Und dann diese Vielfalt

(Keystone/Gaetan Bally)
Diese Woche ist meine erste Woche als Arbeitsloser. Ich ernähre mich nun viel gesünder und mache mehr Sport als früher. Die schwierigste Zeit für mich ist immer um 8.30 Uhr. Die Frau ist auf Arbeit, die Kinder sind in der Schule. Alle gehen irgendeiner sinnvollen Beschäftigung nach. Nur ich sitze noch am Frühstückstisch, streiche mir ein Nutella-Brot und lese die «Coop-Zeitung». Das Radio habe ich auf Lautstärke 3 gestellt.
Die nächsten acht Stunden gehören mir. In der «Coop-Zeitung» befindet sich auf jeder zweiten Seite eine Kolumne. Es sind herrliche Kolumnen. Bei den meisten muss ich laut lachen. Warum gelingen mir nie solche feinfühligen Texte? Den grössten Lesegenuss erfahre ich bei den grandiosen Kolumnen von Spitzenköchin Tanja Grandits. Sie «erkochte sich 18 ‹Gault Millau›-Punkte», steht unter ihrem Foto. In der aktuellen «Coop-Zeitung» schlägt sie einen Artischocken-Cake vor.
Bäh, eklig. Die nächste Kolumne stammt von Britta Wiegelmann, Weinjournalistin. Herrliche Zeilen. Ein Wein hat es Frau Wiegelmann besonders angetan. Denn er streichelt sie mit «Samthandschuhen, ist konzentriert und zugleich ungeheuer frisch».
Das sind Attribute, die sich Frauen von einem Mann auch im Bett wünschen. Aber wenn sie dann eine Kontaktanzeige schreiben, drücken sie sich natürlich anders aus. Im letzten «Zeit-Magazin» habe ich ein schönes Inserat entdeckt: «Akad. i.R., w., 173cm, finanz. u. zeitl. unabh., sucht -bei getr. Wohnen- akad. geb., herzenswarm., güt. Herrn/Wittwer (gern med., naturw., geistesw. Bereich) für gem. Unternehm. u. gegens. Wohltun. Finanz. unabh.»
Wenn ich diese Geheimbotschaft richtig decodiert habe, sucht w., 173cm einen Kerl wie mich. Sorry, ich m., 180cm, 110kg, bin schon vergeben.
Weil ich keinen Job mehr habe, sitze ich nun zu Hause herum. Das brachte meine Frau auf die Idee, der Putzfrau zu kündigen. Ich muss jetzt für die ganze Familie einkaufen. Die Frau schreibt am Morgen eine Liste.
Ich gucke ihr konzentriert zu. Wussten Sie, dass es verschiedene Hefesorten gibt? Man kann trockene oder flüssige Hefe kaufen. Es gibt Hefe im Würfelformat und Hefe im Beutelchen. Noch schlimmer ist die Vielfalt beim Rahm. Es gibt Halbrahm, Sauerrahm, Schlagrahm, Doppelrahm oder Vollrahm. Auf der Liste steht aber nur: «Rahm». Das sind dann die Momente, wo ich im Migros am liebsten heulen möchte: Ich bin arbeitslos und weiss nicht, was einkaufen. Wie tief kann ich denn noch fallen?
Zum Glück gibt es an der Kasse eine wirklich liebe Frau. Sie sieht die vielen Rahm- und Hefesorten, die ich aufs Förderband gelegt habe. Ich habe von allem etwas gekauft. «Oh, je, was backt denn Ihre Frau heute Abend, Herr Frenkel?» Ich denke konzentriert nach: «Rahmkuchen!» Die liebe Frau sortiert alles raus, was meine Frau nicht braucht. «So, Herr Frenkel, das macht dann Fr. 45.40. Haben Sie die Cumulus-Karte Ihrer Frau?» Mal schauen.
14 Kommentare zu «Und dann diese Vielfalt»
Was ist daran witzig oder wenigstens unterhaltsam oder gar informativ?
hoi herr frenkel!
wunderbar! mit der zeit werden sie auch merken, dass das haushaltsbudget schrumpft. zu gewissen tageszeiten werden artikel bis auf die hälfte des normalpreises herabgesetzt, und sind länger brauchbar, als man denkt, im fall. ich mache das jetzt schon seit 18 jahren. erst langzeit-arbeitslos, dann irrer iväuler. ich bin aber mehr der coop-typ, im migros kauf ich nur gewisse artikel für den hund. eine ganz ganz tolle zeit wünscht ihnen! herzlich, ihr kunst-malender, singender, und schreibender ex-koch und ex-buchhaltungsangestellter
PAZ
Hallo Herr Frenkel.
Geil dass Sie jetzt zumindest hier wieder regelmässig sind. Im Magazin hat man Sie ja scheinbar aus mir unerfindlichen Gründen rausgekickt. Wahrscheinlich zu frisch und durchgeknallt witzig für das altbackene Tagi Magazin.
@Julia
Sie gehen zum Lachen bestimmt immer on den Keller oder ?
Grüsse aus dem Aargau
… grausam witzig, danke!!
Dieser Kommentar war als Antwort auf das Votum von Michael um 14.26 Uhr gedacht. Den Artikel von Frenkel find‘ ich nicht witzig, sorry Beni Frenzel! Oder ist da viel Selbstironie im Spiel, die leider zu realistisch ‚rüberkommt?
Würde man dafür die Antworten-Funktion benützen, müsste man es auch nicht umständlich erklären.
Ich schlage Herr Frenkel eine andere schöne Tour mit dem Velo vor. Über die Waldegg an den Türlersee und zurück über den Albispass nach Zürich. Sehr abwechslungsreich, teilweise etwas anstrengend.
Was wäre passiert wenn es im Migros nur noch Self-Canning Kassen gehabt hätte? Rückenschmerzen vom tragen der schweren Einkaufstaschen, Haushaltbudget überschritten und kein Platz mehr im Kühlschrank. Die Migros Verkäuferin hat den Tag gerettet.
Ab der Stufe „arbeitslos“ erfährt man, wie tumbblöd und durchgeknallt die spätkapitalistische Gesellschaft ist. Ich würde die Arbeitslosigkeit als Feldforschung benutzen.
klasse herr frenkel.
da hat ihre frau einen tollen fang gemacht.
Wieder einmal, nur peinlich und doof, der Herr Frenkel.
Ich werde Sie nicht mehr lesen. Schon mal was von Emanzipation gehört? Gilt auch für Männer.
Gute Besserung.
Ach Julchen, das ist doch eine Parodie, man kann doch dem Frenkel nicht wortwörtlich glauben. also wirklich….
Das ist der Moment wo Mann merkt dass Lücken im Haushaltswissen vorhanden sind. Ich kann Sie aber beruhigen, mir geht das auch heute noch so wenn ich was kochen möchte das ich nicht gerade alltäglich mache und der Einkaufszettel ungenau ist. In den meisten Fällen klappt das Rezept aber auch mit etwas Variation.
Sehen Sie es als Bereicherung und Herausforderung sich in ein neues Arbeitsumfeld einzuarbeiten.
Also, wenn ich so die Eckdaten lese – 180cm verteilt auf 110kg – dann geht das lt. BMI Index schon in Richtung Adipositas. Ergo sollten Sie jetzt die freie Zeit nützen, um anständig abzuspecken. Da müssen locker 10 kg oder besser noch 20 kg runter. Laufschuhe untergeschnallt, Fahrrad gesattelt und ab um die Zürisee. Ausserdem schont nicht essen das Familienbudged und entschlackt den Körper. Und am Familientag könnten Sie dann auch mal wieder nach oben ohne Gefahr zu laufen, ihre Partnerin zu erdrücken !
wieder mal ein ganz geiler artikel – bravo herr frenkel! und he – bei ihrer schreibe bleiben sie nicht lange arbeitslos – gopf – da wirds doch irgend ein blatt geben, für einen mit ihrer begabung? – in den 80ern kaufte ich immer das „titanic.“ gibts das noch?