Schwärmen in der Kantine

Der Karnivore kanns kaum glauben. So euphorisch hat er den Vegi noch nie erlebt. Wie der sich vor Begeisterung fast verschluckt am Dinkelrisotto. «Ist alles in Ordnung?», fragt er. «In Ordnung? Schau dich doch um!» Der Karnivore tut wie geheissen, sieht ein paar kauende Lehrer, zuckt mit den Schultern. «Und?» «Bist du blind? Die Architektur! Der Blick auf die Limmat! Das fleischlose Buffet! Grossartig.»
Die zwei dinieren nicht in einem neuen Designrestaurant. Sie speisen in der Kantine der Fachschule Viventa. Dort ist Schülern der Zutritt offenbar verboten, wie der Fleischesser ob der rein erwachsenen Gäste vermutet – bis ihn eine Gruppe Teenager eines Besseren belehrt. Er fühle sich ein wenig wie im Filmklassiker «Clockwork Orange», schwärmt der Vegi weiter, so konsequent im 60er-Jahre-Stil sei die Kantine gehalten. So flutend, so luftig, so weiss.
Recht hat er, muss der Fleischkopf eingestehen. Der Bau direkt an der Limmat ist eine Pracht. Humaner Modernismus, sagt der Vegi. Auch wenn man damals, in den 1960er-Jahren, kaum ein rein vegetarisches Buffet angeboten habe. Mit einem «sehr fortschrittlich» schliesst er den schulmeisterlichen Gedankengang ab.
Der Karnivore mault kulturpessimistisch zurück: Früher sei eben doch alles besser gewesen. Wobei, seine Teigwaren mit Pilzbolognese, die habe man in den 60er-Jahren auf dieser Seite der Alpen kaum bekommen. Und das sei eigentlich schade. Und der Fenchelauflauf, der passe zwar überhaupt nicht dazu, aber er schmecke. Esskultur beeinflusse eben auch die Barbaren, meint der Vegi.
Dazu habe er kürzlich etwas Komisches gelesen, fällt dem Karnivoren ein. Die Jungen würden sich heute weniger durch ihren Musikgeschmack, sondern durch kulinarische Vorlieben abgrenzen. Heute blöffe man mit raffinierten Mahlzeiten. Wobei, wenn er an einem überlaufenen Kebabstand vorbeispaziere, könne er das nicht recht glauben. Und ihm selber schmecke so ein gutes Stück Fleisch ja auch. Aber wenn er damit fertig sei, sei auch das Vergnügen irgendwie gegessen.
Das Beste am Essen sei ja nicht das Essen, sondern die Gespräche dabei, pflichtet der Vegi bei. Er habe kürzlich leider etwas Ähnliches gelesen: Gutes Essen trage zur Verfeinerung des Menschen bei, so wie Kunst das tue. Wer die Feinschmeckerei verschmähe, sei ein Banause, hiess es da. Quatsch, finde er. Kunst, egal ob Film, Musik oder Buch, inspiriere weit mehr als Essen. Sie erschüttere, wühle auf, während ein voller Teller zwar den Bauch fülle, aber den Kopf leere. Überschätzt werde die Nahrungsaufnahme.
«Und wie war es?», fragt der Karnivore nach einer Pause, in der man das Klopfen des Regens an den Scheiben hörte. «Was?» «Dein Essen, natürlich.» «Gut und frisch. Und deines?», fragt der Vegi. «Doch, doch.» (Günstig war es auch, 29.70 Franken für zwei Teller.)
Am Schluss gibts Mandelgipfelchen (0.70 Franken), die abartig gut schmecken. Es reut die zwei, dass sie kein raffiniertes Adjektiv kennen, um das wuchtige Mandelaroma zu beschreiben.
Fachschule Viventa, Wipkingerplatz 4, 8037 Zürich
Montag bis Freitag über Mittag geöffnet
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