Politisiertes Nachtleben?

Kein Sinn für Ironie: Den eigenen, selbstgekauften Technikmüll als Zeichen des Widerstandes benutzen?

Kein Sinn für Ironie: Den eigenen, selbstgekauften Technikmüll als Zeichen des Widerstandes benutzen?

Das Berner «Bündnis inexistenter Partykapitalisten» hat zu einer Demonstration gegen die Umnutzung der dortigen Markthalle aufgerufen. Vor zwei Jahren mussten die Bars und Restaurants in der Markthalle mangels Rentabilität schliessen. Die Eigentümer sanierten in der Folge das Gebäude, um es weitervermieten zu können. Am vergangenen Donnerstagabend fanden sich nun mehrere hundert Aktivisten zu einer Protestaktion vor der gleichentags dort eröffneten Media Markt-Filiale ein, um dort alten Elektroschrott zu deponieren. Die Angestellten des Discounters verriegelten die Türen, die Demonstranten begannen Gegenstände in Richtung der Schaufenster zu werfen und die Polizei damit, die Demo aufzulösen.

Die Antikapitalisten in der Hauptstadt geben ihrem Wirken ganz gerne einen Nightlife-Anstrich: Die Reclaim the Streets vom 25. Mai 2013 fand unter dem Motto «Tanz Dich frei» statt. Aber nicht nur die Berner Aktivisten machen auf Nachtleben, auch ihre Zürcher GenossInnen schmücken ihr Tun gerne mit Discokugeln, so auch die ehemaligen Binz-Besetzer, deren «Tanz durch die Stadt» Anfang März 2013 mehr mit Sachbeschädigung oder gar Plünderung zu tun hatte als mit Tanz.

Dank der Verknüpfung solcher Demonstrationen mit Nightlife-Begriffen wirft ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung Clubber und Links-Aktivisten in einen Topf, so auch nach der Zürcher Reclaim The Streets von Mitte Dezember.

Das ist Blödsinn, denn politischer Aktivismus und die Gastro-Szene haben nichts miteinander zu tun: Nach der Reclaim The Streets vom vergangenen Dezember zählten Lokale wie das Le Chef von Meta Hiltebrand und das Neo von Gregory Schmid und Pius Portmann zu den Hauptbetroffenen, einer von Hiltebrands Angestellten wurde gar verletzt. Das überwältigende Mehr der Schweizer Gastronomen sieht sich als leidenschaftliche Teilnehmer am freien Markt und damit keineswegs als Antikapitalisten. Sie müssen Löhne, Lieferanten und Mieten bezahlen und haben oft eine Familie zu ernähren. Sie wollen Gewinn machen und ihre Statements sind meist kreativer und keineswegs politischer Natur.

Den ehemaligen Mietern der Berner Markthalle ist es nicht gelungen, ihre Betriebe in die Gewinnzone zu führen und dass sie schliessen mussten war nichts weiter als das logische Resultat wirtschaftlichen Misserfolges. Hätten all die Leute die nun dem Media Markt die Scheiben eingeworfen haben früher regelmässig in den Lokalen der Markthalle ein Bierchen getrunken oder gegessen, dann würden diese vielleicht noch existieren.

Einsicht ist eine Frage des Alters und der aus ihr erwachsenden Weisheit, gut abzulesen am Werdegang der Roten Fabrik. Das Areal in Wollishofen wurde 1980 und nach den Opernhauskrawallen der Jugendbewegung als Autonomes Jugendzentrum zu Verfügung gestellt. Ein bisschen Politik betreibt die IG Rote Fabrik heute noch, aber primär dirigiert sie heute eine Kultur-Institution, die nach marktwirtschaftlichen Regeln funktioniert, wenn auch mit basisdemokratischen Strukturen. Die Rote Fabrik ist ein gutes Beispiel dafür, wie revolutionäre Ideen irgendwann halt doch in der marktwirtschaftlichen Realität landen. Man kann das vielleicht mit etwas politischer Schminke übertünchen, aber wer auf lange Sicht bestehen will, kommt um den freien Markt nicht herum.

Alex-Flach2Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Hinterhof, Nordstern Basel, Rondel Bern, Blok und Zukunft.

19 Kommentare zu «Politisiertes Nachtleben?»

  • fabian frei sagt:

    soziale marktwirtschaft ist ok.
    aber bloss unter der kontrolle einer freien demokratischen gesellschaft.
    ‚freier markt‘ wird immer mehr zur floskel bzw synonym für plutokratische oder neofeudale staatssysteme.
    und das brauchen wir nicht.

    • tststs sagt:

      Achtungachtung, es wird hochphilosophisch zum Wochenbeginn: eine demokratische Gesellschaft kann nur bedingt frei sein, sie ist doch zumindest dem Kompromiss verpflichtet und in diesem Sinne nicht wirklich frei….

      • fabian sagt:

        tsts, ja, das kann man so gelten lassen.
        umso deutlicher wird, dass es innerhalb einer demokratie eben auch keinen ‚freien‘ markt geben kann.

        die chicago school vertreter, aka wegbereiter des neoliberalismus, haben zwischen den zeilen jeweils klar gesagt, dass demokratie sich nicht mit einem freien markt verträgt. gewerkschaften, der gesetzliche schutz der arbeitenden, mindestlöhne, schutz vor ausbeutung, umweltschutz: sozialistisches teufelszeugs. behindert den ‚freien markt‘. aber wahrscheinlich ist das für diesen blog und flachs polemische forderung des ‚freien markts‘ tatsächlich schon viel zu differenziert, wer wills denn so genau wissen…

      • peter sagt:

        Sonst wärs ja anarchie wenn niemand nehr rücksicht nimmt

  • KMS a PR sagt:

    schwierig. die ausbildung einer eigenen meinung geht einher mit einem gewissen politischen verständnis. die frage ist bloss, ob solche aktionen a) durchdacht und b) wirklich zielführend sind. ist es doch gerade diese generation x, die sich grösstenteils herzlich wenig gedanken machen über konsum und ressourcenverschleiss. somit schwindet bei solchen aktionen die glaubwürdigkeit doch erheblich. und ja. während des schreibens dieser zeilen komme ich zum urteil, dass herr flach recht hat. -> macht party. möglichst ohne pseudo-aktivismus.

    • fabian sagt:

      kms, es ist deine generation, die konsum und ressourcenverschleiss etabliert und popularisiert hat.
      ohne gespür und interesse und teilnahme für das, was sie damit angerichtet hat.
      nur zur erinnerung.
      die kommenden generationen dürfen jetzt schauen, wie sie damit umgehen sollen.

    • tststs sagt:

      „Ist es doch gerade diese generation x, die sich grösstenteils herzlich wenig gedanken machen über konsum und ressourcenverschleiss.“ Das ist jetzt aber eine fiese Unterstellung… gerade das TV-Modell auf dem Bild stammt doch eher aus der Vorgängergeneration… 😉

    • KMS a PR sagt:

      sie beide haben bis zu einem gewissen grad recht. meine generation und die danach haben es teilweise verpasst, der jugend nachhaltige werte zu vermitteln. leider.

  • Tronco Flipao sagt:

    Ohne den „freien Markt“ geht es nicht, klar. Die Bevölkerung wirft harmlose Clubber in einen Topf mit Randalierern? Ja, „die Bevölkerung“ macht das gerne und wirft nun mal gerne verschiedene Leute in einen Topf. Nichts neues, und stört nicht, solange es nicht die eigene Bevölkerungsgruppe betrifft.
    Mit Gewinnmaximierung überall und jederzeit muss man nicht immer einverstanden sein und darf auch mal protestieren. Mit etwas mehr Konsum als Statement (Bierchen und essen in der Markthalle) entstehen keine Freiräume und die Welt wird nicht nur besser.
    Schade dass es immer wieder ein paar Idioten gibt die die anonymität der Gruppe nutzen um etwas zu zerstören. Das schadet der an sich originellen Aktion in Bern und diese muss nun dafür herhalten, die Saubannerzüge der letzten Jahre aufzuzählen. (Wobei auch immer gern verschwiegen wird, dass die erste „Reclaim the Streets“ in Zürich eine weitgehend friedliche Aktion war.)

    • Réda El Arbi sagt:

      Das wird nicht verschwiegen. Es fällt einfach nicht mehr ins Gewicht, weil die Aktionen der letzten zwei Jahre der RTS-Bewegung die Glaubwürdigkeit genommen haben.

      • Tronco Flipao sagt:

        Weil ein paar dutzend Idioten Krawall machen, fallen hunderte die friedlich feiern (oder demonstrieren) nicht mehr ins Gewicht. Das ist sehr Schade und aus der Ecke wird nichts mehr kreatives und friedliches entstehen, denn beim nächsten RTS werden sich noch mehr Krawallbrüder, Gaffer und Polizisten in Kampfmontur aufmachen als andere.
        Was übrig bleibt ist in einen Klub zu gehen (sofern man reingelassen wird) und ein paar teuere Getränke zu konsumieren.

    • fabian sagt:

      „Mit etwas mehr Konsum als Statement (Bierchen und essen in der Markthalle) entstehen keine Freiräume und die Welt wird nicht nur besser.“
      Wie recht Sie haben.

      • Alex Flach sagt:

        Der Konsum sollte schon mehr als ein Statement sein, sondern dazu beitragen, Institutionen wirtschaftlich erfolgreich zu machen, sodass sie diesbezüglich eine (eigenständig erwirtschaftete) Existenzberechtigung erlangen. Jugendkultur ist Kultur die sich auszahlt, wenn man sie richtig angeht. Dafür gibt es viele (Erfolgs-)Beispiele. Es ist möglich (insbesondere) elektronische Kultur auf hohem Niveau anzubieten und gleichzeitig subventionslos gut zu wirtschaften. Da sollte man dem Markt freien Lauf lassen und ebenda scheiden sich wohl die Geister.

        • tststs sagt:

          „Jugendkultur ist Kultur die sich auszahlt“… Kultur wird sich nienienie auszahlen lassen… ist ein systembedingtes Problem: auszahlen tut sich etwas in CHF, Kultur lässt sich aber nicht in CHF messen.

          Vllt verstehe ich Sie auch falsch, aber gerade Jugendkultur ist kein rentables Geschäft. Also ich stelle mir ein Jugendcafe vor, dass selbstfinanziert funktionieren soll. D.h. am Sackgeldtag hat es für 2 Stunden offen und dann ist das Budget (Jugendliche und Cafe) bereits aufgebraucht 😉

          • Alex Flach sagt:

            Kultur lässt sich nicht in CHF messen… 🙂 schon mal einen Blick auf die Preise auf dem Kunstmarkt geworfen? Es geht darum ob der Staat in die Pflicht genommen werden soll Clubs und Lokale mit Jugendkultur im Angebot zu erhalten, selbst wenn sie es nicht schaffen sich selbständig über Wasser zu halten. Müssen sie dann mit Finanzspritzen unterstützt werden oder ist der Staat nur dazu da die Räume bereit- und sicherzustellen. Von Sackgeld-Kafis ist nun wirklich nicht die Rede…

          • fabian sagt:

            der denkfehler den marktfixierte ideologen machen ist der: was keine rendite abwirft ist nichts wert.
            d.h. was sich nicht in CHF messen lässt, ist nichts wert.
            kunsthandel=gut, jugendkultur= schlecht.
            so einfach, dass es schon fast schmerzt.

          • tststs sagt:

            „schon mal einen Blick auf die Preise auf dem Kunstmarkt geworfen“
            Was meinen Sie damit genau? Natürlich kann ich einem Bild, einem Film, einem Sportereignis oder einem Museumsbesuch ein Preisschild umhängen… Aber ist dies auch der Wert einer Sache/Erlebnisses?
            „Es geht darum ob der Staat in die Pflicht genommen werden…“ Was heisst da „ob“?! Dies geschieht doch schon längstens; und zwar von der Oper, über Jugendcafes bis hin zu Fussballstadien 😉

          • Ben sagt:

            Der Kunstmarkt ist eine Inszenierung, wo versucht wird maximale Rendite zu erzielen, ohne Wirkung oder gesellschaftlichen Stellenwert der Kunst in den Mittelpunkt zu stellen. Kunstgefördert wird meist nur, was obrigkeitlich gewünscht wird, was wiederum nicht zum Besten der Menschen sein muss.

        • Tronco Flipao sagt:

          Es ist wohl wenig praktikabel wenn der Staat Teile des Nachtlebens subventioniert. Freiräume darf er aber durchaus schaffen und erhalten. Da ist die Rote Fabrik ein gutes Beispiel. Ich glaube die RF wäre schnell Geschichte, wenn das Areal nicht in öffentlicher Hand wäre.
          Die Entwicklung geht aber in die Gegenrichtung: die Stadt will auf dem Gerold Areal lieber ein Kongresszentrum bauen als die Club-Kultur gedeihen lassen. Ein schönes Kongresszentrum bringt der Stadt wohl mehr Profit und Prestige als ein paar Clubs.
          Deswegen ist es sinnvoll zu protestieren wenn wieder mal etwas besonderes verschwindet und zu einem Tempel des Konsums wird. Dass dann ein paar Idioten ein paar Scheiben einschlagen ist bedauerlich, darf nicht der Grund sein dass wir nicht mehr protestieren.

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