Die Spirale dreht nicht
In Kilchberg gibt es einen Bauernhof. Er heisst Uf Stocken. Zu Fuss brauchen wir eine halbe Stunde. Es gibt Schweine, Kühe, Esel und so weiter. Und es gibt einen Automaten. Da kann man Apfelringe, Eier, Milch und Würste kaufen. Auf die Apfelringe habe ich es abgesehen und werfe fünf Franken in den Automaten ein.
Wir Juden haben im Laufe der Jahrhunderte einen sechsten Sinn für Auswanderung entwickelt. Wir spüren, wenn sich das Klima ändert und das nächste Pogrom vor der Türe steht. Dann ist es höchste Zeit, zu flüchten. Ich besitze ausserdem noch einen siebten Sinn: Ich nehme Schwingungen wahr, dass der Selecta-Automat nicht funktionieren wird.
Ich habe schon alles erlebt: Der Schokoriegel, der sich quer stellt; eine unerklärliche Fehlermeldung, der Geldschlitz, der keine meiner Münzen schluckt ausser den 20-Rappen-Stücken. So auch in Kilchberg. Ich antizipiere bereits die Niederlage und drücke trotzdem auf die Zahlenkombination 18 (für die Apfelringe). Ich weiss bereits, dass die Spirale im Fach 18 nicht bis zum Anschlag drehen wird. Und tatsächlich, die Verpackung der Apfelringe hängt an der Spirale fest. Oder sie hat sich im engen Fach eingezwängt. Oder irgendetwas. Ich empfange leider nur Schwingungen, dass etwas nicht klappen wird. Die Gründe kenne auch ich nicht.
Ich klopfe mit der Handfläche auf die Scheibe. Eskalationsstufe 1. Dann fluche ich. Dann hämmere ich mit der Faust gegen diesen verfluchten Automaten. Dann bemerke ich, dass meine Kinder neben mir stehen, und schliesslich registriere ich den Bauern, der auf mich zugaloppiert.
Jetzt wirds kritisch. Der Bauer ist so breit wie hoch. Aus seinen Nasenlöchern blitzt ein dicker Ring. Ich schätze seine Leistung auf 14 Pferdestärken. Gegen so einen Gegner hat man nur mit Lautstärke eine Chance. Das habe ich von meiner Frau gelernt. Ich schreie ihn an: «Ihr v******** S******-Automat gibt mir keine Apfelringe.» Der Bauer mustert mich von unten nach oben. Dann schreit er noch lauter zurück: «Was soll das?» Ich schreie mir die Kehle aus dem Hals: «Dieser v********* Automat gibt mir keine Apfelringe.»
Der Bauer tritt ganz nahe an mich heran: «So, das reicht. Wie würden Sie reagieren, wenn ich Ihren Kühlschrank demolieren würde?» Darauf war ich nicht gefasst. Über so eine Frage muss doch gründlich nachgedacht werden. Also wenn ich abends nach Hause komme und in meiner Küche einen Bauern vorfinde, der herumkrakeelt und mir den Kühlschrank demoliert, dann, dann . . ., keine Ahnung. Wie muss man sich in so einer Situation eigentlich verhalten? Ich antworte nur blöd: «Aber ich hab schon fünf Franken eingeworfen. Und jetzt hängen die Apfelringe fest.»
Der Bauer schaut mich lange an. Und ich glaube, das war der Moment, wo er Erbarmen mit mir spürte und wahrscheinlich dachte: «So ein beschränktes Lebewesen. Schreit vor seinen Kindern wie ein Berserker. Und weswegen? Wegen 80 Gramm Apfelringen.» Er holt aus seiner Tasche einen Schlüssel hervor und eins, zwei, drei, habe ich meine Apfelringe. Ich murmle noch etwas von Danke und Entschuldigung und laufe so schnell wie möglich weg.
Die Apfelringe haben übrigens hervorragend geschmeckt.
3 Kommentare zu «Die Spirale dreht nicht»
ich habe eine empfehlung. sowohl für sie, herr frenkel, als auch für den bauern. selecta-automaten gehören nicht auf einen bauernhof. auch nicht im umland von züri. bei uns im oberland haben wir mehrere selbstbedienungs-hofläden wo man seine waren mittels aufgestelltem kässeli bezahlen kann. das funktioniert wunderbar. weil bei uns im oberland die leute ehrlich sind und den geschuldeten betrag auch brav einwerfen. und hier wird das wahrscheinlich in züri scheitern. da gibt es nämlich leute die sich gratis an den waren bedienen und dann auch noch das kässeli mitlaufen lassen. da braucht man als bauer dann eine überwachungskamera sowie eine abgesägte schrotflinte.
Ich glaube in Zürich würde es eher gestohlen werden als auf dem Land
Ich bin letzthin, als ich auf meinem Pferd in meiner Wohnung herumgaloppierte, in der Küche auch auf einen Bauern gestossen, der an meinem Kühlschrank herummachte. Ich bin zu ihm hin galoppiert, habe mich gross gemacht, worauf er sich im Gemüsefach des Kühlschranks versteckte. Mir war das recht, denn meine Apfelringe staue ich im Gefrierfach. Äpfel sind gesund, hat meine Grossmutter immer gesagt, deswegen esse ich Apfelringe gegen Augenringe. Es ist gut, immer einen zur Hand zu haben, vor allem morgens um 3.