zehnter. Denn leider fehlt der Welt ein Mann wie Gottlieb Theodor Pilz aus Wolfgang Hildesheimers «Lieblosen Legenden», der seine Aufgabe darin sah, Künstler von unnötigen Werken abzuhalten.

PS. Ich bin mir durchaus bewusst, dass mancher Leser auch diesen Beitrag, obwohl nur Spott und keine Kunst, unnötig finden wird. Doch unliebsame Texte haben gegenüber unliebsamer Musik einen entscheidenden Vorteil. Sie sind so still wie ein Fisch in der Tiefkühltruhe.

Constantin for President!

Alexander Kühn am Mittwoch den 1. August 2012
Ein Mann, eine Sonnenbrille: Bei so viel Glanz und Gloria muss es Christian Constantin ja blenden.

Ein Mann, eine Sonnenbrille: Bei so viel Glanz und Gloria muss es Christian Constantin ja blenden. (Keystone)

Lieber Christian Constantin

Nein, ich möchte mich nicht bei Ihnen anbiedern und ich möchte mir auch nicht Ihren Ferrari ausleihen. Ich habe unter uns gesagt noch nicht einmal einen Führerschein. Trotzdem muss es einmal gesagt sein: Sie sind der tolle Hecht im trüben Karpfenteich der Super League, die Chillisauce im faden Haferbrei helvetischen Fussballschaffens. In diesem Sommer haben Sie als Präsident des FC Sion schlicht und einfach alles richtig gemacht – den italienischen Weltmeister Gennaro Gattuso als Kopf ihrer Mannschaft verpflichtet, den Trainernovizen Sébastien Fournier zur Überraschung der Nation als Chefcoach inthronisiert und so in den ersten drei Spielen alle neun möglichen Punkte gewonnen.

Wenn ich könnte, würde ich Sie sogar für das Amt des Fifa-Präsidenten vorschlagen. Mit ihrer imposanten Föhnfrisur würden Sie auf dem Thron des Fussball-Weltverbands viel eindrücklicher aussehen als das kleine Männchen, das jetzt dort sitzt. Und so grimmig wie Sie aus der Wäsche schauen können, wären bestechliche Funktionäre in Zukunft sicher auch ohne Ethikkommission brav wie Sonntagsschüler.

Eines aber würde mich schon interessieren: Ist es wirklich Fournier, der bei Ihrem FC Sion den Spielern die Marschrichtung vorgibt? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Sie und Gattuso das Sagen haben? Wenn Fournier Ihnen beiden hintereinander widersprechen muss, möchte ich auf jeden Fall nicht in seiner Haut stecken. So viel Grimm auf einmal, so viel schiere Männlichkeit. Von Ihrer Neigung zu impulsiven Handlungen erzählt man sich ja Schauerliches. Da bin ich froh, dass ich fernab vom Wallis im sicheren Zürcher Büro sitze.

Ein Dank gebührt Ihnen auch für den Transfer des nordirischen Stürmers Kyle Lafferty, den Sie aus der Konkursmasse der Glasgow Rangers geklaubt haben. Weniger wegen seiner fussballerischen Fähigkeiten, die ich noch nicht abschliessend beurteilen will, sondern wegen seiner Frau Nicola Mimnagh, der Miss Schottland des Jahres 2010. Ein wenig britischer Fussballerfrauen-Glanz kann der Liga nicht schaden. Heliane Canepa, die Gattin des FCZ-Präsidenten, finde ich jetzt nicht so furchtbar prickelnd. Selbst im roten Shirt auf dem Werbeplakat für das neue Auswärtstrikot nicht.

Und damit ich es nicht vergesse: Wie Sie im Frühling gegen Ihren Spieler Geoffrey Serey Die als Goalie geglänzt und Ihre Wette gewonnen haben, das war grosses Kino. Sieben von 18 Schüssen haben Sie abgewehrt. Sie sind im Gegensatz zu vielen Entscheidungsträgern im Fussball eben nicht nur ein Theoretiker, sondern ein Mann der Tat. Und ja, ich würde gerne einmal mit Ihnen in Ihrem Ferrari durchs Wallis fahren.

In diesem Sinne, allez Sion!

Ihr Alexander Kühn

Mitteilung der Redaktion: Am 1. August kann es etwas länger dauern, bis Ihre Kommentare freigeschaltet werden. Wir bitten Sie um Ihr Verständnis.

Nur ein schlechter Tag

Alexander Kühn am Mittwoch den 25. Juli 2012
Habt Geduld mit ihm: Rolf Fringer bei seinem ersten Training mir dem FC Zürich.

Habt Geduld mit ihm: Rolf Fringer bei seinem ersten Training mir dem FC Zürich. (Bild: Keystone)

Am Montagmittag sass ich mit einem guten Freund zu Tisch, und während wir leicht irritiert in unserem seltsamen Schweinsgeschnetzelten stocherten, streifte unser Gespräch natürlich auch den Fussball, genauer den FCZ. Mein Freund, nach eigenem Bekunden ein zugereister Modefan, sagte mir, er frage sich, was ausser den roten Trikots und der Werbung mit der rothaarigen Präsidentengattin Heliane Canepa denn neu sei an diesem FCZ der Ausgabe 2012/13. Ihm scheine es, als hätten sich nur die Namen des Personals auf dem Rasen und der Trainerbank geändert. Von einem Aufbruch spüre er nichts. Ludovic Magnin sei noch ein Stück weiter über seinen Zenit hinaus als in der vergangenen Saison, Mario Gavranovic irgendwie ein Fremdkörper und Davide Chiumiento bei allem Talent eine Fehlinvestition.

Ich erwischte mich dabei, ihm innerlich zuzustimmen. Doch ich musste ja wenigstens ein wenig die Fassade des objektiven Sportjournalisten wahren und steckte mir – etwas widerwillig – einen weiteren Bissen von dem Geschnetzelten in den Mund. Nachdem ich es nicht ohne weitere Irritation über die verwendete Gewürzmischung heruntergeschluckt hatte, setzte ich meinem Freund auseinander, dass es nach zwei Spieltagen wohl ein wenig früh sei, den neuen FCZ schon wieder zu beerdigen. Rolf Fringer sei doch ein ausgezeichneter Trainer und wisse schon, weshalb er auf diese Spieler setze. Und haben die Verantwortlichen beim FCZ nach dem bis auf das späte Gegentor und die Chancenauswertung überaus überzeugenden Start in Luzern nicht darauf hingewiesen, dass man von Gavranovic mangels Spielpraxis nicht in jedem Match einen Treffer erwarten könne?

Je mehr ich von dem überwürzten Fleisch und seinen Beilagen – gebackene Auberginen und Ofenkartoffeln – in mich hinein schaufelte, desto klarer wurde mir, dass mein Freund nicht nur mit dem gleichen Mittagessen wie ich geschlagen war, sondern auch mit jener Ungeduld, die mich einst als Dauerkartenbesitzer im alten Letzigrund (Osttribüne natürlich, möglichst nahe am Hamburger-Stand) zu ähnlichen Äusserungen veranlasst hatte. Dieses Klima der Ungeduld wiederum ist mit das Schlimmste, das einem Fussballclub passieren kann. Es ist der Grund dafür, dass viele Traditionsvereine nicht recht auf die Beine kommen, obwohl ihre Möglichkeiten eigentlich viel grösser sind als die erfolgreicherer Konkurrenten, die aber in Ruhe arbeiten können.

Natürlich wünscht man sich als Fan nach einem schlechten Jahr immer sofort die grosse Revolution, man will ja spüren, dass etwas geht und die Funktionäre begriffen haben, dass man für biederes Mittelmass nicht ins Stadion kommt. Erst recht nicht in eine Fehlkonstruktion wie den neuen Letzigrund. Wer im Fussball nachhaltigen Erfolg haben will, darf aber nicht für den Moment leben. Es mag sein, dass ein Schreihals an der Seitenlinie mit dem FC Zürich in den ersten beiden Partien der Saison mehr Punkte geholt hätte als Rolf Fringer. Dass sich mit den Möglichkeiten des FCZ ein Coach finden lässt, der für den Neuaufbau besser geeignet ist als Fringer, bezweifle ich aber. Mit seiner unaufgeregten Art, seinen sachlichen Analysen und seiner Ehrlichkeit ist er gerade in einem hektischen Umfeld mit einem bisweilen impulsiven Präsidenten der richtige Mann.

Die besten Tennisspieler der Vergangenheit und Gegenwart weisen bei Kritik an Roger Federer oder Rafael Nadal immer wieder darauf hin, dass man im Sport nicht so sehr den Moment, sondern einen längeren Zeitraum betrachten solle. Und sie liegen richtig: Federer, von vielen Nörglern schon abgeschrieben, gewann bekanntlich kürzlich seinen 17. Grand-Slam-Titel.

Die Untergangsszenarien waren viel zu sehr auf den Moment gemünzt. Und so ist es auch durchaus vorstellbar, dass der FCZ in dieser Saison trotz des Fehlstarts noch zum ersten Herausforderer des FC Basel wird. Noch sind erst zwei Partien absolviert, und noch beträgt der Rückstand erst drei Punkte. Alles ist möglich. Und darum, liebe FCZ-Fans – und vor allem du, mein vom Schweinsgeschnetzelten kalt erwischter Freund – habt ein wenig Geduld. Eine Mannschaft ist noch lange nicht am Ende, wenn sie einmal enttäuscht wie der FCZ beim 0:2 gegen Thun. So wie auch ein Koch einmal einen schlechten Tag einziehen kann.

Die Doppelgängerinnen der Fussballstars

Alexander Kühn am Samstag den 14. Juli 2012

Als unser Euro-Blogger Stefan Büsser entdeckte, dass sich der deutsche Mittelfeldspieler Mesut Özil und Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf frappant ähnlich sehen, hat mich das sehr amüsiert. Darum will ich die beliebte Rubrik «Fussballer und ihre Doppelgänger» mit dem Unterordner «Fussballer und ihre weiblichen Entsprechungen» ergänzen. Das Graben in den Bildarchiven meines Computers und meines Hirns hat nur wenige, dafür aber umso spektakulärere Juwelen zutage gefördert. Doch genug der Einleitung: Lassen wird die Bilder sprechen!

Grosse Augen: Eveline Widmer-Schlumpf (l.), Deutschlands Spielmacher Mesut Özil.

Grosse Augen: Eveline Widmer-Schlumpf (l.), Deutschlands Spielmacher Mesut Özil.

Steilpass-Leser jenseits der Dreissig werden sich an Rüdiger Vollborn erinnern – den Torhüter von Bayer Leverkusen, der gegen Ende seiner Karriere ein wenig aussah, als habe er gerade eine ganze Aktionspackung Kinder-Schokolade verputzt. Ohne dass der Trainer davon etwas wusste, natürlich. Vielleicht, denke ich mir nach dem Studium zahlreicher Fotografien, hat Vollborn das nur gemacht, damit er der legendären DDR-Leichtathletin Marita Koch nicht mehr ähnlich sieht. Denn Koch, die im Jahr 1985 über 400 Meter einen bis heute gültigen Fabel-Weltrekord aufstellte, und der Goalie gleichen sich auf gewissen Aufnahmen wie ein Ei, Pardon, ein Riegel Kinder-Schokolade dem anderen.

Was für eine Ähnlichkeit: Leichtathletik-Legende Marita Koch (l.), Bundesliga-Keeper Rüdiger Vollborn.

Was für eine Ähnlichkeit: Leichtathletik-Legende Marita Koch (l.), Bundesliga-Keeper Rüdiger Vollborn.

Die deutsche Weltklasse-Curlerin Andrea Schöpp hätte sich derweil ohne gross aufzufallen ins Tor des FC Bayern stellen können. Auf den ersten Blick wäre kaum aufgefallen, dass sie mit ihren 1,74 Metern 14 Zentimeter kleiner ist als der langjährige Bayern-Keeper Oliver Kahn. Zu gross ist die Ähnlichkeit punkto Mimik und Haarpracht. Beide, Kahn und Schöpp, entstammen der Kategorie «löwenhaft rotblond». Sie haben etwas Furchteinflössendes, weswegen ich inständig hoffe, sie mögen diesen Blog nicht lesen.

Löwenhaft rotblond: Curlerin Andrea Schöpp (l.), Goalie-Ikone Oliver Kahn.

Löwenhaft rotblond: Curlerin Andrea Schöpp (l.), Goalie-Ikone Oliver Kahn.

Und dann sind da noch Italiens geniale Skandalnudel Mario Balotelli und die Achtzigerjahre-Ikone Grace Jones. Wenn ich Balotelli sehe, muss ich an Jones denken, wenn ich Jones sehe, muss ich an Balotelli denken. Beide sind Meister der grossen Pose, gross, muskulös und leider ebenfalls furchteinflössend für einen wie mich, der nur 1,81 Meter misst und sich morgens wegen Rückenweh bewegt wie Gustav Gans. Auch in ihrem Fall muss ich hoffen, dass sie noch nie etwas vom Steilpass-Blog gehört haben.

Meister der grossen Pose: Torjäger Mario Balotelli (l.), Achtzigerjahre-Relikt Grace Jones.

Meister der grossen Pose: Torjäger Mario Balotelli (l.), Achtzigerjahre-Relikt Grace Jones.

Zum Schluss noch ein Tipp an die dreifache Oscar-Preisträgerin Meryl Streep: Sollte Sie, Teuerste, einmal keine Lust mehr haben, griesgrämige Politikerinnen wie Margaret Thatcher zu spielen, bewerben Sie sich als Hauptfigur für die Verfilmung von Luka Modrics Leben. Zumindest wenn im Stadion das Flutlicht ausfällt, hätten Sie gute Chancen für den Regisseur der kroatischen Fussball-Auswahl gehalten zu werden.

Spitze Nase, hohe Stirn: Fussball-Zaubermaus Luka Modric (l.), Schauspielerin Meryl Streep.

Spitze Nase, hohe Stirn: Fussball-Zaubermaus Luka Modric (l.), Schauspielerin Meryl Streep.

Ich wünsche mir einen Fussball-Federer

Alexander Kühn am Dienstag den 10. Juli 2012
Die Erlösung: Roger Federer sinkt nach dem verwerteten Matchball auf den Rasen von Wimbledon. (Bild: AFP)

Die Erlösung: Roger Federer sinkt nach dem verwerteten Matchball auf den Rasen von Wimbledon. (Bild: AFP)

Irgendwie scheint die Euro 2012 schon ganz weit weg. Wirklich geblieben ist den Menschen in meinem Umfeld nur der Torjubel des Italieners Mario Balotelli nach seinem zweiten Treffer beim 2:1-Halbfinalsieg über Deutschland. Aber sonst? Spaniens 4:0-Finalsieg gegen Italien vielleicht noch. Für das erhoffte grosse Drama war dieses Spiel aber zu eindeutig. Ich persönlich hätte vom wichtigsten Sportanlass des Kontinents mehr erwartet. Mehr verrückte Geschichten, mehr Spektakel, aber vor allem mehr Emotionen.

Doch woran liegt es, dass der EM-Funke hierzulande nicht recht zündete? Zum einen natürlich daran, dass die Schweiz nicht dabei war, zum anderen aber auch am Fehlen echter Idole im europäischen Spitzenfussball. Wer ausser einem verliebten Teenager soll mit Cristiano Ronaldo ernstlich leiden, wenn seine Portugiesen im Penaltyschiessen ausscheiden, noch ehe er zum Elfmeter anlaufen kann? Wer wünscht sich die – fehlende – Aura eines Xavi oder eines Philipp Lahm?

Damit sich das Land wieder mit voller Inbrunst vor dem Fernseher und den Public-Viewing-Leinwänden versammelt, braucht es einen Kicker, dessen Charisma mit seiner spielerischen Brillanz korreliert. Einen Roger Federer des Fussballs, von mir aus auch einen Andy Murray – die Nationalität ist nebensächlich. Einen Sportler, der echte Emotionen zeigt und bei der Siegerehrung Tränen vergiesst. Keinen, der sich bei der geringsten Berührung theatralisch fallen lässt und schreit, als galoppiere eine ganze Hundertschaft Brauereipferde über ihn hinweg. Und auch keinen, der zwar wundervoll und fair spielt, aber menschlich kaum Konturen zeigt.

Leider versinkt im modernen Fussball das Individuum schnell einmal im Kollektiv. Oder erinnern Sie sich an den Namen des spanischen Spielers, der in der wichtigen Vorrundenpartie gegen Kroatien den Siegestreffer erzielte? Wenn ein Fussballer als Mensch in Erscheinung tritt, dann meistens in negativer Hinsicht – wegen Frauengeschichten oder Pöbeleien. Wegen Dingen, die man sich bei Federer, Djokovic, Nadal oder Murray nicht vorstellen könnte. Sie sind Helden, und deshalb hampelt auch die ganze Nation nervös vor dem TV-Gerät herum, wenn sie sich auf Rasen, Sand oder Hartplatz duellieren. Applaudiert und angefeuert haben wir Federer im Wimbledon-Final gegen Murray, obwohl er uns ja gar nicht hören konnte.

Das Manko des Fussballs gegenüber dem Tennis ist, dass sich ein Vorsprung verwalten lässt. Mit Querpässen, Rückpässen, Mätzchen, kleinen Fouls und Befreiuungsschlägen Richtung Stadiondach. Im Tennis gibt es für die Protagonisten kein Entrinnen. Sie können selbst bei einer 2:0-Satzführung und einem Breakvorsprung noch verlieren. Und dieser Umstand formt talentierte Athleten zu grossen Persönlichkeiten.