Wo Missgunst und Rappenspalterei grassieren

Spurabbau für ein bisschen mehr Valser-Quarzite. (Bild: Keystone)
Zürcherinnen und Zürcher wollen den Anteil der gemeinnützigen Wohnungen in ihrer Stadt auf ein Drittel erhöhen. Denn Zürich soll durchmischt bleiben. Jung und Alt sollen Platz haben, Einheimisch und Fremd und eben auch Arm und Reich. In der Agglo staunen wir über diese Weltoffenheit und Grosszügigkeit. Das bringen wir nicht hin bei uns draussen. In der Agglo grassieren Missgunst und Rappenspalterei, wir sind gegen die Masseneinwanderung, auch wenn wir es gar nicht so meinen. Es ist einfach zum Fremdschämen.
Allerdings zweifeln wir manchmal, ob die Städter wirklich so weltoffen und grossherzig sind, wie sie sich geben. Wir wundern uns zum Beispiel, warum die Städter von den SBB in deren Überbauung an der Neugasse nicht 30, sondern 100 (!) Prozent gemeinnützige Wohnungen fordern. Übersetzt könnte man sagen: Städter wollen an der Neugasse nur Arme, was das Gegenteil von Durchmischung ist.
Bei den Reichen hört die urbane Grossherzigkeit anscheinend auf. Nehmen wir zum Beispiel die Bellerivestrasse, auf der die Reichen in die Stadt fahren. Obwohl der Verkehr hier beträchtlich ist, haben die Städter am Sechseläutenplatz eine Spur entfernt, damit die SUV aus Küsnacht nicht mehr in die Rämistrasse abbiegen können. Das bringt zwar einige zusätzliche Valser-Quarzite auf den Sechseläutenplatz, aber sonst? Die Lebensqualität in der Stadt ist auf jeden Fall nicht besser geworden, denn nun stehen die Reichen am Utoquai einfach zehn Minuten länger im Stau, betätigen schlecht gelaunt das Gaspedal im Leerlauf und beschallen das Bellevue durchs offene Fenster mit Radio Zürisee.
Autofahrer sind generell von der urbanen Offenheit ausgenommen – egal, ob sie arm oder reich sind. Zu ihrer Abschreckung haben die Städter an den meisten Strassenrändern Radarfallen versteckt. Ganz besonders an der Bellerivestrasse. Neuerdings soll in Zürich auch die Höchstgeschwindigkeit auf den Hauptstrassen auf 30 Stundenkilometer gesenkt werden. Davon versprechen sich die Städter noch mehr Abschreckung und noch höhere Einnahmen aus den Blitzkästen.
Städter sind offensichtlich selektiv weltoffen und grosszügig. Pizza backen im Hardturm ja, Fussball spielen im Hardturm nein. 1. Mai ja, 1. August nein, Hausbesetzer ja, Hausbesitzer nein. Städter und natürlich Städterinnen können aber auch gegen sich selber ganz schön streng sein, etwa beim Thema Entsorgung. Wenn sie zum Beispiel den Karton nicht richtig verschnüren, büssen sie sich, und wenn sie ihn einen Tag zu früh aufs Trottoir hinausstellen, verzeigen sie sich. Seit auch noch SP-Stadträtin Claudia Nielsen von Kollegin Corine Mauch aus dem Stadtrat hinausregiert wurde, weiss der Agglo, dass es gar keine urbane Grosszügigkeit gibt.
Grosszügige Gesten scheiterten eben meist am kleinlichen Denken, sagt der Thüringer Aphoristiker Helmut Glassl. Wie schön, dass seine Lebensweisheit nicht nur in der Agglo, sondern auch in Zürich gültig ist.
17 Kommentare zu «Wo Missgunst und Rappenspalterei grassieren»
Ich lebe in der Agglomeration von Zürich, in einer Gemeinde am rechten Zürichseeufer. Ich fahre selbstverständlich einen SUV, damit ich eine bessere Sicht auf die bei ROT die Strasse überquerenden GRÜNEN VelofahreNDEN und Zu-Fuss-GEHENDEN habe. Ich stelle den Motor im Stau am Utoquai nicht ab und beschalle bei offenem Fenster die rot-grüne Stadt mit traditionellen Schweizer Armeemärschen. Von Tiefenbrunnen zum Rigiplatz brauche ich mit dem Auto gut und gerne gegen eine halbe Stunde, ausser am Sonntag, dank bewusst schikanierender Ampelsteuerung auf Stadtgebiet, wo nach 2 bis 4 Autos bereits wieder rot ist. Und so stelle ich den Diesel-Motor jetzt BEWUSST nicht mehr ab beim Warten und ich werde die Marschmusik noch lauter erklingen lassen als bisher. Ausgleichende Gerechtigkeit halt!
Selten so viele Halbwahrheiten und haltlose Unterstellungen auf einen Haufen gesehen:
– „gemeinnützige“ Wohnungen sind zwar nicht für Reiche gedacht, aber auch nicht speziell für „Arme“. Für diese gibt es subventionierte Wohnungen.
– die Neugasse befindet sich in einem Umfeld, wo (gerade auch durch die SBB) in den vergangenen Jahren zuviele Luxuswohnungen gebaut wurden, welche nicht selten leer stehen
– es fordern hier lange nicht alle „Städter“ 100 Prozent gemeinnützige Wohnungen
– an besagter Stelle an der Bellerivestrasse gibt es immer noch 6 (!) Autospuren, abe immer noch keine vernünftige Veloroute
– man kann sogar auf 2 Spuren auf die Rämistrasse abbiegen
– der Grund für Tempo 30 ist der Lärmschutz, welcher aufgrund neuer Vorschriften vom Bund angegangen werden muss
Ist das schön, wenn man mit grosszügiger Geste Klischees bedienen kann. Ein Verein möchte für eine letzte Tranche einer Grossüberbauung 100% vergünstigte Wohnungen, um die Gesamtquote etwas anzuheben. Die Stadt und ihre StädterInnen haben da noch gar nichts entschieden.
Und was hat das mit Grosszügigkeit zu tun, wenn man die übermotorisierten GoldküstenbewohnerInnen möglichst ungehindert in die Stadt fahren lässt? Und die Hauptfunktion von Blitzkästen ist, Tempo 30 durchzusetzen. Die Mär vom Melken der AutofahrerInnen hat einen langen Bart. In der Stadt ist nunmal der Platz begrenzt und die Lärmbelastung hoch, so dass hier doch grosszügige Rücksichtnahme der BesucherInnen erwartet werden kann.
Dafür gibt’s noch etwas Volksbespassung mit Formel-E. Viel Spass in Züri…
Nach 10 Jahren in der Agglo habe ich langsam das Gefühl, dass es in meiner Agglo weniger Missgunst und kleinliches Denken gibt als in Zürich.
„grasieren“? Wirklich??? Man macht sich mit Recht immer wieder über die „Titel-Redaktoren“ lustig…
Das Korrektorat würde wohin ausgelagert?
ins „Rettet-die-Umlaute-Land“
😀 😀 😀
Hierhin (in die Kommentarspalte) offensichtlich.
der typische stadt-zürcher gibt sich gerne weltoffen und gönnerhaft. ausser es kostet (ihn) was. und er spricht gerne über die vorzüge „des nabels der welt – züri.“ das macht ihn ausserstädtisch ja auch so wahnsinnig beliebt. ich finde. man muss ihn einfach machen lassen, den zürcher – und von ferne beobachten. in etwa so wie das ornithologen tun.
dein trauma fängt an mich ernsthaft zu interessieren. dafür dass das nur spässchen sein könnten bringst du es zu häufig und vorallem zu verbissen.
du selber bist ja nicht gerade ein paradebeispiel für „hauptsache beliebt“, darum wundert mich wirklich extrem, dass du dich hinsichtlich dessen nicht tief verbunden mit zürchern fühlst.
ich persönlich muss lachen, wenn leute ein problem mit mir haben, weil ich an einem bestimmten ort wohne.
aber ja, ich beobachte dich auch gern verhaltensforscherisch, du würdest schon fehlen aus dem grund, wenn du dich mal psychisch einrenkst
a) diä liebä und diä nettä, chönd eus au nöd rettä!
b) ich entschuldige mich jeweils bei den leuten schon vorab, dass ich gebürtiger stadt-zürcher bin.
c) haben wir schon mal zusammen „schafe gehütet?“
Wenn ich Ihre Kommentare zu innerstädtischen Themen (wie etwa Verkehrspolitik) jeweils lese, habe ich so gar nicht den Eindruck, dass Sie uns Städter gerne „machen lassen“ – geschweige denn „von ferne beobachten“.
Und übrigens: Seriöse Ornithologen nehmen auf die natürlichen Bedürfnisse und Lebensräume ihrer Beobachtungsobjekte Rücksicht und lassen bei der Observation das Auto fernab stehen.
dochdoch, herr drais – ich beobachte das – geographisch gesehen – von ferne. aber ich kommentiere es auch gerne-, das stimmt schon.
professionelle ornithologen fahren mit dem suv in die pampa weil die ausrüstung doch erheblich ist. -;)
Traurig aber sehr wahr! Ganz nach dem Motto alles haben aber niemandem etwas sagen. Erinnert mich irgendwie an die Mieter von günstigen städtischen Wohnungen die gerne auch mal über 200’000 Franken an Einkommen haben… Selektive Grosszügikeit solange man selbst nicht zu kurz kommt!
Traurig aber sehr wahr! Ganz nach dem Motto alles haben aber niemand etwas sagen. Erinnert mich irgendwie an die Mieter von günstigen städtischen Wohnungen die gerne auch mal über 200’000 Einkommen haben… Selektive Grosszügikeit!