
Eine eher erstaunliche Trainerwahl von Bochum: Peter Neururer als Trainer von Hanover 96, November 2005. (AP/Thomas Kienzle)
Dass der VfL Bochum ausgerechnet in Peter Neururer seinen Retter im Kampf gegen den Abstieg aus der 2. Bundesliga sieht, hat etwas Rührendes. Immerhin wartete der 57-Jährige seit dem 29. Oktober 2009 vergeblich auf einen neuen Trainerjob – fast so lange wie Gilbert Gress, der im August jenes Jahres bei Racing Strasbourg in die Weinberge geschickt wurde und nun bis zum Tag des Jüngsten Gerichts im Schweizer Fernsehen Tipps für die Spiele der Champions League abgeben muss.
Neururer auf der Bank eines Proficlubs – das schien bis vor kurzem etwa so wahrscheinlich wie Kim Jong-un im Pentagon. Spätestens seit seinem Herzinfarkt vor zehn Monaten, als er nur knapp dem Tod entging, galt der Mann, der mit Bochum einst in den Uefa-Cup eingezogen war, als kurioses Relikt aus der Vokuhila- und Schnauzbart-Epoche der Bundesliga. Als Neururer im vergangenen Jahr ankündigte, er werde seine Trainerlaufbahn 2013 beenden, sollten ihm nicht Schalke, Köln oder Bochum noch ein Angebot unterbreiten, erntete er nur mitleidiges Lächeln.
Der Niedergang der Bochumer hat dem einstigen Kettenraucher und notorischen Sprücheklopfer («Schweigen ist feige») nun aber doch noch eine neue Chance beschert. Eine Chance, die seiner Karriere endgültig den Garaus machen könnte, sollte er scheitern. Und das ist trotz Neururers Leidenschaft und der Erinnerung an die goldenen Tage, als er vor der Bochumer Fankurve Freudentänze aufführte, mehr als wahrscheinlich. Der VfL hat aus den letzten sechs Partien gerade einmal ein Pünktchen geholt, bei einem Torverhältnis von 1:10. Zuletzt setzte es gegen das bescheidene Team des Tabellenvierzehnten Erzgebirge Aue eine 0:3-Heimniederlage. Dass der Vorletzte Sandhausen in den letzten sechs Runden noch an den Bochumern vorbeizieht, scheint wahrscheinlicher, als dass sie sich den rettenden 15. Rang von Dynamo Dresden zurückholen.
Ebenso kurios wie die Personalie Neururer war die Bekanntgabe seines Engagements. Der VfL Bochum verkündete es, noch ehe die Einigung überhaupt erzielt war. «Das ist ja ganz neu. Eigentlich wollten wir im Laufe des Tages noch einmal miteinander sprechen. Noch sind einige Details zu klären», sagte der Trainer gegenüber der Agentur DPA. Den Kollegen vom SID sagte Neururer dann, er habe keine Hundertstelsekunde gezögert. «Das ist der VfL Bochum! Das ist ein Verein, für den ich in jeder Situation alles tun würde.» Illusionen macht er sich jedoch keine: «Ich habe bekanntlich schon viel gemacht als Trainer, aber das ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe, die ich je hatte», gab er zu Protokoll.
Zweifel an seinem Gesundheitszustand wischt Neururer vom Tisch: «Von dem Herzinfarkt hatte ich mich schon nach vier Wochen erholt. Das Einzige, was ich noch davon merke, ist, dass ich fitter geworden bin. Und ich rauche nicht mehr. Diese Freizeit, die war für mich Stress in den letzten Jahren.» Irgendwie scheint der Job des Fussballtrainers wie eine Droge zu sein. Wer einmal mit ihr in Kontakt gekommen ist, wird immer wieder magisch von ihr angezogen. Fälle wie jener von Neururer sind Paradebeispiele für diesen Umstand. Es sei aussergewöhnlich, sich freiwillig als Feuerwehrmann in Bochum zur Verfügung zu stellen, findet Neururer selbst. Er mache es aber gern und habe ja lange genug auf eine Chance gewartet. Der Fussball ist mehr als eine Passion für ihn und seine Kollegen, er ist eine Sucht.
Der frühere Bundesliga-Profi Hans Sarpei, inzwischen ein verehrter Spassvogel im Internet, quittierte Neururers Inthronisierung in Bochum mit beissendem Spott. «Rafael v.d. Vaart + Sabia Boulahrouz. VfL Bochum + Neururer. Schon verrückt, wie ein paar Sonnenstunden den Menschen die Köpfe verdrehen», twitterte er am gestrigen Montag, der via «Bild» die Nachricht brachte, dass der HSV-Star Van der Vaart nun mit der besten Freundin seiner Frau Sylvie zusammen sei. Die Macher des Fussballmagazins «11 Freunde» stellten die Vorlage für einen Neururer-Soli-Schnäuzer ins Web, und ein Twitterer aus dem Volk äzte: «Ziemlicher Schlag in die Fresse für Lothar Matthäus, wenn Peter Neururer vor dir einen Job in Deutschland bekommt.» Wir sagen trotzdem: Viel Glück, lieber Peter Neururer. Und zwar in der Relegation.