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Ein Schlag in die Kinnlade für Matthäus

Alexander Kühn am Dienstag den 9. April 2013
Peter Neururer als Trainer von Hanover 96, November 2005. (AP/Thomas Kienzle)

Eine eher erstaunliche Trainerwahl von Bochum: Peter Neururer als Trainer von Hanover 96, November 2005. (AP/Thomas Kienzle)

Dass der VfL Bochum ausgerechnet in Peter Neururer seinen Retter im Kampf gegen den Abstieg aus der 2. Bundesliga sieht, hat etwas Rührendes. Immerhin wartete der 57-Jährige seit dem 29. Oktober 2009 vergeblich auf einen neuen Trainerjob – fast so lange wie Gilbert Gress, der im August jenes Jahres bei Racing Strasbourg in die Weinberge geschickt wurde und nun bis zum Tag des Jüngsten Gerichts im Schweizer Fernsehen Tipps für die Spiele der Champions League abgeben muss.

Neururer auf der Bank eines Proficlubs – das schien bis vor kurzem etwa so wahrscheinlich wie Kim Jong-un im Pentagon. Spätestens seit seinem Herzinfarkt vor zehn Monaten, als er nur knapp dem Tod entging, galt der Mann, der mit Bochum einst in den Uefa-Cup eingezogen war, als kurioses Relikt aus der Vokuhila- und Schnauzbart-Epoche der Bundesliga. Als Neururer im vergangenen Jahr ankündigte, er werde seine Trainerlaufbahn 2013 beenden, sollten ihm nicht Schalke, Köln oder Bochum noch ein Angebot unterbreiten, erntete er nur mitleidiges Lächeln.

Der Niedergang der Bochumer hat dem einstigen Kettenraucher und notorischen Sprücheklopfer («Schweigen ist feige») nun aber doch noch eine neue Chance beschert. Eine Chance, die seiner Karriere endgültig den Garaus machen könnte, sollte er scheitern. Und das ist trotz Neururers Leidenschaft und der Erinnerung an die goldenen Tage, als er vor der Bochumer Fankurve Freudentänze aufführte, mehr als wahrscheinlich. Der VfL hat aus den letzten sechs Partien gerade einmal ein Pünktchen geholt, bei einem Torverhältnis von 1:10. Zuletzt setzte es gegen das bescheidene Team des Tabellenvierzehnten Erzgebirge Aue eine 0:3-Heimniederlage. Dass der Vorletzte Sandhausen in den letzten sechs Runden noch an den Bochumern vorbeizieht, scheint wahrscheinlicher, als dass sie sich den rettenden 15. Rang von Dynamo Dresden zurückholen.

Ebenso kurios wie die Personalie Neururer war die Bekanntgabe seines Engagements. Der VfL Bochum verkündete es, noch ehe die Einigung überhaupt erzielt war. «Das ist ja ganz neu. Eigentlich wollten wir im Laufe des Tages noch einmal miteinander sprechen. Noch sind einige Details zu klären», sagte der Trainer gegenüber der Agentur DPA. Den Kollegen vom SID sagte Neururer dann, er habe keine Hundertstelsekunde gezögert. «Das ist der VfL Bochum! Das ist ein Verein, für den ich in jeder Situation alles tun würde.» Illusionen macht er sich jedoch keine: «Ich habe bekanntlich schon viel gemacht als Trainer, aber das ist wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe, die ich je hatte», gab er zu Protokoll.

Zweifel an seinem Gesundheitszustand wischt Neururer vom Tisch: «Von dem Herzinfarkt hatte ich mich schon nach vier Wochen erholt. Das Einzige, was ich noch davon merke, ist, dass ich fitter geworden bin. Und ich rauche nicht mehr. Diese Freizeit, die war für mich Stress in den letzten Jahren.» Irgendwie scheint der Job des Fussballtrainers wie eine Droge zu sein. Wer einmal mit ihr in Kontakt gekommen ist, wird immer wieder magisch von ihr angezogen. Fälle wie jener von Neururer sind Paradebeispiele für diesen Umstand. Es sei aussergewöhnlich, sich freiwillig als Feuerwehrmann in Bochum zur Verfügung zu stellen, findet Neururer selbst. Er mache es aber gern und habe ja lange genug auf eine Chance gewartet. Der Fussball ist mehr als eine Passion für ihn und seine Kollegen, er ist eine Sucht.

Der frühere Bundesliga-Profi Hans Sarpei, inzwischen ein verehrter Spassvogel im Internet, quittierte Neururers Inthronisierung in Bochum mit beissendem Spott. «Rafael v.d. Vaart + Sabia Boulahrouz. VfL Bochum + Neururer. Schon verrückt, wie ein paar Sonnenstunden den Menschen die Köpfe verdrehen», twitterte er am gestrigen Montag, der via «Bild» die Nachricht brachte, dass der HSV-Star Van der Vaart nun mit der besten Freundin seiner Frau Sylvie zusammen sei. Die Macher des Fussballmagazins «11 Freunde» stellten die Vorlage für einen Neururer-Soli-Schnäuzer ins Web, und ein Twitterer aus dem Volk äzte: «Ziemlicher Schlag in die Fresse für Lothar Matthäus, wenn Peter Neururer vor dir einen Job in Deutschland bekommt.» Wir sagen trotzdem: Viel Glück, lieber Peter Neururer. Und zwar in der Relegation.

Basel ist reif für einen internationalen Titel

Alexander Kühn am Freitag den 5. April 2013
Fabian Frei und Gareth Bale kämpfen um den Ball, 4. April 2013. (Keystone/Jean-christoph Bott)

Basel kann die Europa League gewinnen: Fabian Frei (l.) und Gareth Bale kämpfen um den Ball, 4. April 2013. (Keystone/Jean-Christoph Bott)

In diesen Tagen vom «kleinen FC Basel» zu sprechen, ist etwa so angebracht, wie den Frühling 2013 als wonnige Sonnenzeit zu bezeichnen. SRF-Moderator Päddy Kälin tat es gestern in der Halbzeitpause der Europa-League-Partie bei Tottenham trotzdem und erntete vom gewöhnlich recht devoten Experten Andy Egli entschiedenen Widerspruch, was sein Dauergrinsen für einen kurzen Moment erstarren liess. Tatsächlich traten die Basler an der White Hart Lane, wo Inter Mailand in den Achtelfinals mit 0:3 unter die Räder geraten war, derart beeindruckend auf, dass man sich die Frage stellen muss, ob sie gar als erste Schweizer Mannschaft einen europäischen Clubwettbewerb gewinnen können.

Gewiss, der Weg – es wären mit dem Final am 15. Mai in Amsterdam noch vier Partien – ist weit, der FCB verfügt aber über alle Qualitäten, um den grossen Coup zu landen. In der Person von Murat Yakin ist ein hervorragender Trainer ebenso da wie die von Stürmer Marco Streller verkörperte Erfahrung und aussergewöhnlich viel Talent – vor allem auf den Flügeln, wo Mohamed Salah und Valentin Stocker mit Tempo und Ideen brillierten. Die «Sun», Grossbritanniens grösste Boulevardzeitung, befand, Stocker sei für die Spurs-Defensive zu heiss gewesen und Salah habe die Balance einer Ballerina an den Tag gelegt. Der Ägypter war für die «Sun» gar der «Man of the Match», eine Auszeichnung, auf die er sich durchaus etwas einbilden kann. Schlechte Chancenauswertung hin oder her.

Spätestens seit sie in der Gruppenphase der vergangenen Champions-League-Saison das grosse Manchester United aus dem Rennen geworfen haben, glauben die Basler auch fest daran, Taten realisieren zu können, die man anderswo in der Schweizer Fussball-Landschaft gar nicht erst ernsthaft in Angriff nehmen würde. So reagierten sie nach dem 2:2 nicht etwa mit Resignation, sondern starteten neuerliche Angriffe, um den dritten Treffer zu realisieren. Droit au but – geradewegs aufs Tor zu – ist zwar der Wahlspruch von Olympique Marseille, er passt jedoch auch bestens zu diesem erfrischend mutigen FCB des Jahres 2013.

Vor allem aber legen die Spieler von Murat Yakin für den vermeintlichen Verliererwettbewerb Europa League eine Begeisterung an den Tag, die weit über das Commitment der übrigen sieben Viertelfinalisten hinausgeht. Robert Hodges vom britischen TV-Sender Sky Sports brachte es auf den Punkt, als er schrieb, der FCB spiele einen Fussball, der einem ein Lächeln auf das Gesicht zaubere.

Und noch ein Detail lässt die Fussball-Schweiz davon träumen, dass die im Juniorenbereich schon erlebten Titelfreuden auch bei den Grossen für eine helvetische Equipe möglich sind: Der FC Basel kann es sich erlauben, den Grossteil seiner Kräfte für die Europa League zu bündeln. Anders als Tottenham, das vor allem Rang 3 in der Premier League und den damit verbundenen fixen Champions-League-Startplatz erreichen will, oder Chelsea das derzeit auf Rang 4 liegt, dürften die Basler ihr Ziel in der heimischen Meisterschaft ohnehin erreichen.

Die faulen Eier der Super League

Alexander Kühn am Donnerstag den 28. März 2013

Pünktlich zu Osterfest verteilen wir faule Eier an die drei Super-League-Clubs, die im Lauf dieser Saison das grösste Schmierentheater geboten haben.

Helm ab: Der damalige FCL-Präsident Walter Stierli (l.) und Swisspor-Patron Bernhard Alpstäg stellen das neue Stadion vor. (Keystone, 12. Dezember 2008)

Helm ab: Der damalige FCL-Präsident Walter Stierli (l.) und Swisspor-Patron Bernhard Alpstäg stellen das neue Stadion vor. (Keystone, 12. Dezember 2008)

1. FC Luzern
In der offiziellen Tabelle der Super League rangiert der FC Luzern nur auf Position 9. Doch punkto Unterhaltungswert sind die Innerschweizer die Nummer 1 im Land. Und das will etwas heissen, wenn man in der gleichen Liga wie Christian Constantins FC Sion (siehe unten) spielt. Dass der FCL die Sittener überflügeln konnte, hat er vor allem seinem Grossaktionär Bernhard Alpstäg zu verdanken. Alpstäg, der als Geschäftsmann überaus erfolgreich ist und mit seiner Firmengruppe einen Jahresumsatz von einer Milliarde Franken macht, redet im Zusammenhang mit dem Club seines Herzens mehr Blech als Statler und Waldorf in sämtlichen Folgen der Muppet Show zusammen. Der Swisspor-Chef , selbst Träger einer Dreiviertelglatze, war sich noch nicht einmal zu schade dafür, in der Boulevardpresse über die Heilandsfrisur des entlassenen FCL-Sportchefs Heinz Hermann herzuziehen. Das nächste Opfer des Innerschweizer Baustoff-Potentaten wird Trainer Ryszard Komornicki sein. Und böse Zungen könnten behaupten, Alpstäg habe bald zwei Vögel. Einen irgendwo in der Fussball-Abteilung seines Hirns und einen, der Heiko zum Vornamen heisst und Komornicki als FCL-Chefcoach ablösen soll. Quasi als Backups für den Fall, dass Alpstäg einmal stillhalten sollte, hat der FC Luzern noch seinen Ex-Präsidenten Walter Stierli, der als Aktionär weiter für Wirbel sorgt und unter anderem den von ihm geholten Hermann wie eine heisse Kartoffel fallen liess, oder das ausgehfreudige Spielerduo Xavier Hochstrasser/Stephan Andrist, dessen Sauftour dem «Blick» eine knackiges Skandalgeschichtchen bescherte. Und natürlich sind wir gespannt, wie es in Luzern weitergeht, wenn Alex Frei erst einmal seinen Posten als Sportdirektor angetreten hat.
Wir verteilen neun von zehn möglichen faulen Ostereiern.

Hand in Hand: Sion-Präsident Christian Constantin (r.) begrüsst Milan-Altstar Gennaro Gattuso im Wallis. (Keystone, 15. Juni 2012)

Hand in Hand: Sion-Präsident Christian Constantin (r.) begrüsst Milan-Altstar Gennaro Gattuso im Wallis. (Keystone, 15. Juni 2012)

2. FC Sion
Christian Constantin kann sich zurzeit noch so strecken, an seinen Luzerner Konkurrenten Alpstäg kommt er nicht heran. Da hilft es auch nichts, dass er die Trainer Sébastien Fournier, Michel Decastel, Pierre-André Schürmann und Víctor Muñoz zerschlissen hat, um Weltmeister Gennaro Gattuso als Spielertrainer zu inthronisieren. Jenen Gattuso, der zu Beginn des Jahres den Machtkampf gegen den freizüngigen Goalietrainer Stephan Lehmann gewann und erreichte, dass Constantin den früheren Nationalkeeper, den er selbst gewollt hatte, in die Wüste schickte. Lehmann habe dauernd gemeckert und sei nie positiv gewesen, teilte Gattuso dem Präsidenten mit. Wenn Constantin, der Sion im letzten Jahr einen 36-Punkte-Abzug wegen Missachtung der Fifa-Transfersperre einbrockte, so viel auf Gattusos Meinung hält, wie er stets versichert, hätte er sich gleich auch noch selbst entlassen können – die Kritikpunkte «meckert dauernd» und «ist nie positiv» treffen auf ihn jedenfalls voll zu. Auch wenn Constantin versicherte, den streitbaren Gattuso werde er nie rasieren, als sich Diego Maradona im Wallis (angeblich) als Chefcoach anbot, dürfte die sportliche Ehe zwischen den beiden Charakterköpfen in absehbarer Zeit in die Brüche gehen. Constantin schwärmte schon von anderen Trainern in den höchsten Tönen. Wir schlagen ihm schon einmal Lothar Matthäus, Boris Becker, Kliby und Caroline oder Christian Gross als mögliche Nachfolger vor.
Dazu verteilen wir acht von zehn möglichen faulen Eiern.

Rund lief nur die Treppe: FCZ-Präsident Ancillo Canepa vor seinem damals neuen Trainer Rolf Fringer. (Keystone, 30. März 2012)

Rund lief nur die Treppe: FCZ-Präsident Ancillo Canepa vor seinem damals neuen Trainer Rolf Fringer. (Keystone, 30. März 2012)

3. FC Zürich
Keiner kann FCZ-Präsident Ancillo Canepa vorwerfen, dass er sich nicht ins Zeug gelegt hätte, um seinem Verein Platz 1 in dieser Hitliste zu bescheren. Und trotzdem springt für die Zürcher nur der dritte Rang heraus. Der Entscheid, Urs Meier zum Cheftrainer zu befördern, war einfach zu richtig, um es mit Luzern und Sion aufzunehmen. Den Podestplatz hat sich der FCZ aber redlich verdient. Schon allein wegen des Zwists zwischen Canepa und dem unschön geschassten Meier-Vorgänger Rolf Fringer. Canepa, selbst auch kein Mann der leisen Töne, ereiferte sich leidenschaftlich darüber, dass der frühere Nationalcoach am TV kurz nach einer Partie gesagt hatte, dass ihm seine Zukunft eigentlich egal sei. Und er schlug über den Kopf des inzwischen zu den Young Boys abgewanderten Sportchefs Fredy Bickel dem Verwaltungsrat vor, Fringer zu entlassen. Die Entlassung des Cheftrainers war dann praktisch auch das Ende der Zusammenarbeit mit Bickel. Eine solche Respektlosigkeit konnte sich der Mann, der einst den Erfolg zum FCZ zurückgebracht hatte, nicht gefallen lassen. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass Canepa bisweilen so unbedacht agiert wie der Spieler Loris Benito anlässlich der Partie in Thun, als er den Marder, der aufs Feld gekommen war, mit blossen Händen fing und sich prompt eine ordentliche Bisswunde einhandelte. Beissen werden Canepa weder Bickel noch Fringer. Dafür könnte man aus dem Friedensrichter-Termin mit dem Präsidenten und dem Ex-Trainer eine hübsche FCZ-TV-Folge machen. Punkto Medienarbeit hinkt der FC Zürich inzwischen deutlich hinter den auch sportlich erfolgreicheren Grasshoppers her.
Deren Medienchef Adrian Fetscherin überreichen wir an dieser Stelle einen imaginären Schoggihasen, dem FCZ sieben von zehn möglichen faulen Eiern und noch ein halbes für die Petardenzündler in der Südkurve.

Gebt den Bayern den Pokal schon jetzt!

Alexander Kühn am Mittwoch den 13. März 2013
Die Feier könnte man eigentlich vorziehen: Ein Bild aus vergangenen Tagen. Am 23. Mai 2001 stemmt Oliver Kahn für die Bayern den Champions League Pokal im San Siro. (AP/Luca Bruno)

Diese Feier könnte man eigentlich vorziehen: Ein Bild aus vergangenen Tagen. Am 23. Mai 2001 stemmt Oliver Kahn für die Bayern den Champions League Pokal im San Siro in Mailand. (AP/Luca Bruno)

Der Fussball in Europa ist nicht nur in sportlicher Hinsicht Spitze, sondern auch in Sachen Schulden. Mit rund 20 Milliarden Euro stehen die Vereine zwischen Portugal und Russland in der Kreide, und jedes Jahr überweisen sie ihren Spielern eine Lohnsumme von etwa neun Milliarden Euro. Der Glanz der grossen Clubs ist ein Glanz auf Pump – wie bei Real Madrid oder dem FC Barcelona, die zusammen Schulden von fast einer Milliarde Euro haben sollen. Oder ein Glanz von Scheichs Gnaden – wie bei Paris St-Germain und Manchester City, die am finanziellen Tropf steinreicher Investoren aus dem Nahen Osten hängen. Deshalb sollte der FC Bayern heute Abend eigentlich gar nicht erst zum Achtelfinal-Rückspiel gegen den mit über 400 Millionen Euro verschuldeten FC Arsenal antreten, sondern direkt in die Uefa-Zentrale fahren, um den Champions-League-Pokal in Empfang zu nehmen. Die Bayern sind unter Europas Giganten der einzige Verein, dessen Bankkonto keinem Buchhalter dieser Welt schlaflose Nächte bereiten würde. Sie sind das einzige weisse in einer Herde schwarzer Schafe – oder anders gesagt der einzige Dumme unter zahlreichen Tricksern und Bilanzjongleuren.

Darum ist es an der Zeit, dass die Grossclubs dem Milliardenirrsinn abschwören und sich darauf besinnen, dass sich die Spirale nicht ins Endlose drehen kann. Erst recht unter dem Gesichtspunkt, dass 2015 endlich das eigentlich schon für die kommende Saison geplante Financial Fairplay der Uefa greifen wird. Die Vereine müssen dann zum Jahresende mindestens eine schwarze Null vorweisen können, allfällige Verluste dürfen zwar noch von privaten Investoren ausgeglichen werden, allerdings nur bis zu einer Summe von 45 Millionen Euro. Dieser Betrag soll bis 2018 sukzessive auf null gesenkt werden. Damit das Financial Fairplay funktionieren kann, braucht es aber nicht nur den Willen zum Sparen, den die AC Milan schon unter Beweis stellte, als sie Zlatan Ibrahimovic zu Paris St-Germain ziehen liess, sondern auch Transparenz. Die Spielergehälter dürfen nicht mehr das Objekt ehrfürchtiger Spekulationen sein. Zumindest das Gehaltsgefüge eines Clubs sollte für jedermann einsehbar sein.

Die Vorreiterrolle hat diesbezüglich der bescheidene tschechische Erstligist FK Teplice inne, der zu Beginn dieses Monats die Saläre seiner Spieler zwar nicht exakt offenlegte, wie dies im Fall des Schweizer Bundesligaprofis Eren Derdiyok bei 1899 Hoffenheim durch eine Indiskretion geschah, wohl aber die verschiedenen Lohnlevels und die Prämienregelung bekannt gab. Je offener kommuniziert wird, desto eher kann auch die Vernunft wieder Einzug halten. Und die Erkenntnis, dass zwischen Geld und Erfolg zwar eine Verbindung besteht, sich mit geringeren Mitteln mit klugem Handeln aber mehr erreichen lässt als mit der Kombination aus blindem Aktivismus und finanzieller Zügellosigkeit. Als Negativbeispiel sei hier der Bundesligist VfL Wolfsburg erwähnt, der hinter den Bayern die höchsten Lohnkosten des deutschen Oberhauses verursacht, mit dem internationalen Geschäft aber etwa so viel zu tun hat wie ein georgischer Bergbauer mit der New York Fashion Week.

Das Financial Fairplay dürfte auch die Transfersummen wieder auf ein erträgliches Niveau senken. Darf der Verlust 2015/16 selbst dann nicht mehr als 45 Millionen Euro betragen, wenn man den reichsten Geldgeber der Welt in seinem Rücken weiss, verbieten sich irrwitzige Experimente von selbst. Um zu erkennen, wie viel Geld sich mit Transfers verlieren lässt, muss man nur die Top 10 der Transververluste betrachten. Sie präsentiert sich wie folgt:

  1. Zlatan Ibrahimović (2011 vom FC Barcelona zur AC Milan, 2011) 45,5 Millionen Euro.
  2. Dimitar Berbatov (2012 von Manchester United zu Fulham) 33 Millionen Euro.
  3. Robinho (2010 von Manchester City zur AC Milan) 25 Millionen Euro.
  4. José Antonio Reyes (2007 von Arsenal zu Atlético Madrid) 23 Millionen Euro.
  5. Antonio Cassano (2006 von der AS Roma zu Real Madrid) 23 Millionen Euro.
  6. Emmanuel Adebayor (2012 von Manchester City zu Tottenham) 22,6 Millionen Euro.
  7. Amauri (2012 von Juventus zur AC Fiorentina) 22,3 Millionen Euro.
  8. Ricardo Carvalho (2010 vom FC Chelsea zu Real Madrid) 22 Millionen Euro.
  9. Ronaldinho (2011 von der AC Milan zu Flamengo Rio de Janeiro) 22 Millionen Euro.
  10. Joaquín (2011 vom FC Valencia zu Málaga) 20,8 Millionen Euro.

Natürlich könnte man sagen, dass es die Sache der Vereine ist, wie viel von ihrem gepumpten oder geschenkten Geld sie an ihre Spieler überweisen. Tatsächlich ist es aber so, dass ein nicht geringer Teil der finanziellen Mittel aus der öffentlichen Hand stammt. Besonders einfach lässt sich dies anhand der wirtschaftlich noch gesündesten Spitzenliga, der deutschen Bundesliga, illustrieren. Rund 300 Millionen Euro zahlen die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF jedes Jahr an TV-Gebühren, dazu kommen rund 100 Millionen Euro für die immer aufwändigeren Polizeieinsätze rund um Fussballspiele. Von einem privaten Wirtschaftskreislauf kann also keineswegs die Rede sein. Im ökonomisch schwer gebeutelten Spanien sind die Zustände noch grotesker. Dort gibt es Überlegungen, den Fussballvereinen Steuerschulden in Höhe von 800 Millionen Euro zu erlassen. Wenn nun Wirtschaftshilfe von Deutschland nach Spanien fliesst, kommt der deutsche Steuerzahler letztlich für die Gehälter der Stars der Primera Division auf, sollte dieser Plan tatsächlich realisiert werden.

Danke für die Repressiönchen

Alexander Kühn am Freitag den 8. März 2013

Stellen Sie sich vor, Sie möchten ein FCZ-Spiel gerne mal von der Südkurve aus verfolgen. Und weil Sie zufällig mit ein paar Fans, die bereits einmal auffällig wurden, das Stadiontor passieren wollen, könnte man Sie mit Verweis auf einen konkreten Verdacht gemäss dem verschärften Hooligan-Konkordat einer Leibesvisitation unterziehen. Das wäre ganz schön mühsam oder? Auch wenn sich Zürich dafür eingesetzt hat, dass private Sicherheitsdienste nur über den Kleidern abtasten dürfen, während die Polizei auch darunter nachprüfen darf.

Stellen Sie sich zweitens vor, Ihr 18-jähriger Sohn liesse sich im Stadion zu einem Fackelwurf hinreissen und müsste sich nun an Spieltagen nicht nur drei Jahre lang einem Rayonverbot unterwerfen, sondern sich auch noch bei der Polizei seines Wohnorts melden. Das wäre dann mehr als mühsam, sondern würde Sie irgendwie an einen Polizeistaat erinnern. Und trotzdem ist dies ein mögliches Szenario, wenn das Hooligan-Konkordat kommt.

Sind Sie jetzt irgendwie sauer auf die Politiker und Juristen, die sich das alles ausgedacht haben? Finden Sie, das geht doch alles eindeutig zu weit? Dann überlegen Sie einmal, wem Sie es letztlich zu verdanken haben, dass sich der Staat genötigt fühlt, eine härtere Gangart einzulegen. Schuld sind jene Fans, die sich partout nicht benehmen können. Jene Fans, die verbotene Pyrotechnik zünden, sich in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt fühlen, wenn Sie das nicht tun dürfen, und Streit anzetteln, wenn sie am Eingang darauf aufmerksam gemacht werden, dass Feuerwerk im Stadion nichts zu suchen hat.

Stellen Sie sich einmal vor, ein Anhänger von Rafael Nadal würde während des French-Open-Finals gegen Roger Federer eine Petarde zünden oder gar aufs Feld werfen. Da würden Sie fluchen wie ein Rohrspatz. Aber wenn einer das im Fussballstadion tut, dann finden Sie das nicht so schlimm. Gehört ja zur Fankultur, gabs ja schon immer.

Damit sind wir beim Kern der Problematik angelangt. Bei den Clubs, die sich scheuen, eine konsequente Fanarbeit aufzuziehen und bei den Zuschauern in den Kurven, die selbst zwar keine Gewaltakte oder Zündeleien ausführen, solches Fehlverhalten aber tolerieren, verharmlosen und vielleicht sogar ein wenig bewundern. Frei nach dem Motto: Hei, der starke Anführer hat es den gegnerischen Fans aber gezeigt, als er sie angepöbelt, am Kragen gepackt, mit einem Raketchen beschossen oder in den Hintern getreten hat! Und Verrat wäre dann das Allerletzte. Man ist ja schliesslich eine Einheit und steht zusammen. Einer für alle, alle für einen …

Natürlich gibt es juristische Überlegungen, die gegen das vom Kanton sowie den Städten Zürich, Winterthur und Kloten befürwortete Hooligan-Konkordat sprechen. Trotzdem wäre es durchaus keine Katastrophe, wenn die Bestimmungen in Kraft treten würden und die Fans jene Suppe auslöffeln müssten, die sie sich selbst eingebrockt haben. Durch Toleranz an der falschen Stelle oder gedankenloses Fehlverhalten. Die Befürworter des Hooligan-Konkordats sind keine Hardliner, der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr ist sogar ein erklärter Fussballfreund. Und wenn Fehr sagt, die Bestimmungen würden auf jeden Fall pragmatisch und mit Augenmass umgesetzt werden, darf man ihm das ruhig glauben. Ob Zürich und Basel tatsächlich zu Pilgerorten für Hooligans würden, wenn das Konkordat gekippt wird, sei dahingestellt.

Und noch etwas: Das gern angeführte Beispiel, dass ein Zürcher Fan des FC Basel erst nach Basel, dann mit dem Fanzug zurück nach Zürich und schliesslich unter Polizeibegleitung in den Letzigrund fahren müsste, um den Klassiker FCZ – FCB im Gästeblock zu verfolgen, ist Unsinn. Es werde ganz einfach einen separaten Eingangspunkt geben, wenn das Hooligan-Konkordat greift. Dort wird freilich mit schärferen Kontrollen zu rechnen sein. Aber ist das so schlimm, verdient das die Bezeichnung Repression? Ich selbst hatte vor Jahren bei einem Spiel des FCZ in St. Gallen einmal das Vergnügen, zur Inspektion in ein Kabäuschen vor dem Stadion gebeten zu werden. Ich habe mich natürlich auch geärgert, doch die folgenden Treffer gegen mein Team haben weit mehr geschmerzt.

Vom FCZ zu GC: Geständnis eines Konvertiten

Alexander Kühn am Donnerstag den 28. Februar 2013

Jahrelang hätte ich mir lieber alle zehn Fingernägel ausreissen lassen, als den Cup-Halbfinal zwischen den Grasshoppers und dem FC Zürich vom 3. März 2004 (6:5 nach Verlängerung) noch einmal anzusehen. Sie erinnern sich: Der FCZ, damals noch der liebenswerte Kleine im Zürcher Fussball, führte gegen den beleidigend erfolgreichen Rekordmeister im Hardturm bis in die Schlussphase der regulären Spielzeit mit 5:2. Obwohl mit Urs Meier ein Referee im Einsatz stand, den wir FCZ-Anhänger für einen verkappten GC-Fan hielten. Und obwohl Meier César nach dessen Treffer zum 5:2 wegen übertriebenen Torjubels mit Gelb-Rot unter die Dusche geschickt hatte.

Ich und meine Freunde, die den Hardturm gewöhnlich etwa so gern betraten wie eine Katze die Tierkadaver-Verbrennungsanlage, fühlten uns rundum wohl. Mit unseren Nokia-8310-Handys verschickten wir schon hämische Kurznachrichten an die Kollegen im GC-Block, spotteten über die seltsame Frisur von GC-Stürmer Mladen Petric (Zöpfchen!) und träumten vom Ende der sich zuverlässig wiederholenden Derby-Demütigungen. Dann aber schlug das Schicksal erbarmungslos zurück: In der 83. Minute gelang Eduardo mit einem Volley das 3:5, in der 89. Minute per Kopf das 4:5. Und in der 92. Minute – Meier liess vier Minuten nachspielen – schoss Petric trotz Zöpfchen per Abstauber das 5:5. Nun gingen auf unseren Handys die Spott-SMS ein, und mir schwante in meinem dunkelblauen Yasar-Trikot mit dem vom Tumbler lädierten Green.ch-Aufdruck schon, dass es auch diesmal nichts mit dem Triumph werden würde.

(Keystone/Walter Bieri)

GC-Spieler Richard Nuñez erzielt das 6:5 gegen den FCZ, 3. März 2004. (Keystone/Walter Bieri)

Die Verlängerung erlebte ich in einem emotionalen Koma, über Richard Nuñez’ Heber zum 6:5 für GC konnte ich mich nicht einmal mehr richtig aufregen. Mit einem vollen SMS-Speicher schlich ich nach dem Schlusspfiff Richtung Tramstation, trat auf dem Weg gegen den Reifen eines Autos und prellte mir luxuriös den Fuss. Aber das war nun auch egal. Genauso egal wie die drei Tore von Daniel Gygax und der vom zwölften GC-Mann Meier unterschlagene Penalty. Beim Thema Zürcher Fussball konnte ich erst wieder lachen, als GC am 12. April den Cupfinal gegen den FC Wil mit 2:3 verlor.

Und jetzt kommt das Geständnis: Wenn GC und der FCZ am 17. April 2013 wieder einen Cup-Halbfinal bestreiten, drücke ich den Grasshoppers die Daumen. Denn was der FCZ mir seit dem Ende der Ära von Sven Hotz angetan hat, ist noch schlimmer als die eingangs beschriebene Cup-Niederlage. Mit dem Amtsantritt von Präsident Ancillo Canepa und dem zur Schau getragenen Anspruch, neben dem FC Basel die einzige ernstzunehmende Kraft im Schweizer Fussball zu sein, verblasste meine Liebe zum Stadtclub sukzessive. Eine Liebe, die zuvor schon durch den penetranten Selbstbeweihräucherungsdrang der FCZ-Fanszene gelitten hatte und im Januar 2010 mit der Verpflichtung des teuren und mir wenig sympathischen Bundesliga-Restpostens Ludovic Magnin auch formal endete.

Trotz der schönen Erinnerungen an grosse FCZ-Figuren wie den Jahrhundertgoalie Ike Shorunmu, die Trainer Gilbert Gress und Lucien Favre, den georgischen Bierdeckeldribbler Gotcha Jamarauli, den in der Schlussphase bedingungslos nach vorne stürmenden Fredy Chassot und den auch tänzerisch überzeugenden Jahrhundertpatron Sven Hotz gelang es mir nie mehr, tiefer gehende Sympathien für den FCZ zu entwickeln. Das Selbstverständnis des Clubs ist mir zu grosskotzig geworden, die Fans zu sehr von der kulturellen Bedeutung ihres Treibens überzeugt. Und wenn ich dann noch an die unsägliche Phase der Irokesenfrisuren zurückdenke, dann tut es mir richtig leid um den alten FCZ, der wie der aktuelle keinen Erfolg hatte, dies aber auf eine sympathische Art. Es war so wunderbar rührend, mit welchen taktischen Verzweiflungstaten Raimondo Ponte und Gilbert Gress einst längst verlorene Spiel noch zu wenden versuchten und die treuen Fans (sie feierten noch ihre Mannschaft und nicht sich selbst) auch noch an diese illusionären Pläne glaubten.

Doch wie gesagt, nun bin ich ein Zürcher Fussball-Konvertit. Einer, der fast zehn Jahre lang eine Saisonkarte für die Osttribüne im alten Letzigrund besass (damals wurden die Tickets beim Betreten des Stadions noch mit der Zange gelocht) und konstatieren muss, dass der FCZ ausser dem Erfolg heute all das verkörpert, was einst an GC so befremdete. Einer, der nicht anders kann, als sich zu freuen, wenn das lange verspottete GC wieder ganz oben mitspielt. Einer, der noch ein altes FCZ-Trikot mit einer Widmung von Monsieur Gress im Schrank hat, und hofft, dass er es wieder einmal mit Stolz anziehen kann, wenn der ganze Coolness- und Wichtigkeits-Spuk um den einst sympathischsten Verein Europas zu Ende ist.

Warum ich Freundschaftsspiele hasse

Alexander Kühn am Dienstag den 29. Januar 2013

Liebe Leserinnen und Leser

Als erstes eine traurige Nachricht: Birgit Schönau beendet ihre Zeit als Steilpass-Bloggerin bereits wieder. Der Wahlkampf in Italien nimmt sie leider voll in Beschlag. Kurz: Berlusconi ist schuld! Wir danken ihr für ihren Einsatz und wünschen alles Gute.

Hier im Steilpass geht es mit einer kleinen Serie weiter. Unter dem Motto «Was ich zum Thema Fussball schon lange loswerden wollte» schreiben verschiedene Autorinnen und Autoren über das, was sie an der populärsten Sportart der Welt stört – oder fasziniert. Den Anfang macht Steilpassblogger Alexander Kühn.

Viel Spass!

Die Redaktion

Marco Reus gegen Mario Mutsch. (Keystone/Steffen Schmidt)

Freundschaftspiele haben wenig Aussagekraft und sind daher für die Katz: Dortmund-Spieler Marco Reus schaut während eines Freundschaftsspiels zu, wie der St. Galler Mario Mutsch dribbelt, AFG-Arena im Juli 2012. (Keystone/Steffen Schmidt)

Freundschaftsspiele sind das Allerletzte im Fussballzirkus. Schlimmer noch als die auf dem Elektrogrill malträtierte Letzigrund-Bratwurst, Pauseninterviews bei den Live-Übertragungen des Schweizer Fernsehens oder das potthässliche gelb-orange Auswärtstrikot des FC Barcelona. Nie wird einem dies deutlicher bewusst als in der Winterpause, wenn sich Club X mit Club Y irgendwo in der Südtürkei auf dem Fussballplatz eines All-inclusive-Resorts duelliert und die Presseverantwortlichen auf den Vereinswebsites auch noch ellenlange Abhandlungen über das bedeutungslose Ballgeschiebe verfassen.

Meine Vorliebe für den notorischen Verliererclub Dynamo Dresden – das haben meine Freunde schon länger festgestellt – ist eines vernünftigen Menschen eigentlich nicht mehr würdig. Und es stimmt sogar, dass ich als Kind aus Wut über Gegentore jeweils Orangen an die Wohnzimmerwand geworfen habe. (Heute beisse ich gelegentlich in die Fernbedienung, wenn es wie so oft entgegen meinen Vorstellungen läuft.) Trotz dieses Fanatismus interessieren mich selbst die Freundschaftsspiele von Dynamo nicht die Bohne.

Wenn ich jeweils am Morgen hoffnungsvoll die Website öffne, um von einem spektakulären Transfer zu erfahren (als sensationell würde ich schon einen abgehalfterten Bundesliga-Star bezeichnen), grinsen mich ständig nur die Meldungen über Trainingsspielchen gegen FK Aqtöbe (wahrscheinlich aus Kasachstan, ich habe zum Nachschauen aber keine Lust) oder den SV Horn (aus Österreich und dann auch noch zweite Spielklasse) an.

Selbst wenn es Real Madrid wäre, würde ich den Freundschaftsspiel-Kram nicht beachten. Solche Partien sind nicht nur bedeutungslos, sondern auch noch ohne jede Aussagekraft. Einmal – als Dynamo im Sommer gegen West Ham United 3:0 gewann – liess ich mich ein wenig von der Euphorie des vollen Stadions anstecken, sah mir Videos an, las den Matchbericht und träumte schon von der 1. Bundesliga. Heute, wo Dynamo auf Rang 16 steht und seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gewonnen hat, weiss ich, was der Zauber wert war. Darum eine Warnung an die Fans des FC Zürich: Dass eure Mannschaft ein Testspiel gegen Partizan Belgrad 2:1 gewonnen hat, muss noch lange nicht heissen, dass sie in der Rückrunde weniger erbärmlich spielen wird als vor der Winterpause.

Und es soll sich bei mir ja keiner über irgendwelche Wettskandale beschweren. Diese ganzen Freundschaftsspiele, die zwar keine (ehrliche) Sau interessieren, auf deren Ausgang man aber dennoch hohe Summen setzen kann, sind doch eine regelrechte Steilvorlage für Betrügereien.

Dann kann Guardiola ja gleich zu Real

Alexander Kühn am Samstag den 12. Januar 2013
Josep Guardiola. (Foto: Keystone/Daniel Dal Zennaro)

Josep Guardiola während des Champions-League-Viertelfinals Milan-Barcelona. (Foto: Keystone/Daniel Dal Zennaro)

78 Millionen Franken würden eine 1809,6 Kilometer lange Kette aus Einfrankenstücken ergeben. Zugegeben, ein etwas merkwürdiger Einstieg in einen Fussball-Blog. Aber er illustriert recht gut, wie enorm die Summe ist, die Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch gemäss britischen Medien für eine dreijährige Zusammenarbeit mit Josep Guardiola auf den Tisch legen will. Guardiola, der sich nach zwei Champions-League-Siegen und drei Meistertiteln mit dem FC Barcelona im vergangenen Sommer eine Auszeit nahm, plant für die kommende Saison seine Rückkehr ins Trainerbusiness. Und natürlich kommt nur ein Verein infrage, bei dem er mit der ganz grossen Kelle anrichten kann.

Mit der ganz grossen Kelle anzurichten, war bei Chelsea seit Abramowitschs Amtsantritt noch nie ein Problem. Dennoch und trotz der Tatsache, dass die meisten Kenner der Szene die Stamford Bridge als wahrscheinlichste Destination für Guardiola ansehen, passen der Zeremonienmeister der Fussballkunst und der neureiche Londoner Verein nach menschlichem Ermessen nicht zusammen. Guardiola steht für das fundierte Ausbildungskonzept des FC Barcelona und den Verzicht auf blinde Kaufwut, Chelsea-Boss Abramowitsch gehört dagegen zu den Erzengeln des Scheckbuch-Evangeliums im europäischen Spitzenfussball und hat grossen Anteil daran, dass sich die Ablösesummen für Topspieler inzwischen in ausserirdischen Sphären bewegen.

Darüber hinaus ist klar, dass selbst Guardiola mit Chelsea, das bis Sommer von Rafael Benitez betreut wird, nicht auf Anhieb Erfolg haben kann. Die Leistungsträger der Blues sind über ihren Zenit hinaus, der Umbau lässt sich auch mit allem Geld der Welt nicht innert jener Frist bewerkstelligen, die Leuten wie Abramowitsch gewöhnlich vorschwebt. Darum die Frage: Würde es der allmächtige Milliardär schaffen, seinen Mund zu halten, wenn die Ergebnisse ausbleiben? Man darf es zumindest bezweifeln. Wenn Abramowitsch wirklichen Guardiola-Fussball sehen will, muss er dem Messias sogar mehr als drei Jahre geben, damit dieser seine Visionen umsetzen kann.

Es wäre ein völliger Philosophiewandel nötig, um aus Chelsea, das sich seinen Champions-League-Triumph 2012 ermauerte und erkämpfte, eine englische Ausgabe des FC Barcelona zu machen. Will sich Guardiola diese Herkulesaufgabe wirklich antun? Und das in einem Land, in dem er noch nie zuvor gearbeitet hat, dessen Medien aggressiver sind als irgendwo sonst auf der Welt? Wäre es nicht besser, wenn er gleich die für eine Barça-Symbolfigur eigentlich völlig undenkbare Aufgabe angehen und den bei Real Madrid zunehmend unzufriedenen José Mourinho beerben würde? Dann könnte er wenigstens in seinem Heimatland bleiben und hätte erst noch besser Spieler zur Verfügung als bei Chelsea.

Zwischen Tschernobyl und Champions League

Alexander Kühn am Mittwoch den 7. November 2012
Blaues Wunder in der Königsklasse: BATE Borissow ärgert mit einem Etat von 8 Millionen Dollar die Grossen Europas.

Blaues Wunder in der Königsklasse: BATE Borissow ärgert mit einem Etat von 8 Millionen Dollar die Grossen Europas.

Weissrussland als gelobtes Land zu bezeichnen, wäre ein wenig gar zynisch. Die frühere Sowjetrepublik leidet gleichermassen unter ihrem autokratischen Staatschef Alexander Lukaschenko wie unter den Spätfolgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Fussballerisch bietet die letzte Diktatur Europas aber ein erstaunliches Beispiel dafür, dass man auch ohne das ganz grosse Geld den ganz Grossen auf die Füsse treten kann: BATE Borissow.

Das Champions-League-Überraschungsteam, das seinen Namen einer Fabrik für Auto- und Traktorelektronik verdankt und die Meisterschafts-Heimspiele in einem Stadion für lediglich 5402 Zuschauer austrägt, ist das Fussballprojekt mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis in Europa. Ein Anti-Red-Bull-Salzburg sozusagen. In der laufenden Saison schaffte es BATE sogar, den grossen Bayern eine Niederlage beizubringen. Mit einem Etat, der bei Real Madrid wohl gerade für die Deckung des Haargelbedarfs der ersten Mannschaft reichen würde. Er soll bei 8 Millionen Dollar liegen.

Obwohl es für Borissow in der Partie nach dem 3:1-Triumph über die Bayern eine 0:3-Niederlage gegen den FC Valencia setzte, befinden sich die Weissrussen vor der heutigen Revanche gegen die Spanier noch immer auf Kurs Richtung Achtelfinals. Der Vorstoss unter die besten sechzehn Europas wäre ein weiterer Meilenstein für BATE-Präsident Anatoli Kapski. Der Chef des gleichnamigen Unternehmens führt den Verein mit ebenso strenger Hand wie Lukaschenko sein Land, allerdings mit weitaus besseren Ergebnissen. Mitte der Neunziger Jahre übernahm er den heutigen Favoritenschreck als Zweitligisten; mit zäher Energie sowie einem gut strukturierten Nachwuchssystem, einer langfristigen Ausrichtung und dem Anspruch, kostendeckend zu arbeiten, formte er ein kleines Fussball-Wunderland.

Er spielte schon beim FC Barcelona: Alexander Hleb ist der Star im Team der Unbekannten.

Er spielte schon beim FC Barcelona: Alexander Hleb ist der Star im Team der Unbekannten.

Betrachtet man den Kader von BATE Borissow, fällt auf, dass mit dem Brasilianer Maycon, dem Serben Marko Simic und dem Armenier Zaven Badoyan lediglich drei Ausländer zum Kader des erst 35-jährigen Trainers Viktor Gontscharenko zählen. Angeführt wird das Heer der im Westen Unbekannten von Alexander Hleb, der unter anderem die Trikots des FC Barcelona und des FC Arsenal trug. Gontscharenko, dessen Vater wie jener Hlebs bei den Aufräumarbeiten in Tschernobyl gesundheitliche Schäden erlitt, geniesst das volle Vertrauen Kapskis. Dessen Maximen lauten: 1. Vertraue deinem Coach. 2. Verfalle nicht in Panik. Sechs Meistertitel in Folge sind der Beweis dafür, dass der Präsident die Dinge richtig sieht. Eine moderne Arena für 15’000 Zuschauer ist sein nächstes Projekt.

Mit 35 Jahren schon Sieger über die Bayern: BATE-Trainer Viktor Gontscharenko ist der Stratege hinter den Erfolgen.

Mit 35 Jahren schon Sieger über die Bayern: BATE-Trainer Viktor Gontscharenko ist der Stratege hinter den Erfolgen.

Trainer Gontscharenko schwärmt von der Einheit seines Teams und von den gesunden Beziehungen zwischen den Menschen, die bei BATE engagiert sind. «Wir sind in einem ständigen Prozess des Forschritts», so der frühere Verteidiger. «Dieser betrifft unser Trainingsgelände, das Stadion, die Mannschaft, die Entwicklung innerhalb des Teams.» Den Erfolg verdanke der weissrussische Champion dem grossen Hunger nach neuen Erkenntnissen und dem Eifer der Spieler.

Kaenzig ist weg – YB befreit

Alexander Kühn am Dienstag den 30. Oktober 2012
Mission gescheitert: Ilja Kaenzig.

Mission gescheitert: Ilja Kaenzig.

Als der inzwischen zurückgetretene YB-Präsident Benno Oertig im August 2010 den damaligen «Blick»-Sportchef Ilja Kaenzig aus dem Hut zauberte und an die Spitze des Clubs setzte, sprach er vollmundig von der dritten Phase, die nun im Stade de Suisse gezündet werde. Immerhin hatte Kaenzig ja schon in der Bundesliga gearbeitet. Dass die erfolgreichsten Jahre des anstelle von Stefan Niedermaier inthronisierten CEO jene im Schutz von Reiner Calmund bei Bayer Leverkusen waren, schien Oertig nicht zu stören. Der Strippenzieher hatte grosse Träume und sagte sich frei nach James Bond: Die Schweiz ist nicht genug.

YB wollte nie wieder Vizemeister werden, sondern erstens den Schweizer Branchenleader FC Basel das Fürchten lehren und zweitens in Europa eine Rolle spielen. «Nur wenn ich erfolgreich bin kann ich die Berner überzeugen, dass der Verwaltungsrat den richtigen Entscheid gefällt hat», sagte Kaenzig bei seiner Präsentation – und ahnte noch nicht im entferntesten, wie grandios er an dieser Aufgabe scheitern würde. Selbst wenn man das Argument gelten lässt, dass es nicht Kaenzig war, der Christian Gross unbedingt als Trainer wollte, sondern Oertig, muss man ihm ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Denn: Was ist ein CEO wert, der sich nicht einmal in der Trainerfrage durchsetzen kann? Darum ist die Trennung vom CEO die einzig konsequente Lösung. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, ist man geneigt zu sagen.

Heute wären die Young Boys froh, wenn sie auf dem 2. Platz stehen würden, auf jenem Platz, den man Kaenzigs Vorgänger Niedermaier sowie den Trainern Martin Andermatt und Vladimir Petkovic als Misserfolg ausgelegt hatte. Als Kaenzig den für attraktiven Fussball stehenden Petkovic im Mai 2011 fristlos entliess, sprach er ihm die Fähigkeit ab, die Young Boys auf das nächste Level führen zu können. Nun ist YB mit 15 Punkten Rückstand auf die Grasshoppers Fünfter der Super League, zu Platz 2 fehlen 14 Zähler. Petkovic grüsst derweil als Trainer von Lazio Rom von Rang 4 der Serie A. Ein wenig komisch ist das schon. Zumindest für den neutralen Beobachter.

Ilja Kaenzig, CEO YB und VR-Delegierter Stade de Suisse, posiert am Mittwoch, 7. Dezember 2011 im Stade de Suisse Wankdorf in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Konnte sich nicht durchsetzen: Ilja Kaenzig, 7. Dezember 2011. (Foto: Keystone/Peter Klaunzer)

Einen CEO mit der Machtfülle von Kaenzig wird es bei YB nicht mehr so schnell geben. Die sportlichen Belange sollen in Zukunft vernünftigerweise wieder einem Sportchef obliegen – Kaenzig, so die offizielle Diktion, habe man diesen Posten nicht angeboten, weil er für ihn eine Degradierung bedeutet hätte. Wer der neue Sportchef sein wird, soll spätestens zum Rückrundenstart bekannt sein. Fredy Bickel, der dieses Amt beim FCZ bekleidet, bleibt also in der Lostrommel. Für ihn spricht, dass er zu YB passt, wie seine erste erfolgreiche Amtszeit in Bern zwischen 1999 und 2003 belegt. Und Bickel weiss, wie man sich gegen den FC Basel im Meisterrennen durchsetzt – dreimal gelang ihm dieses Kunststück in Zürich. Die YB-Führung erklärte zudem, dass der kommende Sportdirektor trotz der Bemühungen zur Verbernerung des Vereins auch von ausserhalb des Kantons kommen dürfe. Er müsse vor allem kompetent sein. Wie Bickel.