Wieder mehr Rave und weniger Fasnacht

Einfach tanzen.

Einfach tanzen.

2008 war ein entscheidendes Jahr in der Geschichte der Street Parade. Damals hat der Stadtrat die Sonderbewilligung für Outdoor-Bars und Musikanlagen im Freien während der Street Parade aufgehoben. Nach einer vierjährigen Beobachtungsphase hat Stadtrat Daniel Leupi im März 2012 entschieden auch weiterhin keine Outdoor-Bars zuzulassen. Eine entsprechende Bewilligung würde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wieder zu einem deutlichen Anstieg von verletzten Personen führen: Seit 2008 seien sowohl die Anzahl der Körperverletzungen als auch der Behandlungen durch Schutz & Rettung markant zurückgegangen.

Jedoch hat die Verweigerung dieser Sonderbewilligung auch Schattenseiten. War zuvor die ganze Stadt ein einziger Dancefloor und bereits der Gang zur Strecke Bahnhofstrasse oder das Limmatquai hinunter ein Bass-unterlegtes Happening, gleicht der Zug der Raver zum See heute einem Schweigemarsch, begleitet von kleinen Partyreisegruppen die sich in Seitengassen verstecken um die Drogen für den Tag unter sich aufzuteilen.

Zudem hat sich das Nachtleben mit der Verweigerung der Sonderbewilligung endgültig vom Umzug verabschiedet: Wegen der hohen Kosten, der vielen Auflagen und des enormen Personalaufwands für das Stellen eines Love Mobiles verzichteten circa seit der Jahrtausendwende immer mehr Zürcher Clubs und Veranstalter auf einen eigenen Lastwagen und fokussierten sich stattdessen auf die einträglichen Afterpartys und auf die Organisation von Outdoor-Partys wie jener im Rosenhof am Limmatquai.

Als 2008 diese innerstädtischen Club-Präsenzen während des Umzugs plötzlich keine Bewilligung mehr erhielten, wurde aus der Street Parade der Clubber endgültig ein Karneval für die ganze Familie. Zwar hat das Organisationskomitee diese Entwicklung mit diversen Soundstages etwas dämpfen können, aber es war und ist nicht mehr dasselbe.

Durch die 25. Parade wehte jedoch der leise Hauch von Umkehr. Es waren weniger Familien mit Kindern auszumachen und auch der Anteil an Verkleideten war deutlich kleiner als in früheren Jahren. Dass weniger Familien an der Strecke waren hing sicher mit der Angst vor einem Terroranschlag zusammen – die schrecklichen Bilder aus Nizza gingen wohl auch den 900‘000 Furchtlosen an der Strecke bisweilen durch den Kopf.

Warum sich hingegen immer weniger Leute verkleiden, liess sich gut an einem kleinen Zwischenfall abseits der Strecke ablesen: Als sich einer aus einer Gruppe mit blauen Perücken und ebensolchen Röcken bewehrter Männer im fortgeschrittenen Alter laut wunderte, dass nur vereinzelt andere Fasnächtler auszumachen sind, entgegnete ihm ein vorbeigehender Raver lapidar, dass sich halt nur Deppen verkleiden würden.

Es wäre schön, wenn die kommende Clubber-Generation aus dem Fasching für Jung und Alt wieder ein Anlass der elektronischen Musik machen würde. Jedoch müssten dann die Love Mobiles bezüglich Soundqualität nachziehen: Die schwankte auf vielen Lastwagen auch in diesem Jahr zwischen nervtötend und nicht vorhanden und einfach nur Insomnia von Faithless mit 160 BPM abspielen ist nicht die Art von repräsentativem Beitrag den die Street Parade als grösste Technoparty der Welt zur Musik leisten sollte.

Alex-Flach2-150x150 (1)Alex Flach ist Kolumnist beim «Tages-Anzeiger» und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.

10 Kommentare zu «Wieder mehr Rave und weniger Fasnacht»

  • Noah sagt:

    Alex Flach hat gesprochen und die Streetparade wieder einmal mehr korrekt reflektiert. Ich als 24-Jähriger Streetparade-Gänger – seit ich 10 bin gehe ich jedes Jahr – war vorallem dieses Jahr von der ganzen Mainstream-Musik enttäuscht.

  • klubsi sagt:

    Stimmt, die Musik auf den Lastwagen ist schon seit Jahren grässlich. Gute und aktuelle Musik gibts nur in den Nebengassen zu hören und da leider auch zu wenig – Hechtplatz 🙂

  • thomas sagt:

    war an der Jubiläumsparty am Hechtplatz…MAGISCH…

    Ich liebe die Street Parade – und ich hoffe sie bleibt für immer! Natürlich kommen Aargauer, Agglos und (oh schreck) sogar Deutsche…

    Warum: weil die Street Parade einfach nur geil ist und die Anziehungskraft über den ganzen Globus reicht…und ich bin nicht mal ein raver

  • Patrick Karasch sagt:

    Ich fände es schön, wenn die kommende Clubber-Generation tolerant und respektvoll bleibt und auch weiterhin älteren verkleideten Herren und Familien die Freiheit lässt, die Street Parade so zu erleben, wie die es wollen.
    Liebe und Frieden machen die Street Parade genauso aus, wie die elektronische Musik, wo die Geschmäcker halt verschieden sind.

  • JesperJay sagt:

    Lieber Alex – fandest du das Line Up bei den Stages gut ausgesucht ?
    Opera Stage war ein Einheitsbrei ohne Gnade.
    Zwar haben namhafte djs gespielt – aber wo war die Innovation ?
    Warum nicht Busy P, EDX, und dann ein Andrea Oliva der übernimmt. Das wäre genialer als was hier dargeboten wurde

    • Alex Flach sagt:

      Ich fand sie gut, ja. Klar müssen da Zugeständnisse an den Kommerz gemacht werden, dann aber mit eigenen Stages. Wenn Du alle unterschiedlichen Ausrichtung auf einer einzigen Stage zusammenpackst irritierst du nur das Publikum; du kannst nicht EDX und beispielsweise Chris Liebing auf dieselbe Bühne stellen… damit bringst du nur die Leute davor aus dem Konzept. 🙂

  • Bettina Fries sagt:

    Das mit dem „Deppen“ sehe ich eigentlich nur bei den Menschen, die sich mit Farbe anmalen, da diese schnell zu einer geteilten „Freude“ wird. Ich finde, das Verkleidungen unter anderem bedeuten, dass man ein bisschen mehr aus sich selbst herauskommen kann, wenn man sonst vielleicht eher schüchtern ist. Lieber Dank verrücktem Outfit extrovertiert als wegen grosser Alkoholmengen! Mich stört nämlich viel mehr dieser Aspekt der Parade, die vollkommen besoffenen Menschen, die nur noch herumtorkeln und dann noch diese feigen Idioten, welche durch die Menge schleichen und klammheimlich Frauen angrabschen. Tausche gerne fünf sich anständig benehmende Mitfünfziger im Stringtanga gegen einen…

    • Alex Flach sagt:

      Verkleidungen waren immer Teil der Parade. Finde auch nicht, dass sich nur Deppen verkleiden. Aber sie waren früher Beiwerk neben der Musik und jetzt jahrelang im Mittelpunkt. Du hast absolut recht… auch diese ganze Pfefferspraysache mit den Trickdieben…. Aber es ist nunmal so; wenn sich eine Million Leute irgendwo zusammenrotten sind zwangsläufig einige Idioten darunter.

      • Marc Gerber sagt:

        à propos eine Million Leute oder 900k (gem. offiziellen Angaben) – mich dünkt, es waren dieses Jahr bedeutend weniger…

        • Alex Flach sagt:

          Die ewige Zahlendiskussion… 🙂 Es soll ja Leute geben die der Ansicht sind, es waren schon immer weniger als die offiziellen Zahlen behaupten und dass das OK da ein bisschen grosszügig sein könnte in Rücksicht auf die Zahlen-abhängige Geberfreudigkeit seiner Sponsoren. Und wenn Opel mehr gibt bloss weil bezüglich der Zahlen ein halbes Auge zugedrückt wird… wer will dem OK da böse sein.

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