Am Rand des Wahnsinns

Tivoli heisst Vergnügungspark auf Deutsch. Ist es das? Blick ins gleichnamige Einkaufszentrum in Spreitenbach. (Bild: Bruno Schlatter)
Einkaufen. In der Stadt pflegt man für die Konsumenten ja gerne einen gewissen Landchic. Berg und Tal, Im Garten und Käsers Schloss heissen hier die Läden. Ganz so, als ob man per Namenswahl die Alp in die Stadt bekäme. Andere Geschäfte versuchen derweil, Individualität ins Kaufrauscherlebnis zu bringen. Einzelstück, Einzigart, Fabrikat heissen sie. In den meisten dieser Shops ist Preisvergleichen aber höchst unschicklich. Kreditkarte zücken, Zähne zusammenbeissen und später das schlechte Gewissen runterspülen oder sich ein gutes kaufen.
Und dann die Europaallee! Eine Allee, die fast ohne Bäume auskommt. Ehrlicher wäre Betonallee oder Staubschluchtenlabyrinth gewesen. (Und warum kalkuliert eigentlich kein Architekt die Winde ein, die später um seine Hochhäuser pfeifen?)
Dann doch lieber an den Rand zum Einkaufen.
In der Agglo ist ja alles grosszügiger, weiter, grobschlächtiger auch, praktischer, ohne Firlefanz. Elefanten wie ich fühlen sich da weniger wie im Porzellanladen. Shoppingmalls sind optimiert. Unten rein, dann geht alles wie von allein. Den Lift hoch, über Rolltreppen weiter, hinein in die Neonlichter, voran auf von Marketingexperten entworfenen Trampelpfaden, alles einsammeln, einpacken, umpacken, ade und wieder ausgespuckt.
Letztens entdeckte ich die perfekte Sonnenbrille. 270 Stutz. Konsumopfer. Doch hier gehört Preisvergleichen zum guten Ton. Ich google also: «Grosser Frühlings-Sale», wirbt der Brillenladen im Internet. «Alle Sonnenbrillen 30 Prozent billiger.» Beim Nachfragen ist der Verkäufer wenigstens ein wenig peinlich berührt: «Ah ja. Das stimmt. Es ist nur nicht angeschrieben im Laden», sagt er. «Darf ich sie Ihnen einpacken?» 80 Stutz gespart, immerhin.
Die Verkaufstricks sind aber nicht mal das Verlogenste an Malls. Viel schlimmer sind ihre euphemistischen Namen. Sie machen einen auf Park, Märchenstadt oder Land. Ganz so, als wären sie wirklich eine Reise wert: Letzipark, Brunaupark, Volkiland, Parkallee, Sihlcity – aufregend! Und was ist mit dem Tivoli? Tivoli heisst auf Deutsch Vergnügungspark. Aber was genau ist glatt am Einkaufszentrum in Wallisellen? Und wie romantisch ist das Einkaufszentrum Rosenberg in Winterthur tatsächlich? Natürlich, geografisch naheliegend, aber trotzdem. Shopping Arena, wie die St. Galler ihre Mall getauft haben, triffts da schon eher. Der Name macht zumindest deutlich, dass da drinnen ein Kampf tobt. Wer siegt am Ende? Die Marketing-Gladiatoren oder der Preisvergleicher-Löwe?
Also lieber ganz raus. Aufs Land zum Einkaufen – nur um bald zu merken, dass auch die letzten Volg-Läden schon vor sich hin sterben. Aber Läden, die heissen wie «s Lädeli», sterben wenigstens ehrlich. Auch wenn die Landi die vielleicht tollste Ladenkette überhaupt ist, befriedigt auch der Landeinkauf nicht wirklich.
Am Ende landet man dann wieder in der Mitte. In Kloten zum Beispiel auf der Flugi-Spotter-Terrasse. Da gibts Würstchen und Bier vom Heligrill. Und beim Schauen vergisst man dann völlig, was man einkaufen wollte.
19 Kommentare zu «Am Rand des Wahnsinns»
Hä, die Volg-Läden sterben vor sich hin? Wieso denn das? Wo haben Sie diesen Quatsch her, Volg steigert Umsatz und Gewinn und wächst stärker als der Markt… Mit Öffnungszeiten von 6 bis 20 oder 21 Uhr, mit regionalen Produkten, freundlichen Menschen und Parkplätzen direkt vorm Eingang… Und nein, ist nicht teurer als Coop. Bisschen journalistische Recherche darf man im Tagi vielleicht doch erwarten? Auch wenns nur ein Blog ist?
Ich bin von der Stadt Zürich (Nähe Binz) aufs Land gezogen (Freiamt). Und ich dachte zuerst so: „Ok, mit dem Einkaufen muss man sich halt umgewöhnen.“
Nun, man kann sich täuschen. Klar macht man jetzt halt vieles mit dem Auto oder dem E-Bike, was man vorher zu Fuss erledigen konnte. Aber, ich habe wieder einen Metzger im Dorf. Es gibt noch richtige Bäckereien, die nicht nur Industrieware aufbacken. Es gibt Eier vom Bauern nebenan. Es gibt Gemüse vom Bauern aus dem Nachbardorf (im Volg) zu kaufen. Als im whrsten Sinne des Wortes „aus der Region“ … ohne verklausulierten Marketing-Sprech-Hintergedanken. Zudem gibt es Handwerker (wo gäbe es noch eine Sattlerei in der Stadt?).
Und ja, ab und an geht man auch ins Tivoli. Kleider kaufen. Oder Sonnenbrillen!
Die Europaalle ist wenigstens ansatzweise nicht nur 100 % Totalschweizbünzlig gebaut und geplant ! Natürlich hätte man in unserer Zeit mindestens fünf mal höher bauen müssen ! Als geeignetes Fundament für besseres in 30 Jahren also I.O. !
Genau alle motzen über die Europaallee. Wieso? Weil das eben für die Seele des Schweizer Grünbünzlis ein Schock auslöst, indem es zu Voluminös zu Protzig und Einengend empfunden wird. Nein für mich ist die Architektur mit zu viel Glasflächen oder Blech Fassaden eher zu schlicht und zu kühl und könnte ruhig etwas Höher und Protziger mit mehr Erkern, Arkadenbögen und wuchtigen Balkontröge sein. Die Strassen könnten ruhig für Autos, Parkplätzen und erkennbaren Trottoirs und Bäumen als Allee angelegt sein. Das gibt das richtige Urbane Spirit als riesige tote verkehrsfreie Flächen, welche man darauf hofft unnütz belebt zu werden. Von Architektur und Städtebau hat Zürich null Ahnung.
Voll depro, der Inhalt dieses Artikels. Weil aber von Rafaela Roth geschrieben, trotzdem ein Lesevergnügen.
Genau!!
Ganz Zürich hasst die Europaallee. Wird dieser Kommentar zensiert?
Was würde sich den die Zürcher denn anstelle der Europallee wünschen? Drei Holzschchalets umgeben aus lauter Fichten? Ich hätte mir auch so etwas wie das HB Südwest oder Eurogate vorstellen können und dafür die damalige Ursula Koch plus den damaligen schon mehrheitlich subversiven Linksgrüngrünen Gemeinderat auf den Mond gewünscht. Aber schon das damalige Projekt kam bei mir mit zu viel Glasflächen zu kühl und futuristisch daher. Der Europaallee fehlt eine richtige Durchgangsstrasse mit Parkplätzen, Trottoirs und Bäumen als Allee. Die Architektur ist mir mit zu grossen Glasfronten oder Blechfassaden zu schlicht und kühl. Mehr Natursteinfassaden mit normalgrossen Fenstern, Erkern, Terrassen, Arkadenbauten als Sockelbauten, dafür weniger Beton, Glas ohne Blechfassaden.
Ich, Zürcher Eingeborener, Stadtbürger, Lokalpatriot, habe noch kein einziges Mal einen Fuss in die Europaalle gesetzt. Ohne Absicht. Aber meine Wege führen nie durch die Allee.
Aber eines Tages werde ich einen Umweg machen, um mir persönlich ein Bild dieses offenbar sehr verhassten Stadtteils von Zürich zu machen.
Liebe Frau Roth. Das Glatt in Wallisellen heisst Glatt nicht weil es glatt ist, sondern weil es an der Glatt liegt.
Bei allem Respekt für die Leute, die gerne in der Agglo shoppen, doch finde ich diese Einkaufszentren ziemlich spiessig.
Beste Grüsse
O.R.
Dann sind Sie ein idealer Kunde für die Bahnhofstrasse.
Achtung aber da, wegen „Täschli-Gate“; wenn Sie Geschenke da für xx ‚posten‘ … – so als xy.
Am meisten Spass macht einkaufen, wenn man die paar hundert Meter gemütlich zu Fuss spazieren kann. Weil, wenn man was vergessen hat, geht man einfach schnell noch mal zurück, ist ja nicht weit. Und wenn’s pressiert nimmt man das Velo, so spare ich auch noch die 4 Minuten Fussweg runter auf eine.
Ausser man braucht etwas ganz Bestimmtes, welches es sonst nirgends gibt, besteht einfach kein Grund mehr in die Stadt zu gehen. Alle Güter des täglichen Bedarfs kann man problemlos in der Agglo finden, wozu also exorbitante Parkgebühren abliefern in einer Stadt, die am liebsten nur Velofahrer hätte (Fussgänger in Zürich sind gemäss diversen Artikel im Tagi bekanntermassen Freiwild, welche nur das ungehemmte Fortkommen der Velofahrer stören). Flanieren kann man längst vergessen, selbst die Bahnhofstrasse ist zu lärmig und gestresst.
Die Platte ist nun langsam durchgenudelt, finden Sie nicht auch Herr Sieber? Und übrigens, ich kenne keinen Stadtzürcher, der von Montag bis Samstag die Bahnhofstrasse betreten würde. Dann wird diese nämlich durch Agglo-Menschen wie Sie geflutet.
Nein, Nein die Stadtzürcher möchten eher mit dem Velo oder dem Tram durch die Bahnhofstrasse zur Arbeit, Studium oder sonst zu ihrem nächsten Meeting, Termin, Date, Klausur möglichst schnell und pünktlich durchblochen und machen so die Bahnhofstrasse ungemütlich und gefährlich. Viele Zürcher meinen sogar ihr Tram führe dort zu langsam durch und würden gerne dass es ohne teuren Tunnellösungen mit 40 oder 50 durchblochen solle, obwohl es aus Sicherheitsgründen eigentlich maximal 20 statt aktuell 30kmh fahren müsste.
Herr Gretener, die Platte ist genauso abgenudelt wie diejenigen, wonach Zürich doch so ein Bijou sei oder wie grandios die Veloelite doch sei und wie mühsam doch alle anderen seien. Zürich ist eine total verkorkste Provinzstadt, die glaubt, sie sei eine Weltstadt. Und ich bin so weit von der Zürcher Agglo entfernt, dass ich erst mal einen halben Tag per Flugzeug etc reisen muss um die Bahnhofstrasse zu erreichen. Die Bahnhofstrasse ist übrigens unter der Woche genauso gestresst wie am Wochenende. Sie können auch z.B. in ein x-beliebiges Geschäft in Zürich gehen, Stadtzürcher sind immer gestresst. Dies wurde mir auch schon mehrfach von anderen bestätigt.
Bei der Europaallee hatten die Architekten kein Spielraum den Wind zu berücksichtigen, schon die spärlichen Zwischenräume mussten dieser Maximalverdichtung abgekämpft werden. Immerhin gibt es noch eine Strasse durch die Mitte, sonst würde die Europaallee vermutlich Europaklotz heissen, was vielleicht ehrlicher wäre. Wegen dem sterbenden Volg müssen sie sich keine Sorgen machen, er wird bestimmt durch drei neue Coop Pronto kompensiert.
… die Europaallee hat sowenig mit Europa zu tun wie die Europabrücke zwischen Höngg und Altstetten … ansonsten sehr einverstanden!