Männermontag

Das Café Bank am Helvetiaplatz. (Foto: Dominique Meienberg)
In der «Bank», dem Café am Helvetiaplatz, kann man gut arbeiten, interessante Menschen gehen ein und aus, aber es ist ruhig, der Tee ist gut, der Kuchen auch. Am Nachbartisch sass ein junger Mann mit einem Baby auf dem Arm, es war nicht älter als ein paar Monate. Der junge Vater hätte Versicherungsmathematiker sein können, zwei Kollegen sassen ihm gegenüber, sie diskutierten über Autos, ab und zu schob der Vater den Säugling zurecht, er war völlig auf das Kind eingestellt, aber auch die anderen beiden am Tisch sprachen auf den Winzling ein, er schien sie zu faszinieren. Drei Männer und ein Baby.
Ich konnte nicht anders, als dauernd hinüberzuschielen. Ich war neidisch auf das kleine Wesen, wie es in seiner Verwundbarkeit den ganzen Tisch in Beschlag nahm; gleichzeitig hatte die Szene etwas Modernes, weil sie sich unter Männern abspielte und keiner der drei Typen in seiner Männlichkeit getroffen schien, im Gegenteil, es war selbstverständlich, dass sich alles um den hilflosen Säugling drehte und nur ein bisschen um Autos, aber immerhin.
Später kamen zwei Männer zwischen dreissig und vierzig herein, der eine etwas rundlich, der andere cool und grau meliert, beide stiessen einen Kinderwagen, dann kam ein Typ mit einem zweijährigen Mädchen, später noch ein junger Mann mit einem Baby, fünf junge Väter waren im Lokal, junge Mütter hatte es keine.
Vielleicht war diese Häufung ein Zufall, vielleicht bleiben Männer am Montag gern zu Hause, wenn die Woche hart anfängt, dafür arbeiten sie lieber am Freitag, wenn der Apéro am frühen Nachmittag beginnt. Aber vielleicht ist es heute in gewissen Kreisen selbstverständlich, dass Männer ihren Part der Kinderbetreuung übernehmen, fifty-fifty, zumindest hier im Kreis 4 – in Bassersdorf oder Schlieren ist es etwas komplizierter.
Gleich gegenüber dem Café Bank liegt das Kanzleischulhaus, wo meine älteste Tochter in den Kindergarten ging, im Dachstock, neben Roland Gretlers Fotoarchiv der Arbeiterbewegung. Es war ein antiautoritärer Kindergarten, einer der letzten der Stadt, ein Auslaufmodell aus der Zeit, als man meinte, die Welt verbessern zu können, wenn man die Kinder alternativ und fortschrittlich erzog.
Wir Eltern haben im Kindergarten mitgearbeitet, Vater und Mutter mussten sich beide gleichermassen beteiligen, die alternativen Kindergärten waren im Zuge der Frauenbewegung entstanden. Wir Eltern mussten mindestens einmal pro Monat kochen und putzen, es gehörte zum Konzept, dass man die Entwicklung der Kinder vor Ort mitverfolgte, schon ab drei Jahren. Es gab mühsame Sitzungen, wir stellten die Kindergärtnerinnen selber an, man hatte viel Freiheit, obwohl der Kindergarten subventioniert war.
Trotzdem hatte unser Kindergarten Mühe, Kinder zu finden. Ende der Neunzigerjahre hatten die Leute keine Lust mehr auf den ganzen Aufwand, «quality time» lautete das Wort der Stunde. Vielleicht hatten die jungen Eltern auch genug vom ideologischen Ballast. Auf jeden Fall gingen die antiautoritären Kindergärten aus der Mode, doch ihre Idee lebte irgendwie weiter, und jetzt schwirren die Männer mit den Kinderwagen umher, am Montag zumindest, Männermontag.
Die Stadtblog-Kolumnisten sind vom 16. Juli bis am 26. August in den (leicht verlängerten) Sommerferien. Während dieser Zeit erscheint hier ein Best-of von bereits publizierten Blog-Beiträgen.
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