Dökterle

Besuch beim Hausarzt für eine Untersuchung. (Foto: Severin Novacki)
Verzeihen Sie, dass ich mit medizinischen Geschichten komme, aber ich war ziemlich jung, als mir ein Arzt sagte, ich hätte ein Problem mit den Venen, das Blut fliesse nicht richtig zum Herzen zurück. Krampfadern, sagte der Arzt, man kann sie bekämpfen, sagte er, man zieht die Venen aus dem Gewebe oder tötet sie ab und schleust so mehr Blut durch die verbleibenden Gefässe, was den Druck erhöht. Alle fünf, zehn Jahre muss man den Eingriff wiederholen, sonst lagert sich Wasser in den Beinen ab und man ist im Zürcher Sommer gesellschaftlich tot.
1992 wurde ich erstmals operiert. Erhielt eine Narkose und lag eine Woche im Spital. Als letzte Woche wieder ein Eingriff fällig war, ging ich zum Arzt, legte mich ins Sprechzimmer, mit kleinen Einstichen betäubte er die problematischen Stellen, und anderthalb Stunden später nahm ich wieder den Neuner, mit einer Tüte Verbandszeug und genauen Anweisungen, wie ich die Wunden der Operation pflegen soll.
«Verrückt», sagte ich zum Arzt. Hat sich die Medizin entwickelt? Ist man weniger ängstlich, traut dem Patienten mehr zu? Ist man effizienter geworden unter dem Druck des Sparens? «Von allem etwas», antwortete er. Die medizinischen Verfahren hätten sich tatsächlich vereinfacht. Und früher seien die Spitäler interessiert gewesen, Patienten lange zu behalten, weil sie die Tage abrechnen konnten. Man möchte aber auch, dass sich die Menschen um sich kümmern, sich bewegen, dass sie mitwirken an der Genesung.
Der medizinische Fortschritt ist eine grossartige Sache, dachte ich, aber ich habe keine Ahnung, was in meinen Beinen abgeht. Den medizinischen Fortschritt, den nehme ich hin. Das mit dem Krankenpfleger hingegen, ich weiss nicht. Was bin ich nicht alles geworden in letzter Zeit, Kassier der Migros, Banker der ZKB, Schreiner von Ikea und jetzt noch Krankenpfleger. Ehrlich gesagt, ich habs gern gemacht. Sass auf dem WC-Deckel und legte den Druckverband an, fühlte mich gut, wenn die Kinder zuschauten. Dökterle.
Aber heisst es nicht in der modernen Wirtschaft, dass die Berufe verschwinden, die man zu Hause machen kann? Ich dachte an die sinnlosen Nachmittage im Spital, lesen, dösen, das fade Essen, die Geschichten der Mitpatienten, die Fernsehabende im Gemeinschaftszimmer, wurde dort nicht geraucht? Ja, und an die Sprüche der Besucher, das Lächeln der Schwestern.
3 Kommentare zu «Dökterle»
Ja, und Sie gehen dann mit den Problemen der Tage 2-5 zum Hausarzt. Deswegen steigen die Kosten, die er “verursacht” und das Spital arbeitet “günstiger”. So denken es jedenfalls die Politiker und die breite ahnungslose Masse. Letztlich gehen alle diese Fürze auf Dreifuss’ Versicherungszwang zurück, aber das können die meisten Leute nicht nachvollziehen, weil man dafür ein wenig komplexere Zusammenhänge erklären und verstehen müsste, als dass es solche Spalten erlauben. Der Lauf der Dinge halt. Markteingriffe halt. Funktionieren nie.
Im Gegenteil, Markteingriffe haben schon immer funktioniert. Das gibt es an vielen Stellen zu beobachten.
Regeln sind Markteingriffe und ohne diese würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Darvinismus ist eben nicht das Gelbe vom Ei.
Unser globales Wirtschaftsproblem mit Grosskonzernen wie Google, MS, Apple, Nestlé, Novartis, Amazon, Flixbus sind beste Beispiele wie die Wirtschaft aus dem Ruder läuft. Sie fallen über andere Konkurrenten her oder unterbieten diese mit eigenen Verlusten weil sie wissen das sie diese länger aushalten.
Ob es jetzt sinnvoll ist Patienten länger im Krankenhaus zu betreuen? Das ist eine andere Geschichte, um die zu beurteilen man am besten Ärzte und Pfleger befragen müsste.
Die Behandlungen werden effizienter abgewickelt, gleichzeitig steigen aber die Krankenkassentarife. Grund dafür ist, dass ein Spitalaufenthalt via Kanton sprich einkommensabhängig via Steuern verrechnet wird, während ein ambulanter Eingriff direkt über die Krankenkasse, sprich einkommensunabhängig verrechnet wird. Von diesen schleichenden Mehrbelastung der unteren und mittleren Einkommen spricht man, wenns um Gesundheitskosten geht, eigentlich nie.