Heimkino-Probleme

Regisseur Spike Lee: Sein «Do the Right Thing» eigenet sich nur bedingt für den Familienfilmabend. (Reuters/Robert Galbraith, aufgenommen im Jahr 2006)
Am Wochenende machen wir, wenn es irgendwie geht, einen Filmabend. Ich glaube, das ist ein ziemlich verbreitetes Familienritual, so wie man früher Hausmusik gemacht oder «Trivial Pursuit» gespielt hat. Wir schauen unbestrittene Volltreffer wie die Marx Brothers oder «Bend it Like Beckham» oder tragische Geschichten mit gutem Ende wie «Lion» («Der lange Weg nach Hause») über den adoptierten Buben aus Australien, der in Indien seine alte Familie sucht.
Dieses Filmprogramm ging lange gut, bis sich in letzter Zeit Widerstand zu regen begann. Die Kinder haben eigene Vorstellungen, was sie sehen wollen. «Star Wars» oder «Jäger des verlorenen Schatzes» finde ich auch toll, aber bei «Hanni und Nanni 3» ist es fertig mit dem Familienritual. Wenn ich sage: «Den Mist könnt ihr alleine schauen», erwidern sie: «Ach, du mit deinen langweiligen alten Filmen.»
Bis jetzt habe ich mich meist erfolgreich über ihren Protest hinweggesetzt, man hat ja eine kulturelle Verantwortung, mögen einen die Kinder noch so verfluchen. Aber als ich zu Ehren des letzthin verstorbenen Jerry Lewis «The Nutty Professor» («Der verrückte Professor») durchboxte, musste ich ihnen ein bisschen recht geben. Übrigens, nicht alles von Jerry Lewis ist angestaubt, «Cinderfella» («Aschenblödel») ist immer noch sehr lustig.
Kürzlich sahen wir «Do the Right Thing», das Meisterwerk von Spike Lee aus dem Jahr 1989. Der Film beginnt mit einer elend langen Titelsequenz, minutenlang hopst eine junge Frau im damaligen Hip-Hop-Style über die Leinwand, bis einer der Buben fragte: «Ist etwas los mit der DVD?» Doch dann setzt die Geschichte der Pizzeria in Brooklyn ein, mit Danny Aiello als weissem Pizzabäcker in einem schwarzen Viertel, John Turturro als dessen jähzornigem Sohn, mit dem Tumult im Quartier, der unausstehlichen Hitze, mit dem ganzen «Yo Bro»-Getue und der Musik von Public Enemy.
Übrigens, wir sind nicht die Einzigen mit dem Filmproblem in der Familie. Ein Freund erzählte mir, wie schwierig es sei, mit seiner 16-jährigen Tochter einen Film zu schauen, «ach Papa, alles viel zu langsam, viel zu ernst, zu intellektuell». Er habe ihr «Miss Sloane» («Die Erfindung der Wahrheit») vorgeschlagen, er habe den Film im Kino gesehen und sei begeistert gewesen. Da war er nicht der Einzige. An einem Abend vor den Sommerferien bin ich der gesamten Direktion des Kosmos vor einem Kino begegnet, das war noch vor der Eröffnung des Kulturpalasts, Samir, Deckert, Roth, sie hatten eben «Miss Sloane» gesehen und waren begeistert. «Unglaublich», sagte Samir, «in dem Film wird nur geredet, du siehst nur Büros und Vorzimmer, und trotzdem klebst du an der Leinwand.»
Nach zehn Minuten hätten sie abgestellt, sagte mein Freund, seine Tochter hatte genug, «sie fand, ‹Miss Sloane› sei zu anspruchsvoll. Wir haben in diesem Alter Antonioni und Godard geschaut.»
Zehn Minuten – genau so lange waren die Kinder auch bei «Do the Right Thing» wach geblieben. Es ging noch friedlich zu und her in der Pizzeria, als sie alle schon schliefen. Ich hörte ihre regelmässigen Atemzüge und schaute alleine fertig. «Was für ein Film», dachte ich. «Yo Brother!»
2 Kommentare zu «Heimkino-Probleme»
🙂 ach ich habe meinen jungs die geschichte einfach erzählt. die geschichte finde ich nämlich super.
habe den film vor einigen wochen auch mal wieder gesehen und fand ihn schon ganz ganz anders, als damals als er neu war. ich kann mich leider gar nicht erinnern, was ich damals dachte über die geschichte. mir schien das thema jedenfalls sehr 2017 (wir hatten ja auch einen heissen sommer). meine söhne und ich finden gar nicht so selten die selben filme gut, auch aus den selben gründen, aber trotzdem schauen wir nicht mehr gemeinsam. überhaupt machen wir gar nichts gemeinsam seit einigen monaten. ausser essen. ist gerade so eine phase von ablösung, schätze ich :). gut so
Bei uns darf jeder abwechselnd den Weekend-Spielfilm aussuchen. Das funktioniert ganz gut, am bestem gibt man dem jeweils anderen 2 oder 3 Filme zur definitiven Auswahl, dann „wählen“ alle. Natürlich rufen Teenager bei der Frage, wer den Film heute aussuchen darf jedes Mal „Ich!“… Ich finde es besonders in der heutigen Zeit wichtig, den Kids zu einem weiten kulturellen Horizont zu verhelfen. Dazu gehört eben, dass sie auch Filme schauen oder Musik hören sollen, die anderen gefällt und nicht unbedingt ihr üblicher (von der Kollegenclique geformter) Geschmack ist. Das ist schlussendlich Verblödungsprophylaxe.