Party für alle
«Früher war alles besser». Nirgendwo kriegt man dieses universell anwendbare Pauschalurteil öfter zu hören als im Nachtleben und wie (beinahe) überall sonst trifft es auch hier nicht zu. Der Mensch neigt dazu Vergangenes zu verklären und euphorische Momente werden im Rückspiegel und mit den Jahren immer schöner. Dazu kommt, dass Clubbing für 20jährige was Neues ist und jede Nacht in der Grossstadt eine aufregende Safari ins unbekannte Unterholz. Hat man dann die ersten fünf Jahre Ausgang hinter sich gebracht, wirkt alles kleiner und weniger spektakulär: Man kennt’s halt. Das Einzige, das man auch nach Jahren immer wieder neu entdecken kann, ist die Musik.
Was das anbelangt muss sich die Street Parade alljährlich Mutlosigkeit und einen Hang zum Ultrakommerz vorwerfen lassen. Nicht ganz zu Unrecht, zumindest was den Sound der Lovemobiles betrifft: Fans innovativer Clubmusik, wie sie beispielsweise der Club Zukunft bietet, werden hier schon lange nicht mehr glücklich. Auch in diesem Jahr war das, was an Sets von den Lastwagen dröhnte, öfter bedenklich als denkwürdig. Wer sich aber umsah kam zum Schluss, dass das eigentlich gar keine Rolle spielt: Die Street Parade der Gegenwart ist ein Karneval für die gesamte Familie (wobei wohl nicht jedes Kostüm für Kinderaugen gedacht war) und die Musik nur die akustische Untermalung zum Hedonismus der Eintagesraver. Und wenn eine Million Leute in friedlicher Einhelligkeit sich selbst und den Sommer feiern, kann auch der musikaffine und erprobte Nachtschwärmer nur schwer was gegen sagen.
Die scheinen sich seit diesem Jahr endgültig damit abgefunden zu haben, dass der Umzug nicht mehr ihnen gehört und sind ohne zu murren auf die begleitenden Partys ausgewichen wie beispielsweise die Rakete Schleudergang in der Badi Mythenquai. Dort drängten sich bereits mit Türöffnung um 17 Uhr die Massen am Eingang und bereits nach wenigen Minuten versuchten die ersten Verwegenen sich unbefugterweise Zugang zum Gelände zu verschaffen, indem sie über den Zaun kletterten. Dort trafen sie dann auf Badegäste, die einen ruhigen Tag am See geniessen wollten, was bisweilen zu skurrilen Begegnungen führte. So beschied beispielsweise ein ausländischer Badegast einem DJ, dieser möge doch bitte umgehend den Sound abschalten: Er hätte bestimmt nicht acht Franken Eintritt bezahlt um sich jetzt mit Bässen zuballern zu lassen. Der leicht irritierte DJ versuchte dem Badegast dann zu erklären, was die Street Parade ist.
Schlussendlich fand man aber doch einen gemeinsamen Nenner und am Ende war die Feier in der Badi Mythenquai ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Unterteilung an der Street Parade auch künftig aussehen wird: Die Clubber und Städter feiern an den Partys, alle anderen an der Strecke. Wer nun in die vielen fröhlichen Gesichter geguckt, die Atmosphäre dieses spätsommerlichen Tages in sich aufgesogen und dabei seine, von längst vergangenen Erlebnissen geprägte, Nostalgie über Bord geworfen hat, der kam unweigerlich zum Schluss, dass es früher nicht besser war. Es war bloss anders.
Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Hiltl Club und Zukunft.
13 Kommentare zu «Party für alle»
Ich kann es nicht mehr hören: das ewige (Klein-) Gerede der club industrie zur Street Parade. Es ist kleinkariert, kleinbürgerlich und langweilt mich. Die street parade gehörte noch nie den Clubs. Die Clubs profitieren ganz einfach nur von der street parade! Und alle nehmen noch so dankend ein Mega (Umsatz)-Wochenende an…und nun zur Rakete: diese Party unterscheidet sich keinstenfalls von der Parade. Es sind genau die gleichen teenies dort, mit den Lokal-DJ-Sternchen, die ihrem ewigen dumpfen Eloctro Einheitsbrei runterspuhlen wie schon die letzten 5 Jahre. Und dass die Party mit dem Hive und deshalb auch mit alex Flach verbandelt ist, weiss auch jedes Kind. Es ist beschämend wie hier schleichwerbung auf kosten der Parade gemacht wird. Nach dem Motto: die parade ist für die Innerschweizer Fastnachts-Fritzen und die Rakete, Zukunft und Hive sind aber so cool, dass nur der zürcher Oberszenekenner dort verkehrt. Als Stadtzürcher schäme ich mich für diese Haltung, von zugezogenen st.gallern, glarnern, thurgauer…woher stammt eigentlich der Autor??
Hallo Tomas. Der Beitrag ist absolut nicht anti Parade, der Anlass im Mythenquai war von der Rakete und nicht vom Hive und mit der Rakete arbeite ich nicht direkt, ich war da nur Gast. Ich habe im Text weder die eine Gruppe noch die andere gewertet (habe nur geschrieben, dass an den beiden Orten verschiedene Gruppen verkehren und nicht die eine sei cool die andere nicht – du findest das offenbar, sonst würdest Du einen solchen Mumpiz nicht reinlesen). Eine Kundenliste kann jederzeit bei mir mit einer Email abgerufen werden (seit sechs Jahren schon… und unter den Beiträgen ist seit einigen Jahren eine unvollständige Kundenliste (um klarzumachen dass ich das tue was ich tue); Du wirfst mir also Dinge vor, die seit vielen, vielen Kolumnen ganz offen kommuniziert werden….), ich bin in der Bethanienklinik geboren, habe meine ersten Lebensjahre an der Schaufelbergstrasse verbracht, war dann ein paar Jahre weg und seit 1993 wieder in Zürich. Das mit dem Mega-Umsatz stimmt hingegen und finde ich auch schizophren. Und ich hoffe das wird sich im Laufe der nächsten Jahre ändern und die Clubs werden sich wieder an der Parade engagieren. Ich bin übrigens mit so ziemlich allen Nachtlebenbetreibern in der Stadt auf irgendeine Weise verbandelt, nicht nur mit meinen Kunden. Und eben deshalb habe ich die Kolumne, weil ich dadurch Informationen schneller und detaillierter kriege als andere. Und es geht nicht an, dass ich, bloss weil sie ein Kunde von mir ist, nicht sage, dass die Zukunft zu den musikalisch besten Clubs der Schweiz zählt, weil es einfach so ist. Ich hoffe ich konnte weiterhelfen. Ich nehme gerne Stellung zu Vorwürfen, Tomas. Aber es wäre fair wenn Du dann vorher meine Texte wenigstens richtig lesen würdest und mir nicht Zeug unterstellen, wie dass ich die Parade im Text schlecht machen würde oder dass ich die Leute an der Strecke für „schlechter“ halte als jene an den Partys. Das ist nur ermüdend.
Hallo Alex. Ich bin einfach frustriert, da ich nun bereits zum (gefühlt) hundertsten Mal einen Blog/Artikel lesen muss, der die Streetparade zum oberkommerz-Anlass runterschreibt und mit den Techno-Clubs in Kontrast setzt. Ich bin nicht der Meinung, dass ich hier etwas reingelesen habe. Du schreibst zum Schluss „Die Clubber und Städter feiern an den Partys, alle anderen an der Strecke“ und zudem sagst du, dass Fans innovativer Clubmusik, wie sie beispielsweise der Club Zukunft bietet, schon lange nicht mehr glücklich werden. Mit anderen Worten: Alle Nicht-Zürcher und Nicht-Clubber laben sich an schlechter Musik und feiern im Fastnachtsmodus am Seebecken, die gehobene Musik Elite allerdings an der Rakete. Was du dabei verkennst: Beide gezeichneten Gruppen haben riesige Schnittmengen. Es ist Mumpiz zu glauben, dass es sowas wie den „Clubber“ oder die „Clubber“ gibt. Gerade grössere Clubs, wie das Hive leben ja schon länger von Nicht-Städtern und Touristen.
Es stimmt, dass du alle Mandate öffentlich machst, weshalb das „Schleich“ vor Werbung nicht korrekt ist.
Ich finde erfrischend, dass du ein Engagement der Clubs an der Parade wünscht. Denn auch ich finde es schizophren, dass 90% aller Parties im Anschluss das Wort „Parade“ im Titel haben, die Clubbesitzer sich im Vorfeld aber mehr oder weniger geschlossen vom Anlass distanzieren. (siehe auch dein Blog im Vorfeld)
Danke für deine Stellungnahme. Ich wollte dir nicht etwas unterstellen, was nicht deiner Meinung entspricht. Bei mir hat der Text aber diesen Eindruck hinterlassen.
Das „alle anderen“ ist keineswegs abwertend gemeint. Bloss sind mir da keine Überbegriffe eingefallen wie für die andere Gruppe um sie unter einen Hut zu bringen… Das mit der Musik ist so eine Sache: Ich bin auch kein Freund des Begriffes „Kommerz“ weil ja jeder der mit dem was er tut Geld verdienen will Kommerz betreibt, eigentlich. Und da kommen wir tatsächlich in sehr individuelle (meine Ansicht) Gefilde: Ich finde insbesondere im „EDM“-Bereich wird nicht komponiert sondern grösstenteils Effekthascherei betrieben. Ich weiss nicht… ich mag keine Musik die sehr offensichtlich auf möglichst hohe Chartsplatzierungen ausgerichtet ist, sondern solche, die um der Musik willen produziert und komponiert wird. Das heisst ja nicht, dass solche Musik nicht auch sehr erfolgreich sein kann: Nimm beispielsweise einen Nicolas Jaar, der kürzlich den Soundtrack für den Goldene Palme Cannes-Gewinnerfilm Dheepan gemacht hat. Grossartiger Clubmusiker, aber keiner, der sich an Downloadzahlen und Chartsplatzierungen abarbeitet, sondern an der Kunst selbst. Aber wie heisst es so schön: De gustibus non est disputandum. Aber da nehme ich mir schon die Freiheit meine eigenen Vorlieben einfliessen zu lassen, da’s ja meine Kolumne ist. 🙂 Da wiederum nehme ich aber keine Rücksicht auf meinen Kundenkreis: Revier und Stall 6 bieten beispielsweise immer wieder mal grossartig-grandiose Clubmusik, sind aber nicht bei mir. Ich glaube nicht, dass Zürcher den besseren Geschmack haben als beispielsweise Aargauer und ich weiss, dass Clubs wie das Hive keineswegs überleben würden, wenn ab morgen nur noch die Stadtzürcher im Stammpublikum kommen würden. Deshalb würde ich einzelne Gruppen auch nie werten (weil’s einfach nur doof ist… es kommt doch nicht drauf an wo jemand wohnt… das ist kein Hinweis darauf, ob dieser Mensch kulturaffin ist oder nicht…) und habe an das „Städter“ im Text noch das „Clubber“ gekoppelt und nicht etwa „städtische Clubber“ geschrieben. Was die Beteiligung namhafter Clubs am Umzug selbst betrifft… da gehe ich absolut mit Dir einig und es sieht ganz so aus, als ob sich da auf nächstes Jahr was ändern wird.
Wie so oft dem nagel direkt auf den kopf getroffen…aber is ja auch nicht schlimm, dass sich der musikaffine zuercher seine eigenen partys baut…so ist definitiv fuer jeden was dabei 😉
Geniales Bild, der Mann ist weit freier als die Markenkonsumenten.
Falls es der Menschheit gelingen sollte, sich wieder in zivilisierte Bahnen zu lenken, dann wird sie in der Zukunft glauben, den letzten lebendigen Neandertaler in der Foto oben zu sehen und nicht einen Menschen aus dem Jahre 2015.
Mmmmmh…. er sieht etwas mumifiziert aus, finde ich. Und die Technik der Mumifzierung haben doch erst die Ägypter entwickelt: Im Neandertal haben noch die Wölfe die Bestattungen vorgenommen soviel mir ist.
Mumifiziert wurden meines Wissens nur die Toten. Der da oben sieht noch ziemlich lebendig aus. Zudem bin ich überzeugt, dass ich die alten ägyptischen Tänzerinnen für ästhetischer halten würde als die heutigen zivilisierten Vogelscheuchen in den Clubs. 🙂
Ich bin der Meinung, dass im Vergleich zu den Vorjahren, durchaus zeitgemässere Töne von einigen Mobiles zu vernehmen waren. Obgleich natürlich auch viele „Wer-hört-sich-die-sch**sse-eigentlich-noch-an“-Momente gegeben waren. Ein Blick auf das Lineup der Stages, allen voran der Mainstage am Bellvue, versöhnte wiederum.
Darüber hinaus waren viele glückliche und zufrieden Menschen auf den Strassen die ausgelassen feierten: Ziel erreicht.
je älter man wird desto früher war alles besser. 😉
fantastisch geschrieben….
Natürlich war es früher lediglich „anders“… wäre es wirklich „besser“ gewesen, dann hätte die damalige Saat von Toleranz heute blühende Früchte… man könnte sich MIT der neuen Generation freuen und sich nicht DAGEGEN stellen… 😉