Weihnachtszauber statt Weihnachtsgeschäft
Tanzverbot. Ein Wort, das heute aktiven Clubbern ein verständnisloses Runzeln auf die Stirn zaubert, in den 90ern jedoch allen geläufig war. Bis zum Jahr 2000 war das Feiern von Partys an hohen Feiertagen wie Ostern, Karfreitag, Pfingsten und Weihnachten untersagt. Ein Unding war das Tanzverbot natürlich schon lange vor seinem Fall: Der Staat schreibt seinen Bürgern vor, wie sie an hohen kirchlichen Feiertagen (nicht) feiern sollen – aus heutiger Sicht eine belustigende Unverfrorenheit.
Selbstverständlich hielten sich beileibe nicht alle Schäfchen an die, imperativ vorgetragenen, Wünsche ihrer säkularen und sakralen Hirten, suchten sich für Ostern und Weihnachten ein leerstehendes Kellergewölbe ohne lärmempfindliche Nachbarschaft, mieteten sich eine Soundanlage und frönten dann mit Gleichgesinnten lustvoll der Illegalität.
Die paar wenigen Partys, die in den Tanzverbot-Nächten vonstattengingen, waren ausnahmslos gut besucht: Der Spagat zwischen Mundpropaganda und Verschwiegenheit funktionierte zumeist hervorragend, so dass zwar hunderte Partygänger von der Party erfuhren, die Polizei hingegen ahnungslos blieb. Dennoch stellten einige Veranstalter sicherheitshalber einen laufstarken Gehilfen neben die Kasse, der im Falle einer behördlichen Aufwartung mit den Einnahmen durch die Hintertür verduften konnte.
Vielleicht wusste die Polizei aber auch von den Partys, liess aber Fünfe gerade sein, da selbst nicht restlos von der Existenzberechtigung des Reliktes Tanzverbot überzeugt. Jedenfalls vermochte das kollektive Wissen um die Illegalität dieser Feten einen Zauber zu erzeugen, der tatsächlich weihnachtlich war: Man gehörte zu einer verschworenen Gemeinschaft, einer Familie, bestehend aus lauter Nichtverwandten.
Dieses Gefühl wurde von einigen Partymachern wie Urs Kind verstärkt, indem sie ihre Events mit einer frisch geschlagenen und mit kiloweise Lametta geschmückten Tanne versahen. Vielen Ehemaligen dürften diese Nächte auch heute noch, fünfzehn Jahre später, in bester Erinnerung sein. Ein Blick auf das gigantische Partyprogramm der nächsten Tage zeigt, dass das Tanzverbot zwar tatsächlich der Vergangenheit angehört, dass aber handkehrum viel von dem Zauber früherer Tage verlorengegangen ist.
Viele Clubs lassen das Christkind aussen vor, verzichten komplett auf weihnachtliche Attribute und spulen einfach nur ihr gängiges Programm runter. Das ist vielleicht auch ganz okay so, denn viele der Clubber, die Mittwoch- und am Donnerstagnacht unterwegs sind, wollen sich explizit von allzu viel familiärer Nähe und santa-klaustrophobischer Weihnachtsatmosphäre erholen.
Ein wenig schade ist es trotzdem, dass der Zauber früherer Tage verlorengegangen ist, dass Weihnachten auch im Nachtleben nur noch ein Geschäft ist. Zumindest in Zürich: In den Kantonen Uri, Glarus, Obwalden, Solothurn, Aargau oder Appenzell Innerrhoden herrscht immer noch (ein zumindest partiell gültiges) Tanzverbot an hohen christlichen Feiertagen. Im Aargau ist aktuell ein von der Piratenpartei initiiertes Volksbegehren hängig, welches das dortige Verbot aufheben möchte. Vielleicht sollten sich das die Piraten nochmals überlegen.
Alex Flach ist Kolumnist beim Tages Anzeiger und Club-Promoter. Er arbeitet unter anderem für die Clubs Supermarket, Hive, Nordstern Basel, Rondel Bern, Blok und Zukunft.
9 Kommentare zu «Weihnachtszauber statt Weihnachtsgeschäft»
Gut nachvollziehbar finde ich die Argumente des Autors http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/waise-weihnacht-ich-bin-nicht-glaeubig-und-dennoch-liebe-ich-dieses-fest/11154210.html , Weihnachten auch bei Nichtreligionsangehörigkeit und als Erwachsener gerne zu feiern.
Ja, früher wars besser. Sagt ausgerechnet einer, der das Gewerbe möglichst frei dem ‚freien‘ Markt überlassen will und dies auch lautstark kundtut.
Und während in Zürich abkassiert wird, soll dem Aargau wegen nostalgischen Zürchern das verwehrt sein, was die Zürcher nicht missen möchten?
Ein Gewerbe gehört doch per se auf den freien Markt, nicht? Wohin denn sonst? Und es ist Weihnachten; wenn jetzt nicht ein Bisschen Nostalgie, wann denn dann….
Wir gingen früher nach dem Familienschlauch jeweils noch zu Walti in die Olé Olé Bar. Da wurde es dann so richtig feierlich.
Jetzt, da der Laden zu einer weiteren 08/15 Bar an der Langen verkommen ist, lohnt sich das wohl auch nicht mehr.
Danke, dass Du nicht »Mund-zu-Mund-Propaganda« schreibst oder gar, wie man es auch liest, »Mund zu Mund Propaganda«.
Lieber Alex, ich verstehe den Artikel nicht ganz. Gehöre zu den Leuten, welche das Tanzverbot noch aktiv umgangen haben, inkl. rotem Knopf beim Einlass, der alle Einnahmen und Preislisten verschwinden liess.
Aber. Was ist dein Vorschlag? Osternester an der Bar mit blaugekochten Eiern und Aromat? Frauen in nuttigen Elfenköstümen? Jungs mit angeklebtem Bart und prallem Sack?
Nach dem Familientürk wollten die Besucher wieder normale Menschen treffen. Einzig der pralle Sack blieb bestehen.
Ja diese Zeiten die Sie beschreiben waren tatsächlich toll. Heutzutage ist alles vom Markt durchzogen, eher durchfressen, oder dann ins Konsevartive/Reaktionäre zurückgekippt. Im Aargau oder Uri eine illegale Party feiern? Vielleicht lieber nicht? Oder vielleicht gerade doch? War früher open minded, heute nicht mehr, wie ich finde. Aber dann wird man mit Veranstaltungen wie „Jeder Rappen zählt“ in heutigen Zeiten zugedröhnt, eine doch krude Mischung zwischen kollektiver herziger Christkindfeier, Rubel-rollt-Party und Sauglattismus-Ballermann-Party im Kleid der Barmherzigkeit. Als Prekarier kann ich da nur den Kopf schütteln und auf bessere Zeiten hoffen.
Gibt es für diejenigen, die sich trotz fehlendem Weihnachtszauber in den (nicht)weihnächtlichen Ausgangsrummeln schmeissen wollen, ein Top3 der Zürcher (nicht)Weihnachtsparties? =)
In der Mausefalle und im 4.Akt soll immer was los sein.
Oder wenn Sie zu Weihnachten eine Canada Goose Daunenjacke mit Echtpelzkragen bekommen haben, ist der Club Hiltl zu empfehlen!