Das Leben ist ungerecht
Ein- bis zweimal im Jahr muss ich ganz alleine etwas mit den Kindern unternehmen. Häufig dann, wenn die Frau viel putzen, kochen oder beides muss. So auch letzten Sonntag. Seit Tagen lag mir der Termin schwer auf dem Magen. Was soll ich nur machen? Den Sonntag benötige ich zum Kräfte auftanken. Mir wollte nichts Gescheites einfallen. Also entschied ich mich wie jedes Mal für das Zoologische Museum der Universität Zürich. «Nicht schon wieder», maulten die älteren Kinder. Ich überhörte die Klagen Israels und führte mein Volk ins Museum.
Der Eintritt ist gratis – im Unterschied zum Zoo. Dafür sind die Tiere tot. Man kann die ausgestopften Tiere aber umso besser fotografieren. «Gratis» muss ich allerdings etwas relativieren. Ein Kind liess meine teure Digitalkamera auf den Boden fallen. 329 Franken hat das Teil gekostet. Ich fluchte laut und wollte dem Kind automatisch eine Ohrfeige verpassen. Aber da standen so viele neugierige Leute um mich herum, dass ich von der Strafe abliess. Was andere Menschen über mich denken, ist mir wichtig.
Dafür gab ich den Kindern keine Antwort, als sie mich immer und immer wieder fragten, wie dieses oder jenes Tier im Schaufenster heisse. Einerseits war ich noch immer beleidigt, andererseits konnte ich die kleine Schrift gar nicht lesen. Denn ich bin ja Diabetiker. Ich sehe alles nur verschwommen.
Die Fragen hörten aber nicht auf. Also erfand ich irgendwann Namen. «Das hier ist ein Australischer Hämorrhoiden, das da ein sogenannter Südamerikanischer Syphilis.» Namen werden sowieso überbewertet. Ich zum Beispiel kann mich gar nicht mehr an den Namen meiner Banknachbarin von der fünften Klasse erinnern? Monika? Sybille? Fiona? Sie trug eine furchteinflössende Zahnspange.
Aber der ausgestopfte Hase auf dem Lehrerpult geht mir nicht aus dem Kopf. Das Tier stand ein halbes Jahr dort und blickte uns ständig an. Beim Teutates! Hat uns der Lehrer damit geplagt. Jedes Knöchelchen mussten wir auswendig lernen und auch, wie dämlich das Tier hoppelt. Einmal schleppte er uns zu einer Schulexkursion. Das Ziel war irgendein Feld im tiefsten Aargau. Es regnete scheusslich. Der unsympathische Lehrer streckte seinen Finger in eine Richtung und behauptete, dort gäbe es Hasen. Dann fuhren wir wieder zurück mit dem Postauto.
Man sagt ja häufig, Wissen schafft Erbarmen. Bei mir nicht. Ich weine keinem Hasen nach, den ein John-Deere-Mähdrescher W440 im Schlaf überrascht.
Ringeltauben mag ich auch nicht. Im Untergeschoss des Zoologischen Museums lief ein nämlich eine langweilige Dokumentation über diese Tiere. Eine Schautafel wurde eingeblendet. Es ging um die Verbreitung dieser Vögel. Zuerst sah man die Umrisse von Europa. Nächstes Bild: Wieder die Karte von Europa, diesmal mit Tauben überdeckt, von der Türkei bis Island. Mir kam «Die Vögel» von Alfred Hitchcock in den Sinn. Und auch die Stimme hörte sich vertraut an. Aber ja, das ist doch Sprecher Leon Huber (123 v. Chr. – 33 v. Chr.) von der Tagesschau.
An das SRF erinnerte übrigens ein Tier gleich beim Eingang: Das Riesenfaultier. Leider ist das sympathische Tier ausgestorben oder hat gar nie gelebt. Andere Tiere hingegen leben immer noch. Zum Beispiel kläffende Hunde.
Das Leben ist manchmal ungerecht.
Ein Kommentar zu «Das Leben ist ungerecht»
Unterhaltsam geschrieben