Unerwartetes im Trendquartier

Die Agglo ist nicht etwa in Dietikon. Sie ist im Kreis 5!

Sieht so die Agglo aus? Blick auf Zürich West mit Primetower und Toni-Areal, September 2014. (Foto: Ennio Leanza/Keystone)

Eine Kollegin führte an dieser Stelle vor einiger Zeit ein neues Mass ein: den Agglo-Index. Die Methode ist einfach – die Zahl fällt umso höher aus, je mehr Nail- und Tattoostudios auf 1000 Einwohner kommen. Und tatsächlich: Für Dietikon hat die Kollegin einen Index von 8,5 errechnet, Zürich kommt auf lediglich 3,8 Punkte. Weitere Probebohrungen bestätigten: Je mehr Agglo, desto höher der Index.

Diesen Sommer zog ich in die Nachbarschaft des Escher-Wyss-Platzes. Nur mit Glück ergatterte ich die bezahlbare Wohnung. Man kann es nicht mehr hören, aber eben: Zürich-West wird seit Jahren wahlweise als Trendquartier angepriesen oder verschrien. Das durchschnittliche Einkommen steigt, die Bewohnerinnen und Bewohner des Industriequartiers werden nicht nur mehr, sondern gehören mittlerweile zu den reichsten der Stadt. Der Agglo-Index müsste hier also besonders tief sein.

Doch schon beim Umzug an die neue Adresse sticht mir ein Schild ins Auge: Nailstudio. Und noch im gleichen Haus: eine Tattoostecherei. Würde man den Index nicht für eine Gemeinde, sondern für ein Gebäude ausrechnen: Hier wäre er höher als in Dietikon. Damit nicht genug – auf dem Weg von der Hardbrücke zum Escher-Wyss-Platz: Agglo-Spuren, wohin man sieht. Die von der Kollegin als zusätzliches Indiz vorgeschlagenen Kebab-Buden gibt es hier an fast jeder Ecke. Und erst die weiteren Hinweise: Ein Baumarkt, eine Autowaschanlage, ein Kinokomplex mit 12 Sälen, alles mitten in der Stadt. Die Agglo ist nicht in Dietikon, sie ist im Kreis 5!

Wobei, die Dönerbuden versorgen ja nicht zuletzt die Nachtschwärmer, die in den frühen Morgenstunden aus den Clubs der Gegend stolpern. Und auch teure Läden (Viadukt!), Galerien und hippe Cafés gibt es hier deutlich mehr als Nailstudios. Alles Zeichen eines angesagten Quartiers in der Grossstadt oder – weniger positiv gewertet – für Gentrifizierung. Von wegen Agglo!

Vielleicht ist hier auch einfach der Agglo-Stadt-Schmelztiegel. Die Hardbrücke, dieses Einfallstor aus dem Umland, trifft auf das Trendquartier. Und wenn dieses die Agglo irgendwann frisst, werde ich das Nailstudio im Haus zwar nicht vermissen. Dafür einen anderen Fremdkörper mitten in der Stadt: den Baumarkt. Fast alles, was in einer Wohnung fehlen oder in die Brüche gehen kann, findet sich dort. Und die Öffnungszeiten sind erst noch städtisch.

10 Kommentare zu «Unerwartetes im Trendquartier»

  • Peter Vogel sagt:

    Ist einer der wenigen Orte wo Zürich wirklich etwas grossstädtisch wirkt. Wenn man sich das Gebiet auf Google Maps mal aus der Luft ansieht merkt man auch, dass die 2 Türme am Ende des Quartiers perfekt passen.

  • Marcel sagt:

    Das hippe Quartier, das sich gegen 2 Türme wehrt, die in etwa die Durchschnittshöhe eines WC Häuschens in Hongkong erreichen. Also so was…

  • Kurt E. Spillmann sagt:

    Ich empfinde die Entwicklung dieses Quartiers durchaus positiv.
    Aufgewachsen in Wipkingen und heute in Höngg wohnend schätze ich, dass ich in einer so prosperierenden Stadt wohne. Früher gingen dort im Kreis 5 die Industriearbeiter von Zahnräder Maag und Escher-Wyss nach der Arbeit über die kleine Wipkingerbrücke, um vor dem nach Hause gehen im Restaurant Anker am Wipkinger-PLatz ein Bier einzunehmen. Das war damals dann schon das höchste der Gefühle.
    Und heute, -im Wandel der Zeit erleben dort eine Vielzahl von Menschen jeden Alters und Herkunft die grossen positven Veränderungen. Sie kommen zum Wohnen, zum Vergnügen und um in den Büros etc. zu arbeiten.

  • david mercier sagt:

    hab mich sehr amüsiert über den artikel….. merci für den lacher in den tag.
    ein leser aus dem kr.4 in dem es gefühlt … nur noch nailstudios und haarverlängerungsinstitute gibt. aber leider nicht mehr den italienischen gemüsehändler oder den superfeinen kleinen supermarkt mit portugisieschen spezialitäten die über kentnissstand des halbwegs hippen in-gesöff sagres liegen, also irgendwie agglo pur im 4i, oder modern ausgedrückt auch gentrifizierung.

  • Markus sagt:

    Einen Home Depot gibts auch mitten in Manhattan an der 23. Strasse und läuft dort auch bestens. Der Jumbo Markt hat bestimmt seine Berechtigung. Fragen Sie doch den Besitzer, Manor. Dank cleveren Marktstudien wissen die mit Bestimmtheit besser wo die Agglo beginnt und wo sie aufhört.

  • Thomas Keller sagt:

    Zürich West war vor gefühlten 25 Jahren hipp, mit dem alten x-tra in den Industriegebäuden. Geblieben ist vielleicht noch das Les Halles, aber sonst kann man den Index bestätigen. Ich würde neben den Kebabständen noch all die himmeltraurigen System-Gastrokonzepte dazu nehmen, denn da wo die auftauchen ist dar Hippfaktor am Nullpunkt.

  • Rolf Hefti sagt:

    Meine Hoffnung als Agglomeratiönler war, das städtische Bünzlitum ist endlich ausgestorben, nachdem der Primetower gebaut war. Leider kam danach nichts mehr Höheres nach. Man wartet nur schon etwa auf die Zooseilbahn, auch schon etwas viel länger. Man sollte bei unpolitischen Projekten, auf allen Seiten toleranter sein.

  • Hans Züllig sagt:

    Einfach schade, dass die Stadt es versäumte, den Kreis 5 mittels einer grossen Tiefgarage zu versehen. Lieber plante man eine mehrspurige Pfingstweidstrasse, die man für die Agglos mit Radarkästen bestücken kann und die eigentlich nirgends hinführt, auch nicht zu den Nailstudios. So spült es die halbe Agglo darüber und den miefig veralteten Bahnhof Hardbrücke ins Quartier rein. Entstanden ist wie Sie richtig schreiben, wenig gescheites.

  • Yvya sagt:

    Wo sind denn die hippen Cafés?

    • Alejandro Romero sagt:

      Das Café Lang, Spheres, Löwenbräu Areal. Alles rund um den Steinfels Areal. Mehr quantitative Verdichtung statt mehr Schickeria und Retroschick mit Bars, Cafés, Krippen und Galerien. Der Jumbo Baumark. Kebablokale, Garagen, Multiplexkino wie auch gehobene Restaurants und Clubs, stellen gerade den nötigen Kontrapunkt zur verhipsterung des Quartiers. Jetzt müssten nur intensiv in Höhe und Masse verdichtet werden und internationale Ketten in den Erdgeschossen einziehen und vorbei ist die Hippness.

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