Der Geist von Zürich

Zürich duldet keine Architekten, die das Stadtbild prägen. Trotzdem gibt es so etwas wie einen Zürcher Stil.

Warum hat Zürich nicht so etwas: Die Elbphilharmonie in Hamburg. (Foto: Keystone/DPA/Markus Scholz)

Kürzlich sah ich im Internet den Slogan «Zurich – World Class. Swiss Made». Mit dem Satz sollen Menschen nach Zürich gelockt werden, der Slogan ist seit 2014 die Marke der Stadt. Als ich kürzlich wieder auf ihn stiess, fragte ich mich, woher das kommt, dass wir alles verkaufen müssen? Aus allem eine Marke machen? In eine Stadt, die sich so anpreist, würde ich nie im Leben gehen. Städte, die etwas auf sich halten, brauchen doch keinen Slogan, keine Marke, die sind stolz und ruhen in sich.

Ich erzähle das nur, weil wieder mal diskutiert wird, warum Zürich keine baulichen Ikonen hervorbringt. Keine Tate wie in London und keinen Konzertsaal wie in Hamburg. Wo bleibt der Bürgersinn in dieser Stadt? Der kollektive Wille zum Grossen? Denn wenn wir was richtig Umwerfendes hätten in Zürich, ist die Überlegung, dann kämen die Touristen von selber, dann brauchte es keine Slogans, dann wären wir World Class einfach so.

Die Hauptstadt von Slowenien heisst Ljubljana und ist geprägt vom Architekten Joze Plecnik. Der Mann baute um 1930 herum Brücken, Märkte, Friedhöfe, Hochschulen, die Universitäts­bibliothek, er setzte die Bauwerke zueinander in Beziehung, überzog Ljubljana mit dem Raster seiner verspielten Architektur. Man kann sagen, dass Plecnik die Stadt in den rund zwanzig Jahren seines Wirkens gestaltet hat wie eine einzige grosse Parkanlage, wie einen gigantischen Baukasten, ganz nach seinen Vorstellungen.

Typen wie Plecnik wären in Zürich unvorstellbar. Dass einer kommt und sagt: Ich habe ein paar grosse Ideen, lasst mich machen – und dass man ihn dann machen lässt: nicht zu denken. Dabei gibt es durchaus Architekten,die in den letzten Jahrzehnten Zürich geprägt haben, weil man immer wieder auf sie stösst, weil sie einen Stil geschaffen haben, den man zürcherisch nennen kann. Theo Hotz gehört dazu, Annette Gigon / Mike Guyer, auch Meili Peter oder EM2N, von denen das Toni-Areal ist oder die Viaduktbögen hinter der Röntgenwiese.

Um unsere Stadt zu verstehen, ihren Geist, müsste man diese Bauwerke studieren. Untersuchen, ob sich Gemeinsamkeiten finden lassen ausser der nackten Tatsache, dass sie überhaupt gebaut wurden; dass man die Architekten immer wieder machen liess; dass sie alle möglichen Hürden passierten, Wettbewerbe, Volksabstimmungen, Baubewilligungen, Rekurse.

Man müsste diese Bauten vergleichen mit denen, die nicht gebaut wurden. Mit dem Kongresshaus, dem fünfeckigen Stadion. Oder mit den herausragenden Einzelgängern, wie dem Schulhaus Leutschenbach von Christian Kerez, dem Tamedia-Haus von Shigeru Ban, dem Bahnhof Stadelhofen von Santiago Calatrava, dem Schiffbau von Ortner und Ortner, dem Schulhaus Im Birch von Peter Märkli. Oder aktuell: der Erweiterung des Landesmuseums von Emanuel Christ und Christoph Gantenbein.

Nein, da ist keine Tate darunter und keine Elbphilharmonie, aber schämen müssen wir uns nicht. Und als Trost: Bei der Gotthard-Raststätte auf der A 2 gibt es eine Autobahnkirche des Zürcher Architektenteams Guignard Saner, ein grossartiges, originelles Werk der Ruhe, nicht viel grösser als ein Einfamilienhaus. World Class.

Die Stadtblog-Kolumnisten sind vom 16. Juli bis am 26. August in den (leicht verlängerten) Sommerferien. Während dieser Zeit erscheint hier ein Best-of von bereits publizierten Blog-Beiträgen.

7 Kommentare zu «Der Geist von Zürich»

  • Manuel Pestalozzi sagt:

    Es ist wohl wahr: Zürich ist nicht die Stadt der grossen architektonischen Würfe, die urbane Qualität ergibt sich aus überraschenden Brüchen und Überraschungen, aus der Vegetation, den Jahreszeiten – und aus einer einmaligen Topographie. Zu Jože Plečnik sollte man wissen, dass er ein hervorragend vernetzter „kakanischer“ Architekt war, der auch in Wien seine Spuren hinterlassen hatte und die Burg von Prag im Auftrag des ersten tschechoslovakischen Präsidenten herrichtete. Als kosmopolitischer Patriot des frisch gegründeten Jugoslawiens hatte er die einmalige Chance, seiner Heimatstadt seinen Stempel aufzudrücken. Die Welt dankt es ihm bis heute.

  • Florian Müller sagt:

    Wer weiter als nur ein paar Jahrzehnte zurückschaut findet einige Zürcher und Schweizer Architekten, die mit ihren Bauten die Stadt in Anlehnung an jeweilige Strömungen durchaus bereichert haben. Da wären Salvisberg mit Maschinenlaboratorium, Fernheizung, Wohn- und Geschäftshäusern. Egender mit Globus, Globusprovisorium und Hallenstadion. Prof. Dunkel mit Wohn- und Geschäftshäusern. Dessen Projekte wie neues Schauspielhaus, 8-spurige Quaibrücke und unterirdisches Parkhaus Schifflände wurde dank dem Stimmbürger genauso verhindert wie ein …. Kongresshaus. Anstelle des neuen Schauspielhauses gibt es am Pfauen jetzt ein 2.Kunsthaus für Bührles Sammlung, ohne Passarelle wohlverstanden.

  • Florian Müller sagt:

    „Dass einer kommt und sagt: Ich habe ein paar grosse Ideen, lasst mich machen – ….“ das gab es durchaus. Da haben wir beispielsweise Guhl mit Stadthaus und Uraniadurchstich, auch die heilige Kuh Landesmuseum stammt von ihm. In der Zeit von Plecnik gabs in Zürich Moser mit Universität, Zähringer- und St.Peterstrasse.
    Dass beide ihre Ideen nicht zu Ende führen konnten ist einerseits Geldmangel und Weltkriegen zu verdanken und spricht andererseits für unsere Demokratie. Sind doch beispielsweise die Haussmannschen Boulvards in Paris eine militärische Massnahme, die aktuell in Diyarbakir von einem Autokraten/Diktator kopiert wird

  • Buz Fallätscher sagt:

    Sind Typen wie Plecnik in Zürich wirklich unvorstellbar? Was ist mit Moser und Gull?

  • Andreas Konrad sagt:

    Das Zürcherischste aller Häuser ist der gemeine Block: Er versteckt seine Masse gerne als schlängelndes Dörfli oder als gestaffelter Berg. Ausdruck einer kalten, toten Spätmoderne, alleine dem Versorgen des unteren Mittelstandes in der hingeworfenen Agglomeration verpflichtet. Sein König ist das Lochergut, doch seine kleineren Typen finden sich in der ganzen Schweiz. Die Trostlosigkeit dieser Massen werden gerne mit Namen wie «Paradiesli» o.a.kaschiert – erfolglos. Sein Teppich ist das Abstandsgrün, seine unsäglichen Fenstern (1 zu 2 geteilt) sein Gesicht. Der Einstieg folgt meist halb unterirdisch, dunkel, sein Inneres gerne mit «Schwartenmagen» Plättli ausgelegt. Tipp: Sprengen!

    • geezer sagt:

      @Konrad: dem stehen aber viele neubauten der sparte ‚gemeiner block‘ in nichts nach.

      die überbauungen im zollfreilager, an der europaallee und der hohlstrasse können da in sachen hässlichkeit locker mithalten, um nur einige beispiele zu nennen.

    • Florian Müller sagt:

      Der gemeine Block mit seinem „unterirdischen Schwartenmagen“ wird bestens gedeihen, solange 95 % der Gelder im Bausektor von institutionellen Anlegern kommen, die damit unser aller Renten erwirtschaften. Einzig der Staat hat da eine gewisse Bewegungsfreiheit, die allerdings durch die Einsprachen von Shareholders an den institutionellen Anlegern stetig in Frage gestellt wird.

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