Doktor Google hilft

Mögliches Ziel des Umzuges: Die Zürcher Goldküste. (Bild: Keystone/Alessandro Della Bella)
Als ich vor Jahresfrist den Redaktionskollegen von meinem bevorstehenden Umzug aus der Stadt in die Agglo berichtete, hörten sie mir mit neugierigem Interesse zu. Wenn ich heute davon rede, ernte ich gutmütigen Spott. So geht es einem mit Ankündigungen: Je mehr sich deren Realisierung in die Länge zieht, desto zahlreicher werden die Witze. Man wird mit seinen Plänen zum Running Gag.
Was zur Frage führt: Was tun, damit man mir abnimmt, dass der Umzug jetzt tatsächlich bevorsteht? Ich versuche es mit Fakten. Schon vor ein paar Wochen hatte ich mich vor den Computer gesetzt und gegoogelt: «Umzug in die Agglo.» Der erste Treffer: «Entspannt umziehen in Zürich.» Der zweite Treffer: «Hilfe beim Umzug gesucht?» Der dritte Treffer: «Günstig umziehen in Zürich.» Inzwischen haben wir ein Zügelunternehmen gebucht. Mitte April werden die Kisten transportiert.
Es gibt jetzt also kein Zurück mehr. Die Agglo naht. Das ist der Moment fürs Konkrete. Der See: ist künftig näher. Der Coop: ist künftig näher. Die Schule für die Kinder: ebenfalls näher. Zudem haben wir von der Schule sehr freundliche Briefe erhalten. Also lauter Pluspunkte. Dann bin ich bei der «Umzug in die Agglo»-Google-Suche auf eine Hochschulstudie gestossen, die besagt, dass bei einem Umzug das neue Wohnobjekt der wichtigere Teil sei als der neue Wohnort. Man kann daraus schliessen, es wäre lohnender, statt über den künftigen Wohnort über das Wohnobjekt zu sinnieren.
Doch wird man in der neuen Wohnung glücklich, wenn man sich um den neuen Wohnort foutiert? Eben nicht. Darum ja die See-ist-näher-, Coop-istnäher-, Schule-ist-näher-Beteuerung. Es ist eine Beteuerung für mich selbst – sozusagen als küchenpsychologisches Hausmittelchen. Weil parallel zur Vorfreude auf den neuen Wohnort, sozusagen in der anderen Hirnhälfte, auch die Sorgen, Zweifel und Nöte wachsen. Als hätte jemand den Auftrag gefasst, mir den Abschied aus der Stadt zu erschweren, zucken mir mit nervtötender Penetranz ganze Bildergalerien des urbanen Alltags und seiner Schönheiten durch den Kopf.
Doch Doktor Google hilft auch in solchen Fällen. Weiter hinten in der Trefferliste meiner «Umzug in die Agglo»-Suche erschien ein Interview mit dem ETH-Soziologen Christian Schmid. Er stellt namentlich in urbanen Trendzonen eine «Tendenz zurück zu kleinstädtischen Verhältnissen» fest: «Die Urbanität in den Städten nimmt ab.» Der Grund sei der Hang zum Kleinbürgerlichen bei den neuen, vermögenden Stadtbewohnern. «Man beklagt sich über das Sexgewerbe und die Jugendlichen und das Nachtleben. In die neuen Stadtwohnungen ziehen oft Leute ein, die bei der ersten Party vor ihrer Tür die Polizei rufen.»
Wenn das angeblich urbane Kernland verbünzelt, muss sich das Urbane neue Räume suchen. Die Agglo mit ihrem weniger gepützelten Charme ist das ideale Terrain dafür. Künftig werde ich «Umzug in die Urbanität» googeln.
8 Kommentare zu «Doktor Google hilft»
Herrn Nussbaumer steht es glücklicherweise nicht zu, Google den Doktor- oder andere Titel zu verleihen. Vielleicht sieht er irgendwann ein, dass auch er letztlich nur ein weiteres Opfer des Datenkraken ist.
Goldküste – weniger gepützelt? Ihr Ernst?
Lustigerweise rücken nicht nur der Coop und die Schule näher, sondern oft auch das Stadtzentrum. Hatte ich vorher gut 15 Minuten mit dem Tram zum HB, ist es nun mit der S-Bahn fast die Hälfte. Und zum Stadelhofen/See ist das Verhältnis noch besser, selbst wenn der Bahnhof etwas weiter weg ist als zuvor die Tramhaltestelle.
erstaunlich, wie wenig qualität in gewissen berufen verlangt wird, um damit sein geld zu verdienen.
Also eigentlich ist der Sinn dieses Artikels, der Welt unter die Nase zu reiben, dass Sie es geschafft haben und nun an die Goldküste ziehen. Der Unterhaltungswert ist ja sonst ziemlich überschaubar.
Also eigentlich ist der Sinn dieses Artikels, der Welt unter die Nase zu reiben, dass sich der Autor lange vor dem Umzug bei seinen Kollegen eine Bestätigung seines Entscheids holen muss, weil er eigentlich gar nicht sicher ist, ob das wirklich cool ist oder ob er damit riskiert, zum Aussenseiter zu werden…
Die Goldküste ist eben nicht Agglo. Hardcore-Agglo ist dort, wo „Banlieue“ draufsteht. Aber hatten wir das nicht schon mal?
Die Verbünzligung der Innenstädte habe ich auch schon festgestellt. Das Seltsame daran ist, dass es in Städten immer Quartiere gibt, in denen man das sogenannte Urbane findet, also Vielheit und Leben. Und die urbanen Bünzlis danach schielen, und über die Gentrifizierung die Quartiere einnehmen, und dann verbünzlet es, hierarchisch durchgesetze Monokultur. Daraus folgt für mich nur ein Schluss: die urbanen Bünzlis müssen über ein immenses Selbstvorstellungsvermögen verfügen, also unglaubliche Narzissten, weil sie ihre hierarchisch durchgesetze Monokultur für Vielheit und Lebendigkeit halten. Muss auch mit der Organisation von urbanem Zeicheninventar zu tun haben: hier ein statdplanerisch umgesetztes Graffito, da der obligate halbprivate hippe Ausstellungsraum, dort die coole Rendite-Bar.