Auf und Davos

An der Langstrasse isst man bald wie in einem Skigebiet. Gleichzeitig zieht es Zürcher Szenegastronomen in die Berge.

Essen statt Kunst: Der temporäre Kunstraum Perla-Mode an der Langstrasse musste vor drei Jahren schliessen, heute steht dort ein vegetarisches Restaurant. (Foto: Keystone/Ennio Leanza)

Manchmal erhalte ich Protestmails aus Quartieren, wo etwas läuft. Etwa aus dem Kreis 5, dass der Schuhladen Peter & Vreni verkleinert wird, ein Teil des Geschäfts muss der Thaifoodkette Kaimug weichen, die der Migros gehört.

Die Halbierung des Schuhladens hat zu Unmut im Quartier geführt. Migros zahlte mehr Miete, offenbar können nur noch die Grossen an der Langstrasse mithalten, das Angebot wird öd und traurig wie an der Bergstation eines Skilifts. Coop-to-go hat die Ecke zur Neugasse besetzt, ein paar Schritte weiter an der Gasometerstrasse folgte diesen Sommer die Migros mit einer Filiale der Pizzeria Molino. Hiltl ersetzt die Perla-Mode, Bindella kaufte die Bank am Helvetiaplatz, und diese Tage eröffnet die Chickeria an der Langstrasse 83, auch von Migros.

Als wir Winterschuhe für die Kinder kauften, bei Peter und Vreni, wo Schuh an Schuh aufgereiht ist wie Bücher in einer Bibliothek, war ich neugierig, wie die Stimmung ist – in Wollishofen ist man etwas ab vom Schuss. «Wir werden nicht mehr so viele Schuhe ausstellen können», sagte der Verkäufer gelassen. Der Laden wird sich zurückziehen ins Nachbarhaus, das den Besitzern des Schuhgeschäfts gehört.

Im Schneetreiben auf der Strasse traf ich einen alten Freund, Ureinwohner des Kreises 5. Wir wärmten uns auf in der Konditorei Caredda, die Kinder lieben die Eclairs dort, ich ziehe die Cantucci vor. Mein Freund erzählte, anlässlich der Eröffnung der Pizzeria Molino habe es in der Migros am Limmatplatz zu jedem Einkauf einen Pizza-Gutschein gegeben, er sei mehrmals vorbeigegangen, «wie ein richtiger Bünzli», um sich ein Abendessen für die Familie sponsern zu lassen. «Kommt, das versuchen wir», habe er zu Hause gesagt, doch seine Frau und sein Sohn hätten sich geweigert. «Wir gehen nicht zu den Gentrifizierern.»

Da begriff ich, dass die Menschen im Kreis 5 ihre eigene Sicht auf die Welt haben. Sie wollen anders essen, weniger Energie brauchen, weniger Abgase produzieren, offener miteinander umgehen, sie haben einen anderen Stil, andere Werte und das hat nichts zu tun mit Nostalgie. Sie leben im 21. Jahrhundert, aber auf ihre Weise. Sie sind eine Community, wie die Leute von der Kalkbreite auch eine Community sind.

Vielleicht ist das Problem, dass Zürich zu klein ist, als dass die Communitys einfach so nebeneinander her leben könnten. Die Stadtentwicklung, die Bodenpreise setzen die Communitys unter Stress. Die Wirtschaft wächst gnadenlos. Kann man sich wehren? Und wie? Noch hält sich der Kreis 5, dachte ich und nahm ein Stück vom herrlichen Cantuccio. «Was würdest du tun, wenn die Konditorei Caredda verschwindet?», fragte mein Freund, «würdest du auf die Strasse gehen?»

Mit den eingepackten Winterschuhen fuhren wir nach Wollishofen zurück. Auf dem Laptop sah ich eine Mail von Szene-Gastronomen aus dem Kreis 4, dass sie in Davos eine Beiz aufmachen, den Stall Valär neben der Talstation der Jakobsbahn. Nichts einzuwenden gegen Davos, dachte ich, aber warum ziehen die Szene-Gastronomen nicht mal nach Wollishofen hinaus? Das wäre eine frohe Botschaft.

Gut, wenn ich dort oben in der Gegend bin, vielleicht am World ­Economic Forum, gehe ich vorbei.

Kommentarfunktion deaktiviert.

Die Redaktion behält sich vor, Kommentare nicht zu publizieren. Dies gilt insbesondere für ehrverletzende, rassistische, unsachliche, themenfremde Kommentare oder solche in Mundart oder Fremdsprachen. Kommentare mit Fantasienamen oder mit ganz offensichtlich falschen Namen werden ebenfalls nicht veröffentlicht. Über die Entscheide der Redaktion wird keine Korrespondenz geführt.