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Lieber Bösewichte als nette Typen

Alexander Kühn am Mittwoch den 24. Oktober 2012
Eine Seifenoper, zwei Rollen: Real-Regisseur Mourinho (l.) und Dortmund-Kumpel Klopp. (Bilder: AFP)

Eine Seifenoper, zwei Rollen: Real-Regisseur Mourinho (l.) und Dortmund-Kumpel Klopp. (Bilder: AFP)

Wetten, dass wieder alle hoffen, dass José Mourinho und Real Madrid heute Abend eins auf den Deckel bekommen? Erst recht gegen Dortmund, wo der joviale Jürgen Klopp das Cheftrainer-Zepter schwingt. Ich aber drücke Mourinho die Daumen. Weil die unselige Gruppenphase der Champions ohne ihn noch glanzloser wäre – vielleicht sogar fast so schlimm wie die Europa League. Und weil ich über Klopp zwar nicht ernstlich etwas Schlechtes sagen kann, mir seine Auftritte aber doch langsam aber sicher gehörig auf die Nerven gehen.

Kann man den wirklich immer so kumpelhaft sein? So unprätentiös? So sympathisch? Offenbar ja. Dennoch ist mir ein echter Widerling lieber, der hat wenigstens Ecken und Kanten. Die fehlen Klopp irgendwie, trotz Dreitagebart, Pöhler*-Mütze und betont hemdsärmligem Auftreten. So erfrischend der Trainer in Mainz und in seiner Anfangszeit bei der Borussia war, so vorhersehbar ist er inzwischen geworden. Wahrscheinlich ist das nicht einmal sein Fehler, sondern jener der Medien, die ihn von einem Mikrofon zum anderen zerren und als den Mann hypen, der anders ist als die anderen.

Mourinho lässt sich dagegen von niemandem irgendwohin zerren, schon gar nicht von den Medien. Ein Interviewtermin mit Klopp wäre sicherlich nett, und vor einem Treffen mit Mourinho würde ich mir vermutlich in die Hosen machen. Aus der sicheren Blogger-Stube heraus betrachtet sind Klopp-Interviews aber fade und Mourinho-Interviews – wenn er denn tatsächlich erscheint und auch den Mund aufmacht – spannend. Der Portugiese ist der Bösewicht in der sportlichen Seifenoper. Klopp ist der nette Typ. Und weil die netten Typen in der Seifenoper von den Bösewichten gegängelt werden wie die Gnus von den Löwen, wäre es ein Frevel gegen die Natur des Fussballs, sollte sich der Aussenseiter aus Deutschland gegen die Königlichen aus Madrid erfolgreich auflehnen.

Uli Hoeness hatte schon recht, als er sagte, Borussia Dortmund sei im Gegensatz zu seinem FC Bayern ein regionales Phänomen. Ein Verein von internationalem Format zeichnet sich nämlich auch dadurch aus, dass ihn die breite Masse hassen kann. Bei den Bayern klappt das bestens, bei Real dank Mourinho und seinem exzentrischen Sturm-Gockel Cristiano Ronaldo ebenfalls. Dortmund aber kann man nicht hassen – ausser vielleicht als Schalker. Der BVB ist – wie sein Trainer – zu bodenständig, zu unprätentiös, zu sympathisch.

*Ein Pöhler ist laut Klopp «ein Kicker, und zwar im positivsten Sinne, der richtig Spass hat am Spiel». Es handelt sich um einen speziellen Ruhrpottausdruck, den man als Uneingeweihter aber eher für einen Werbeschriftzug halten würde. Für irgendwelche Bagger oder Baumärkte. Klopp macht ja so viel Werbung, dass man nicht mehr recht weiss, für was alles.

Unsinnige Ängste und berechtigter Stolz

Alexander Kühn am Samstag den 13. Oktober 2012
Sinnbilder für das neue Schweizer Selbstverständnis: Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Valon Behrami (von links).

Sinnbilder für das neue Schweizer Selbstverständnis: Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Valon Behrami (von links).

Island. Da kommen mir Regen, Kälte, Schafe, Vulkane, Wind und Wirtschaftskrise in den Sinn – und bärbeissige Fussballer, die favorisierten Gästen auf den Füssen herumstehen. Schon der Name des Nationalstadions ist furchteinflössend. Laugardsvöllur heisst es – das klingt verdächtig ähnlich wie dieser seltsame Vulkan, der mit seinem Rauch einst den halben Flugverkehr lahmlegte. Und dann noch die Namen der Spieler. Bis die Schweizer Verteidiger «Pass auf den Kolbeinn Sigþórsson auf!» gerufen haben, ist es schon längst zu spät.

In Island haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen. Die Deutschen mussten sich in der Qualifikation zur Euro 2004 in Reykjavik mit einem kaugummizähen 0:0 begnügen, bei dessen Analyse der damalige DFB-Teamchef Rudi Völler die Fassung verlor und Moderator Waldemar Hartmann anfuhr: «Du sitzt hier bequem auf deinem Stuhl, hast drei Weizen getrunken und bist schön locker.» Seither kennen wir Hartmann nur noch als Weissbier-Waldi und ehren Island als Favoritenschreck.

Es könnten schlimme Dinge passieren im Land des nächsten Gegners der Schweiz: Der starke Wind könnte Xherdan Shaqiri mitsamt dem Ball am Fuss ins falsche Tor wehen, Schafe könnten an den Kopfhörern von Granit Xhaka knabbern oder gar am Trenchcoat von Ottmar Hitzfeld. Es könnte im dümmsten Moment ein Vulkan ausbrechen und Diego Benaglio die Sicht vernebeln. Wikinger könnten die Schweizer Taktik rauben und Islands schwedischem Trainer Lars Lagerbäck verraten.

Alles Schwachsinn, finden Sie? Zurecht! Denn die Schweizer Fussballer können sich in Island eigentlich nur selber ein Bein stellen. Wenn Sie den Gegner unterschätzen oder – sollte es lange 0:0 stehen – gegen Ende des Spiels die Geduld verlieren. Ansonsten darf man als Schweizer ruhig einmal ein wenig überheblich sein. Denn die Nationalmannschafts-Ausgabe 2012 ist ein Grund zum Stolz. Die Nationalmannschafts-Ausgabe 2012 ist ein Team, das für sich keine Grenzen akzeptiert und hoch hinaus will. Darum war Granit Xhaka nach dem 1:1 gegen Norwegen, das von älteren Schweizer Fussballer-Generationen durchaus als Erfolg gewertet worden wäre, so enttäuscht, dass er den Reportern in der Mixed Zone des Stade de Suisse keine Interviews geben wollte.

Ich jedenfalls freue mich auf den kommenden Dienstag. Auf Shaqiri-Dribblings und Derdiyok-Fallrückzieher. Auf eine Mannschaft, die etwas Besonderes ausstrahlt. Auf eine Mannschaft, die sich wohltuend von jener abhebt, die in der Qualifikation zur Euro 2012 ohne grosse Emotionen die Segel streichen musste. Es gibt kein grösseres Kompliment an einen Verband als jenes, dass er es geschafft hat, eine Equipe mit dem viel zitierten Team Spirit zusammenzustellen. Und eine solche besitzt die Schweiz. Das fängt bei Shaqiri an und geht bis zum Medienchef Marco von Ah, der sich in Bern gegen die resoluten Damen von der Securitas durchsetzte und es den Journalisten ermöglichte, auch nach dem eigentlich auf Mitternacht angesetzten Zapfenstreich im Presseraum weiter an ihren Texten zu arbeiten.

Nötigt VW seine Kunden, Wolfsburg zu sponsern?

Alexander Kühn am Mittwoch den 10. Oktober 2012
Spielen sie für Wolfsburg oder für VW oder spielt das keine Rolle? Die Schweizer Diego Benaglio und Ricardo Rodriguez. (Fotos: Keystone)

Spielen sie für Wolfsburg oder für VW, oder ist das dasselbe? – Die Schweizer Diego Benaglio und Ricardo Rodriguez. (Fotos: Keystone)

Beim VfL Wolfsburg, dem Club der Schweizer Diego Benaglio und Ricardo Rodriguez, herrscht gleich an zwei Fronten Alarmstimmung. Zur sportlichen Krise, die am Wochenende im blamablen Auftritt beim 0:3 auf Schalke gipfelte, gesellt sich eine überaus unerfreuliche juristische Auseinandersetzung wegen des Verdachts auf die Zahlung von Schmiergeldern. Der mächtige Volkswagen-Konzern, der 100 Prozent der Aktien der VfL Wolfsburg Fussball GmbH hält, soll Geschäftspartner gezwungen haben, den Bundesligisten zu sponsern, um weiter Grossaufträge zu bekommen. «Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr in einem besonders schweren Fall» nennt die zuständige Staatsanwältin das Geschehen rund um den VfL.

Es heisst, die Telekom-Tochter T-Systems zahle dem Fussballverein nur noch Geld, weil sie sonst den lukrativen Wartungsauftrag von VW über die nächsten vier Jahre verloren hätte. «16 Millionen für den VfL von T-Systems, 345 Millionen von Volkswagen für T-Systems», rechnet der Berliner «Tagesspiegel» vor. Ans Licht gekommen ist der faule Zauber, weil die Telekom Selbstanzeige erstattete. Und der Telekommunikationsriese ist anscheinend längst nicht die einzige Firma, die sich von VW zum Sponsoring treiben liess. Besonders grotesk mutet es an, dass sich ein Hersteller von Robotern, die Autos zusammenschrauben, in Wolfsburg als Partner des Vereins präsentiert. Welcher Zuschauer im Stadion kann schon einen solchen Roboter gebrauchen?

Auch aus Marketinggründen macht es eigentlich keinen Sinn, Geld in den Werksclub aus Niedersachsen zu pumpen. Der VfL Wolfsburg ist für den grössten Teil der Fussballkonsumenten ein rotes Tuch mit giftgrünem Logo. Was sich Fans gemeinhin wünschen, nämlich Tradition und eine Vereinsseele, besitzt er nich. Dafür hat er einen kaufwütigen Trainer und Unmengen von Geld, was natürlich wenig sympathisch rüberkommt.

Sollten sich die Schmiergeldvorwürfe als gerechtfertigt erweisen, muss man ganz klar von Wettbewerbsverzerrung sprechen. Dann hätte VW nicht nur sein eigenes Geld, sondern auch noch unfreiwillig zur Verfügung gestellte finanzielle Mittel anderer Unternehmen in die Kriegskasse des VfL Wolfsburg gepumpt. Spätestens dann müsste sich der Deutsche Fussball-Bund die Frage gefallen lassen, ob es richtig ist, wenn eine Firma derart grossen Einfluss auf einen Bundesliga-Club nehmen kann. Der Fussball ist ohnehin schon mehr eine wirtschaftliche als eine sportliche Schlacht geworden.

FCZ-Gorillas im Nebel

Alexander Kühn am Sonntag den 23. September 2012
Kindischer Trotz: Feuerwerk in der FCZ-Südkurve.

Kindischer Trotz: Feuerwerk in der FCZ-Südkurve.

Am 2. Oktober 2011 warf ein FCZ-Anhänger im wenig später abgebrochenen 226. Zürcher Derby eine 1000 Grad heisse Petarde mitten unter die GC-Fans. Am 3. November 2011 verletzte ein im Zürcher Block gezündeter Böller vor dem Europa-League-Spiel bei Lazio Rom mehrere Personen. Und ist der FCZ-Südkurve deswegen die Lust am Zündeln vergangen? Ganz im Gegenteil. Auch am 22. September benahmen sich einige Beratungsresistente wieder, als hätten sie den Auftrag bekommen, eine Generalprobe des nächstjährigen 1. August-Feuerwerks zu veranstalten. Zündelnde Gorillas im Nebel, die zuvor schon mit allerlei Krempel nach Spielern der Grasshoppers geworfen hatten. Den ersten Akt bildeten Bengalos, den zweiten Dutzende Raketen, die unmittelbar nach der Pause gen Himmel zischten, den dritten ein Transparent mit der Aufschrift «Singe? Ihr bi de Bulle, mir nur i de Kurve».

Die Exponenten der Swiss Football League, die gebetsmühlenartig auf die Gefährlichkeit von Pyrotechnik hinweisen, müssen sich wie die Erziehungsberechtigten von kleinen Kindern fühlen, die ihren Pudding quengelnd aufs Tischtuch schmieren. Denn die Aktion beim Derby ist nichts weiter als kindischer Trotz. Natürlich kann man ins Feld führen, dass diesmal niemand zu Schaden kam und die Raketen auf niemanden gerichtet waren, aber eine Fankurve, die sich so wichtig nimmt wie jene des FC Zürich, muss auch begreifen, dass sie im Fokus steht und mit der dauernden Verletzung der Regeln nur Wasser auf die Mühlen jener liefert, die sich eine harte Law-and-Order-Politik im Stadion wünschen und in jeder Fahnenstange eine potenzielle Waffe für einen potenziellen Stadionkrieg sehen.

Zu behaupten, es brauche für eine gute Atmosphäre im Stadion unbedingt Feuerwerk, ist blanker Unsinn. Man muss nur in die stimmungsvollen Stadien der englischen Premier League blicken, um den Beweis dafür zu bekommen, dass der Funke auch ohne Bengalos überspringen kann. Dort, wo das Herz des Fussballs schlägt, hat keiner Lust auf vernebelte Fussballfelder. Ein echter Supporter unterstützt seine Mannschaft und stellt nicht sich selbst in den Vordergrund. Wenn es aber mehr um ein kitschig-soldatisches Gemeinschaftsgefühl geht und um Nibelungentreue gegenüber jenen, die sich einen Dreck um Regeln und negative Konsequenzen für ihren Club scheren, ist das Wort Supporter nicht mehr angebracht.

Vielleicht müsste man ganz einfach eine Sprinkleranlage im Dach des Letzigrund installieren, die losgeht, wenn in der Kurve unten jemand zu zündeln beginnt. Denn einen Präsidenten wie Luzerns Walter Stierli, der sich mit dem Megafon vor die tobenden Fans stellt, um sie zur Vernunft zu bringen, hat der FC Zürich leider nicht.

Der Triumph der Arroganz

Alexander Kühn am Mittwoch den 19. September 2012
Grasflecken für die Ewigkeit: José Mourinho ruiniert freudig seinen Anzug.

Grasflecken für die Ewigkeit: José Mourinho ruiniert freudig seinen Anzug.

José Mourinho gehört wegen seines selbstherrlichen Auftretens nicht gerade zur Kategorie «Everybody’s Darling» im Fussball-Business. Und so hatten zahlreiche Journalisten gestern Abend schon die Geschichte vom neuerlichen Versagen der hochbezahlten Real-Angestellten formuliert und die Gerüchte um eine baldige Entlassung des portugiesischen Startrainers weiter angefeuert, als die Madrilenen gegen Manchester City zwischen der 87. und der 90. Minute einen 1:2-Rückstand doch noch in einen 3:2-Sieg verwandelten. Erst traf Karim Benzema, den Mourinho eine knappe Viertelstunde zuvor eingewechselt hatte, dann Cristiano Ronaldo, der zuletzt als überempfindliche Prinzessin auf der Erbse verspottet worden war.

Nach Ronaldos Tor, das Real Madrid den 100. Sieg in der Königsklasse und die Wiedergutmachung für den kümmerlichen Start in die Meisterschaft mit nur vier Punkten aus vier Spielen bescherte, rutschte Mourinho im edlen Zwirn auf den Knien über den Rasen, als habe er den Treffer selbst erzielt. Der Mann aus Setubal ist eben auch dann ein exzentrischer Selbstdarsteller, wenn er dem Teufel gerade einmal noch von der Schippe springen konnte. Bescheidene Erleichterung ist nicht sein Ding. Die grosse Pose muss her, alles andere ist für die anderen.

An der anschliessenden Pressekonferenz schossen dann nicht mehr die Spieler aufs gegnerische Tor, sondern Mourinho auf die Journalisten. Ebenso genüsslich, wie jene vor der ersten Champions-League-Partie der Saison seine Fehler aufgelistet hatten. «Ich hatte für den Fall der Niederlage Kritik erwartet. Ihr hättet gesagt, dass es verrückt war, Ramos draussen zu lassen und all die kreativen Aussenspieler, während Michael Essien, Sami Khedira und Xabi Alonso im Team standen», so der Trainer. «Ich weiss, dass alles vorbereitet war. Ich weiss, dass alles geschrieben war, ehe es passiert ist. Dann hiess es auf all euren Computern: löschen, löschen, löschen.»

Mourinhos Auftritt war ein einziger Triumph der Arroganz. Und während jeder andere Trainer solche Worte wegen des zu erwartenden Bumerangeffekts spätestens nach der nächsten Niederlage bereuen würde, dürfte der starke Mann bei Real Madrid ungetrübten Spass an seiner verbalen Atombombe haben. Was die Presse von ihm denkt, war Mourinho immer schon egal. Er geht unbeirrbar seinen Weg. Das ist eine Qualität, die seinen Kritikern nicht schmeckt, für den Erfolg des Exzentrikers auf der Real-Bank aber ebenso wichtig ist wie sein taktisches Gespür.

Schaut mal, ihr Angeber, so geht's auch!

Alexander Kühn am Sonntag den 16. September 2012
Vorne Stadion, hinten Hardtwald: Die Arena des SV Sandhausen ist von viel Grün umgeben.

Vorne Stadion, hinten Hardtwald: Die Arena des SV Sandhausen ist von viel Grün umgeben.

Als Hertha BSC im Frühsommer gegen Fortuna Düsseldorf um den letzten zu vergebenden Platz in der 1. Bundesliga stechen musste, drohte eine Berliner Zeitung den Profis des notorisch erfolglosen und zur Grosskotzigkeit neigenden Hauptstadtclubs: «Wenn ihr verliert, müsst ihr nach Sandhausen!» Die Herthaner zogen bekanntlich gegen Düsseldorf den Kürzeren und müssen in dieser Saison in ebenjenes Sandhausen, für das die Autokorrektur meines Schreibprogramms hartnäckig das Wort «Sandhaufen» vorschlägt. Mit dem Wissen, dass Sandhausen irgendwo bei Heidelberg liegt und der örtliche Sportverein im DFB-Pokal einst den VfB Stuttgart aus dem Wettbewerb warf, mache ich mich also auf, um herauszubekommen, was die Berliner an Sandhausen denn so schlimm finden. Und so sitze ich zwischen Feld, Wald und Wiesen unter 6400 Zuschauern im Hardtwaldstadion, das zwar an einigen Orten noch eine Baustelle ist, ansonsten aber keinerlei Anlass zum Meckern gibt. Gegenüber dem Berliner Olympiastadion hat die Sandhausener Arena zudem einen entscheidenden Vorteil: Sie ist ein richtiges Fussballstadion ohne Laufbahn, was dazu führt, dass man auch tatsächlich etwas vom Spiel sieht.

Lautstark wie immer, friedlich wie selten: Rund 3000 Fans aus Dresden sind in den Südwesten gekommen.

Lautstark wie immer, friedlich wie selten: Rund 3000 Fans aus Dresden sind in den Südwesten gekommen.

Auf dem Feld steht neben den Gastgebern mein erklärter Lieblingsverein Dynamo Dresden, und so muss ich meine gesamte journalistische Objektivität bündeln, um nach dem Führungstreffer für den SVS keine Verwünschungen gegen den Torschützen von mir zu geben. Beim glückhaften Ausgleich für Dynamo – es sollte beim 1:1 bleiben – setzt sich aber der Fan in mir durch. Ich springe zwischen den Anhängern des Heimteams auf der Haupttribüne in die Höhe und tanze ein paar Sekunden wie das Rumpelstilzchen, wenn man ihm Zugang zum Goldtresor der Schweizer Nationalbank geben würde. Und was passiert? Nichts! Keiner schimpft, keiner droht mir, keiner zeigt mir den Vogel. Das nenn ich dann mal Fairplay.

Mit einer Weinschorle – endlich gibt beim Fussball neben Limonade und Wasser einmal eine weitere Alternative zum Bier – proste ich mir selbst zu. Ein Dynamo-Anhänger, der das Zündeln offenbar auch im idyllischen Hardtwaldstadion nicht lassen kann, gibt seiner Freude über den Treffer mit einer kleinen Rauchpetarde Ausdruck, es bleibt aber zum Glück bei der einen Ausfälligkeit. Die freundliche Atmosphäre scheint auch auf die Besucher einen guten Einfluss zu haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass in Sandhausen die andernorts angestimmten Schmähgesänge gegen Dynamo nicht zu hören sind. Der einzige Gesang der mit «Sch…» beginnt, ist einer, der sich den Farben des SVS – Schwarz und Weiss – widmet.

Dynamos grosser Rückhalt: Benjamin Kirsten gibt in der überfüllten Mixed Zone Auskunft.

Dynamos grosser Rückhalt: Benjamin Kirsten gibt in der überfüllten Mixed Zone Auskunft.

Hektik kommt erst wieder auf, als Dynamo-Torhüter Benjamin Kirsten in der kleinen Mixed Zone im Inneren des Stadions zum Interview erscheint. Die Journalisten aus Dresden, fast durchgängig in Dynamo-Fanartikel gekleidet, drängeln und schubsen, um näher beim Sohn von Ulf Kirsten stehen zu können. Einer benimmt sich besonders daneben und stösst einen Reporter aus der Region grob zur Seite. Kirsten gibt derweil geduldig und freundlich Auskunft. Ein Musterprofi mit besten Manieren vor Journalisten, deren Benehmen nicht einmal 3. Liga ist, denke ich mir und gehe schon einmal in den Presseraum im Obergeschoss. Dort steht eine liebevoll hergerichtetes Buffet mit einem grossen Korb Salzbrezel und diversen belegten Brötchen. Neben dem für die beiden Trainer hergerichteten Platz im vorderen Teil des Raums befindet sich eine kleine Kaffeeküche, an den Wänden hängen Bilder, die vom Gewinn der deutschen Amateurmeisterschaft in den Jahren 1978 und 1973 künden. Authentisch + glaubwürdig + echt = 100 Prozent Sandhausen – so lautet das Motto des Vereins, der seinen Etat für die laufende Saison dank der TV-Gelder auf 9 Millionen Euro verdoppeln konnte. Spätestens jetzt bereut am Hardtwald keiner mehr, dass Club-Mäzen und Vizepräsident Jürgen Machmeier vor sechs Jahren eine Fusion mit dem heutigen Erstligisten TSG Hoffenheim und Astoria Walldorf zu einem FC Rhein-Neckar ablehnte.

Guten Appetit: SVS-Trainer Gerd Dais mit belegtem Brötchen an der Pressekonferenz.

Guten Appetit: SVS-Trainer Gerd Dais mit belegtem Brötchen an der Pressekonferenz.

Während ich an einem Brezel kaue, betritt Sandhausens Trainer Gerd Dais den Raum, grüsst freundlich, und schnappt sich ein Brötchen, das er gemütlich verspeist, während er neben dem Pressesprecher und Dynamo-Coach Ralf Loose Auskunft gibt. Es ist ein kleines Detail, aber eines, das viel aussagt über die Einstellung des SVS zur grossen Welt des Profifussballs. Hier spielt keiner eine Rolle, und wenn der Trainer nach dem Spiel Hunger hat, dann isst er eben. Hier im Hardtwaldstadion ist das Königreich des Gerd Dais, der seinen Verein von der inzwischen fünftklassigen Oberliga bis ins Bundesliga-Unterhaus geführt hat. Wenn man dem freundlichen Mann mit dem Sandwich in der Hand bei der Analyse des Spiels zuhört, möchte man gern ein Telegramm nach Berlin senden. Mit dem folgenden Text: Schaut mal, ihr Angeber, so geht’s auch! Und noch etwas: Ich habe jetzt einen zweiten Lieblingsclub in der 2. Bundesliga.

Fanshop auf Rädern: Sandhausener Fussball-Idylle.

Fanshop auf Rädern: Sandhausener Fussball-Idylle.

Das Armutszeugnis des deutschen Fussballs

Alexander Kühn am Samstag den 8. September 2012
Angst vor Österreich? Bundestrainer Joachim Löw, Assistent Hansi Flick und Goalietrainer Andreas Köpke (v.l.) während des WM-Qualifikationsspiels gegen die Färöer.

Angst vor Österreich? Bundestrainer Joachim Löw, Assistent Hansi Flick und Goalietrainer Andreas Köpke (v.l.) während des WM-Qualifikationsspiels gegen die Färöer.

Vor dem Halbfinal-Out an der Euro 2012 sah sich Fussball-Deutschland schon auf dem Gipfel der Welt. Die Devise war ebenso klar wie teutonisch forsch: Uns schlägt keiner mehr. Nach dem erkrampften 3:0 gegen die in der Weltrangliste auf Rang 154 klassierten Amateure von den Färöern im ersten Spiel der WM-Qualifikation ist von jenem Selbstbewusstsein in den deutschen Medien aber fast nichts mehr zu spüren. Einzig das Millionenblatt «Bild», wahrscheinlich im Bemühen um Wiedergutmachung für seine überzogene EM-Kritik an Bundestrainer Joachim Löw, will eine «Özil-Gala» gesehen haben. Mit dem fast schon schamhaften Verweis, die Chancenverwertung sei noch steigerungsfähig.

Weit giftiger reagiert die «Welt», der Titel für die gehobene Kundschaft im Springer-Verlag, der auch «Bild» herausgibt. Der Nationalmannschaft fehle es an Besessenheit, heisst es dort. Und weiter: «Der Torabschluss ist trainierbar. Genauso übrigens wie Standards. Doch die bleiben im deutschen Spiel nach wie vor so gut wie ungenutzt. Es ist schon ein Armutszeugnis, dass diese Schwäche noch immer nicht behoben ist.» Pamm! Eine Ohrfeige links und eine rechts. Die «Frankfurter Allgemeine» schreibt derweil von einer «traurigen Erfolgsquote beim Torschuss», die «Süddeutsche Zeitung» hebt den Mahnfinger und titelt: «Fahrlässig gegen Färöer».

Der Grund für die Aufregung liegt auf der Hand: Die Meinungsmacher fürchten ernstlich, dass ihnen am Dienstag wegen der Schwächen im Abschluss das schlimmste aller denkbaren Szenarien drohen könnte: eine Niederlage gegen die Österreicher, die mit dem Engagement des Schweizer Trainers Marcel Koller ihr Abonnement als Witzfiguren des europäischen Fussballschaffens gekündigt haben. Daher versuchen die Deutschen, die Mannschaft, die sie vor ein paar Monaten noch mit journalistischen Jubelarien in den Himmel hoben, mit Hilfe des verbalen Holzhammers in die irdischen Gefilde der Demut zu befördern. Vielleicht sehnen sie sich auch in die gute alte Zeit zurück, in der bei den Spielen der DFB-Elf zwar nichts weniger zu erwarten war als sehenswerte Ballstafetten, Effizienz im Abschluss und ochsenhafte Sturheit aber dafür sorgten, dass auch spielerisch weit bessere Teams meist nichts zu bestellen hatten.

Welchen Einfluss das ständige Hin und Her in der Presse auf die deutsche Nationalmannschaft hat, ist schwer zu sagen. Positives bewirkt es jedenfalls ganz sicher nicht. Denn das wahre Armutszeugnis des deutschen Fussballs ist nicht die in letzter Zeit wenig erbauliche Chancenauswertung, sondern die Ungeduld nach 16 Jahren ohne Titelgewinn, die sich wechselweise in Übermut und Selbstzerfleischung äussert. Die Schweizer Kicker haben es da besser. Sie haben ihre Anhänger über Jahrzehnte an schmale Kost gewöhnt und bekommen deshalb schon für einen Sieg in Slowenien warmen Applaus.

Heul doch, Ronaldo!

Alexander Kühn am Mittwoch den 5. September 2012
Nicht zufrieden: Cristiano Ronaldo. (Foto: Keystone)

Nicht zufrieden: Real-Spieler Cristiano Ronaldo. (Foto: Keystone)

In Spanien herrscht wegen der Wirtschaftskrise derartige Not, dass ratlose Menschen ihr Land trotz ungewissen Perspektiven mitsamt ihren schulpflichtigen Kindern verlassen, um im Ausland nach Arbeit zu suchen. Insgesamt müssen 4,6 Millionen Einwohner Hilfe vom finanziell klammen Staat erbitten. Und was macht der superprivilegierte Fussballstar Cristiano Ronaldo? Er setzt zum öffentlichen Klagelied an, nachdem er beim 3:0 gegen Granada zwei Tore schoss, diese aber demonstrativ nicht bejubelte. «Ich habe meine Tore nicht gefeiert, weil ich traurig bin. Ich bin traurig und die Leute im Club wissen, warum. Ich weiss nicht, wie lange diese Situation dauern wird, sie hat berufliche Gründe», so Ronaldo.

Nun gibt es Schlimmeres, als jeden Tag über 100’000 Euro zu verdienen, in einem der schönsten Stadien der Welt Fussball zu spielen und mit dem russischen Model Irina Shayk, Ronaldos Freundin, im Pool zu plantschen. Entsprechend gross ist das Unverständnis in Spanien. Carlos Rexach, einst Spieler und Trainer beim FC Barcelona, bemerkte, Ronaldo habe wahrlich keinen Grund zu jammern: «Wenn sich Ronaldo beklagt, dann müssten die Leute auf die Strasse gehen und weinen. Er ist fit, gut gebaut, hat Geld, Erfolg und ist einer der besten Spieler der Welt. Ich weiss nicht, was er noch will. Wenn einer wie er traurig ist, ist das ein Frevel.»

Für Ronaldos Äusserungen gibt es vier mögliche Beweggründe:

1. Er kann nicht damit umgehen, im Schatten von Weltfussballer Lionel Messi und Andrés Iniesta, Europas Spieler des Jahres, zu stehen.

2. Er will mit der Prinzessin-auf-der-Erbse-Show seine ohnehin schon fürstlichen Bezüge weiter in die Höhe treiben.

3. Er fühlt sich innerhalb des Teams zu wenig geliebt und geachtet, weil er nicht die Captainbinde tragen darf.

4. Er ist so selbstverliebt, dass ihm selbst die Wertschätzung anderer dagegen wie Ablehnung vorkommt.

Eines aber ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Ronaldos Situation ist durch sein Gerede von der beruflichen Traurigkeit nicht besser geworden. Während die Spieler des spanischen Nationalteams den Europameistertitel in diesem Sommer dem leidenden Volk widmeten und der Tennisstar Rafael Nadal, Spaniens berühmtester Einzelsportler, ein Muster an Bescheidenheit ist, tritt der Real-Star auf wie eine selbstgerechte Diva. Jene Fans, die ihn nun bei Auswärtsspielen nicht auspfeifen, haben wahrlich menschliche Grösse. Selbst den Anhängern von Real Madrid dürfte es schwerfallen, die Finger nicht an die gespitzen Lippen zu führen, wenn die beleidigte Prinzessin mit der Nummer 7 über den Rasen trabt.

Flüchten kann Ronaldo vor den Pfiffen nicht, ausser in Frankreich findet sich bis heute um Mitternacht noch ein Abnehmer. Das nächste Transferfenster öffnet sich erst in der Winterpause wieder. Und die Milliarde Euro, die angeblich als festgeschriebene Ablösesumme in seinem Vertrag stehen soll, zahlen selbst die Scheichs, die bei Manchester City und Paris St-Germain das Sagen haben, nicht einfach so schnell aus der Portokasse. Wenn ein Spieler diese Summe wert sein sollte, dann Lionel Messi. Ronaldo ist bestenfalls die Nummer 2.

Der beste Ersatzspieler der Bundesliga

Alexander Kühn am Donnerstag den 30. August 2012


Fans und Medien schwärmen nach Xherdan Shaqiris ersten beiden Einsätzen im Trikot des FC Bayern vom unerschrockenen Kraftwürfel aus der Schweiz, und trotzdem ist der teuerste Super-League-Export des Sommers noch nicht mehr als der beste Ersatzspieler der Bundesliga. Weil Franck Ribery seine fiebrige Erkrankung überwunden hat und Shaqiri gegen Fürth zwar starke Szenen in der Offensive hatte, Arjen Robben aber mit neutralem Auge betrachtet besser war, bleibt Heynckes eigentlich nichts anderes übrig, als den Neuen am Sonntag gegen den VfB Stuttgart erst einmal Bekanntschaft mit der Spielerbank in der Allianz Arena schliessen zu lassen. Nicht umsonst bemerkte der Trainer des deutschen Rekordmeisters nach dem 3:0-Sieg in der ersten Meisterschaftsrunde, Shaqiri habe noch viel zu lernen: «Er ist ein Riesentalent, muss sich aber auch erst einmal durchsetzen.» Und die erste Lektion heisst Demut.

Heynckes will tunlichst verhindern, dass der bescheidene und geerdete Shaqiri im Münchner Glamourmilieu doch noch abhebt. Für alle Schweizer Fans, die sich ein Teleclub-Abo geleistet haben, um ihren Liebling Woche für Woche 90 Minuten lang für die Bayern dribbeln zu sehen, ist das ärgerlich, für Shaqiri bedeutet es aber noch nicht viel. Denn kein deutscher Club hat den Begriff «Rotation» so sehr geprägt wie der FC Bayern. Ein Ersatzspieler ist in München kein unnötiger Wurmfortsatz der ersten Elf, sondern eine valable taktische Variante, ein Joker im besten Sinn des Wortes.

«Es ist doch egal, wer draussen sitzt oder wer von Beginn an spielt. Das Wichtigste ist, dass wir in diesem Jahr als Mannschaft auftreten, dann können wir erfolgreich sein. Auch wenn ich in der nächsten Woche von der Bank aus komme, ist mir das relativ egal», sagte Shaqiri der Münchner Zeitung «tz» und zeigte damit, dass er Heynckes’ Lektion in Sachen Demut bereits bestens verstanden hat. Wohin die Reise in der Bundesliga für einen Spieler geht, entscheidet sich nicht in ein paar Begegnungen. Gerade bei den Bayern, die stets langfristig planen, ist der Charakter viel wichtiger.

Tatsächlich war Shaqiri im DFB-Pokal gegen Regensburg als Einwechselspieler einiges stärker als in der Rolle des Fixstarters in der Bundesligapartie gegen Aufsteiger Fürth. Noch ein Argument für Heynckes, den Schweizer Nationalspieler erst einmal auf der Bank zu lassen. Frei nach dem Motto: Manchmal ist es besser, nicht gleich alle starken Waffen in die Schlacht zu werfen. Was Shaqiri für die Rolle des besten Ersatzspielers der Bundesliga prädestiniert, ist seine Fähigkeit, sich blitzschnell auf eine Situation einzustellen. Sein Auftritt in Regensburg untermauert dies ebenso wie seine Ankunft in München überhaupt. Nichts da mit langer Suche nach einem Plätzchen im Konstrukt des FC Bayern. Stattdessen marschiert er von Beginn an selbstbewusst nach vorn.

Über kurz oder lang wird sich Shaqiri auch bei seinem neuen Arbeitgeber unverzichtbar machen – wie zuvor schon in Basel und in Ottmar Hitzfelds Nationalteam. Weil er dribbeln kann, weil er genaue Pässe spielen kann, weil er im richtigen Moment die richtigen Ideen hat – und weil er etwas kann, was selbst beim FC Bayern nicht viele draufhaben: gut getimte Ecken treten.

Vogels Kritiker sollen den Schnabel halten

Alexander Kühn am Samstag den 25. August 2012
Was denn nun? Die Auffassungen über Heiko Vogel haben sich stark verändert – letztlich wegen eines einzigen Spiels.

Was denn nun? Die Auffassungen über Heiko Vogel haben sich stark verändert – letztlich wegen eines einzigen Spiels.

Der Boulevard funktioniert nach einem einfachen Gesetz: Es gibt nur grosse Sieger und kümmerliche Verlierer, dazwischen herrscht Leere. Und wenn sich die Verlierer den Spielregeln nicht fügen und artig ihr Versagen eingestehen, kriegen sie mit den grossen Buchstaben auf die Finger. Das musste in dieser Woche auch Basels Meistermacher Heiko Vogel erfahren. Ihm verlieh der «Blick» den Titel «Meister der Ausreden». Vogel hatte es gewagt, nach dem 1:2 im Hinspiel des Champions-League-Playoffs gegen Cluj in seiner Analyse auf die Belastungen der jüngsten Vergangenheit und die hohen Temperaturen hinzuweisen. «Die afrikanische Hitze kam für uns zum falschen Zeitpunkt. Wir hatten in vier Wochen elf Spiele und ein enormes Pensum abgeliefert», so sein Kommentar.

Der «Blick» bemerkte, einige Fans hätten bei der Übertragung der Pressekonferenz den Kopf geschüttelt, dies sei der Beweis dafür, dass auch sie Vogel für einen Schönredner hielten. Was aber sollen die Anhänger nach einer enttäuschenden Niederlage denn sonst tun? Oder schwenken Sie freudig die Fahne Ihres Clubs, wenn dieser zuvor zwar engagiert gespielt, aber trotz Überlegenheit verloren hat?

Hätte Vogel öffentlich den Stab über seinen Spielern gebrochen, wäre er ein schlechter Trainer und ein noch schlechterer Psychologe. Noch ist die Champions-League-Messe für den FCB nämlich nicht gelesen. Nach dem Hinspiel im St. Jakob-Park ist nicht aller Tage Abend, ja nicht einmal Nachmittag, sondern lediglich Halbzeit. Vogel wird die richtigen Worte finden, aber intern und weder vor laufender Kamera noch vor den Notizblöcken der Zeitungsreporter. Denn wie jeder Fachmann weiss er: Ruhe und Besonnenheit zum richtigen Zeitpunkt können Gold wert sein.

Vogels Feststellung, seine Mannschaft habe 60 Minuten lang hervorragenden Fussball gespielt, trifft überdies zu. Vielleicht war der FCB sogar besser, als man es nach dem Verlust von vier absoluten Leistungsträgern – nämlich David Abraham, Xherdan Shaqiri, Granit Xhaka und Benjamin Huggel – erwarten konnte. Dass die Qualifikation zur Champions League just in die Phase des personellen Umbaus fällt, kann Vogel niemand ernstlich anlasten. Es spricht aber für ihn, dass er die Niederlage nicht auf den personellen Aderlass zurückführte, was ihn aus der Schusslinie gebracht, jedoch die verbliebenen Spieler diskreditiert hätte.

Und was Vogels Rhetorik anbelangt, muss man festhalten: Wäre jeder Spieler oder Trainer im Fussball-Bussiness so eloquent, ehrlich und analytisch begabt wie der Deutsche, gäbe es weit weniger Häme über nichtssagende Interviews rund um den am emotionalsten diskutierten Sport. Deshalb liebe Kritiker: Cool down. Frei nach Mike Müller, der in Michael Steiners wunderbarem neuen Film «Das Missen-Massaker» die aufgebrachten Schönheiten auf einer tropischen Insel zu beruhigen versucht. Womit wir wieder bei der Hitze wären.