Stadt? Land. Flucht!

Wieso man in Zürich einem Solothurner im Club einen Drink spendieren sollte.

Mit letzter Sicherheit kein solothurner Club. Bild: Wikimedia/Userhelp.ch

Zürich hat gefeiert. Insbesondere an der Geroldstrasse herrschte an diesem Wochenende der fröhliche Ausnahmezustand mit Partys, die erst am frühen Montagmorgen geendet haben. Selbstverständlich ist das nicht jedermanns Sache. Manch einer mag sich fragen, warum sich die Leute das antun, wissen sie doch, dass am Ende der Party ein Kater garstiger als Garfield auf Lasagne-Entzug sich ihrer annehmen wird.
Im abschliessenden Fazit «selber schuld» der Nichtversteher schwingt aber nicht nur Häme und Schadenfreude mit, sondern auch die Stadtzürcher Selbstverständlichkeit der Eigenverantwortung. Man darf sich dem Exzess hingeben, muss dann aber halt auch die vom Körper, dem Gewissen und der Vernunft gestellten Rechnungen begleichen.

Nicht in allen Schweizer Städten dürfen die Bürgerinnen und Bürger frei über die Dauer ihrer Partys entscheiden: Die Behörden sagen ihnen wann Schluss ist. Die Solothurner Offiziellen sehen ein eigenes Nachtleben seit jeher als Angelegenheit von höchster Irrelevanz.

Man ist zwar eine Stadt, aber das Gewichtungsgefälle der dortigen Behörden zwischen Ausgeh- und Schlafbedürfnis der Einwohner gleicht jenem eines Weilers im Entlebuch. Mit dem neuen Wirtschafts- und Arbeitsgesetz hat das kantonale Parlament neulich sichergestellt, dass die Jugend ihren gesellschaftlichen Lebensmittelpunkt weiterhin nach Basel, Bern oder Zürich verlegen wird.

Freinachtkontingente werden abgeschafft, unter der Woche müssen die Lokale eher schliessen und am Wochenende dürfen mehrere Betriebe der Nachtgastronomie nicht mehr wie bis anhin um 4 Uhr Gäste empfangen. Wohlgemerkt: Die Rede ist nicht von 4 Uhr nachmittags sondern von 4 Uhr nachts. Ein generelles Verbot des Partybetriebs bis 4 Uhr wurde zwar nicht erlassen, aber wer einen solchen wünscht, muss eine durch mehrere Gremien abzusegnende Baubewilligung in Kombination mit einem kostspieligen Lärmgutachten einreichen, das sich viele schlicht nicht leisten können.

Diese neue Gesetzgebung hat die städtischen Jungpolitiker dazu bewogen, ein parteiübergreifendes Komitee zu gründen, mit dem Ziel, wenigstens die Freinachtkontingente zu reanimieren. Der Grund für die restriktive Haltung der Solothurner Behörden dem Nachtleben gegenüber ist das Ruhebedürfnis der Einwohner. Da reicht es offenbar sogar, wenn sich ein einzelner Nachbar über Lärm beschwert, so wie mutmasslich im Falle des «T-Room». Dessen Besitzer musste vor Gericht antraben.

Eine Stadt die ihr Nachtleben als auszumerzenden Störfaktor sieht, sorgt dafür, dass der eigenen Jugend andere Städte als attraktiver gelten. Für Leute unter 30 Jahren müssen die Nächte am Wochenende nun mal nicht bereits um 4 Uhr in der Früh enden. Wenn die eigene Stadt keine Austobmöglichkeiten bietet, dann geht man halt dorthin wo man das Gewünschte kriegt. Wer also nach 4 Uhr in einem Zürcher Club auf einen Solothurner trifft, der hat es sehr wahrscheinlich mit einem Vertriebenen zu tun. Obdach braucht er wohl nicht, aber man darf ihm ruhig einen Drink spendieren um sein Heimweh zu lindern.

7 Kommentare zu «Stadt? Land. Flucht!»

  • Thomas Jäggi sagt:

    Es ist doch super so wie es ist. Offenbar schätzt man in Zürich diese Freiheit 24 Stunden Party machen zu können. In Solothurn schätzte ich die Nachtruhe. Ich denke viele wohne in Solothurn gerade weil sie die Vorzüge einer kleinen, gemütlichen und ruhigen Stadt schätzen. Wer die Nächte durchfeiern will kann das gut in Zürich machen. Es wäre schlecht wenn es überall gleich wäre, nicht alle Leute haben die gleichen Bedürfnisse. Jedem das Seine und mir die Nachtruhe.

    • Alex Flach sagt:

      Es hat halt schon eine Kehrseite: Ausgang ist ein wichtiger Teil der Freizeitplanung von Menschen unter 30 und auch entscheidend beim Aufbau eines privaten Umfeldes. Kann dieser U30er in seiner Region seinem Ausgehbedürfnis nicht nachgehen, dann tut er es woanders und baut sich folgerichtig dort sein privates Umfeld auf. Dem passt er schlussendlich auch seinen Wohnsitz an. Ich finde eine Stadt hat die Aufgabe die Bedürfnisse ALLER zufriedenstellend zu berücksichtigen. Das ist in Solothurn aber nicht der Fall. Und das ist gefährlich für eine gesunde Altersdurchmischung…

      • Alex Flach sagt:

        Ich kenne Unzählige die auf dem Land aufgewachsen sind, dann das Zürcher Kulturleben entdeckt, sich hier einen Job gesucht haben und dann hierher gezogen sind. Städte wie Basel, Bern oder auch Luzern und St Gallen haben dieses Problem weniger weil die ihrer Jugend selbst ein Angebot hinstellen. In Solothurn tendiert dieses aber mittlerweile gegen null.

    • Alex Flach sagt:

      Selbst wenn die Weggezogenen im reiferen Alter wieder zurückziehen, weil sie ihre Wurzeln und das Ruhebedürfnis dann über jenes nach einem facettenreichen Ausgeh- und Kulturangebot stellen… es kann nicht im Sinne der Stadt sein dereinst das grösste Altersheim der Schweiz zu werden.

  • Peter sagt:

    Ob man Solothurn als Stadt bezeichnen kann?

    • Alex Flach sagt:

      🙂 Solothurn ist fast gleich gross wie Baden und die haben da trotz der Nähe zu Zürich und angesichts der Tatsache, dass sie nicht Kantonshauptort sind ein viel facettenreicheres Nachtleben.

  • Philipp M. Rittermann sagt:

    mir gefällt das bild. somit könnte man aus ehemaligen szenen-clubs abenteuer-spielplätze für gross und klein machen. mit häuserkampf, combat-schiessen und – für die linken kinder – kurse „wie besetze ich ein haus.“ 🙂

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