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Auf nach Åland!

Alexander Kühn am Samstag den 7. Juli 2012
Wiklöf Holding Arena

Auch Fussball ist in Finnland etwas eigen: Der Idrottsparken, auch Wiklöf Holding Arena genannt. (Bild: Wikipedia)

Keine EM mehr, noch keine Super League oder Bundesliga und noch nicht einmal Olympia. Über was also eine Kolumne schreiben? Über das Fifa-Bekenntnis zur Torlinien-Technologie? Nein, viel zu viele Bürokraten in Anzügen und viel zu viel Technik. Über den x-ten Versuch von Yassine Chikhaoui, wieder auf die Beine zu kommen? Da schmerzt mein altes FCZ-Herz zu sehr. Darüber, dass mein Lieblingsclub Dynamo Dresden im Trainingslager in Österreich tatsächlich gegen den englischen Meister Manchester City antreten darf? Dann hören Sie gleich auf zu lesen. Also lieber ganz exotisch. Heute gibts keine Polemik und schon gar keine Analyse, sondern einen fussballerischer Reisetipp.

Machen Sie sich auf in Richtung Åland, ins Reich des entspannten Fussball-Genusses, dorthin, wo garantiert kein vermummter Idiot bengalisches Feuer neben Ihnen anzündet! Nie von Åland gehört? Das ist eine ganz wundervolle Inselgruppe in der nördlichen Ostsee am Eingang des Bottnischen Meerbusens zwischen Schweden und dem finnischen Festland. Das mit dem Bottnischen Meerbusen habe ich aus Wikipedia abgeschrieben, aber ich war wirklich schon oft in Åland. Und einmal eben auch im Fussballstadion der Inselhauptstadt Mariehamn, das den schmucken Namen Wiklöf Holding Arena trägt. Hier finden den ganzen Sommer über zuverlässig Spiele der sogenannten Veikkausliiga statt. Weil es in Finnland im Winter viel zu kalt für etwas anderes als Langlauf ist und weil die Finnen wohl gar nicht mehr ernsthaft versuchen, sich einmal für ein grosses Turnier zu qualifizieren.

Ich wurde bei meinem Besuch in der Wiklöf Holding Arena Zeuge eines 0:0 zwischen dem IFK Mariehamn und dem IFK Helsinki. Es war ein Spiel mit vielen Chancen für die Gäste aus der Hauptstadt und ebenso vielen Paraden des Keepers der Hausherren. «Der Tormann von Mariehamn ist ein Arschloch», bemerkte mein damals 5-jähriger Neffe trocken. Er hätte lieber Tore gesehen. Das Bemerkenswerte dabei war, dass der Kleine mit seiner emotionalen Reaktion auf das Geschehen ganz und gar alleine stand. Die finnischen Zuschauer vom weissblonden Kind mit einem Lakritz-Eis (pfui Teufel!) in der Hand bis zum Hot Dog kauenden Greis sassen 90 Minuten lang mit stoischer Ruhe auf der kleinen Tribüne der 4000-plätzigen Arena. Lebhaft wurden sie nur, als es darum ging, in der Pause eine Flasche der pappsüssen Birnen-Limonade namens Smurffi (finnisch für Schlumpf) zu erbeuten. Fast hätte man den Eindruck bekommen können, ein Spassvogel habe ihnen die Anweisung gegeben, möglichst allen Stereotypen der Nordländer zu entsprechen, damit der Tourist aus der Schweiz auch schön etwas zu schreiben hat.

Mariehamn ist nicht zu unterschätzen: Der Finne Paulus Arajuuri (u.) im Zweikampf mit Atletico Madrid-Spieler Ignacio Camacho, 2. Juni 2009. (Reuters)

Mariehamn ist nicht zu unterschätzen: Der Finne Paulus Arajuuri (u.) im Zweikampf mit Atletico-Madrid-Spieler Ignacio Camacho, 2. Juni 2009. (Reuters)

Dass der Club mit der wohl gleichgültigsten Anhängerschaft der Welt in der höchsten Liga Finnlands mitspielen kann, liegt daran, dass Åland dank florierendem Tourismus (jeder Trottel fängt dort einen Fisch und findet Pilze) und Reedereien mit  schwimmenden Duty-Free-Shops nicht nur schön, sondern auch wohlhabend ist. So ist der IFK Mariehamn inzwischen ein beliebtes Ziel für Fussballer aus Kenia, Braslien, den USA, Kanada oder Bosnien. Man weiss, hier kann man in Ruhe leben, anständig verdienen und ohne Pfiffe von den Rängen 0:0 spielen.

Übrigens kann es durchaus sein, dass bald einmal ein Schweizer Club gegen den IFK Mariehamn antreten muss. Der Verein aus Åland ist nämlich auf bestem Weg, sich für den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren. Er liegt nach einem guten Drittel der Meisterschaft auf Rang 2 zwei Punkte hinter Tabellenführer IFK Helsinki und mit einem Spiel weniger. Und wenn Sie dann jemand fragen sollte, wo denn bitte dieses Åland liegt, dann sagen Sie einfach: «In der nördlichen Ostsee am Eingang des Bottnischen Meerbusens.» Und noch etwas. Lassen Sie um Himmels Willen die Finger von Lakritz-Eis und Smurffi-Limonade. Die Finnen sind aus anderem Holz geschnitzt als wir.

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17 Kommentare zu “Auf nach Åland!”

  1. Markus sagt:

    In Südamerika ging vor Kurzen die Copa Libertadores zu Ende. Wäre toll, wenn ihr einen Südamerika-Korrespondenten für den Steilpass gewinnen könntet – grad im Hinblick auf die WM in zwei Jahren.

    • Nicolas sagt:

      um dann solche bloggs lesen zu müssen, wie diesen hier?

      • Markus sagt:

        Nö, aber um die Frage zu beantworten, worüber man schreiben könnte, wenn grad keine EM und superleague ist. Es gäbe durchaus interessantere Themen als Aland. Wobei, für ein paar Anekdoten aus Südamerika gäbe es schon Stoff: Spielt Real Potosí eigentlich immer noch in Real Madrid-fake Shirts, oder haben die Madrilenen mal interveniert?

      • Nino sagt:

        Dieser Blog ist wohl als Abwechslung zur hektischen EM Zeit gedacht, dann ist der Blog nicht schlecht gelungen. Zukünftig darf es wieder hektischer werden….

  2. Nino sagt:

    Sehr romantische Geschichte …… , aber nicht schlecht, schmunzel…. 🙂

  3. Auguste sagt:

    hmm…, es gibt im fussball mehr als man denkt zwischen anspielpunkt und torauslinie – der etwas andere bericht vom fussball auf der insel. sehr gelungen. und ja, noch ein dynamo-update, und ich hätte mir in meiner post-euro nationalelfdepression möglicherweise ein passendes hochwasser mit schöner juli-kaltfront gesucht.

    und denken sich nicht mal dran, herr kühn, uns eine weitere dynamo-geschichte über die “sammer-hintertüre” unterzujubeln.

  4. derPla sagt:

    Ist auf die ToDo Liste gesetz !

  5. DK sagt:

    Die meisten Touristen gehen wohl wegem dem zollfreien Einkauf hin (40% des åländischen BSP gemäss Wikipedia), nicht wegen den Fischen. Zu erwähnen wäre noch, dass auf Åland schwedisch gesprochen wird, obwohl die Inselgruppe zu Finnland gehört. (Schwedisch ist in Finnland auch offizielle Amtssprache.)

  6. Limppari82 sagt:

    Ich reise jedes Jahr nach Finnland. Nicht wegen dem Fussball, sondern mehr um meine Verwandten zu besuchen…und natürlich wegen dem Lakritz-Eis und dem “Smurffi-Limppari” 😉

  7. Isabel Huber sagt:

    “Die finnischen Zuschauer vom weissblonden Kind … in der Pause eine Flasche der pappsüssen Birnen-Limonade namens Smurffi (finnisch für Schlumpf) zu erbeuten.”
    Genau so sind die Finnen (ich weiss, wovon ich rede, ich wohne hier seit 4 Jahren!). Das Gleiche lässt sich übrigens auch in Vergnügungsparks beobachten: Auf der Holzachterbahn herrscht Totenstille, ausser es fahren z.B. Schweizer mit.. 🙂

  8. Rolf sagt:

    Hej Hej
    Finnland ist zweifellos russischer als Stockholm und Oslo und doch nicht derart sibirisch wie es in diesem Blog beschrieben w Aland liegt am südwestlichsten Zipfel Finnlands und wird zustätzlich vom tropischen Golfwasser umspült. Aland ist demnach der heisse Süden Finnlands.
    Schreibt mal einen Bericht über den Fussball in Kiruna (S), Narvik (NO) und Rovaniemi (FI). Alles was unterhalb des Polarkreises auf fast schon mediteranem Edelrasen abgeht hat nichts mit hart gesottenem lappischem Polarfussball auf Tundrawüsten zu tun.

  9. Terence sagt:

    Hallo Alexander

    Schöner Bericht über den finnischen Fussball und die Fischerei;-) wenn du mal die Gelegenheit hast, dann komm doch mal mit nach Singapur, die SLeague wäre bestimmt auch ein Blogartikel Wert. Ich hab’s mal versucht, schau in meinem Blog.

    Gruss aus Singapur und schön weiter Fussballblogen.

  10. Nino sagt:

    –über was schreiben wenn kein Fussball gespielt wird? Mich würde interessieren was in USA, Kanada, Sudamerika, Japan, Korea, Australien oder in in anderen exotischen Teilen wie Karibik, Mittelamerika etc fussballerisch alles so abläuft. Herr Kühn, Äland war ein doch guter Ansatz….. ! 🙂

    • Frédéric sagt:

      Warum soll der Exotenfussball interessanter sein als der schweizerische? Multikulti gibts hier in allen Ligen. Warum wird nicht über die reduzierte Challenge League geschrieben? Warum nicht über die neue 1. Liga Promotion? Es gibt so viele interessante, mit Herzblut geführte Clubs hier. Fürchtet man, als provinziell zu gelten? Ist es gar Selbsthass? Dass in der finnischen Provinz der Schweizer Fussball ein Thema ist, halte ich schlicht für unvorstellbar.

      • Nino sagt:

        Fréderic: Einverstanden, über die neuen exotischen, neuen unteren Schweizer Ligen gäbe es natürlich auch interessantes zu berichten. Ich komme nicht draus was du mit Selbsthass meinst?? Vielleicht gibt es in Finnland auch einen finnischen Alexander Kühn (z.B. Alexi Kühvileinen, Ale Kühnkonen, Kühni Alexikeinen etc.) der über den Schweizer Fussball ein Geschichtlein verfasst hat – wer weiss?

  11. Ashrio sagt:

    Hätte ich als kleiner Bub vom IFK Mariehamn gehört und nicht vom Liverpool FC, wäre ich wohl ein Fan geworden.

  12. Steiner78 sagt:

    Schöner Bericht, danke.