Bunte Politiker auf toten Bäumen

Papierflut ohne nachweisbare Wirkung: Wahlflyer im Briefkasten (Bild SRF)

Papierflut ohne nachweisbare Wirkung: Wahlflyer im Briefkasten (Bild SRF)

Lesen Sie die Flyer und Broschüren der Nationalratskandidaten, die Ihnen zur Zeit überall und von jeder grösseren Partei in die Hand gedrückt werden? Oder die Sie in Ihrem Briefkasten finden? Nun, ich kenne niemanden, der solche Sachen liest. Ich kenne noch nicht mal jemanden, der jemanden kennt, der solche Sachen liest. Bei einer Umfrage in meinem Freundeskreis stellte sich heraus, dass die Leute dieses «Infomaterial» lieber nicht erhalten würden. Einige regen sich auf, dass die Flugblätter trotz «Keine Werbung»-Sticker am Briefkasten bei ihnen landen.

Da werden vorsätzlich Bäume ermordet, damit jeder Politiker sein Gesicht mit einem schalen Slogan auf das daraus gemachte Papier drucken und es in der Welt verteilen lassen kann. Und eigentlich will es keiner haben. Das liegt nicht etwa an der Politikverdrossenheit der Leute – viele meiner Freunde sind politisch ausserordentlich aktiv. Es liegt an der schieren Menge und dem schleichenden Gefühl, dass die Politiker uns für Idioten halten. Denn wer seine politischen Entscheide sechs Wochen vor der Wahl aufgrund der 300 Wörter auf so einem Flyer trifft, ist eigentlich nicht wahlmündig.

Und es geht ja auch nicht um Information, es geht um Werbung. Politmarketing nennt sich das. Da werden Meinungen möglichst knackig formuliert, mit mehr oder weniger geilen Bildli versehen und den Leuten an den Kopf geworfen. Als ob man Turnschuhe verkaufen will. Es ist nicht ein Wettbewerb der Argumente, sondern ein Wettkampf im lauter Schreien.

Aber die Kandidaten müssten doch wahrgenommen werden, meinte eine befreundete Politikerin. Nun, wer es in den letzten vier Jahren nicht schaffte, durch seine politische Arbeit und sein Engagement wahrgenommen zu werden, wird es auch nicht 6 Wochen vor der Wahl schaffen, in dem er grinsend auf einem Stück Papier mit einem banalen Werbeslogan abgebildet ist.

Die neuen Kandidaten würden so die Möglichkeit haben, sich vorzustellen. Papier sei nur der erste Schritt. Die Leute könnten dann Infos über den Kandidaten im Internet nachschlagen, wird mir weiter entgegengehalten. Ehrlich? Dann müsste es ja eine nachweisbare Relation zwischen den Zugriffen auf die Homepage und den Flyeraktionen geben. Das müsste man mir aber erst beweisen. Aus der Werbung weiss ich, dass der Rücklauf bei dieser Art von Aktionen unter 0.1 Prozent liegt. Das heisst, man müsste mindestens 1000 Flyer verteilen, um einen Wähler zu erreichen, der sich dann im Internet informiert. Ob der dann auch diese Kandidaten wählt, ist eine andere Frage.

Und wisst ihr was? Das ist gut so. Sonst könnte man nämlich mit genug Geld, vielen Plakaten und poppigen Flyern die Politik im Lande bestimmen. Aber dazu sind die Schweizer einfach nicht dumm genug. Man wählt die Politiker, die man aus den Medien und wegen ihrer Arbeit kennt. Oder vielleicht noch die, welche man durch Freunde oder die Peergroup empfohlen bekommen hat. Die neuen Kandidaten rutschen einfach auf den unteren Listenplätzen mit. Die Meinungsbildung lässt sich nur bei sehr labilen Menschen per Politmarketing beeinflussen.

Wenigstens sind die Standaktionen schon mal kein schlechter Ansatz, wenn ich da die Politiker in Fleisch und Blut erleben kann. Der Graben zwischen «denen in Bern» und den Wählern entsteht nämlich in erster Linie, weil wir keine Vorstellung mehr davon haben, was für Menschen wir wählen. Wir kennen nur noch deren Politmarketing.

Also, liebe Politiker, verbringt mehr Zeit auf der Strasse, in den Beizen. Kümmert euch um die realen, täglichen Probleme eurer Wähler. Setzt euch für sie ein, reicht Hand, hört zu. Und lasst eure Flyer und eure Wahlgoodies stecken. Wir werfen sie nämlich in den nächsten Abfallkübel oder ins Altpapier, je nach Partei.

5 Kommentare zu «Bunte Politiker auf toten Bäumen»

  • sepp z. sagt:

    erstaunlich dass manche ideologen bloss bei politischer wahlwerbung an die toten bäume denken. habe noch keinen artikel gelesen, wo sich einer über teppichausverkaufsprospekte im briefkasten beschwert. im vergleich dazu scheinen mir für die politwerbung, welche teil unserer demokratie ist, wesentlich mehr argumente zu sprechen.

    • Réda El Arbi sagt:

      Dann liest du einfach die falschen Blätter. In der Wewo findest du natürlich nichts zu Nachhaltigkeit. In allen linken Titeln ist Umweltschutz, Ressourcenschonung und Energiesparen Dauerthema. Zuletzt, als die Post aggressiv versuchte, die «Bitte keine Werbung»-Kleber von den privaten Briefkästen zu verbannen.

  • KMS a PR sagt:

    wenigstens beschert der wahlkampf den teilweise arg gebeutelten druckereien etwas arbeit.

  • tststs sagt:

    Ach, mir verkürzen sie jeweils den Aufstieg in den hundersten Stock… 😉
    Und es sind durchaus Unterschiede festzustellen; so war ich überrascht, wie ausführlich in der SVP-Broschüre beschrieben wurde, wie man solche Listen am gewinnbringensten ausfüllt (Stichwort kumulieren und panaschieren)…da wird den eigenen Wählern aber gaaaaanz viel zugetraut 😉

  • geezer sagt:

    zum glück hat unsere hausverwaltung (sonst nicht die hellsten) gleich neben den briefkästen einen ‚abfall-briefkasten‘ eingerichtet. da landet diese unsägliche politwerbung immer gleich ungelesen. und wenn ich mir äusserst selten doch die zeit nehme und das eine oder andere konterfei studiere, schlägt bei mir ab und zu der ‚gesichtsrassist‘ durch. einige würden glatt durch meine gesichtskontrolle für politiker fallen…..:-)

    es hat schon was: die oft sehr dümmlichen slogans gepaart mit noch unrealistischeren wahlversprechen sind einfach nur noch peinlich. das schöne dabei: von links bis rechts sind eigentlich alle flyer genau gleich doof. da spielts für mich auch überhaupt keine rolle, ob die einen parteien im wahlkampf via werbung auf den anderen herumhacken. das ist eine stilfrage, und stil haben 90% aller politiker sowieso keinen. opportunismus, machtgeilheit und kohle gehen bei denen vor. egal, was sie auf ihren flyern versprechen.

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