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Eine Stadt am Ball

Simon Zimmerli am Donnerstag den 29. August 2013

Alle anderen sind in der Bar: Ein einsamer Fussballfan verfolgt im Qemal-Stafa-Stadion in Tirana das Europa-League-Qualifikationsspiel KF Tirana gegen CS Grevenmacher aus Luxemburg, 5. Juli 2012. (Bild: Arben Celi, Reuters)

Vor ein paar Wochen habe ich über meine liebsten Fussball-Bars in Zürich geschrieben und mir den teils leiseren, teils lauteren Vorwurf eingeheimst, meine Sicht sei zu sehr auf die eigene Stadt beschränkt. Nun kann ich allen Kritikern sagen: Ich habe meinen Horizont erweitert – und zwar international! Ich habe die grösste, beste, wunderbarste Fussball-Bar Europas entdeckt: Tirana. Die albanische Hauptstadt ist nicht nur der kulturelle, politische und wirtschaftliche Mittelpunkt eines zentralistisch organisierten Staates, sondern auch absolut verrückt nach Fussball. Insbesondere dann, wenn ein Spieler mit albanischen Wurzeln für eine grosse Mannschaft dem Ball nachrennt.

Am Dienstag war so ein Jubeltag. Bayern München, mit dem kosovarisch-albanisch-schweizerischen Kraftwürfel Xherdan Shaqiri, der mich übrigens immer mehr an Barney Geroellheimer von den Flintstones erinnert, gastierte beim SC Freiburg. Jeton, der Barkeeper, steigerte sich in eine Art Fan-Ekstase, als der Name Shaqiri fiel, und so teilten wir freudig den Stolz, dass unsere beiden Länder beide etwas mit dem deutschen Meister, DFB-Pokalsieger und Champions-League-Gewinner zu tun haben. Stolz auf Shaqiri – aber nicht nur auf ihn, sondern auch auf die in der Super League engagierten Hyka, Abrashi, Basha und Co. – waren auch alle anderen Besucher in der Oops Bar.

Jeton, ich darf ihn jetzt übrigens als Teilverantwortlicher für Shaqiris Erfolge Jeti nennen, hatte mehr damit zu tun, die Lobpreisungen über den kleinen Fussballstar ins Englische zu übersetzen, als mit seiner eigentlichen Arbeit.  Bis auf die Frauen, die sich kollektiv nicht für Fussball zu interessieren scheinen, störte dies niemanden. Der Fusssball ist hier König, und dem König hat man zu huldigen. Es scheint, als gebe es in Tirana keine Bar, in der nicht Fussball gezeigt wird. Für die Partie Freiburg – Bayern rollten auch die feineren Lokale die Leinwände aus – und zwar auf dem Trottoir auf der anderen Strassenseite. Anders als bei uns sind Fussballübertragungen keine Rahmenveranstaltungen für Trinkgelage, sondern alles was zählt, solange der Ball rollt oder fliegt. Befeuert wird die Leidenschaft für den Sport durch die Leidenschaft fürs Wetten. Ob Bundesliga oder zweite norwegische Division, wenn ein Tor fällt, schreit immer einer auf. Weil er gerade Geld für weitere Wetten gewonnen oder weil er welches in den Sand gesetzt hat.

Und dann wurde es an diesem Dienstagabend plötzlich ganz besonders laut. Shaqiri hatte getroffen und mit ihm alle Barbesucher um mich herum. Es herrscht eine Glückseligkeit wie einst in der FCZ-Fankurve am 13. Mai 2006 beim historischen 2:1-Sieg über den FC Basel, der den Zürchern im St.-Jakob-Park zum ersten Meistertitel nach 25 Jahren Durststrecke verhalf. Shaqiri, Ehrenbürger von Tirana und Zürich, hatte nach einem Abwehrfehler der Freiburger den Ball aus kurzer Distanz zum 1:0 für die Bayern in die Maschen gewuchtet! Und lange sah es danach so aus, als würde der Schuss Shaqiris dem Favoriten aus München zum vierten Sieg im vierten Bundesliga-Spiel der Saison verhelfen. Bis, ja bis sich auch die Bayern eine Nachlässigkeit erlaubten – und der Freiburger Joker Nicolas Höfler (den kannten auch die fussballverrückten Albaner vorher nicht) mit dem 1:1 zum Partyschreck wurde.

Die Stimmung sank nun für eine Weile erheblich. Ob es nur wegen des Gegentreffers fuer den FC Shaqiri München war oder vielleicht auch ein wenig wegen verlorener Wetten, konnte ich nicht ganz ergründen, vermute aber Letzteres. Der Glaube an das Gute im Fussball ist in Albanien aber ungebrochen. Alle sind überzeugt, dass die Nationalmannschaft, die wie die Schweiz in der Qualifikationsgruppe E um ein WM-Ticket kämpft, den Sprung an die Endrunde in Brasilien schaffen wird. Und wahrscheinlich sogar als Gruppenerster vor den Schweizern, die momentan vier Zähler vor den zweitplatzierten Albanern liegen.

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17 Kommentare zu “Eine Stadt am Ball”

  1. Philipp M. Rittermann sagt:

    …und ich dachte immer, nur der reinhold dürfe ihn “yeti” nennen… 🙂

  2. Peter Huber sagt:

    Albanien wird sich die nächsten hundert Jahre nicht für eine einzige WM qualifizieren.

    • Kasi Saiti sagt:

      wenn Sie, geschätzter Herr Huber, die nächsten 100 Jahre voraus sehen können, lieber Lotto spielen 🙂
      ja, albanien ist nicht sehr konstant in der Quali, aber nachdem Griechenland Europameister war, ist alles möglich, erst recht im Fussball. für mich als Doppelbürger wäre es toll, wenn beide dabei wären, aber eben, ich kann ja nur gewinnen 🙂

    • Gentos sagt:

      Alles ist möglich – bei den Albanern sowieso.

  3. Fritz sagt:

    Süsser Beitrag, aber mal ehrlich: “Ehrenbürger von Tirana und Zürich”… Was hat denn der Xherdan Shaqiri mit Zürich zu tun? Geboren im Kosovo, ab dem 4ten Jahr beim SV Muttenz, Basel-Land und seit dem 8ten bei den Junioren des FC Basel. Wohl das einizige, dass Shaqiri in Zürich tat war den FCZ und GC abzuschiessen 😉

    • Raphael Tschirky sagt:

      Kleine Korrektur: Shaqiri spielte beim SV Augst, nicht bei Muttenz.

      • Fritz sagt:

        Stimmt natürlich. Da ist mir im Eifer des Gefechts ein Irrtum unterlaufen. Wenigstens war die Richtung korrekt und ich bloss 5km daneben 😀

    • DB sagt:

      Wie und warum Xherdan Shaqiri zu einer Zürcher Ehrenbürgerschaft kommen soll, ist mir auch nicht ganz klar. Geschweige denn, ob er diese überhaupt für erstrebenswert halten würde. Aber was ich sicher weiss, ist, dass er in seiner frühsten Juniorenzeit nicht beim SV Muttenz, sondern beim SV Augst gespielt hat!

  4. Paulo sagt:

    Die grösste Tat des Albanischen Fussballs war als sie bei der Quali zur EM 1968 mit einem 0:0 dafür gesorgt hatten dass sich Deutschland zum einzigen Male in ihrer Geschichte nicht für eine Endrunde eines grossen Turniers qualifizieren konnten. Die Schmach von Tirana fand am 17.12.1967 statt, und Günter Netzer erinnert sich in seiner Biographie mit Grauen an diesen Tag.

  5. Auguste sagt:

    hmm…, urlaub in albanien – schnäppchen und last minute sind auch nicht mehr, was sie mal waren.

  6. tinu sagt:

    Shaquiri, Ehrenbürger von Tirana und Zürich – möchten Sie das mal ins FCB-Fanforum posten und schauen was geschieht?
    Selten so gelacht.

  7. Frigo sagt:

    Natürlich wäre es klar, warum Shaqiri in diesem – und wirklich nur in diesem – Artikel als zürcher Ehrenbürger betitelt wird, wenn man ihn denn lesen würde. Mit “lesen” ist natürlich auch “verstehen” gemeint.

    Dass die völkerverbindende Message des Artikels aber spätestens bei den schweizer Föderalisten nicht rüberkommt, hätte man natürlich auch voraussehen können. Dafür sind die Völker der Eidgenossenschaft offenbar zu verschieden.

  8. Goran sagt:

    So, so, Ehrenbuerger von Zuerich und Tirana! Ist das nicht aber ein Widerspruch, wenn er auch als ein Kosovo-Albaner gelten will? Von diesem “vermeintlichen” Land ist Pristina die Hauptstadt! Warum ist er nicht Ehrenbuerger von diesem Land? Oh, einen Moment: Kosovo und Metohija hat ja einen autonomen Status in Serbien und ist Teil Serbiens. Nur ein bisschen Geschichtskunde hier im Forum kann nicht schaden!

    • Gentos sagt:

      @Goran

      Egal ob Prishtina oder Tirana – einen Adler kann man nicht entzweihen. Viele Albaner aus dem Kosovo sind Ehrenbüger in verschiedenen Städten in ganz Albanien. Ebenso sind viele Staatsalbaner in verschiedenen Städten des Kosovo Ehrenbüger. Das gleiche gilt für die albanischen Gemeinden in Mazedonien und Montenegro.

      Kosovo ist ein unabhängiger Staat.

  9. Goran sagt:

    Natuerlich dürfen wir auch nicht Vojvodina vergessen, die den gleichen Status wie Kosovo und Metohija geniesst! Die Hauptstadt dieses autonomen Gebietes ist Novi Sad. Vielleicht hat ja das jemand hier gewusst!

  10. Lina sagt:

    Nun ja lieber Goran, ehrenbürger von Tirana und nicht von Prishtina ist er deshalb weil ihr “lieben” serben mit ach und krach alles versucht uns aus internationalen Veranstaltungen draußen zu halten. Und da Kosova albanisches Gebiet mit 95% Albanern ist – sind wir natürlich mit Albanien verbunden. Und Nein Vojvodina at nicht den selben Status wie die Republik Kosovo, ja genau Republik, denn seit 2008 ist der Kosovo ein unabhängiges Land mit eigener Regierung und allem was dazu gehört 😉 auch wenn ihr serben dies nicht akteptiert.
    Ich sage nur noch: Forca SHQIPERIA, HOPP SCHWIIZ!!!