Die Tempel der Bildung

Das Schulhaus Kartaus im Zürcher Stadtkreis 8. (Foto: Dominique Meienberg)
Die Villa Hohenbühl steht zwischen Pfauen und Kreuzplatz, diesem verwunschenen Viertel des Grossbürgertums mitten in der Stadt. Ein richtiger kleiner Palast in einem grossen Garten, was sage ich, einem Park mit Pavillons und einer raunenden Grotte; das Heim einer Kaufmannsfamilie im 19. Jahrhundert. 1949 kaufte die Stadt den Erben die Villa ab, Schulräume wurden eingerichtet, erst für die benachbarte Töchterschule, später für die Kanti Stadelhofen.
Meine älteste Tochter ging dort ins Zeichnen, die Schüler hätten sich ein bisschen wie Künstler gefühlt, sagt sie, «die Stimmung der Villa hat uns inspiriert». An Besuchstagen war ich ein paarmal dort, man ging ein imposantes Treppenhaus hoch, das dunkle Parkett knarrte, und oben unter der Kuppel hatte man einen traumhaften Blick auf den See.
Vor zwei Wochen stand in der Zeitung, dass die Villa Hohenbühl für den Schulbetrieb zu teuer sei, im Sommer 2019 ist Schluss mit Inspiration. Offenbar habe die Stadt den Mietzins verdreifacht, nachdem die Villa hatte renoviert werden müssen. Der Kanton hat zwar rekurriert, doch selbst der Kompromiss sei nicht bezahlbar gewesen, mit anderen Worten: Der Kanton Zürich kann sich die Villa Hohenbühl nicht mehr leisten, diesen magischen Ort, wo Generationen über ihren Zeichenblättern geträumt haben, diese Oase eines etwas anderen Schulbetriebs.
Gut, kann man sagen, tragisch ist das nicht. Man kann überall zeichnen, es reicht ein Pult und etwas Licht, Kunst entsteht an den unmöglichsten Orten. Gut, kann man sagen, der Trend hat gekehrt, die Zeiten der luxuriösen Schulhäuser sind vorbei. Das haben die grossartigen Bauten von Peter Märkli in Oerlikon und Christian Kerez im Leutschenbach schon vor zehn Jahren zu hören bekommen.
Ja, früher, da waren Schulhäuser Kathedralen, Monumente der Bildung, der Aufklärung, der Ordnung, der Zucht, der Weltoffenheit und Moderne: In den Schulhäusern spiegelte sich der Geist der Stadt, der Geist der Zeit. Und jetzt? Schulhäuser müssen funktional sein, sparsam, allenfalls umweltfreundlich, das weiss jeder Architekt, der heute in Zürich ein Schulhaus baut. Aber Kathedralen – von welcher Religion denn überhaupt? Bildung, Wissenschaft, Aufklärung? Wissen wir denn überhaupt, warum wir unsere Kinder durch die Gymnasien und Universitäten treiben?
1996, das war vor zwanzig Jahren, debattierten auf den Seiten des «Tages-Anzeigers» zwei Journalisten, ob eine halbe Million Franken für ein Tickethäuschen der VBZ am Central eine sinnvolle Ausgabe sei. «Mit dem gepflegten Auftritt wird ganz klar signalisiert: Wir sind ein Qualitätsunternehmen, wir geben uns Mühe, wir wollen immer besser werden, wir kämpfen um jedes Billett.» So verteidigte der Kollege damals die enormen Kosten für das Billetthäuschen, eine halbe Million war in den Neunzigerjahren viel Geld für die verschuldete Stadt.
Bahnhöfe, Universitäten, Schulhäuser, Stadien, Billetthäuschen des öffentlichen Verkehrs: Sie waren einst Monumente. Wo sind die Kathedralen von heute? Wo spiegelt sich der Geist der Stadt? Irgendwo muss er ja sein.
Die Stadtblog-Kolumnisten sind vom 16. Juli bis am 26. August in den (leicht verlängerten) Sommerferien. Während dieser Zeit erscheint hier ein Best-of von bereits publizierten Blog-Beiträgen.
3 Kommentare zu «Die Tempel der Bildung»
Ja, vieles wird vernichtet. Ich habe nie verstanden, dass Jecklin und Musik Hug fusionieren. WIe habe ich doch im CD Raum
diskutiert, schöne unbekannte Werke gekauft oder gehört. Das gibt es auch nicht mehr. Schade. Alles wird umgebaut,oder vernichtet,
ich behalte aber gute Erinnerungen an schöne Zeiten. Anderswo ist es ebenso. Dann gehen halt auch Zürcher zum Schlöhlein nach Basel oder lassen ihre Wünsche aus dem Ausland kommen.
Mit Blick auf das spektakuläre Schulhaus Leutschenbach halte ich diesen Kulturpessimismus für unangebracht.
Das Tickethäuschen am Central ist jetzt ein Kaffee-Take Away, der kaum rentieren kann. Der „Geist der Stadt“ spiegelt sich nicht nur in Schulhäusern.