Unser tägliches Filmfestival

Den Kinos soll es schlecht gehen. Das darf nicht sein. Denn sie bringen die Welt nach Zürich.

Lange hatten Kinos kaum Konkurrenz: Vorführraum im ehemaligen Zürcher Kino Apollo, fotografiert 1988. Foto: Keystone

Letzten Freitag hatte ich einen freien Abend. Vielleicht läuft ein guter Film, dachte ich und setze mich mit dem «Züritipp» an den Küchentisch. Als ich durch war, hatte ich 34 Filme angestrichen, die ich alle gern gesehen hätte – bei einem Achtstundentag hätte ich achteinhalb Tage im Kino verbracht. Dokumentarfilme, Schweizer Filme, «Avengers», Romy Schneider, Churchill, Stalin, die heldenhafte «Washington Post», Selbstmord im Tessin, neues algerisches Kino. Ein Feuerwerk wie an einem Filmfestival. Nur läuft das Festival nicht zehn Tage, sondern das ganze Jahr.

Ich wählte zwei Filme aus, «Adieu à l’Afrique», einen Dokumentarfilm von Pierre-Alain Meier, und «Isle of Dogs» von Wes Anderson, beide liefen im Kosmos, die zwei Regisseure hatten mich bisher nie enttäuscht. In «Adieu à l’Afrique» waren wir etwa fünf Zuschauer. Ich habe keine Minute bereut. Der Film dreht sich um eine junge weisse Frau, die mit einer Gruppe von Emigranten vor den Kanarischen Inseln ertrunken war. Warum war sie aus Senegal aufgebrochen? Pierre-Alain Meier hatte den Schlepper ausfindig gemacht, während der Mann von der tragischen Reise berichtete, sah man die diesige, hellblaue Küste Westafrikas.

Der Jurassier Pierre-Alain Meier ist Regisseur und ein erfolgreicher Produzent, er hat «More than Honey» produziert und eine senegalesische Verfilmung des «Besuchs der alten Dame» von Friedrich Dürrenmatt, «Hyènes». Diese lief vor Jahren im Wettbewerb des Festivals von Cannes. Afrika bleibt Meiers Sehnsucht, auch davon handelt sein Film, von der Unmöglichkeit, diesen Kontinent zu verstehen, der dich nicht loslässt, wenn du ihn einmal kennen gelernt hast.

Nach der Vorstellung trank ich ein Bier. Ich stand unten im langen Gang des Kosmos, hinter jeder Tür wartete ein Geheimnis. «Isle of Dogs» war eine geistreiche, abgründige, herzerwärmende und aus unerfindlichen Gründen in Japan angesiedelte Geschichte eines Hundeaufstands, die ich allen Menschen dieser Welt empfehlen kann. Der grosse Saal war halb voll gewesen.

Auf dem Heimweg trank ich noch ein, zwei Biere und schwärmte von meinen Trips nach Japan und Afrika. Man liest immer wieder, dass es so nicht weitergehen kann mit dem Filmgeschäft. Dass es zu viele Filme gibt und zu wenig Menschen, die ins Kino gehen. Dass Netflix die Preisträger der Festivals wegkauft, bevor sie auf die grosse Leinwand kommen. Dass die Filme nur kurze Zeit gespielt werden, weil die Kinos ständig auf der Suche sind nach der Offenbarung, nach dem Überraschungstreffer. Dass sich keine Fan­gemeinde herausbilden kann, weil das Angebot kurzlebig ist, weil die Filme keine Öffentlichkeit mehr haben, weil sie privatisiert werden, weil jeder etwas anderes sieht am Wochenende. Dunkles braut sich zusammen am Kinohorizont. Es ist wie mit den Zeitungen. Es gibt sie noch. Aber wie lange?

Deshalb sage ich: Geht ins Kino und freut euch, dass ihr 34 tolle Filme zur Auswahl habt. Grossartig. Verrückt. Ein Filmfestival, jeden Tag.

4 Kommentare zu «Unser tägliches Filmfestival»

  • marsel sagt:

    Der Grossteil der 34 Filme würde an keinem Festival, das diesen Namen verdient, gezeigt. Die beiden angesprochenen natürlich ausgenommen. Aber selbst 15 gute Filme ist doch was.

  • Rolf Hefti sagt:

    Das Hauptproblem des Kinos sind, all diese, mit Folterbänken vergleichbaren Sessel, sofort in den Schredder damit ! In einem guten Kino sollte ein nur schon, durchschnittlich gebauter Mann, locker hinliegen – und die Beine bequem ausstrecken können ! Warum man das nach 100 Jahren Kinobetrieb noch nicht entdeckt hat, harrt der Enträtzelung ! Als Notlösung und Provisorische Lösung , wenigstens jede zweite Sitzreihe verschwinden lassen .

    • tina sagt:

      wenn ich ins kino gehe, dann weil ich das so haben will, die vielen leute rundherum. ich will einen grossen saal. ich will originalton und KEINE 3D BRILLE.
      es gibt ja diese kinos mit den deluxe stühlen. das sind dann so ca 8 reihen. ich will keine deluxe stühle, ich finde das eher peinlich und erinnert an zahnarzt. und warum soll ich mit 10 leuten im raum einen film schauen um bequeme stühle zu haben? dann kann ich ja gleich bei jemandem mit einem unmöglich grossen tv zuhause schauen

  • 11 sagt:

    Danke. Wie wahr!

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