Der Agglo-Index

Nail- und Tattoo-Studios eignen sich wunderbar zur Berechnung eines neuen Agglo-Index. Wir habens ausprobiert.

Der Szenekenner hat es erwartet: Das Nagelstudio hat den Imbiss ersetzt. Bild: EPA/Frank Rumpenhorst

Der Take-away in der Ladenpassage war noch gar nicht so lange offen, die Lage gar nicht so schlecht, aber die Konkurrenz im Bahnhofsgebiet meiner Wohngemeinde durch Döner & Co gross. Szenekenner wunderten sich daher nicht, als die Rollläden des Imbisslokals immer seltener oben waren und schliesslich klar wurde, dass hier wieder jemandes Geschäftsidee bachab gegangen war.

Und Szenekenner wunderten sich auch nicht darüber, was nach einigen Wochen im ehemaligen Take-away einzog: ein Nail-Studio. Damit sind wir beim Thema dieser Kolumne. Nail-Studios scheinen nämlich geradezu archetypisch zu Agglo-Gemeinden zu gehören. Nail-Studios und Tattoo-Stechereien. Hierin scheint ein ureigener Beitrag der Agglomeration zur Diversität der Ladenstrassen zu bestehen, den es wissenschaftlich allerdings noch zu würdigen gäbe.

Nail- und Tattoo-Studios sind, so wird hier einmal behauptet, dazu geeignet, einen Agglo-Index zu errechnen – dies ist ein Wert, der selbst in den so breit angelegten Daten des überaus findigen Statistischen Amtes des Kantons noch fehlt.

Der Agglo-Index ergibt sich folgendermassen: Wir berechnen, wie viele Nail- und Tattoo-Studios auf 1000 Einwohner kommen. Je grösser der Wert, desto grösser ist der Agglo-Anteil der entsprechenden Gemeinde. Diese muss allerdings eine gewisse Grösse aufweisen, da sonst einzelne Ereignisse übergewichtet werden. Machen wir die Probe aufs Exempel und nehmen eine typische Agglo-Gemeinde, zum Beispiel Dietikon, und die urbanste aller Städte im Kanton, Zürich. Dietikon hat derzeit rund 26’000 Einwohner, und das elektronische Telefonbuch ergibt 16 Treffer unter dem Stichwort «Nail» und 6 Treffer unter «Tattoo». Macht also 22 geteilt durch 2,6, was einen Agglo-Index von 8,5 ergibt.

In der Stadt Zürich mit ihren 400’000 Einwohnern gibt es 123 Treffer unter dem Stichwort «Nail» und 30 Treffer für «Tattoo»; der Agglo-Index beträgt damit 3,8. Das bedeutet, Dietikon hat mehr als doppelt so viel Agglo zu bieten wie die Stadt Zürich. Ein Beispiel ist noch keine Regel, sondern erst eine These, die es zu überprüfen gibt. Das tun wir jetzt: Wir nehmen das in den Medien immer wieder als Prototyp der Agglo kolportierte Schlieren und die nach Zürich nächstgrössere Stadt im Kanton: Winterthur. Für Schlieren errechnen wir einen Agglo-Index von 6,3 – da ist also etwas weniger Agglo drin als in Dietikon. Und Winterthur kommt auf einen Agglo-Index von 4,2. Winterthur ist damit ein klein wenig mehr Agglo als die Stadt Zürich! Was die Winterthurer wurmen wird, hier aber erstmals überhaupt mit Zahlen belegt werden kann.

Diese Methode, den Agglo-Anteil einer Gemeinde zu bestimmen, könnte natürlich verfeinert werden, indem man zum Beispiel noch die Dönerbuden-Dichte einbezieht. Oder aber die Sushi-Lokale abziehen würde, da diese doch urbanes Flair verbreiten. Man könnte auch manche Faktoren mehr gewichten. Dann lässt sich eine Kantonskarte erstellen, auf der die Agglo-Stärke der Gemeinden eingefärbt wird. Ich würde die Farbe Pink bevorzugen, Pink wie der Migros-Einheitsnagellack, den meine Mutter jeweils am Donnerstagabend vor der Kirchenchorprobe auftrug. Zu Hause auf dem Diwan sitzend – denn damals gab es noch kein einziges Nail-Studio in Schlieren. Und Tattoos waren etwas für Seemänner und Halbstarke. Und Schlieren noch ein Dorf.

Die Stadtblog-Kolumnisten sind vom 16. Juli bis am 26. August in den (leicht verlängerten) Sommerferien. Während dieser Zeit erscheint hier ein Best-of von bereits publizierten Blog-Beiträgen.

8 Kommentare zu «Der Agglo-Index»

  • Vanessa sagt:

    Köstlicher Beitrag, Frau Arnet 🙂 !
    I like!

  • M.M. sagt:

    Die künstlichen Nägel sehen ja dekorativ aus, aber das Nagelbeet der Frau sieht bedenklich aus! Ist das schon Nagelpilz?

  • Benjamin sagt:

    Die 4.2 für Winterthur gegenüber den 3.8 für Zürich werte ich als vollen Erfolg.
    Vermutlich gibt es selten ein Vergleich bei dem unser bodenständiges Winti nur so wenig hinter Zürich ist 😀

  • Rolf Hefti sagt:

    Mich hatte mal eine ältere Goldküstenlady nach dem Weg zu einem Geschäft an der Bahnhofstrasse gefragt. Als sie erfuhr, dass sie dazu vom Paradeplatz in die Richtung des Hauptbahnhofes gehen müsste, lehnte sie es tatsächlich dankend ab, dorthin gehen zu müssen, wegen der akut drohenden Gefahr eines möglichen Überfalles ! Nur der Teil der Bahnhofstrasse von hier bis zum See sei sicher, wurde ich aufgeklärt ! Das sind wohl echt schlimme Zustände in unserem Züri, dachte ich ! Man macht sich die Welt offenbar gerne so, wie man sie haben möchte, schön ist, die Oberschicht ist auch nicht wirklich weniger bünzlerisch als ich ! Sie fliegt also teuer in das Abenteurer irgendwo, unsereins kann das offenbar gratis und billig um den HB erleben ! Irgendwie – ist das schon – sehr beruhigend!

  • loulou montez sagt:

    Ich wohne im äusseren Seefeld und wir haben bereits das zweite Nagelstudio an unserer kleinen Strasse. Es besteht also noch Hoffnung, dass die Gentrifizierung endlich ein Ende nimmt.

  • Robin H. sagt:

    Der Artikel zeigt etwas auf, das aber weniger über die Berufsgattungen, sondern über das Budget der Geschäfte aussagt.

    Lletztlich ist nur eine kleine Klientel in der Lage, höhere Mieten in der Innenstatd zu zahlen,

    wer jedoch Lust hat, ohne grössere Ausbildung oder Kapital seine zweite Säule zu verbraten, um wenigstens EIN Mal im Leben das Facebook – Profil auf „Selbständig bei Businessi“ plus Visitenkarten schmücken zu können,

    der muss wohl oder übel am Stadtrand die tieferen Mieten in Kauf nehmen.

  • Mathias Gläser sagt:

    Es gibt gewisse Wahrheiten die auszusprechen eher pubertär ist. So auch diese.

  • Peter Gut sagt:

    Volltreffer!
    Gefällt mir ausserordentlich.

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