Die etwas andere Wohnungssuche
Welche Schäden das städtische/ ländliche Leben an einem Menschen anrichten kann, davon berichten die folgenden Zeilen. Es geht hier um eine Déformation habituelle – die gewohnheitsmässige Deformation. Man lebt damit gut, wohl vor allem deshalb, weil man sich ihrer im Alltag nicht bewusst ist. Bis man – Überraschung! – unerwartet damit konfrontiert wird.
Das Stichwort lautet: Wohnungssuche. Welche Assoziationen löst das Wort bei Ihnen aus? Welche Bilder scheinen in Ihrem Kopf auf? Kommt vielleicht sogar ein Film in Fahrt? Welche Gefühle löst das Wort bei Ihnen aus? Die Antworten sagen viel darüber aus, wer Sie sind. Und noch mehr, wo Sie leben. In welcher Distanz zur Stadt Zürich Sie sich bewegen.
Die Konfrontation also. Ein Paar aus der Stadt Zürich sucht eine Wohnung in Bern. Es beginnt bereits bei den Wohnungspreisen, die Zürchern realitätsfremd scheinen. Dass es wahrscheinlich eher umgekehrt ist, die Sache mit der Realität und den Mietzinsen…
Bei einer ersten Besichtigung geht es um nichts weniger als ein «Bijou!» (Originaltext Inserat). Es wird noch besser: Was die Bilder versprechen, hält die Realität. Sorgfältig und liebevoll renoviert, wunderschöne Böden, einwandfreie Küche, schmucke Badezimmer. Jetzt machen sich die Unterschiede bemerkbar, wenn es um Bern und Zürich, um Wohnung und Wohnungsmarkt geht.
Berner Sicht: Kein Wunder, interessieren sich wahnsinnig viele Leute für die Wohnung. Zwölf Parteien zählt der Vermieter, wer Interesse habe, werde doch bitte bei ihm vorstellig. Er notiert sich dann den Namen und die Telefonnummer, im Gegenzug gibt er das Anmeldeformular ab. «Schicken Sie das Formular erst in zehn Tagen ein, dürfte es zu spät sein», sagt er und lächelt.
Zürcher Sicht: Weshalb interessiert sich eigentlich niemand für diese Wohnung? Für dieses Bijou? Um Viertel vor Besichtigungstermin steht noch kein Mensch vor der Tür. Um fünf vor kommen dann einige wenige – am Ende ist kaum jemand in der Wohnung. Liegt die Wohnung im falschen Quartier? Gibt es einen Haken?
Entsprechend vorbereitet sind die Zürcher angereist. Sie haben das Anmeldeformular heruntergeladen und bereits ausgefüllt. Sie haben Kopien des aktuellen Auszugs aus dem Betreibungsregister angeheftet. Das ist das Mindeste, das man in ihrer Stadt tun muss, wenn man auch nur eine leise Chance auf eine Wohnung haben will. Weil sie neu sind in der Stadt, mit den Gepflogenheiten der Berner nicht vertraut, haben sie auf Schokolade und Kinderzeichnungen als weitere Interessensbekräftiger verzichtet. Obwohl das in Zürich beinahe zum Standard gehört.
Es ist eine schöne, heile Welt in diesem Bern, in der Angebot und Nachfrage offensichtlich noch einigermassen übereinstimmen. Obwohl Berner hier glaubs widersprechen würden. Sicher aber löst das Wort «Wohnungssuche» bei ihnen nicht diese typischen Bilder aus: Beim Besichtigungstermin für die neue städtische Siedlung Kronenwiese stehen die Interessierten Hunderte Meter an. Gehört halt dazu.
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