Rechtsvortritt

Endlich hinter dem Steuerrad eines Traktors. (Foto: Beni Frenkel)
Vieles an mir ist aussergewöhnlich. Ich habe ziemlich grosse Männerbrüste, einen kleinen Penis und kurze Finger. Mit den Jahren habe ich gelernt, das nicht allen zu erzählen. Generell sollte man beim ersten Treffen die guten Eigenschaften erwähnen. Wenn ich heute fremde Leute zum ersten Mal sehe, prahle ich deshalb mit meinen drei IQ-Werten: in Mathematik IQ 106, im räumlichen Denken IQ 103 und im Sprachverständnis IQ 107.
Dann ist erst mal Ruhe. Natürlich ist alles gelogen. Im räumlichen Denken bin ich eine Niete. Wenn ich eine Strasse suche, bitte ich die Leute, mir nur die erste Richtung zu sagen. Mehr kann ich mir gar nicht merken. Bei der nächsten Kreuzung frage ich wieder nach der Richtung. So komme ich mit vielen Menschen in Kontakt.
Vor fünfzehn Jahren wollte ich Fluglotse werden. Ich musste bei Skyguide verschiedene Tests machen. Bei einer Übung ging es darum, drei Piloten simultan Richtungsanweisungen auf Englisch zu geben. Auf dem Bildschirm sah ich drei Flugzeuge und die drei Landebahnen des Flughafens Zürich. Das Problem war, dass die Piloten schlecht Englisch redeten. Mir ist in Erinnerung geblieben, dass mich einer mit russischem Akzent anschrie.
Was ich auch nicht kann, ist Auto fahren. Viel zu kompliziert. Den Nothelferkurs habe ich immerhin bestanden. Ich war mit 30 Jahren der Älteste. Der Zweitälteste war 19. Als ich mein Alter erwähnte, blickte ich in offene Münder. Auch der Kursleiter wunderte sich. Er fragte, warum ich so alt sei. Ich wusste keine Antwort.
Ich fahre dafür fleissig Velo. Auch im Winter. Aber weil ich mich nie auf die theoretische Fahrprüfung vorbereitet habe, weiss ich nie genau, wer Vortritt hat. Ich kenne nur den Rechtsvortritt. Das ist schon alles. Ich hebe einfach jedes Mal meinen Arm zum Dankesgruss und fahre durch. Manchmal hupen mir die Autofahrer hinterher. Ich interpretiere das als Kompliment.
Mit 41 Jahren nicht Auto zu fahren, ist erklärungsbedürftig. Zumindest erlebe ich das so. Viele hören nicht richtig zu und sagen: «Ich fahre in der Stadt auch nicht viel Auto.» Oder: «Ich bin auch auf Mobility umgestiegen.» Das beleidigt mich jedes Mal. Ich antworte einem Krebskranken ja auch nicht: «Ich habe ebenfalls Schnupfen.»
Am Sonntag haben wir nun einen Ausflug auf das Stockengut in Kilchberg gemacht. Da steht ein ausrangierter Traktor. Leider sass schon ein Mädchen auf dem Teil und machte keine Anstalten, runterzukommen. Ich räusperte mich laut und in Richtung Mutter. Aber die sass nur auf der Bank und spielte mit dem Handy. Ich näherte mich dem Mädchen. «Darf ich jetzt mal?», fragte ich. Es erschrak und wäre fast runtergefallen.
Der Sitz war voll mit Sand. Ich schüttelte nur den Kopf und setzte mich ans Steuer. Ich fühlte mich sehr männlich auf dem Traktor. Endlich sitze ich hinter einem Steuer! In Gedanken fahre ich auf meinem Acker. Das Kamerateam von «Bauer, ledig, sucht …» kommt mir fast nicht nach.
10 Kommentare zu «Rechtsvortritt»
Frenkel in Hochform. Wieder einmal. Herzlichen Dank für den Lichtblick in einer ansonsten völlig ironiefreien Zeitung!
Sie müssen sich nicht schämen, Herr Frenkel. Ich arbeitete mal bei einem Bauern, der sagte mir auf dem Feld, sitz auf den Traktor und fahr ihn hin. Ich sitze also auf dem Traktor und drehe am Schlüssel, aber nichts tut sich. Dann drehe ich so stark, bis ich plötzlich unangenehm verblüfft den einen Teil des Schlüssels in der Hand halte und der andere noch im Zündschloss steckt. Daraufhin habe ich herausgefunden, dass ich auf die falsche Seite gedreht habe (das hat mir der Bauer gesagt – ich selber hätte das kaum herausgefunden). Danach habe ich auf dem Feld wieder Rüben ausgebuddelt.
Der Onkel Aaron mit sim rote Traktor…..:)
Den Nothelfer zu machen war unangenehm. Nicht wegen dem Alter, da hatte es sogar noch ältere Teilnehmer. Aber das mulmige Gefühl, geleitet von der Selbsteinschätzung, dass die ganze Puppen-Beatmerei und Auswendiglernerei sowieso umsonst ist… Immerhin hab ich es dann noch zu mehreren Fahrstunden gebracht bevor ich das Autofahren wieder an den Nagel hängte. Nichtfahrer aus reiner Faulheit, das passiert einem schneller als man denkt! Und wird einem zu Unrecht noch als moralische Aussage ausgelegt: Aha, ein Erdensbeschützer! Und kommt auf den eigenen Verzicht zu sprechen: Ich fahre auch nur wenig! Gerade so, als wäre das Nichtfahren überhaupt ein Verzicht für mich: Ich sitze ja sowieso lieber in der Bahn, da fährt mich jemand anders!
„Und wird einem zu Unrecht noch als moralische Aussage ausgelegt: Aha, ein Erdensbeschützer!“ Hehe, Sie machen Beni Frenkel fast schon Konkurrenz.
Ich habe mich fast totgelacht. Danke. Mehr davon!
ich schliesse mich an – „frenkel at his best!“
Auch der Kursleiter wunderte sich. Er fragte, warum ich so alt sei. Ich wusste keine Antwort…. Herrlich… auch die Schlusspointe.
Das ist mit Abstand das Witzigste, was ich je in einer Zeitung gelesen habe! Danke, danke, hab mich krumm gelacht, ganze grosse Klasse!!
Herr Frenkel hat auch weibliche Fans! Deshalb: Gibt’s das Traktorbild evtl. als Poster?