«Lebe deinen Traum»

vortrag

Hörsaal der Universität Zürich: Auf dem Programm stand das Thema «Familienplanung». (Foto: Beni Frenkel)

Die Adventszeit ist auch eine Zeit der Einkehr und der Rückbesinnung. Welche persönlichen Ziele sind im Jahr 2016  erreicht worden und welche nicht? Haben wir aus unseren Fehlern gelernt und ziehen wir die richtigen Schlüsse daraus? Das zu Ende neigende Jahr ermöglicht uns aber auch individuelle Ausblicke für das kommende Jahr zu wagen. Folgende Fragen treten an uns heran : Was können wir anders machen? In welchen Fragmenten unseres Lebens wollen wir uns verbessern?

Ich habe mir diese Frage letzten Sonntag gestellt und vorgenommen, mehr auf mein inneres Ich zu hören. Vielleicht kennen Sie das tiefsinnige Sprichwort: «Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!» Das gefällt mir. In dem Satz verbirgt sich viel Wahrheit.

Konkret habe ich mir vorgenommen, nicht mehr so viel Gewicht auf das Urteil anderer Menschen zu legen. 2017 soll das Jahr der Begegnung mit meinem inneren Ich werden. Die Gedanken meines inneren Ichs möchte ich gerne auf das äussere Ich projizieren. Oder anders ausgedrückt: Mein inneres Ich soll äusserlich auch innerlich wirken. Das Ziel ist also, dass das innere Äussere mit dem äusseren Inneren harmoniert und sich in meinem persönlichen Ich entfaltet. Ab Mitte 2017 will ich dann das äussere Innen-Ich mit dem Du des Ichs verschmelzen.

Wenn man das so liest, denkt man gleich, ich habe Philosophie studiert. Überhaupt gehen alle Menschen davon aus, dass ich irgendetwas studiert habe. Die Leute im Tram sehen meine Brille und meine Glatze und haben dann dieses beschränkte Weltbild: Der sieht intelligent aus, der hat sicher studiert.

Die Wahrheit aber ist: Ja, ich habe studiert, aber nicht zu Ende. Es war Sommer 2002. Ich befand mich im dritten Semester Wirtschaft. Die Prüfungsergebnisse kamen mit der Post: Nicht bestanden in den Fächern Mathematik, Statistik, Mikroökonomie und Rechnungswesen. Theoretisch hätte ich weiter studieren können, aber nicht als Wirtschaftsstudent, sondern eher als Zuhörer. Das wollte ich dann doch irgendwie nicht.

Seitdem habe ich nie wieder die Aula der Universität Zürich betreten. Wenn mich Leute fragen, was ich studiert habe, lüge ich immer: Publizistik. Das einfachste Studium. Und weil das fast alle studieren, muss man keine Fragen beantworten: «Publizistik, dann kennst du sicher Thomas Irgendwas.»

In Ratgeber-Bücher habe ich später gelesen, dass ich nicht weglaufen darf. Du kannst nicht vor dir selber wegrennen. Du bist stärker als du denkst. Die Kraft der positiven Gedanken. Hör auf dein inneres Du und begegne deinem äusseren Du.

Weil gerade Adventszeit ist, ging ich am Montagabend deswegen ohne Plan in das Hauptgebäude der Universität Zürich. Zu lange habe ich mich geschämt, da reinzugehen. Aber gerade in der Konfrontation liegt viel Information (Goethe).

Ich schlenderte durch die vielen Korridore. In den letzten 15 Jahren hat sich wenig verändert.  Es gibt immer noch einen Lichthof und die kleine Mensa. Im ersten Stock sah ich einen offenen Hörsaal und viele Tische mit Salzstangen und Orangenjus. Mut auf, in diese Vorlesung will ich gehen.

Ich setzte mich zuhinterst hin. Und da kam sie wieder, diese bekannte Uni-Schläfrigkeit. Der Hörsaal war nur zu einem Viertel belegt. Und das erst noch mit alten Menschen. Auf einer Leinwand stand: «Familienplanung im Zeitalter des Social Freezings». Wo bin ich hier gelandet?

Eine anscheinend bekannte Sexual-Professorin zeigte auf ein grosses Bild der Vagina und der beiden Eierstöcke. Mir wurde unwohl. Darauf hatte ich jetzt keine Lust.

Wie in guten Studentenzeiten nahm ich ein Sandwich hervor und löste Kreuzworträtsel. Dann spielte ich ein bisschen mit dem Handy und guckte immer auf die Uhr. Nein. die Universität ist doch wirklich nur etwas für Nerds und Streber.

Nach zwanzig Minuten verliess ich den Hörsaal und bediente mich draussen mit Salzstangen und Orangenjus.

6 Kommentare zu ««Lebe deinen Traum»»

  • KMS a PR sagt:

    das ist nicht schlimm und im grundsatz legitim – „lebe deinen traum.“ und diejenigen studenten, welche keinen unterschlupf im ressort „kunst & kultur & soziales“ finden, holt das richtige leben irgendwann so oder so ein.
    und bei ihnen, herr frenkel, habe ich so langsam das gefühl, dass sie diese anlässe nur wegen der verpflegung besuchen? 😉

  • tststs sagt:

    Ach, Studium – Schmudium… besser auf Tuchfühlung gehen mit dem inneren Ich lernt man dort sicher nicht… Aber dafür so Seich-Sätze wie „Träume nicht dein….“ zu analysieren und auf ihren Gehalt zu untersuchen.
    Dann merkt man schnell:
    Träume werden geträumt, das Leben gelebt.
    Punkt.

    • geezer sagt:

      tstststs: seich-sätze???? solche ‚genialen weisheiten‘ gehören unbedingt an eine gut sichtbare stelle auf jeden körper tätowiert!!! weitere vorschläge:
      – carpe diem
      – das leben ist eine reise mit unbekanntem ziel
      – love forever
      – love hate (auf den chnödli natürlich!)
      – fu** the system
      – jeder lange weg beginnt mit dem ersten schritt
      etc…..du weisst schon..:-)

    • Diego sagt:

      „Träume nicht Dein Leben-…“ Das Arschgeweih unter den Lebensweisheiten. Am besten in Schnürlischrift irgendwo am Körper einer trashigen Schönheit aus dem Unterschichtenfernsehen.

      Apropos Seichsätze, Fräulein Tststs: Ihre Ergüsse zum Thema Vegetarismus kürzlich in einem Blog von Réda darf man getrost auch in diese Liste aufnehmen…

      • Meret sagt:

        @Diego: Besonders stark vertreten ist diese trashige Schnürlischrift-Tattoo Spezies jeweils an der Street Parade.
        Debile Sprüche mit Pseudo Tiefgang und/oder der Name des Töchterchens auf dem Unterarm, zum Fremdschämen.

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