Loblied auf das ewig Gleiche

Das Restaurant Emilio und die Europaallee: Kontinuität braucht Zürich genauso wie permanente Veränderung.

Mit Stil: Im Restaurant Emilio werden die knusprigen Poulets dem Gast seit eh und je auf dem Silbertablett serviert. (Foto: Raisa Durandi)

Langsam nimmt die Europaallee im Kreis 4 Gestalt an. Aus der abenteuerlichen Baustelle wird eine enge Strassenschlucht – aus dem Konzept des grossen Massstabs wird Realität. Ich bin einige Male durch die halb fertige Allee gelaufen, links die ­Fassaden, rechts die Bretterwände. Aber wie das gebaute Projekt einmal aussehen und welche Gefühle es aus­lösen wird, konnte ich mir nicht vorstellen. Architekten haben die un­heimliche Gabe, sich in die Zukunft einfühlen zu können, sie vorwegzunehmen. Sie gehen durch Städte, als lieferte ihnen ein Sensor die Bilder von 2025. Aber ich kann noch lange den Hals ­strecken und den Kopf recken, ich schaffe es nicht.

Manchmal frage ich mich, ob ich schon einmal eine Zeit erlebt habe, in der in Zürich so viel im Fluss war, sich so viel verändert, so viel Neues entsteht. Ist das der Anfang einer neuen Dynamik, frage ich mich, eine Art Beschleunigung, die generell die Städte erfasst hat? Altstetten, Leutschenbach, Kunsthaus, die Versicherungsmeile – das geht schon seit ein paar Jahren so, und bald kommt das Universitäts­quartier. Klar ist das nichts im Vergleich mit grossen Städten, aber wir reden hier vom Zürich, das wir uns bisher gewohnt waren.

Da beginnt man einen Blick dafür zu entwickeln, was bleibt. Die belegten Brötchen von Honold zum Beispiel. Kürzlich sagte meine Frau, «die Thon-Canapés schmecken seit dreissig Jahren genau gleich». Stimmt. Die ausge­wogene Mischung, die dunkel-beige Farbe, das viereckige Weissbrot. Immer gleich, jahraus, jahrein. Das muss eine Kunst sein, die Brötchen so hinzu­kriegen. Bei Sprüngli genauso. Der ­Poulet-Curry-Salat. Oder der Truffes-Cake. Wehe, wenn sich da etwas ver­ändert! Da kann in der Welt draussen eine kulinarische Revolution statt­finden, der Truffes-Cake bleibt. Er muss bleiben. Oder die Poulets von Emilio.

Überhaupt Emilio. Die ganze Beiz ist ein Statement gegen den Lauf der Zeit. Die weissen Tischtücher, die Raucherecke, die Farben des Lokals. Und dann das Angebot, der Salat mit einer ­einzigen roten Peperoni, die Pommes, die knusprigen Poulets auf den silbrigen Tabletts, dazu der Satz: «Frisch aus dem Solarium.»

Lange fragte ich mich: Wie kann man so ein Restaurant führen? Wo liegt der Reiz, der Pfeffer, die Heraus­forderung? Jetzt bin ich nicht mehr sicher. Jetzt beginne ich die Qualität des Konzepts zu sehen. Das ewig Gleiche zu wiederholen, sich zu ­stemmen gegen den Fluss, das ist Zen. Nicht nur das, Kontinuität ist eine Qualität, die eine Stadt genauso braucht wie die permanente Veränderung. Wie man weiss, hat Emilio seinen Preis. Es ist nicht billig, die Wiederkehr des ewig Gleichen. Aber es ist ein gutes Gefühl, wenn man weiss, dass man im Grunde ein Leben damit verbringen könnte, ins Büro zu gehen und jeden Tag über den Mittag ein Canapé bei Honold zu essen, tagaus, tagein, wie Generationen zuvor. Wie viel Patina, wie viel ­Geschichte, wie viel Thunfisch!

Ein Kommentar zu «Loblied auf das ewig Gleiche»

  • Anton Sasser sagt:

    Menschen sind Gewohnheitstiere, klar möchte man das Neuste, Schnellste und Beste, möglichst soffort und so wie man es gern hätte, doch in der Realität wird einem das nicht frei Haus geliefert. Die meisten probieren, testen und evaluieren lange bis sie das gefunden haben was einem der „optimale Weg“ vorkommt. Wenn die Produkte da täglich wechseln mutiert die Suche zur Sissiphus Aufgabe. Kein Wunder hält sich so mancher an Konstanten, die einen nicht komplett aus der Bahn werfen. Das ist das Schöne an unserer Welt, die einen Punkten mit Konstanz die anderen mit Varianz.

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