Wo die Schauspieler speisen

Die Kantine des Schiffbaus ist im modernen Anbau der alten Halle untergbracht.
«Darf man da überhaupt rein?», fragt der Vegetarier. Der Karnivore – mutig vorausschreitend durch das dunkle Treppenhaus – dreht den Kopf. Wieso er, der Vegi, jetzt so vorsichtig tue? Ob er Schiss habe, nicht mehr zu den Guten zu gehören? «Pssst», mahnt der Vegi, «schalten wir lieber auf Hochdeutsch um. Dann hält man uns für Schauspieler.»
Zu spät. Schon haben die beiden einen gemütlichen Raum erreicht mit Betonboden und Holztischen. Es ist die Kantine des Schiffbaus, dort, wo sich Ophelia oder Antigone jeweils das letzte Mahl genehmigen, bevor sie auf der Bühne sterben.
Offiziell öffnet die Kantine erst um fünf Uhr. Aber, so hat der Karnivore über theaternahe Kanäle erfahren, man könne dort auch gut mittagessen. So ist es. Niemand starrt die zwei Nichtschauspieler vorwurfsvoll an, als sie ein Tablet greifen und sich einreihen in die kurze Fassstrasse. Auch die Frau hinter den Töpfen verlangt keinen Mitarbeiterausweis. Sie fragt: «Vegi oder nicht Nicht-Vegi?» – «Vegi», antwortet der Vegetarier hastig, voller Freude, dass hier fleischfreies Essen als Norm gilt. «Nicht-Vegi» bestellt der Karnivore demonstrativ laut.
Mit einfachen Fragen geht es weiter: «Intern oder extern?», will die Kassiererin wissen. Der Vegi entspannt sich wie ein Jungschauspieler nach der Premiere. Die Frage macht endgültig klar, dass hier auch über Mittag Nicht-Schauspielhäusler kulinarisches Asyl finden. Die Kunst zeigt in Flüchtlingsfragen bekanntlich ja ein grosses Herz.
Aber wo sind nur die Schauspieler?, fragen sich die beiden, nachdem sie Platz genommen haben. Es ist nichts zu hören von furiosen Monologen in Bühnendeutsch. Nichts zu sehen von bedeutungsschwerem Händeringen. Alles normale Menschen. Ein einziges T-Shirt verrät die kulturelle Zugehörigkeit des Trägers. «Theater des Jahres – die Burg» steht darauf. Das sei ja wie einer, der im GC-Leibchen in der FCZ-Bar sitze, flüstert der Karnivore.
Ihn beschäftigt auch die Frage, wieso die Kassiererin denn Adiletten trage. Bitte, das sei doch seit Jahren Mode, belehrt ihn sein Mitesser. Der Karnivore dürfe halt nicht immer nur in Fleischrestaurants speisen, wo die Menschen im 20. Jahrhundert stehen geblieben seien. Soso, entgegnet der Karnivore, und aus welchem Jahrhundert stammten denn die Adiletten?
Definitiv aus dem 21. Jahrhundert kommen die Gerichte. Der Vegi kriegt sich kaum ein. Ausgezeichnet seien seine im Gemüse eingebetteten Ravioli (18.50 Franken, extern). «So sollte man kochen heutzutage.»
Ob das «Nicht-Vegi»–Hackfleisch im Blätterteig mit Gemüse, Reis und Salat (19.50, extern) – auch so gut schmecke? Vieles passe, sagt der Fleischkopf, Bissigkeit, Aussehen. Leider finde er die Sache etwas geschmacksarm. Um die Aussage zu verdeutlichen, greift er zum Streuer und beginnt zu salzen. Theatralisch, fast wie ein Schauspieler.
Kantine Schiffbau, Schiffbaustrasse 4, Mo bis So, ab 17 Uhr
6 Kommentare zu «Wo die Schauspieler speisen»
Nein, das ist nicht wie im Fussball! Die tragen alle das gleiche Leibchen und sie unterscheiden sich nur durch die dicke Schleimspur, die vom Provinztheater hoch hinauf in die Burg führt.
wurde auch schon ‚ausdrücklich‘ darauf hingewiesen, dass die kantine nur für interne (externe in begleitung von internen) zugänglich sei. also was jetzt herr metzler
Komisch, wir wurden dort vor ein paar Jahren rausgeschmissen mit der Begründung, die Kantine sei nur für Interne zugänglich, weil sie zu klein sei um auch Externe zu bewirten. Offenbar verpflegen sich die Internen nun woanders.
Vegis sind eben Schauspieler..
Karnivore eben, eine besondere spezis,
welche immer wieder im bunten kostüm sich wichtig machen. meine bitte lasst den kühen ihr gras–danke
Gefällt, danke. Macht neugierig. Die Adiletten und die „Geschmacksarmut“ gilt es dann halt tapfer auszuhalten.
Cool geschrieben?