Europaallee: Die linke Beisshemmung
«Gege de Samir chammer aso nüt säge», ist die gängige Reaktion der etablierten Linken und der Kulturszene auf das neueste Projekt der SBB in der Europaallee. Als würde die Beteiligung von Samir und Sphères-Chef Bruno Deckert aus dieser projektierten Mall in US-amerikanischem Stil mit sechs Kinosälen, Bistros, Kongress- und Konzerthallen und Einkaufsmöglichkeiten so eine Art alternatives Kulturzentrum machen. Es ist nicht so, dass Samir und Deckert dort bauen. Es ist so, dass sie viel Geld verdienen, um dem Projekt den Anstrich von Kultur zu geben.
Offenbar hatte sich die SBB Sorgen um ihr Image gemacht, nachdem die Rechnung mit den Luxuswohnungen nicht aufgegangen ist – sehr schwer vermietbar – und nicht nur die «Reclaim the Street»-Bewegung, sondern auch die anderen Stadtbewohner laut Kritik an der offensichtlichen Gentrifizierung übten.
«Kaufen wir uns einen linken Kulturschaffenden und einen Beizer, die in der Kulturszene bereits akzeptiert sind und klatschen sie an die Projektfassade», dachten sich die Verantwortlichen bei der SBB wohl. «Dann sind diese ewigen Nörgler still und wir können endlich Rendite einfahren.»
Aber irgendwie haben sie nicht begriffen, um was es geht. Nur weil man den Kritikern ein Zückerli hinwirft, macht das die Quartierveränderung nicht rückgängig. Mit sechs Kinosälen und geplanten Konzerten baut man dort direkt an der Langstrasse einen Konsumtempel, der noch mehr Geld und Konsumkreuzzügler ins Quartier bringt, falls es denn funktioniert. Neben der Belastung durch die Clubindustrie ist es wohl der nächste Schritt, das Quartier für die bisherigen Anwohner – ausser für ein paar Hipster – unbewohnbar zu machen.
Funktioniert es nicht, wie eben die Luxuswohnungen, hat man einfach eine weitere tote Ecke in der Stadt geschaffen.
Ich persönlich denke aber, dass die neue Mall ein Erfolg sein wird. Man kann von überall her schnell in die Stadt kommen, im Bistro essen, einen Hollywood-Film schauen, oder schnell an ein Konzert gehen, danach ein paar Strassen weiter in einen Club und man ist vor morgens um Sechs wieder brav zuhause. Eigentlich hätte die SBB noch einen S-Bahnhof – oder wenigstens eine Haltestelle auf der Langstrassenbrücke – einplanen sollen, damit man sich direkt ins Kaufland kutschieren lassen kann.
Das Ganze ist so ein bisschen wie All-inclusive-Ferien, einfach an der Langstrasse. Und das unter der Schirmherrschaft zweier Vorzeige-Kultur-Typen. Sie sollen wie Valium auf die Kritiker wirken.
Nun, die Beisshemmung gegen Samir und Deckert wird dem Projekt wenigstens politisch etwas Luft verschaffen. An den Realitäten, nämlich dass die Langstrasse als Wohn- und Lebensraum abgemurkst wird und dafür als Geldmeile wieder aufersteht, ändert das nichts.
33 Kommentare zu «Europaallee: Die linke Beisshemmung»
Ein Zeichen des Protests http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin-kreuzberg-wandbild-an-der-cuvrybrache-erneut-uebermalt/11964106.html in Berlin ist wohl etwas direkter formuliert, aber in dieser Direktheit auch unterhaltsam. 😉
Dieses Spielen über Bande, mit bekannten Beteiligten und mehr oder minder glaubwürdigen Akteuren, ist sehr beliebt, wohl nicht unwesentlich auch um Proteste zu minimieren. Es soll in Berlin jetzt beim Tacheles auch mit dem Architekturbüro Herzog und de Meuron http://www.berliner-zeitung.de/berlin/ehemaliges-kunsthaus-in-berlin-mitte-warum-stararchitekten-dem-geist-des-tacheles-schaden-koennten,10809148,31006352.html praktiziert werden.
Berichtigung
Wer den Artikel von Denise Marquard im Tag vom 19. Juni sorgfältig liest, findet heraus, dass im KOSMOS nicht Hollywood-Kracher laufen werden, sondern anspruchsvolle Art–House Filme und auch, dass es im Bistro auch einen grossen Buchladen geben wird.
Das wichtigste aber: im Forum des KOSMOS werden Diskussionen, Lesungen und Panels stattfinden, wie es Bruno Deckert schon im Spheres seit Jahren erfolgreich vormacht.
Wer dieses Konzept als „Mall im amerikanischen Stil“ beschreibt, desavouiert sich selber.
Nachbemerkung
Ich lebe und arbeite seit über 40 Jahren im Kreis Cheib. Ich war an vielen öffentlichen Diskussion, Demonstrationen, Besetzungen und andern politischen Aktionen gegen die schleichende Gentrifizierung aktiv dabei. Dabei ist mir in den letzten Jahren Reda El Abi nicht als Kämpfer gegen diese Entwicklung aufgefallen.
Leider haben wir die Gentrifizierung an der Langstrasse nicht aufhalten können und ist die Umwälzung ist nun abgeschlossen.
Nun muss es darum gehen, der alkoholduseligen Ausgehmeile an der Langstrasse und dem Schickimicki-Konsumismus an der Europaallee, aufklärerische Inhalte entgegen zu setzen.
Gerne auch mit Réda El Arbi als hämischem Onkel Besserwisser an einem Comedy-Abend im KOSMOS.
Gruss Samir
Gerne! Sobald ich gesehen hab, wie ihr 6 Kinosäle wirtschftlich tragend ohne Hollywood betreibt.
„Das wichtigste aber: im Forum des KOSMOS werden Diskussionen, Lesungen und Panels stattfinden, wie es Bruno Deckert schon im Spheres seit Jahren erfolgreich vormacht. Wer dieses Konzept als “Mall im amerikanischen Stil” beschreibt, desavouiert sich selber.“
-> das ist doch auch schon lange ein Markt, der zudem völlig übersättigt ist, das gibts überall.
„Nun muss es darum gehen, der alkoholduseligen Ausgehmeile an der Langstrasse und dem Schickimicki-Konsumismus an der Europaallee, aufklärerische Inhalte entgegen zu setzen.“
-> Aufklärung ist auch schon lange ein Label und ein Konsumprodukt. Zudem ist es etwa gleich sinnvoll, wie dem Verwaltungsrat der Credit Suisse am Sonntag bei einem Brunch Karl Marx vorzulesen.
„Comedy-Abend im KOSMOS“
-> Bitte etwas besser als Giacobbo Müller
Trotzdem viel Glück beim Projekt!
Die Gentrifizierung wird dann abgeschlossen sein, wenn alles tot ist, Schweigen im Walde und die Objekteigentümer Investmentgesellschaften, Bürovermieter oder aufenthaltsarme Zweitwohnungsinhaber.
samir, ich finde es sackschwach dass du da mit den spekulanten im boot mitschwimmst. nicht dein rotes parteibüechli zählt, sondern die taten. ich finde es sowas von peinlich, wenn einer sagt, früher, in den 68ern habe ich demonstriert und steine gerührt, ich bin keiner von denen (aber heute bin ich bankdirektor und zocke euch alle richtig ab). die taten von heute zählen. und dass du nun so tun willst, dass du ethisch besser handelst als andere, ist ideologische blindheit. ‚Diskussionen, Lesungen und Panels‘ gibts auch im baur au lac und bei der schweizerischen bankiersvereinigung. und: ‚anspruchsvolle Art–House Filme‘, haha, jetzt kommt tatsächlich noch der bildungsbürgerspiesser aus dir hervor. anspruchsvolle oder einfache filme, das ist der gentrifizierung sowas von egal. beide bezahlen denselben mietzins, und beide vertreiben damit andere, die weniger bezahlen konnten.
guter kommentar.
die lahmen wohlstandsfetten rot-grünen cüplisozis haben sich von anfang an nicht für die bedürfnisse der bevölkerung eingesetzt. selbst mauch die super-sp-frau sagte mal an einem anlass in der alten sihlpost: es muss halt rentabel sein für die investoren (so à la: wenns den reichen gut geht, gehts allen gut. sie muss es ja wissen, mit ihrer immobilie am zürichberg). peinlich. zu recht werden diese falschen sozialisten und grünen bei den wahlen unterdessen abgestraft.
die AL war wohl bisher vehement gegen die europaallee und ähnliche entwicklungen. interessanterweise ist der samir mitglieder der AL. man darf gespannt sein, ob die AL jetzt auch vor den spekulanten einknickt.
Schon wieder ein gentrifizierungskritischer Artikel garniert mit etwas Hipster-Bashing? Und wieso immer dieser Fokus auf die Langstrasse? Zwei Strassen weiter Richtung Altstetten ist Disneyland schon wieder vorbei und es leben ganz viele Mittelstandsfamilien da.
Altstetten z.B. oder auch Oerlikon verändern sich viel tiefgreifender als die Langstrasse. Schätze da kommst Du nicht so oft hin.
Ja, da leben Mittelsatndsfamilien, weil dort ganze Strassenzüge den Baugenossenschaften gehören. Und weil für Familien gebaut wurde. Ausser an der Weststrasse.
Und ich bin sehr oft in Oerlikon. Auch da wird für Familien gebaut, in einer Preisklasse, die sie sich leisten können. An der Langstrasse werden keine Familienwohnungen gebaut. Da werden sechs Kinosäle gebaut, in Steinwurfnähe von anderen sechs Kinos und einem Multiplex.
Ich könnte aufhören, über solche Heucheleien wie oben zu schreiben, weil ich die Gefühle von Leuten verletze, die solche Projekte voll geil finden. Also die Investoren, Architekten, die gerade ihre eigene Bude aufgemacht haben und ganz feuchte Augen kriegen, wenn sie so grosse Betonfriedhöfe sehen und natürlich die ganzen Kumpels der Leute, die daran Geld verdienen. Aber äh nein.
Manche Linke denken halt, besonders wenn sie in die Jahre gekommen sind, dass sie dank ihren «moralisch richtigen Motiven», auch mal Kasse machen dürfen. Oder möchten es zumindest genauso probieren wie die Grossen. «Ich nicht, die anderen auch!» Nicht ganz so schlimm wie die anderen und diese anderen haben ja auch nicht die richtigen Weltanschaungen die flaschen Bücher. Oder hey, da wurde zwar scheisse gebaut an der Europaalee, aber der Beton wurde nun mal gegossen, also machen wir doch das beste draus und kleben dem Schwein einen saumässig gut durchdachten Kleber auf den Bauch.
Wieder mal ein echter El Arbi, ganz ohne Beisshemmung. Dass sich zwischen die Brandreden, mit denen sich der Autor ganz schön aus dem Fenster lehnt, neuerdings sanfte „Plaudereien“ mischen – warum nicht? Der Stadtblog ist eigentlich immer ein lesenswertes Format. Das darf ja auch mal gesagt sein.
Geilo! 8 Kinos innerhalb von 5 Bus/Tramstationen (RiffRaff, Xenix, Houdini, Metropol, Uto, Arena Sihlcity, Europaallee und nicht zu vergessen: Roland).
Videothek in Gehweite.
Internet in Sitzweite.
Ja, das wird wirtschaftlich sicher aufgehen…
das ist wohl die unheilige allianz zwischen konservativ liberal und linksliberal im schnittpunkt von rendite.
ob der autor eine ehrverletzungsklage bekommt?
So eine Mall würde ich auch nie als Kulturtempel bezeichnen, meide solche Orte selbst zum Kinobesuch und gehe nur in kleine Kinos. Denn die Massen, die solche Malls meist anziehen, sorgen bei mir eher für unentspannte und nicht erinnernswerte Kinoabende. So etwas gehört meines Erachtens in die Agglos aber nicht in kultivierte Stadtzentren.
LOVE IT…war bei den Ausschreibungen um die Europa-allé am Rande involviert. Und es ist wirklich so: Da war also diese Rot gefärbte Immobilienvermittlerin, die schon für diverse „Problemliegenschaften“ in der Stadt engagiert wurde. Warum? Weil sie Kontakte in die Ober-Kultur-Gastro Szene-Zürich pflegt und dafür sorgt, dass diese Opinionleader sich alle guten Objekte unter den Nagel reissen können. Sie sass da, fuchtelte mit den Armen, sprach über lokale Unternehmen, keine Ketten, alles Obergeil und Sozial… Dieser Personen verstehen aber auch die Sprache der Rendite. Deshalb werden sie immer und immer wieder gebucht und immer und immer wieder geben sie die Objekte denselbem Gastro Klüngel…Experimente? Fehlanzeige!
Mich beschleicht der Verdacht, dass die linke-hipster-Fraktion die Gentrifizierung noch mehr anzuheitzen vermag, als jede internationale Kapitalisten-Bude. Sie kommen als Wolf im Schafspelz, man wehrt sich nicht gegen sie. Gut, dass Reda El Arbi hier den Mut aufbringt und den Lokalprinzen ans Bein Pisst!!!
Offene Gentrifizierungs-Projekte im K4: Café am Helvetiaplatz, Haus an der Langstrasse höhe Helvtetiaplatz (noch geheim), Hltl Langstrasse, Europaallee…TBC
das hat was. dass die ‚immer gleichen‘ laufend neue spünten, bars etc. eröffnen, ist schon recht langweilig. und dass genau diejenigen immer die bewilligungen/zuschläge erhalten ist sicher nicht zufällig.
wer nicht weiss, wer oder was die linke-hipster-fraktion ist, dem empfehle ich wärmstens nächstes jahr beim röschibachplatz ans quartierfest zu gehen. da wimmelt es nur so. er architekt, sie soz-frau und das kind im jutesack eingewickelt (ein bisschen polemik muss und darf sein!..:-)
erinnert irgendwie an die machenschaften der fifa
Naja, da ist der Weltuntergang dann doch ein bisschen zu dick aufgetragen. Klar kann man die Europaallee als eine verpasste Chance sehen, aber sie hat zumindest nichts schützenswertes zerstört. Eine Grossstadt verändert sich eben und das macht ja auch den Reiz aus. Grade an der Langstrasse kann das niemanden wirklich überraschen.
Naja, die Langstrasse ist inzwischen Zürichs Disneyland.
Disneyland passt doch eher auf Züri West mit all seinen sterilen, uninspirierten Neubauten, meinst Du nicht? Ich verstehe ja die Sorge, die Langstrasse könnte europaalleeisiert werden. Bisher sehe ich dafür aber noch keine Anzeichen. Das Gegenteil könnte passieren: Die Europaallee saugt alle Bünzlis und Provinzler auf, damit die Langstrasse schön dreckig bleiben kann.
Ich seh den Unterschied nicht. Also zwischen der Europaallee und Züri West. Und nein, die Bünzlis gehen dann doch noch schnell ins Longstreet und ins Gonzo/Zukki, von wegen Striit Kredibility. Alles Teile des gleichen Programms.
…und warum willst du das um jeden preis verhindern?
Oh, vielleicht, weil ich Zürich liebe und keine tote, unbewohnte oder nur von einer reichen Klientel bewohnbare Innenstadt will, wie man sie aus Paris oder London kennt? Weil ich es hasse, wenn sich Mittelstandsfamilien aus der Stadt begeben müssen, wenn sie noch bezahlbare Mieten suchen? Weils nicht die Stadt des Konsums, sondern die Stadt der Menschen sein soll?
was ist denn so schlimm an den bünzlis?
Das isch de „zhzürizuckizüpflistyle“, chum mir zucki eis go züpfle und finds denn geil mal auf youtube eingeben, so von wegen striit krebility.
die europaalle ist doch einfach eine tote, hässliche konsumwüste. ich glaube das wird auch so bleiben, kinos und clublokal hin oder her. vielleicht werde ich mal vorbeischauen, aber ich bin mir jetzt schon fast sicher, dass ‚kosmos‘ eine relativ ‚kühle‘ angelegenheit sein wird, rein schon architektonisch. da ist mir drüben in der neugasse im kino oder in einer bar defnitiv wohler. dort lebt die stadt, und alt und neu wechseln sich mehr oder weniger stilvoll ab. und seit das oléolé an dieser ecke unter neuer führung ist, zieht mich sowieso nichts mehr dorthin.
Als ein Teil der Linken jegliche Beisshemmung fallengelassen hat und im Dobermannstil die Europaallee zu ihrer Street reclaimt hat, wurde an gleicher Stelle auch gemosert. Euch vom Stadtblog kann man es ja nicht recht machen.
Naja, wenn man nur in Schwarz und Weiss denkt, wird man Mühe mit dem Stadtblog haben.
zur Europaallee: Es gibt einen Unterschied zwischen berechtigter Kritik und dem zerstören von kleinen Läden. Es ist immer eine Frage der Mittel, wie man seine Kritik äussert.
seppli, das habe ich mir auch gedacht.
und morgen kommt dann der alex flach und redet windig von profitmaximierung und publicprivatepartnership und aushandlungsprozesse für die unterhaltungsindustrie.
und der réda fügt in einem nächsten blog an: wem die stadt zu lärmig und laut ist, soll halt ins umland ziehen.
love it.
Wenn man genau lesen würde, könnte man feststellen, dass Alex und ich keineswegs gleicher Meinung sind, wenns um Lebensqualität, Raumnutzung und Mitgestaltung der Stadt geht. Aber da man ja sonst auch von „die Medien“ als Ganzes spricht, wäre Differenzierung zwischen den Autoren ja Überforderung.
Und Differenzierung in der Sache, also mal nicht im griffigen Schwarzweiss, würde die eigene Position halt nicht so heroisch aussehen lassen, gell.
réda, easy, ich habe die diferenzen erfasst.
sogar die ideologischen 180°-dreher in deinen eigenen texten nicht übersehen.
finde ich ok, ist ja nicht die kirchenpredigt hier.
und ey, ich bin einer der architekten mit eigener bude, die du oben in einem nebensatz mitverantwortlich für diesen ganzen europaalleescheiss machen willst. aber ist schon klar, wärs nicht so griffig schwarz-weiss geschimpft, wär dein statement nicht so heroisch. hehe.
Sorry, ich kann ja nicht wissen, dass einer der drei Zürcher Architekten, die nicht von hotzscher Beton-Glas-Stahl-Optik vereinnahmt sind, unseren Blog liest. 🙂