Toleranz für Bier und Brüste!
Natürlich müsste man sich grundsätzlich fragen, warum Menschen sich in Lederhosen und Dirndl zwängen, um sich dann mit wässrigem Bier so lange volllaufen zu lassen, bis sie genug Hirnzellen abgemurkst haben, um die unsägliche «Musi» an einem Oktoberfest ohne schwere aggressive Störungen zu ertragen. Oder warum sich eigentlich emanzipierte, junge Damen in Kostüme aus einer Zeit werfen, in der Titten die einzigen gesellschaftlichen Ausdrucksformen einer Frau waren. Und natürlich, warum sie ihre sekundären Sexualmerkmale einer besoffenen Horde von Männern auf dem Tablett präsentierten.
Aber wir bashen heute nicht. Findet sich doch im Umfeld eines jeden Zürchers irgend jemand, der da hingeht. Nicht leugnen, auch Sie kennen solche Randfiguren! Jeder kennt jemanden, der im Herbst anfängt, Dirndl-Bilder auf sein Facebook-Profil zu laden und bayrische Bonmots wie «O’zapft is» zu posten. Leute, die bei Bier und Brüsten von «kulturellem Anlass» schwärmen. Grenzen wir diese Menschen nicht aus! Üben wir hier für einmal Toleranz gegenüber den Unverständlichkeiten anderer Kulturen.
Lange war auch ich einer der Menschen, die nicht verstehen können, warum eine Züri Wiesn mitten im Hauptbahnhof oder auf dem Bauschänzli stattfinden muss, obwohl der Anlass überhaupt nichts mit Züri zu tun hat (abgesehen davon, dass da weit und breit keine «Wiesn», nicht mal ein Gebüsch, zu sehen ist). Aber Freunde aus den USA haben mir den Wert einer solchen Veranstaltung erklärt:
«Natürlich gehen wir an die Züri Wiesn! Das ist doch lokale Kultur. Ihr Europäer geht ja auch an die Tanzaufführungen unserer amerikanischen Ureinwohner. Und da dürft ihr nur zuschauen. An der Wiesn dürfen wir mitmachen!»
Natürlich führte ich an, dass die Wiesn nichts, aber auch überhaupt nichts mit unserer Schweizer Kultur zu tun. Mit Zürich schon überhaupt nicht. Darauf:
«So what? Ihr würdet ja einen Sioux-Vermählungstanz nicht von einem Lakota-Kriegstanz unterscheiden können. Und diese Kulturen unterscheiden sich stärker als ihr und die Bayern. Ausserdem ist die Züri Wiesn um Welten besser als das Original in München. »
Sie waren offenbar vor zwei Jahren an der echten Wiesn in München und waren angeekelt. Massen an Touristen, die so lange fettiges Essen mit Bier runterspülten, bis sie im Strahl reiherten. Sie wunderten sich über die aufgestappelten Alkoholleichen auf der Wiese am Rande der Wiesn. Auch die Schlägereien und sexuellen Übergriffe, die sie da an einem einzigen Abend erleben mussten, hätten sie an der kulturellen Überlegenheit Europas zweifeln lassen, an die alle reisenden Amis religiös glauben. Dann hätten sie letztes Jahr die Züri Wiesn entdeckt und jetzt sei alles wieder in Ordnung. Offenbar machen wir Zürcher wie immer alles besser.
«Hier in Zürich ist es einfach viel friedlicher und gesitteter. Hier kann man alles erleben, wie auf der echten Wiesn, und das, ohne dass Männer unter den Tisch urinieren oder sich in Decolletés erbrechen.»
In diesem Sinne: O’zapft is!
30 Kommentare zu «Toleranz für Bier und Brüste!»
ich würde eigentlich Blasmusik und Bier mögen. Missfallen tut mir aber, dass man Eintritt verlangt. Und ich habe seit meiner Schulzeit keine kurzen Hosen mehr getragen, weil es mir missfällt mich derart öffentlich zu exponieren. Typisch, dass bei der Verkleidung nur auf den Dirndl-Ausschnitt hingewiesen wird. Das halte ich für sexistisch. Dabei ist da kaum mehr zu sehen als bei jeder x beliebigen Serviertochter. Jedenfalls nicht soviel wie an jedem halbwegs milden Sommertag. Bleiben nur ein paar Fragen. Bin ich jetzt prüde oder emanzipiert? Halte ich meine Schweizer Traditionen hoch oder bin ich nur ein Miesmacher? Aber meine Zeit mit 3 Liter Bier pro Abend jeden Abend in den Kneipen ist seit 25 Jahren vorbei.
Ja, die Züri Wiesn (im Hauptbahnhof, ohne wiesen)- das war d i e Enttäöuschung des gestrigen Tages.
Nach einem wunderbaren Lauf entlang der Sihl von Langnau a.A bis in die Brunau wollte ich noch im Hauptbahnhof am Märt ein feines Dinkelbrot nach Hause nehmen. aber Pech, da war alles schon verbarrikadiert wegen der Wiesn. Meine schöne Ueberraschung aber war die Ankunft des Pferdegspanns mit den Bierfässern. Die Pferde, das war eine Augenweide!
Also ich bin ein Wisn-Fan. Ja evtl sogar Fanatiker. Und ja. Die Wisn in München, HB oder Buuschätzli sind primitiv! Aber hey, sind wir Mensch das nicht prinzipiell.
ZFF, Streetparade, Böögverbrännis, SVP-Puurezmorgä im Albisgüetli und und und sind nicht minderprimitiv.
Nein, ich kenne sehr viele unprimitive Menschen, angefangen vom Professor bis zum Buchhändler. Die treiben sich aber auch nicht auf solchen Saufgelagen rum.
Das ist ja so Fasnacht. Und ob die Brüste toller sind als jene, die man sonst so sieht? Oft sind es doch bierseelige Brüste… 🙂
Ich hab manchmal das Gefühl, dass diese Anlässe toll für Leute sind, die sonst eher selten „aus“ gehen. Analog Fasnacht und Streetparade halt.
Hajo, wems behagt 🙂
Ich kann es nur immer wieder betonen: Tief – tiiiiiiieeeeeef – in der eidegenössischen DNS scheint der Hang zu Verkleidung und Rausch verankert zu sein. Wir lieben es, uns zu verkleiden und den Regeln des Alltags und Anstandes für ein paar Stunden den Rücken zu kehren. Und jede Subkultur hat sich da ihr Festchen zurecht gelegt: Fasnacht, Street Parade, Alpabzug (wir verkleiden sogar unsere Kühe), Oktoberfest, Halloween, Cosplay etc.
Und ich glaube ehrlich, diese Purge Days tragen wesentlich dazu bei, dass wir die anderen 360 Tage im Jahr so anständig und gesittet miteinander funktionieren!
stimmt haargenau!..:-) der eidgenosse möchte ja ums verrecken nicht auffallen. da kommt so eine verkleidung gerade recht. ein ’suff-übergwändli‘ sozusagen. er hat ja sonst nicht den mut, sich in alltagskleidern die birne vollzudröhnen. es muss fasnacht, streetparade etc. sein, sonst ist der eigenosse zu verklemmt, richtig zu ‚festen‘, der nachbar könnte ihr ja erkennen. irgendwie peinlich……….
Hmmmm, ich empfinde es eben gerade nicht als peinlich… peinlich IMHO eher diejenigen, die sich dem nicht hingeben können (aus falsch verstandender Bünzligkeit). Auf den ersten Blick könnte man meinen, wir seien zu verklemmt um zu festen… dabei zeigt sich eben – gerade an oben genannten Anlässen – das Gegenteil. Wir können das noch, wir können noch die Sau rauslassen UND den Ernst des Lebens leben…
ja, festen schon, aber wie es scheint eben nur, wenn wir es verkleidet oder zu einem speziellen (sauf)anlass tun können. das finde ich dann schon eher etwas bünzlig.
so ist es!
Herr El Arbi, wenn Sie die Zürcher „Wies´n“ nur deshalb nicht bashen wollen, weil Sie das Original umso mehr bashen, dann schreiben Sie doch einfach nichts mehr dazu. Wenn Sie Ihre amerikanischen Freunde (die wahrscheinlich auch glauben, die „kukuck clock“ sei etwas schweizerisches) beiziehen müssen, um den Zürcher Anlaß als kulturell höher stehend zu bezeichnen, ist das etwas dünn. Wenn Sie in jedem Zelt beim Original nur nach Dingen suchen, die Ihnen mißfallen, werden Sie auch immer welche finden. Wenn Sie an jeder beliebigen schweizer Dorf-Chilbi ebenso anzutreffende Besoffene und im Strahl kotzende Besucher sehen, dann sind es wahrscheinlich die, die keine Lust haben, sich friedlich und gesittet nur selbst zu feiern und bloß nicht mit Fremden Kontakt aufzunehmen. Oder denken Sie an die typisch schweizerischen und kulturell hoch stehenden Messerstechereien nach Partynächten auf der Langstraße, an die typisch schweizerischen Müllberge und Drogenleichen bei der Street Parade etc. – alles mit Jahren Verspätung nachgeäffte Anlässe in der irrigen Meinung, die Stadt sei dadurch „hip“. Daß in den letztjährigen Interviews der Kellnerinnen der Züri-Wies´n – sogar die mußte man ja aus Bayern holen – diese sagten, das Original gefalle ihnen besser, ist für mich aussagekräftiger als Ihre überhebliche Einteilung in Kultur und Abschaum, und wenn man in Zürich das bekannt lasche schweizer Bier anstatt des Originals einfüllt, dann glaube ich Ihnen sogar, daß es nicht schmeckt. In diesem Sinne: Ersparen Sie uns bitte die jährlichen Aufgüsse und bleiben wenigstens dem Original fern – selbst unter Nüchternen und Gesitteten sind miesepetrige Motzer dort nicht willkommen.
So. „Die Anderen haben auch“ war auch mal mein Lieblingsargument. Nur hat nicht mal meine Kindergärtnerin sich davon überzeugen lassen. Und nein, ich geh da nicht hin. Ich muss nicht.
Und Sie müssen meinen Blog nicht lesen. Klicken Sie einfach weiter.
das heisst eben; ich nöd, er aber au!
Falsch Herr Arbi. Er reagiert nur subjektiv auf das, was sie schreiben. Das ist legitim. Wenn Ihnen die Reaktion nicht gefällt, müssen sie in der Zukunft vorbeugen und nicht so eine Kacke schreiben. Einen schönen Gruss aus Prag. 🙂
Ich reagiere nur objektiv auf dieses Geschwätz.
Sehr schön, lieber reda, wie entspannt du diesem seltsamen phänomen namens oktoberfest begegnest und mir so eine echte horizonterweiterung bescherst. Der unterhaltungswert stimmt sowieso. Wenn du’s dann auch mal schaffen würdest, einem anderen massenphänomen namens „fussball“ so gelassen und reflektiert zu begegnen, bin ich sicher, wirst du bei der leserschaft einen ähnlichen effekt erzielen können – und erst noch deine ausserordentliche entwicklungsfähigkeit beweisen. Oder frei nach adenauer: Auch dich kann niemand daran hindern, klüger zu werden.
Sobald die Fans lernen auf pyros und prügeleien zu verzichten …
wo ist der unterschied zur streetparade?
selbe kultur.
Es gibt keinen Unterschied: Drogen und schlechte Musik als Spass empfinden. Fasnacht gehört auch dazu 🙂
Der Alkohol wird in richtigem Glas ausgeschenkt…
ich verstehe die FOLKS völlig das sie dieses maßen-saufen-fröhlich-schreiend- und hemmungslos-gierende Verhalten manchmal absolut und total lieben UND auch brauchen, reda…Dieses Ventil gibt Balance-Verbindung und naturgefühl welches bei einigen von uns einfach nicht anderst zu kompensieren ist. Die andern von uns:) die stillen Wasser:) beherrschen die großen Künste, mit denen man nur geboren sein kann. Leben und leben lassen, so jedenfalls sollte es sein…..
nun. es ist schon ein beträchtlicher unterschied, ob es ganz fremde, oder irgendwie verwandte kulturen sind. die bayern sind ja den deutsch-schweizern bezüglich ähnlilch gelagerten traditionen nicht ganz unähnlich. somit passt eine wiesn durchaus auch hierher-, bzw. sie ist massentauglich. (und die zürcher machen ja eh jeden sch…. mit). übrigens – die kellnerinnen kommen jeweils direkt vom münchner oktoberfest.
ums gleich zuzugeben: ich war auch schon da. unsere inder im büro wollen jedes jahr gehen. zum glück sind wir aber nur über mittag dort. ohne ‚musi‘ und all die lustigen und so. und wenn sie mal nicht mehr fragen, ob ich auch mitkomme, bin ich überhaupt nicht böse. wir gehen auch sonst oft genug miteinander besseres bier trinken.
den münchnern mag ich ihr traditionelles besäufnis in lederhose ja wirklich gönnen. was ich aber überhaupt nicht nachvollziehen kann, warum kreti und pleti hierzulande sich plötzlich jeden herbst in eben solche hose oder in ein drindl rein zwängen (ahhhh, ausschnitt!!!!) und dann auf irgend eine wiesn‘ müssen um sich in einem dialekt, dessen sie nicht mächtig sind, zuzuprosten.
das sind dieselben, die höchstwahrscheinlich den trachtenverein in ihrem dorf rückständig und doof finden. oder soll ich mich, wenn ich zum libanesen essen gehe, auch gleich in einen kaftan stürzen und laut „fī ṣiḥatik“ brüllen? sorry, aber ich kann diesem getue einfach nichts abgewinnen. das fass definitiv zum überlaufen bringt Peter’s input oben: ……«Angels» von Robbie Williams mitsingen……soviel „kultur“ muss echt nicht sein..:-) es ist schon erstaunlich: wenn man in züri jeden herbst einfach eine ‚bier-suufete‘ in einem festzelt organisieren würde, wäre das wohl viel zu ‚langweilig’……..
Also ich würde 13.8 % Stammwürze und 6.2 Vol. % Alkohol nicht gerade als wässriges Bier bezeichnen.
Es schmeckt wie amerikanisches Diätbier.
Zuercher als Bierkritiker, naja …
Ja, es stinkt. Ja, die Blasmusik und das Gejohle sind meistens zu laut. Und ja, da steht tatsächlich ein Australier mit heruntergelassener Lederhose in der Schlange vor dem verstopften Pissoir.
Trotzdem muss man sich das Oktoberfest nicht unbedingt schön trinken. Etwas Verklärung reicht. Denn das Oktoberfest ist auch ein Nachmittag im Augustiner Biergarten in München. Die goldene Herbstsonne scheint durch Baumkronen, es duftet nach Steckerlfisch und Hendl. Das unbekannte Gegenüber auf der Holzbank packt eine Schale mit selbst gemachtem Obatzter aus dem Rucksack und fordert einen auf, seine Brezn doch damit zu veredeln. Einfach so. Man kommt ins Gespräch, und später geht man gemeinsam auf die Wiesn.
Im besten Fall wird man an einen Tisch mit lauter Bayern eingeladen, wo obszöne Fantasiedirndl und alberne Bierkrughüte nichts verloren haben. Man prostet sich zu, tauscht die Namen aus, prostet sich wieder zu und hat die beste Zeit seines Lebens. Mit Menschen, die man eine Mass zuvor noch nicht einmal kannte. Auf Bänken tanzen, Poulet mit den Händen essen, «Angels» von Robbie Williams mitsingen – alles Dinge, die man sonst nie tun würde. Und gerade deshalb so Spass machen.
Das kleine Zürcher Oktoberfest auf dem Bauschänzli lindert das Fernweh nach München. Man muss das Original gesehen haben, um die Kopie ins Herz schliessen zu können. Vom berühmten Münchner Komiker und Autor Karl Valentin stammt der Spruch: «Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.» Trauen Sie sich! Und das Bierzelt wird für einige Stunden zum Himmel der Bayern auf Erden.
(TA, im Herbst 2013)
Naja, Spass ist halt eben Ansichtsache. Aber solange ich nicht mitmachen muss, gönn ichs jedem. Und Poulet ess ich immer mit den Händen. Auch im Baur au Lac.
Naja, das sind Dinge, die ich auch sonst nie tun würde. Auch ich esse Poulet immer mit den Händen. Oder – ich ass. Ich esse sehr wenig Fleich, und beim Poulet besteht das Problem darin, dass das gebratene Ding eigentlich immer noch so aussieht wie ein lebendiger Vogel, das ist bei einem Schnitzel weniger der Fall. Auch die Vorstellung, dass ich jetzt ein Poulet esse, welches zuvor „Angels“ von Robbie Williams mitgesungen hat, ist eher abträglich. Aber Sie bringen die erneute momentane geistige Verwirrung des europäischen Menschen auf den Punkt: Etwas tun, was man sonst nie tun würde (in allen erdenklichen Spielarten möglichst mit allem).