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Auf ein Bier mit dem Enfant terrible des Schweizer Fussballs

Simon Zimmerli am Freitag den 28. März 2014
«Ich bin ein Fan, der sich mit dem Club identifiziert, bei dem er spielt»: Carlos Varela im Dress des FC Köniz. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)

«Ich bin ein Fan, der sich mit dem Club identifiziert, bei dem er spielt»: Carlos Varela im Dress des FC Köniz. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)

Ich treffe Carlos Varela auf dem Juchhof in Zürich-Altstetten. An einem Unort für einen Fussballer seiner Klasse. Und zu einer Unzeit. Während ich mit Varela spreche, läuft nämlich die zweite Halbzeit des Erstliga-Spitzenspieles zwischen YF Juventus und dem FC Köniz. Varela, im Gespräch bescheiden und herzlich, schaut immer wieder besorgt auf das Spielfeld. Doch die frühere Super-League-Attraktion fürchtet, dass YF Juventus verkürzt und alles noch einmal zu wackeln beginnt. In der Nachspielzeit fällt tatsächlich der Anschlusstreffer für den Gegner und Varela verschwindet alleine in der Kabine, um den Schlusspfiff herbeizusehnen.

Carlos, du hast das 1:0 vorbereitet und das 2:0 selbst erzielt. Du bist auch mit 36 Jahren noch der auffälligste Spieler, hast aber Ermüdungserscheinungen gezeigt. Bist du deshalb nicht zur zweiten Halbzeit angetreten?

Nein, ich habe Rückenprobleme. Ermüdungserscheinungen habe ich in den Spielen der 1. Liga Promotion kaum. Ich respektiere das Niveau hier, aber es ist natürlich nicht derselbe Rhythmus wie in der Super League. Ich kann mir durch meine Erfahrung die Kräfte besser einteilen und muss nicht jedem Ball hinterherrennen.

Nach einer halben Stunde wurdest du gefoult, worauf dich die Fans von YF Juventus provozierten. Zwei Minuten später erzielst du mit einer herrlichen Direktabnahme das 2:0 und bekommst anschliessend die Gelbe Karte, weil du während deines Torjubels schnurstracks auf die YF-Fans zuliefst und sie beleidigt hast. Du pendelst immer noch zwischen Genie und Wahnsinn.

Ach was, ich lief zum Präsidenten und seiner Frau, die sich auch dort aufhielten.

Ich stand ja gleich daneben…

Es ist einfach so, dass auch die Erstligaschiedsrichter von meinem Image des unbelehrbaren Provokateurs beeinflusst werden und oft gegen mich pfeifen.

Dein Image kommt ja nicht von ungefähr. Du hast in der Super League über 100 Gelbe Karten gesammelt und warst, wenn man alles zusammenzählt, eine ganze Saison lang gesperrt.

Ich habe 15 Jahre lang in der Super League Fussball gespielt und habe in all den Jahren nur zwei direkte rote Karten erhalten. 100 Verwarnungen in 400 Spielen – das ist eine Gelbe Karte in jedem vierten Spiel. Wow.

Trotzdem, hättest du mit deinem Talent nicht eine grössere Karriere einschlagen können, wenn du deine Emotionen besser unter Kontrolle gehabt hättest?

Meine Emotionen, das ist Herzblut. Ich will den Menschen, die ins Stadion kommen, und dem Verein, der mir meinen Lohn bezahlt, etwas zurückgeben. Natürlich will ich auch den Sieg, denn dann habe ich meinen Job gemacht. Ich habe mit meinen Clubs in der Schweiz immer vorne mitgespielt, wurde mehrmals Schweizer Meister und Cupsieger und habe in der Champions League gespielt. Es gab einfach keinen Grund, wegzugehen. Mir wurden ständig Verträge zwischen zwei und fünf Jahren angeboten und ich habe mich stets für die langfristigen Offerten entschieden. Das entspricht meinem Naturell. Ich habe mir immer überlegt, was passieren könnte, wenn ich eine Familie habe und dann plötzlich nicht mehr Fussball spielen kann. Meine Frau ist da anders. Sie nervt sich manchmal über mein Sicherheitsdenken, aber so bin ich halt.

Du wärst auch beinahe Nati-Spieler geworden.

Ja, Enzo Trossero wollte mich unbedingt. Wenn du dich erinnern kannst, sie hatten damals keinen schnellen Spieler auf der Seite. Ich spielte bei Basel und mein Trainer Christian Gross hat den gesamten Papierkrieg für meine Einbürgerung erledigt. Trossero war dann aber bereits nach ein paar Monaten weg und ich habe das Einbürgerungsverfahren gestoppt.

Nach dem Cupspiel gegen GC vor einem halben Jahr habe ich dich mit deiner Tochter auf dem Arm als fürsorglichen Familienvater erlebt. Ist deine Familie heute nicht hier?

Nein, wir haben vor einem Monat unsere zweite Tochter bekommen und selbst an den Heimpartien in Köniz muss derzeit die Sonne scheinen, damit mich meine Familie an den Spielen unterstützen kann.

Köniz spielte vor zwei Jahren noch in der 2. Liga. Mit einem Sieg heute könntet ihr zu Spitzenreiter Le Mont aufschliessen und später vielleicht den 3. Aufstieg in Folge feiern.

Ja, es ist unglaublich. Letzte Saison waren wir während den Halbfinal-Playoffs in die 1. Liga Promotion (Hinspiel gegen Zug 94 1:2) eigentlich schon tot. Wir lagen im Rückspiel mit einem Mann weniger 0:1 zurück, dann 82. Minute Varela-Eckball, 1:1, 90. Minute Varela-Flanke, 2:1 und alle haben sich schon auf die Verlängerung eingestellt, als Tchouga in der Nachspielzeit plötzlich das 3:1 schiesst. Drei Tage später haben wir im Hinspiel gegen Terre-Sainte mit einem 3:0 die Basis für den Aufstieg geschaffen. Wir sind vielleicht nicht die beste Mannschaft in der 1. Liga Promotion, aber viele Spieler bringen eine riesige Erfahrung mit. Und was noch viel wichtiger ist, wir haben einen tollen Teamcharakter und den unbedingten Siegeswillen. Wir zerreissen uns für diesen Club und warum sollten wir nicht das Ziel haben, in die Challenge League aufzusteigen, wenn wir ganz vorne mitspielen?

Dieser Club scheint auch über grosse finanzielle Mittel zu verfügen, wenn er Spieler wie Urdanetta, Friedli, Portillo, Tchouga und Varela engagieren kann.

Darum kümmere ich mich nicht. Ich weiss nur, dass der Club hervorragend geführt wird. Der Präsident ist menschlich top. Er würde nie einen Spieler verpflichten, der nicht ins Team passt. Wenn einer Starallüren aufweist, weil er vielleicht aus der Challenge League oder aus der Super League kommt, dann passt er nicht zum FC Köniz und muss wieder gehen.

Du geniesst doch bestimmt einen speziellen Status.

Den Status machen andere. Ich bin Carlos Varela, ein Spieler wie jeder andere auch. Vielleicht rauche ich eine Zigarette vor dem Spiel, aber wenn es losgeht, dann bin ich, wie alle anderen auch, bereit. Wenn ich ins Stadion gehe, um Real Madrid spielen zu sehen, dann inmitten der Fans. Ich bin auch ein Fan. Ein Fan, der sich mit dem Club identifiziert, bei dem er spielt. Wenn ich zufällig mal eine Sperre absitzen musste, dann habe ich es genossen, bei den Fans zu sein. Die VIP-Cüpli-Sache, das ist nicht meine Welt, ich hasse das. Als wir mit Basel den Meistertitel in einer grossen Disco feierten, waren wir von den Fans getrennt. Ich dachte, das ist völliger Blödsinn und räumte die Absperrung weg. Die Varela-Sprechchöre waren mir dann auch etwas unangenehm, aber wenigstens konnte ich etwas dazu beitragen, dass die Party ins Laufen kam. Die Fans haben diese Geste nicht vergessen und sprechen mich heute noch darauf an.

Charakterköpfe wie du sterben in der Super League aus. Mir fällt eigentlich nur Daniel Gygax ein, der so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.

Das ist lustig, ich habe schon unabhängig von drei verschiedenen Personen gehört, dass er mein bester Freund geworden wäre, wenn wir zusammen gespielt hätten. Es ist als Fussballprofi nicht immer hilfreich, so zu sein, wie man ist, und das zu sagen, was man denkt. Auch in Interviews nicht. Wenn ich beispielsweise sage, dass Basel billigen Fussball spielt.

Du sprichst auf das Interview an, das mittlerweile schon über eine Viertelmillion Menschen auf Youtube angeklickt haben. An wen ging eigentlich deine Schlittentirade?

Das weiss ich nicht mehr genau. Es waren mehrere Basler. Die stellten sich hinter mir auf und provozierten mich. Das Spiel war wirklich schrecklich. Basel hatte zwei Standardsituationen und gewann 2:1. Dabei lief spielerisch kaum etwas – wie kürzlich beim Sieg in Salzburg.


Zur Person: Carlos Varela war eine der schillerndsten Figuren, die die Super League je hervorbrachte. Bis 2010 spielte er für Xamax, YB, Aarau, Basel und Servette. Seine Schnelligkeit und seine Torgefährlichkeit zeichneten ihn ebenso aus wie seine Disziplinlosigkeit. Bereits 2009 feierte er die 100. Gelbe Karte in der Super League. Das ist Rekord. Nach einem kurzen Engagement in den USA bei D.C. United kehrte Varela zu Servette zurück und gab ein kurzes Gastspiel beim FC Wohlen. Heute spielt der 36-jährige Heisssporn seine 2. Saison beim FC Köniz in der 1. Liga Promotion.


Mit den Beiträgen dieser Woche verabschieden sich Simon Zimmerli und Fabian Ruch als Autoren vom Steilpass-Fussballblog. Der Blog macht nun einige Wochen Pause und kehrt dann mit neuen Autoren zurück.

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12 Kommentare zu “Auf ein Bier mit dem Enfant terrible des Schweizer Fussballs”

  1. Tom sagt:

    So unmöglich er zuweilen (auch für die eigenen Fans) war, so unvergleichlich ist er doch! Varela hat in jedes Spiel Leben gebracht, halt immer auf unterschiedliche Weise…

  2. Raymond Allaman sagt:

    Der Varela kann von mir aus erzählen was er will. Mir wird er immer als Spieler in Erinnerung bleiben, der mit hinterlistig-brutalen Fouls die Gesundheit seiner Gegenspieler gefährdete.

    • Botteron sagt:

      Danke, genau so ist es – endlich mal wieder jemand, der das genau so sieht wie ich! Merci

    • Gita sagt:

      Vielleicht sollte man auch mal eine Statistik machen, wie oft Varela hart gefoult wurde, ohne dass es für den Foulenden Konsequenzen hatte. Selber bekam er stets Gelb, wenn ein Gegner bloss hinfiel, weil er über die eigenen Füsse gestolpert war – und Varela in der Nähe stand…

  3. Peter sagt:

    Sorry, Varela ist und bleibt ein Laferi.

  4. Trummer sagt:

    Der Varela war immer einer meiner Lieblingsspieler, auch wenn ich mich zuweilen extrem über ihn und sein Verhalten genervt habe. Fakt ist das jede Mannschaft einen Spieler wie Varela benötigt um nur einigermassen erfolgreich zu sein. Sieht man sich die jetzige Situation in der RSL an, dann verfügt YB über keinen solen “Typen”, der FCB über unzählige solcher “Typen”, dies sind Spieler die motzen, kritisieren, auch mal wenig sanft ins Spielgeschehen eingreifen, einfach nur um den Tarif bekanntzugeben. Dies dürfte auch eine Erklärung für Erfolg und Misserfolg sein, natürlich nicht nur das.

  5. Andi Meier sagt:

    Emotionen und Herzblut? Der Mann hatte sich einfach nicht im Griff. Einem jungen Spieler kann man solches Verhalten mal noch durchgehen lassen, aber er hat sich bis zum Karriereende nicht verändert. Für einen erwachsenen Mann ist dieses Verhalten nur noch peinlich.

  6. Das ist doch das schöne am Fussball Sport. Man kann auf dem Platz in eine andere Rolle schlüpfen. Es geht darum, gegen den anderen zu gewinnen. Die Gegenspieler zu vernaschen.
    Der Carlos Varela ist in Privat ein ganz netter überlegter Kerl, aber auf dem Platz wird er halt zum Fussballer Varela.
    Derjenige der sich trotz weniger Kilos durchsetzt, aufgrund seiner Geschwindigkeit, aber vor allem wegen seinem Charakter, der ihn nie ans verlieren denken lässt.
    Nicht sein gesunder Lebensstil und mehr trainieren als anderen, haben ihn zu einem Profifussballer gemacht. Sondern seine impulsiven Emotionen, die ihm auf dem Platz jedoch auch oftmals zum Verhängnis wurden.
    Ob man ihn gehasst, oder geliebt hat. Solche Spieler bringen den Fussball zum Leben.

  7. marcel sagt:

    Tatsächlich gibt es heute keine Spieler mehr, die in einem Interview mehr rausbringen als die nichtssagenden 2 Dutzend Standardsätzli, die sie im Medientraining gelernt haben. Es gibt nichts langweiligeres als “Gespräche” mit Fussballern. Sogar Interviews mit “Miss Schweiz” Kandidatinnen sind interessanter, die sind wenigstens zum Teil (ungewollt) komisch.

  8. Chris Chelios sagt:

    Als Varela bei Aarau spielte war er bei uns in St.Gallen auch ein rotes Tuch. Aber es braucht solche Typen die polarisieren. GC Bürki ist so eine Hassfigur, den mag niemand ausser GC. Varela war da schon anders, irgendwie mochte man den Typen auch.

    Hoffentlich können die neuen Autoren den Abwärtstrend des Blog stoppen. Schade, dass Simon Zimmerli aufhört, ich habe seine Beträge meistens gerne gelesen. Den Fokus auf die Schweizer Liga setzen wäre meiner Meinung nach den richtigen Weg. Über Bundesliga, Hoeness oder die WM wird schon genug geschrieben. Und wenn schon Schweizer in der Bundesliga, will ich über Mehmedi oder Schwegler lesen und nicht den millionsten Shaqiri Artikel.

    Und falls es nichts wird, gibt es immer noch das unverzichtbare “zwölf” Abo.

  9. Simon Zimmerli
    13. Dezember 2013 um 14:06 http://blog.tagesanzeiger.ch/steilpass/index.php/33446/yakin/

    …. die probleme sind hausgemacht ……. mich würde es erstaunen, wenn yakin auch nach der winterpause noch trainer ist beim fcb, und noch mehr wenn dies in der nächsten saison der fall sein sollte.

    In diesem Sinne, herzlichen Dank für Ihre Blog’s. An die Redaktion: ist Mämä noch zu haben?

  10. nino bosch sagt:

    Varela ein 08/15 Spieler, der nie den Durchbruch schaffte. Er verdiente seine Aufmerksamkeit stets seinen Ausrastern, nicht seinen fussballerischen Qualitäten. Eigentlich ist er bereits in der Gruft der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Einer von vielen, warum schafft er es hier in den ‘Steilpass’ Blog? Andere hätten es mehr verdient!