Als Hertha BSC im Frühsommer gegen Fortuna Düsseldorf um den letzten zu vergebenden Platz in der 1. Bundesliga stechen musste, drohte eine Berliner Zeitung den Profis des notorisch erfolglosen und zur Grosskotzigkeit neigenden Hauptstadtclubs: «Wenn ihr verliert, müsst ihr nach Sandhausen!» Die Herthaner zogen bekanntlich gegen Düsseldorf den Kürzeren und müssen in dieser Saison in ebenjenes Sandhausen, für das die Autokorrektur meines Schreibprogramms hartnäckig das Wort «Sandhaufen» vorschlägt. Mit dem Wissen, dass Sandhausen irgendwo bei Heidelberg liegt und der örtliche Sportverein im DFB-Pokal einst den VfB Stuttgart aus dem Wettbewerb warf, mache ich mich also auf, um herauszubekommen, was die Berliner an Sandhausen denn so schlimm finden. Und so sitze ich zwischen Feld, Wald und Wiesen unter 6400 Zuschauern im Hardtwaldstadion, das zwar an einigen Orten noch eine Baustelle ist, ansonsten aber keinerlei Anlass zum Meckern gibt. Gegenüber dem Berliner Olympiastadion hat die Sandhausener Arena zudem einen entscheidenden Vorteil: Sie ist ein richtiges Fussballstadion ohne Laufbahn, was dazu führt, dass man auch tatsächlich etwas vom Spiel sieht.

Lautstark wie immer, friedlich wie selten: Rund 3000 Fans aus Dresden sind in den Südwesten gekommen.
Auf dem Feld steht neben den Gastgebern mein erklärter Lieblingsverein Dynamo Dresden, und so muss ich meine gesamte journalistische Objektivität bündeln, um nach dem Führungstreffer für den SVS keine Verwünschungen gegen den Torschützen von mir zu geben. Beim glückhaften Ausgleich für Dynamo – es sollte beim 1:1 bleiben – setzt sich aber der Fan in mir durch. Ich springe zwischen den Anhängern des Heimteams auf der Haupttribüne in die Höhe und tanze ein paar Sekunden wie das Rumpelstilzchen, wenn man ihm Zugang zum Goldtresor der Schweizer Nationalbank geben würde. Und was passiert? Nichts! Keiner schimpft, keiner droht mir, keiner zeigt mir den Vogel. Das nenn ich dann mal Fairplay.
Mit einer Weinschorle – endlich gibt beim Fussball neben Limonade und Wasser einmal eine weitere Alternative zum Bier – proste ich mir selbst zu. Ein Dynamo-Anhänger, der das Zündeln offenbar auch im idyllischen Hardtwaldstadion nicht lassen kann, gibt seiner Freude über den Treffer mit einer kleinen Rauchpetarde Ausdruck, es bleibt aber zum Glück bei der einen Ausfälligkeit. Die freundliche Atmosphäre scheint auch auf die Besucher einen guten Einfluss zu haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass in Sandhausen die andernorts angestimmten Schmähgesänge gegen Dynamo nicht zu hören sind. Der einzige Gesang der mit «Sch…» beginnt, ist einer, der sich den Farben des SVS – Schwarz und Weiss – widmet.
Hektik kommt erst wieder auf, als Dynamo-Torhüter Benjamin Kirsten in der kleinen Mixed Zone im Inneren des Stadions zum Interview erscheint. Die Journalisten aus Dresden, fast durchgängig in Dynamo-Fanartikel gekleidet, drängeln und schubsen, um näher beim Sohn von Ulf Kirsten stehen zu können. Einer benimmt sich besonders daneben und stösst einen Reporter aus der Region grob zur Seite. Kirsten gibt derweil geduldig und freundlich Auskunft. Ein Musterprofi mit besten Manieren vor Journalisten, deren Benehmen nicht einmal 3. Liga ist, denke ich mir und gehe schon einmal in den Presseraum im Obergeschoss. Dort steht eine liebevoll hergerichtetes Buffet mit einem grossen Korb Salzbrezel und diversen belegten Brötchen. Neben dem für die beiden Trainer hergerichteten Platz im vorderen Teil des Raums befindet sich eine kleine Kaffeeküche, an den Wänden hängen Bilder, die vom Gewinn der deutschen Amateurmeisterschaft in den Jahren 1978 und 1973 künden. Authentisch + glaubwürdig + echt = 100 Prozent Sandhausen – so lautet das Motto des Vereins, der seinen Etat für die laufende Saison dank der TV-Gelder auf 9 Millionen Euro verdoppeln konnte. Spätestens jetzt bereut am Hardtwald keiner mehr, dass Club-Mäzen und Vizepräsident Jürgen Machmeier vor sechs Jahren eine Fusion mit dem heutigen Erstligisten TSG Hoffenheim und Astoria Walldorf zu einem FC Rhein-Neckar ablehnte.
Während ich an einem Brezel kaue, betritt Sandhausens Trainer Gerd Dais den Raum, grüsst freundlich, und schnappt sich ein Brötchen, das er gemütlich verspeist, während er neben dem Pressesprecher und Dynamo-Coach Ralf Loose Auskunft gibt. Es ist ein kleines Detail, aber eines, das viel aussagt über die Einstellung des SVS zur grossen Welt des Profifussballs. Hier spielt keiner eine Rolle, und wenn der Trainer nach dem Spiel Hunger hat, dann isst er eben. Hier im Hardtwaldstadion ist das Königreich des Gerd Dais, der seinen Verein von der inzwischen fünftklassigen Oberliga bis ins Bundesliga-Unterhaus geführt hat. Wenn man dem freundlichen Mann mit dem Sandwich in der Hand bei der Analyse des Spiels zuhört, möchte man gern ein Telegramm nach Berlin senden. Mit dem folgenden Text: Schaut mal, ihr Angeber, so geht’s auch! Und noch etwas: Ich habe jetzt einen zweiten Lieblingsclub in der 2. Bundesliga.
Alexander Kühn eine niedliche Geschichte, vergessen Sie nicht dass SV Sandhausen und Hertha Berlin unterschiedliche Ansprüche haben und sich nur schon rein hystorisch aber überhaupt nicht vergleichen lassen. Wenn es unbedingt sein muss hätten Sie letztes Jahr die Challenge League Vereine SC Brühl St.Gallen und den FC St.Gallen vergleichen können. Obwohl in der gleichen Stadt und Liga, gab es da 2 Vereine die unterschiedlicher nicht sein können. Aber ich mag Ihnen den schönen Ausflug ins ländlich, grüne Sandhausen gönnen, aber in Ihrem Artikel suche ich vergeblich nach Substanz.
In Form und Inhalt einzigartiger, erfrischender Bericht. Hat mir sehr gut gefallen. So sollte Fussball sein: Frei von überflüssigem politischem und wirtschaftlichem Trash. Und der friedliche, echt am Sport interessierte Zuschauer wieder nah am Geschehen.
Bei aller Verbundenheit mit Deutschland, aber das interessiert nun wirklich niemanden!
Doch..mich!
Erkenne doch hier mein eigenes vom Erfolg tunlichst vermiedenen Fussballfandaseis mit meinem Lieblingsverein Winti auf der Schützenwiese.
Herr Kühn beschreibt doch völlig treffend um was es eigentlich wirklich geht. Fussball gucken in einer Atmosphäre, die auch meiner 7-Jährigen Tochter ein wöchentliches Familienhappening mit viel Spass, ohne dumpfe Hassgesänge und vermummten Möchtegernhooligans garantiert. Klar träume ich von der Championsleague die Winti wohl in den nächsten 100 Jahren knapp erreichen wird, und doch ich geniesse ich mein veraltetes Provinzstadiönli alle zwei Wochen aufs Neue.
Wen kümmert’s… hätte wahrscheinlich zum Cupwochenende andere Geschichten gegeben, als einmal mehr Fussball aus Deutschland. Bewerben sie sich doch beim Kicker oder bei 11freunde, aber hier nerven mich die übermässig vielen und erst noch belanglosen Geschichten aus Deutschland.
tut mir leid, alex, aber ich muss dem edgar leider recht geben, es nervt!!!
Naja, bei den vielen Deutschen in Zürich, wird Herr Kühn ja doch wohl schon auch auf den einen oder anderen Interessierten stossen. Denke der Tagi wird sich schon was dabei denken, wenn man den Leserstamm etwas erweitern will…
Wen’s interessiert? Mich zum Beispiel. Mal was anderes als das ständige GG/FCZ/FCB runtermachen der Blogger untereinander (genau, nicht der Schreiber).
Fussball sollte eigentlich Spass machen Freunde, vergesst doch mal Eure Farben. Jammern tun eh nur die, die unzufrieden mit sich selbst sind.
Interessiert leider niemanden.
der autor war wohl noch nie bei der TSG 1881 Sprockhövel, oberliga westfalen, zb in einem spiel gegen die SpVgg Erckenschwick
Guter Artikel, nur: Es heißt DAS Schorle und DIE Brezel.
Natürlich gibt es anderes als Basel, den FCZ oder GC. Aber es gibt auch anderes als den Fussball nördlich von uns. Ich kenne noch andere Blickrichtungen. Wie wär’s mal mit Geschichten aus Österreich, Slowenien, Italien, Frankreich etc
Mein Gott eh! Ist doch gut, mal etwas anderes als immer das gleiche Thema…
Wen es nicht interessiert, liest es nicht…so einfach!
Gehe einfach mal davon aus, die hälfte von denen, die hier reklamieren, markieren immer den grossen Fussballkenner, hatten aber keine Ahnung, dass Sandhausen in der 2. Buli spielt….
Top Artikel! Vielen Dank!
Und andere, die kennen auch noch Meppen, Burghausen, Babelsberg…
hi, bin SVS Fan.
Früher dachte ich: oh Gott was denkt Fußballdeutschland von uns?
Es ist schön immer wieder zu hören, dass man sich bei uns wohlfühlt. Ich bin stolz, wir sind klein, anders und der Zwergenaufstand geht weiter!
Gruß Keule
wo hat denn der zwergenaufstand begonnen? und wer soll ihn weiterführen? fussball braucht geld, oder fragen sie mal “grossklubs”, wieviel sie denn für die nachwuchsförderung ausgeben–und ich glaube kaum dass sich die sponsoren der CL von wöchentlichem svs-kick “hinter dem ofen hervorlocken” liessen, geschweige denn mia gelder investieren
Fußballnabel der Kurpfalz
Wo ist…Wie ist…Kennst du Sandhausen?
Fußball- und Erdkundebanausen
stell’n verblüfft in diesen Tagen
immer wieder diese Fragen.
Wer von Nord’ nach Süden fährt
oder aber umgekehrt,
mit Auto, Bahn, ‘s is’ einerlei,
kommt an Sandhausen stets vorbei.
Im warmen Tal des Oberrheines
liegt als kleines aber feines
kurpfälzisches Fußballnest
der Ort Sandhausen at its best.
Man wird von ihm, ich könnt’s beschwören,
in Zukunft noch ‘ne Menge hören.
Ich glaube es interessiert viele Leute.
In jedem Stadion wo ich bisher war, immer des selbe gepöbel von den Ultra Gruppen
Als ich am Wochenende in Sandhausen war muss ich sagen man wird nicht gleich angepöbelt
Man konnte sich mit diesen unterhalten. Kla Sandhausen hat nich die Fanbase wie Frankfurt, Nürnberg, Dresden und bla
Aber wenn man sieht was sie daraus machen muss man es als positiv ansehen wie ein kleines Dorf mit ca 15 000 Einwohnern
Großen Städten die beine stellt.
Grüße aus Frankfurt.
Das ist völlig OK, aber das gibts auch in der Schweizer Provinz, im kleineren Massstab (Wohlen, Tuggen etc.). Nur schreibt darüber niemand. Herr Kühn fährt lieber nach Sandhausen, aber eben nicht wegen des SV Sandhausen.
das nenne ich mal einen tollen Einwurf – journalistisch sauber, bodenständig und sympathisch – hier lese ich gerne wieder mal mit!
Danke Alexander Kühn
Hi Alex,
das ist ein sehr sympathisch geschriebener Artikel! Hat mir sehr viel Spaß beim Lesen bereitet!
Viele Grüße aus Sandhausen
Andy
Vielen herzlichen Dank für diesen Artikel.
Es ist schön zu wissen dass es auch anderst geht, und man nicht einfach mit dem Mainstream gehen muss um erfolgreich zu sein.
Ich war noch nie in Sandhausen, aber für mich dürfte Fussball durchaus wieder mal mehr nach Sandhausen aussehen – und ich überlege mir gerade ob wir in Zürich wirklich ein 150 Mio Stadion brauchen, oder ob GC wohl besser bedient wäre, wenn GC sein EIGENES, dynamisch mit dem Potential der Mannschaft mitwachsendes Stadion vor den Toren der Stadt, z.B. in Niederhasli baute – ein Stadion mit eigener GC Athomsphäre, mit NUR GC Sponsoren, NUR GC Fans und weiteren GC Events die dem familiären GC Charakter gerecht werden.
Der Campus in Niederhasli könnte durchaus das Sandhausen des GC sein. Das hat durchaus Potential. Das ist wachstumsfähig – zumal die Stadt in 10 Jahren sowieso in Dielsdorf angekommen sein dürfte.
Auch für Investoren wäre ein Szenario a la Sandhausen interessant – allein nur schon wegen der Flughafen- und Industrienähe, Raum für Parkplätze und eine Gegend die keine Einsprachen durch Anwohner befürchten müsste. Ein direkter Bahnanschluss wäre denkbar …
Ausserdem bietet die Rennbahn daneben genügend Raum für weitere und grössere Ideen. Think about !
@René Baron: An ihrem Artikel stört mich das viele unnötig Grossgeschriebene, sehr unpassend und unseriös. Ihren Bericht nehmen sie doch selber nicht ernst? -oder?