Der lokale Lauschangriff

Wir kennen das ja alle: Hocken am Samstagnachmittag mit den Eltern im Honold, mampfen Butterbretzeli, Lachscanapés, Mohrenköpfe (ist es nicht seltsam, dass man diverse Kinderbuch-Klassiker wegen Rassismus umgeschrieben hat, diesen Patisserie-Klassiker-Rassismus aber locker ignoriert, so à la «Isch doch wurscht, Hauptsach, d Vanillefüllig isch fein!») und anderes Köstliches, das der Hausarzt nicht eben wärmstens empfiehlt, und klagt dabei laut über Gott und die Welt, im Stile von «Ich sage euch, unsere Firma wird immer knausriger, jetzt machen die sogar auf ‹Ich bin auch ein Tram›, sprich, die haben uns die Abfallkübel weggespart – und glaubt man dem jüngsten Gericht, ääääh, Gerücht, wirds bald noch vernichtender» (Anmerkung: Das Zitat ist frei erfunden, etwaige Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten wären rein zufällig), und während die Eltern bedächtig nicken – sie haben solchen Quatsch schon oft genug gehört –, werden die Ohren an den Nebenplätzen im selben Verhältnis grösser, wie der Monolog an Brisanz zulegt.

Yep, wir sind beim Thema Lauschangriff – was einerseits eine üble Zürcher Saumode beschreibt und andrerseits eine faszinierende Zürcher Band war. Die vor zehn Jahren am Taktlos-Festival in der Roten Fabrik spielte. In der Vorschau war zu lesen: «Trickreiche und abgefahrene Psychedelik kann in eine Persiflage von Björk münden.» Oder: «Sie fräsen durch ungerade Metren, lassen die Musikgeschichte ungehobelt vorbeiziehen und zerdehnen die Beats wie einst Captain Beefheart und seine Magic Band.» Was zeigt, dass man a) diese Band unbedingt mal hätte live erleben müssen, und dass man b) hierzulande einst ganz ordentlichen Journalismus fabrizierte.

Damit zum Lauschangriff als Unsitte. Die nicht allein im Honold zu beobachten ist, nein: Davon betroffen sind alle In-Bars, Plaudertaschen-Cafés, Gartenbeizen, Szene-Badis, Nobelrestaurants etc. auf Stadtgebiet mit tendenziell leiser Grundgeräuschkulisse, tendenziell interessantem Publikum und tendenziell enger Tischordnung (im Kanton, dies als Randbemerkung, sind Lauschangriffe kaum bekannt; da sorgen Buschtelefone und Stammtische dafür, dass heisses Zeugs die richtigen Empfänger findet). Bene, kommen wir zu vier zentralen Aspekten im Kontext des Zürcher Lauschangriffs.

1. Je teurer und/oder trendiger das Lokal, desto besser die Infos. Konkret: In der Kronenhalle ergattern Lausch­angreifer meist qualitativ guten Gossip; lohnenswerte Lokale sind derzeit auch das Co Chin Chin im Kreis 5 und das Binz & Kunz an der Räffelstrasse.

2. Nicht mehr neu, aber noch immer in 93 von 100 Fällen erfolgreich: Wenn man beim Fremdhören so tut, als sei man grad mit einem guten Kumpel mitten in einem Handygespräch.

3. Früher fragte man enttarnte Lauscher: «Und, alles verstanden? Oder soll ich Ihnen eine Zusammenfassung schicken? Falls ja, bräuchte ich einfach die Adresse.» Heute ists leider gang und gäbe, dem in flagranti ertappten «Sünder» die halbe Zuckerdose übers Cordon bleu zu kippen (souveräner wäre es, sofort nach dem Bemerken Hugo Balls Lautgedicht «Gadji beri bimba» oder Ähnliches zu rezitieren).

4. Menschen, die sichtbar angestrengt in der Gegend rumhorchen, sind im Normalfall keine Lauschangreifer, sie haben wahrscheinlich bloss das Hörgerät zu Hause vergessen.

4 Kommentare zu «Der lokale Lauschangriff»

  • tststs sagt:

    Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass das, was Sie „Lauschangriff“ nennen, für mich eher in die Kategorie „Gesehen-und-Gehört-werden“ fällt…?

    Übrigens, wie Kollegin Herzog schon schreibt: Mohrenkopf ist nicht rassistisch. Zumindest nicht rasistischer als Berliner oder Wienerli (man beachte den Diminutiv)… und nach einer Tüte schwarzer Afghan schmecken Meitschibei doppelt so fein… 😉

  • Asta Amman sagt:

    Nichts könnte mich weniger interessieren als Gespräche mir fremder Menschen am Nebentisch. Nur hören sich viele so gerne selber reden, dass sie dies in einiger Lautstärke demonstrativ für allfällige Mithörer tun (über die hammerinteressanten Gesprächsthemen durften wir hier in einem Artikel über das Café am Bullingerplatz lesen). Und dann soll es heute „gang und
    gäbe“ sein, dem unfreiwillig Lauschenden Zucker übers Cordon bleu zu kippen? Ja sagt mal, hackt’s? Ich würde in einem solchen Fall meine allererste Wirtshausschlägerei anzetteln.

  • Petra Herzog sagt:

    Patisserie-Klassiker-Rassismus ‚Mohrenköpfe‘. Der Begriff ‚Mohren‘ stammt von den Mauren (Mauretanien) und die waren / sind nicht schwarz, sondern sonnengebräunt.
    Wird nicht erst durch die ‚political correctness‘ etwas wertneutrales negativ bewertet? Ist dieser Artikel wertneutral, wenn die Zürcher als neugirige Klatschtanten diskreditiert werden?

  • M Kobelt sagt:

    Wirklich erfrischend wird es, wenn ein Lauschangreifer am Nebentisch kumpelhaft die Distanz verliert (oder an die realen, räumlichen Gegenbheiten anpasst) und einen flotten Spruch platziert.

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