«Eis an Latz, du Laferi?»

Unser Autor hat sich bereits mit entsprechendem Arbeitswerkzeug (Kaffeetasse) ausgerüstet.
Ich fluche eindeutig zu viel. Das meinen auf jedenfall einige meiner Journi-Kollegen. Das sei eines Journalisten unwürdig. Und ich habe Besserung gelobt. Ehrewort!
Natürlich werd ich nicht weniger fluchen. Schliesslich bin ich Proll-Blogger und nicht so ein elitärer Journalist. Aber ich werde auf die harten Ausdrücke wie «Ar*******», «Bi***», «Wich***» oder «Fi** dich!» verzichten und dafür tief in unserem eigenen kulturhistorischen Erbe graben.
«Jetzt muesch aber mal de Schlitte hebe, du Galöri» oder «Nöd ganz bache, du Gumsle?» zeigen exemplarisch, wie exakt und fein ziseliert Schweizer Fluchwörter eingesetzt werden können. Sie sind herabsetzend, klar, ohne dabei die Grenze zum Vulgären zu überschreiten. Selbst die härtesten Begriffe wie «Schafseckel», «blödi Chue» oder «Tubel» sind Worte, die nach einer Weile vergeben werden können.
Unsere Fluchkultur lehnt sich an unsere Konsenssozialisierung an. Wir werden laut, machen klare Ansagen, ohne aber das Geschirr für immer zu zerschlagen. Im Gegenteil! Alle unsere althergebrachten Schimpfworte haben die intime Qualität von Kosenamen.
«Laferi», «Zwetschge», «Totsch», «Schaaggi», «Räf», «Toorebueb», «Schnudderi», «Lämpelisi», «Habasch», «Gwaggli» und sogar «Tschumpel» drücken wohlwollendes, verständnisvolles Missfallen aus. So lässt man sich gerne beschimpfen, wenn es denn schon sein muss.
Auch die Aufforderungen, die ein brutales und vulgäres «F*** dich!» ersetzen, sind sozial verträglich: «Etz muesch aber mal de Latz hebe, du blödi Scheese!», «Putzdi!», «Etz ziesch Leine, du Gaggelari!», «Blas mer id Schueh!», «Läck mer am Tschöpli», «Chasch mi gern ha!», «Jetzt isch gnueg Heu dunne!» oder «Ziit, dass Türe vo dusse zuemachsch, du Strumpfsüder» sind keine unflätigen Verletzungen, sondern eine momentane, verbale Grenzziehung, die vor weiteren Eskalationen schützen soll.
Ein «Luegsch, ey!» in den verschiedensten Betonungen kann sowohl als Warnung wie auch als Aufforderung verstanden werden und eine ganze Liste an neuen deutschen oder englischen Fluchwörtern ersetzen. Überhaupt sind viele unserer aggressivsten Ausdrücke in höflicher Frageform. «Wotsch Puff?», «Chasch nödemal d Schnurre hebe?» und «Eis an Latz, du Laferi?» sind zurückhaltend interessiert formuliert.
Aber auch unsere Imperative wie «Etz muesch aber ufpasse!», «Verreis etz eifach!» oder «Rutsch mer doch de Buggel ab!» sind in ihrer eigentlichen Aussage zivilisiert und transportieren trotzdem die Botschaft.
Nun, meine Kollegen werden es schwer haben, gegen diese Art des Fluchens zu argumentieren, schliesslich arbeite ich mit erhaltenswertem Schweizer Kulturgut. Und auch unsere Rechtsabteilung kann wieder aufatmen.
Denn, ehrlich, wer würde mich verklagen, weil ich ihn «Gaggelari» genannt hab? Bei «Ar*******» ist das aber schon vorgekommen.
18 Kommentare zu ««Eis an Latz, du Laferi?»»
Mein türkischer Banknachbar wurde vom Geschichtslehrer mal Gaaggi genannt, weil er vorlaut eine lustige Bemerkung geäussert hatte. Als wir nach der Stunde das Zimmer verlassen, sagt mein Banknachbar: „sag mal, spinnt es dem Lehrer, der kann mich doch nicht einfach Gaggi nennen und niemand reagiert!!!?“
wir sind in der verschissenen adventszeit, herr el arbi – jetzt seien sie doch verdammt nochmal beschissen besinnlich. schliesslich ist die ganze kommerz-kacke voll am dampfen. da wird nicht geflucht – erst beim öffnen der verfickten drecks-geschenke, die man dann im januar in die scheiss-malls umtauschen geht.
*Grillähirni*
P.S: Sind beim Fluchen in Dialekt die Wörter auch harmloser?
*Gopf, Dammi Siech* etc.?
Interessant! Umgekehrt hat zwar soziolinguistische Forschung gezeigt, dass Menschen gerne in einer Fremdsprache fluchen, weil es somit weniger hart klingen soll…
Und genau aus diesem Grund hat das französischsprachige Fernsehen von Québec vor Kurzem erlaubt, *fuck* dürfe sogar unter gewissen Bedingungen in seinen Sendungen gesagt werden: „Premièrement, la langue principale de l’émission doit être le français, car, en français, le mot fuck n’a pas la connotation vulgaire qu’il peut avoir en anglais; deuxièmement, il faut que l’utilisation du mot soit occasionnelle; et troisièmement, le mot ne doit pas être utilisé pour insulter ou attaquer un individu ou un groupe.“
http://quebec.huffingtonpost.ca/2017/11/08/on-a-le-droit-de-dire-fuck-dans-les-medias_a_23270805/
Die Forscher sprechen kein Schweizerdeutsch.
stimmt – die integration ist gescheitert. 😉
habe ich den guten alten, immer verwendbaren ‚lööli‘ im text überlesen oder ging er vergessen? ‚ginöffel‘ hört man auch nicht mehr oft, obwohl dieser ausdruck durchaus ein revival verdient hätte….:-) ‚chleechue‘ gefällt mir persönlich auch sehr gut!
Ganz ordentlich viel der benannten Worte sollte man brauchen, und das nicht zu selten, einfach damit sie nicht aussterben. Meinereins benutzt viele dieser Worte als «zärtliche Kosenamen» für (sehr) gute Freunde, denn – wie Sie erwähnt haben – wer findet es schon schlimm so semiernst als Zwätschge bezeichnet zu werden.
In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufzählung, da hats einige drunter, die ich unbedingt wieder öfter verwenden möchte.
ich finde es viel ekelhafter wenn die leute nicht gerade aus motzen und fluchen, sondern „mit verlaub“ anfangen, irgendwo „notabene“ einflechten und therapie empfehlen. oder behaupten, jemand würde ihnen „leid tun“. das machen leute, die sich für intelligent und gebildet halten. sie finden das irgendwie besser als arschloch zu sagen. nicht meine welt
e löu, e blöde siech, e glünggi un e sürmu
hei einisch zäme krach gha, es risegrosses gstrürm, wüu
dr glünggi het zum löu gseit, är syg e blöde siech
und dä isch sofort zum sürmu, was ja o nid jede miech
und er het ihm das verzellt und gseit
dr glünggi syg e sürmu
u dr sürmu het’s em glünggi gseit
u dä macht druus es gstürm u
verzellt’s em blöde siech, u wo dä drvo het ghört
het er gseit zum löu, är syg e löu, und das het dise gstört
und er hout em blöde siech eis um d’ohre, dass es blüetet
u dr glünggi louft drzue u gryft jitz ou no y u wüetet
u dr sürmu u dr glünggi u dr löu u dr blöd siech
hei di ganzi nacht lang gschleglet
bis am andere morge früech
Mani Matter
ein genialer song. trifft wohl auf so manches management- und büro-team zu…:-)
Habasch hat schon eine Schweizer Wurzel: Verzell kein Habasch heisst, kein Mist erzählen. Entstand im 1. WK unter Soldaten, wegen der frz. Presseagentur Havas und wurde seither auch im Sinn von „Totsch“ oder Narr gebraucht.
Der George Habasch hingegen war ein palästinensischer Kämpfer… deswegen wohl die irritierte Reaktion in Ägypten
Danke für diesen Hinweis!
Meine Mutter, geboren 1928, sagte jeweils «das isch e fertige Havas», wenn sie meinte, dass etwas völliger Mist sei. Nun weiss ich auch, woher der Ausdruck kommt.
Ich habe allerdings noch keine solchen Worte in Ihren Blogs oder Ihren Kommentaren darunter gefunden.
Bezieht sich der Knigge-Hinweis Ihrer Fachkollegen auf Sie als Privatperson und Ihr Privatleben?
Das müssen Sie natürlich nicht beantworten weil geht mich nichts an (vielleicht will ich es auch gar nicht wissen)
Bei den paar hundert Posts, die ich hier geschrieben habe, kams schon beim einen oder anderen zu Auffälligkeiten. Aber hauptsächlich in meinen Social Media-Auftritten auf Twitter und Facebook. Die natürlich auch als Aushängeschild für den Blog hier dienen 🙂
Wenn man Ihre Texte genau liest, so hat man den Eindruck, dass Sie genügend intellektuelle und kreative Ressourcen haben, um interessante Texte zu schreiben. Was mich natürlich nichts angeht.
Mir ist es lieber, wenn mal jemand laut wird, wenn er ehrlich und berechenbar ist. Unangenehm sind bspw. die smarten Oberflächen, wo man die Probleme erst hinterher bemerkt. Aber das ist meine persönliche Meinung.
Was das medial automatisierte gesellschaftliche Affektüberschiessen betrifft: Man kann, so scheint es, heutzutage beim Gegenstand XY nur entweder total dafür oder total dagegen sein. Dazwischen gibt es nichts mehr. Allein Differenzierung kostet zu viel Zeit, weil der nächste Affektüberschuss als Nachschrei oder Nachschuss bereits durchs Bildschirmrohr schiesst.
Alles Gute, Herr El Arbi!
sorry hab das falsch reingemacht
Bei Habasch solltest Du aber wohl aufpassen. Denn ich mag mich an einen Kollegen erinnern, welcher in Ägypten in einem Hotel gearbeitet hat. Als er mal auf Schweizerdeutsch fluchend (diir cheibe Habasche) aus der Küche ging, wurde er zum Direktor (auch Schweizer) zitiert. Die Ägypter hätten sich beschwert; denn scheinbar ist Habasch ein schweres Fluchwort im arabischen.